T 2257/17 07-10-2021
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DOKUMENT MIT EINER INTEGRIERTEN ANZEIGEVORRICHTUNG
Priorität - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nach Änderung
I. Die Beschwerde betrifft die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 08848855 zurückzuweisen. Diese wurde als internationale Anmeldung Nr. WO 2009/062862 eingereicht und nimmt die Priorität der deutschen Patentanmeldung mit dem Aktenzeichen 10 2007 000 875.0 in Anspruch.
II. In der angefochtenen Entscheidung werden die folgenden Dokumente genannt:
D1: EP 1 168 817 A (2002-01-02)
D2: CHEUNG W N ED - INSTITUTE OF ELECTRICAL AND ELECTRONICS ENGINEERS: "DIGITAL IMAGE WATERMARKING IN SPATIAL AND TRANSFORM DOMAINS", TENCON 200 PROCEEDINGS; [IEEE REGION 10 ANNUAL CONFERENCE], KUALA LUMPUR, 24. September 2000 (2000-09-24), Seiten 374-378, XP000988287, ISBN: 978-0-7803-6356-4
D3: US 2006/115110 A1 (2006-06-01)
D6: EP 2 040 935 A0 (2009-04-01), international am 21. Juni 2007 eingereicht, veröffentlicht am 10. Januar 2008 als WO 2008/003595 A2; im Folgenden wird auf die veröffentlichte internationale Anmeldung Bezug genommen
D7: DE 10 2006 031422 A1 (2008-01-10)
Die Dokumente D6 und D7 stammen von derselben Anmelderin wie die vorliegende Anmeldung.
Im Verlauf des Prüfungsverfahrens wurde zusätzlich noch auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D4: US 2007/177759 A1 (2007-08-02)
D5: US 2003/223614 A1 (2003-12-04)
III. Die Prüfungsabteilung argumentierte in der angefochtenen Entscheidung, dass D6 und D7 die Überlagerung der ersten Daten mit dem Wasserzeichen im Frequenzraum offenbarten, daher die Priorität für einen Teil der Anmeldung nicht gültig beansprucht und der Gegenstand des Anspruchs 1 des damals vorliegenden Hauptantrags nach Artikel 54(3) EPÜ gegenüber sowohl D6 als auch D7 nicht neu sei. Ferner stützte sie ihre Entscheidung auf mangelnde Neuheit des Anspruchs 1 des Hauptantrags gegenüber D3 und mangelnde erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1.
IV. Am Ende der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein europäisches Patent auf Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:
- Ansprüche 1 bis 6, eingereicht in der mündlichen
Verhandlung vor der Kammer,
- Beschreibungsseiten 1 bis 19, eingereicht in der
mündlichen Verhandlung vor der Kammer,
- Figuren Blätter 1/6 bis 6/6 wie veröffentlicht.
V. Der Wortlaut des Anspruchs 1 der vorliegenden Anmeldung wie in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer eingereicht lautet (die Merkmalsnummerierung M1, M2, ... wurde von der Kammer hinzugefügt und entspricht der von der Beschwerdeführerin in der Beschwerdebegründung eingeführten Nummerierung):
M1 Dokument mit
M2 - einer integrierten Anzeigevorrichtung (102),
M3 - einem elektronischen Speicher
M3.1 zur Speicherung erster (106)
M3.2 und zweiter (107) Daten,
M4 - Ansteuerungsmitteln (104; 122, 131) zur Ansteuerung der Anzeigevorrichtung für eine Wiedergabe der ersten Daten mit einem digitalen Wasserzeichen,
M4.1 wobei das digitale Wasserzeichen die zweiten Daten beinhaltet,
M4.2 wobei die Ansteuerungsmittel so ausgebildet sind, dass die Erzeugung des digitalen Wasserzeichens in dem Dokument selbst erfolgt,
indem die Ansteuerungsmittel auf die in dem elektronischen Speicher gespeicherten ersten und zweiten Daten zugreifen, um den ersten Daten das digitale Wasserzeichen zu überlagen [sic], und
dass bei der Wiedergabe der ersten Daten eine Überlagerung mit dem digitalen Wasserzeichen
M4.3 im Frequenzraum erfolgt.
Im Vergleich zu Anspruch 1 des der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hauptantrags wurde Merkmal 4.2 dahingehend ergänzt, dass die Erzeugung des digitalen Wasserzeichens in dem Dokument selbst erfolgt, indem die Ansteuerungsmittel auf die in dem elektronischen Speicher gespeicherten ersten und zweiten Daten zugreifen, um den ersten Daten das digitale Wasserzeichen zu überlagern.
Dabei liegt in Merkmal M4.2 ein offensichtlicher Rechtschreibfehler vor ("überlagen" statt "überlagern"), der die Deutlichkeit des Merkmals beziehungsweise des Anspruchs jedoch nicht in Frage stellt.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die Erfindung
Die Erfindung betrifft ein Dokument, zum Beispiel einen Ausweis, mit einer integrierten Anzeigevorrichtung, einem elektronischen Speicher und Ansteuerungsmitteln. Letztere greifen auf in dem Dokument gespeicherte erste und zweite Daten zu, überlagern den ersten (Bild)Daten im Frequenzraum ein digitales Wasserzeichen, welches die zweiten Daten beinhaltet, und steuern die Anzeigevorrichtung zur Wiedergabe der ersten Daten mit dem Wasserzeichen an.
3. Priorität, D6, D7
Sowohl D6 als auch D7 stammen von derselben Anmelderin wie die vorliegende Anmeldung und betreffen ebenso wie diese ein Dokument mit einem Anzeigeelement, welches ein Bild mit einem integrierten digitalen Wasserzeichen anzeigen kann (D6: Seite 5, Zeilen 4 bis 9; D7: Absatz [20]).
3.1 Begriff "Frequenzraum"
Im Gebiet der Bildverarbeitung hat der Begriff "Frequenzraum" eine bestimmte Bedeutung. In diesem Gebiet ist eine Transformation von Bilddaten aus dem Bildraum oder Ortsraum in den Frequenzraum seit mehreren Jahrzehnten eine übliche Vorgehensweise. Dabei können unter anderem Fouriertransformationen, diskrete Cosinustransformationen (DCT) oder Wavelets zum Einsatz kommen.
Im Frequenzraum können zum Beispiel Filteroperationen schneller durchgeführt und periodische Störungen im Bild leichter beseitigt werden. Im Frequenzraum dargestellte Bilddaten ermöglichen einem menschlichen Beobachter allerdings keinen direkten Rückschluss auf das ursprüngliche Bild im Ortsraum. Hierfür ist eine vorherige Rücktransformation der Bilddaten in den Ortsraum erforderlich.
Eine Überlagerung von Bilddaten mit einem digitalen Wasserzeichen kann dabei sowohl im Bildraum / Ortsraum als auch im Frequenzraum erfolgen. Beide Möglichkeiten waren dem Fachmann, zusammen mit den jeweiligen Vor- und Nachteilen, zum Prioritätszeitpunkt der vorliegenden Anmeldung bereits allgemein bekannt. D2 kann hierfür als Beispiel dienen, wie von der Prüfungsabteilung vorgebracht. Darüber hinaus werden beide Möglichkeiten auch in D3 (siehe Absätze [4] bis [9]) und in D5 (siehe Absatz [58]) erwähnt.
3.2 Priorität
Der größte Teil der veröffentlichten Anmeldung ist im Prioritätsdokument enthalten. Dies gilt insbesondere für die Überlagerung der ersten Daten mit einem digitalen Wasserzeichen im Frequenzraum im (Prioritätsdokument, Seite 4, Zeile 33 bis Seite 5, Zeile 1 und Seite 10, Zeilen 4 bis 14).
Weder D6 noch D7 erwähnen dagegen explizit einen Frequenzraum, eine Transformation oder eine Rücktransformation von Bilddaten.
Stattdessen bezieht sich die Frequenzmodulation, die in diesen Dokumenten genannt wird (siehe Seite 11, Zeilen 1 bis 8 der D6 und Absatz [56] der D7) auf die Frequenz (beispielsweise 100 Hz, siehe Seite 11, Zeilen 10 bis 20 der D6 und Absatz [57] der D7), mit der ein beliebiges optisches Signal angezeigt wird, und nicht auf eine Überlagerung von Daten im Frequenzraum.
Weder D6 noch D7 offenbaren daher in unmittelbarer und eindeutiger Weise eine Überlagerung von ersten (Bild)Daten mit einem digitalen Wasserzeichen im Frequenzraum. Daher ist die deutsche Anmeldung mit dem Aktenzeichen 10 2007 000 875.0, auf der der Prioritätsanspruch der vorliegenden Anmeldung beruht, als erste Anmeldung der Beschwerdeführerin anzusehen, die dies offenbart, anders als von der Prüfungsabteilung ausgeführt. Weder D6 noch D7 stehen daher einer Inanspruchnahme der Priorität nach Artikel 87 EPÜ entgegen.
3.3 Neuheit / D6 und D7
D6 und D7 wurden beide vor dem beanspruchten Prioritätstag der Anmeldung (12. November 2007) eingereicht, aber nach diesem veröffentlicht (10. Januar 2008). Bei D6 handelt es sich um eine europäische, bei D7 um eine deutsche Anmeldung. Da die Priorität der Anmeldung gültig ist, gehört zwar D6, nicht aber D7 zum Stand der Technik nach Artikel 54(3) EPÜ.
D6 offenbart jedoch nicht in eindeutiger und zweifelsfreier Weise eine Überlagerung von ersten (Bild)Daten mit einem digitalen Wasserzeichen im Frequenzraum, wie oben ausgeführt. Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche 1 und 6 ist daher schon aus diesem Grund gegenüber D6 neu, anders als von der Prüfungsabteilung ausgeführt.
4. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1 und D3
4.1 D1, D3
Sowohl D1 als auch D3 betreffen ein Dokument mit einer Anzeigevorrichtung zur Wiedergabe von Daten, die mit einem digitalen Wasserzeichen versehen sind. Dabei offenbaren beide Dokumente jeweils die Merkmale M1, M2, M3, M3.1, M3.2, M4 und M4.1 (D1: siehe Absätze [25], [28] und die Figuren 1 und 2; D3: siehe Absätze [0223] bis [0227]).
D1 offenbart jedoch weder eine Erzeugung des digitalen Wasserzeichens im Dokument selbst nach dem nunmehr vorliegenden, im Beschwerdeverfahren ergänzten, Merkmal 4.2 noch eine Überlagerung der ersten Daten mit dem digitalen Wasserzeichen im Frequenzraum nach Merkmal 4.3.
D3 offenbart ebenfalls keine Erzeugung des digitalen Wasserzeichens im Dokument selbst nach dem nunmehr vorliegenden Merkmal M4.2. Darüber hinaus erwähnt D3 zwar im allgemeinen Teil die Überlagerung von digitalen Wasserzeichen im Frequenzraum (Absätze [6] bis [8]). Die in der Beschreibung der Erfindung genannten Algorithmen beziehen sich aber nicht unmittelbar und eindeutig auf eine solche. Dies gilt auch, anders als von der Prüfungsabteilung festgestellt, für die in den Absätzen [98], [99] und [101] der D3 erwähnten Frequenzmodulationen. Auch D3 offenbart also weder das nunmehr vorliegende Merkmal M4.2 noch das Merkmal M4.3.
4.2 Unterscheidende Merkmale
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich also sowohl von D1 als auch von D3 durch die Merkmale M4.2 und M4.3.
4.3 Erfinderische Tätigkeit
Die Überlagerung im Frequenzraum nach Merkmal M4.3 stellt dabei nur eine von genau zwei dem Fachmann zum Prioritätszeitpunkt der vorliegenden Anmeldung allgemein bekannten Möglichkeiten mit ebenfalls bekannten Vor- und Nachteilen dar (siehe D2, "Abstract", sowie D3 im einleitenden Teil, Absätze [4] bis [9], und D5, Absatz [58]), aus denen der Fachmann ohne Ausübung einer erfinderischen Tätigkeit den Umständen entsprechend auswählen würde (siehe auch den vorvorletzten Absatz der Seite 9 der angefochtenen Entscheidung). Die Anerkennung einer erfinderischen Tätigkeit kann daher nicht auf diesen Unterschied gestützt werden.
Die Erzeugung des digitalen Wasserzeichens und die Überlagerung der ersten Daten mit dem Wasserzeichen im Dokument selbst nach dem nunmehr vorliegenden, im Beschwerdeverfahren ergänzten Merkmal M4.2 hat die Wirkung, dass die ersten und die zweiten Daten in einem Dokument unabhängig voneinander ausgetauscht werden können. Die zu lösende objektive technische Aufgabe kann dann ausgehend von D1 oder D3 so formuliert werden, dass die Flexibilität bei der Herstellung und bei späteren Anpassungen des Dokuments erhöht werden soll.
Keinem der Dokumente D2, D4 oder D5 ist dabei ein Hinweis darauf zu entnehmen, ein digitales Wasserzeichen in einem Dokument zu erzeugen und in diesem Dokument gespeicherten ersten Daten zu überlagern. Selbst durch eine Kombination der Dokumente D1 bis D5 würde der Fachmann also nicht dazu angeregt werden, das im Beschwerdeverfahren ergänzte Merkmal M4.2 in eines der in D1 oder D3 offenbarten Dokumente zu integrieren.
Die Dokumente D6 und D7 sind, unabhängig von ihrem Offenbarungsgehalt, für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit nicht heranzuziehen.
In Anbetracht des verfügbaren Standes der Technik beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 daher auf einer erfinderischen Tätigkeit nach Artikel 56 EPÜ.
5. Artikel 123(2) EPÜ
Der vorliegende Anspruch 1 beruht auf den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 1 und 4 sowie auf Seite 5, Zeilen 21 bis 24 der veröffentlichten Anmeldung. Die abhängigen Ansprüche 2 bis 6 entsprechen den ursprünglich eingereichten Ansprüchen 6, 7, 9, 10, 11 und 22. Die Figuren entsprechen den Figuren der veröffentlichten Anmeldung, und die Beschreibung wurde an die geänderten Ansprüche angepasst. Die Bedingungen des Artikels 123(2) EPÜ sind damit erfüllt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung
zurückverwiesen mit der Anordnung, ein Patent auf der
Grundlage folgender Unterlagen zu erteilen:
- Ansprüche 1 bis 6, eingereicht in der mündlichen
Verhandlung vor der Kammer,
- Beschreibungsseiten 1 bis 19, eingereicht in der
mündlichen Verhandlung vor der Kammer,
- Figuren Blätter 1/6 bis 6/6 wie veröffentlicht.