T 2338/17 13-12-2021
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Verwendung einer beheizbaren Fluidleitung
TI Automotive (Heidelberg) GmbH
REHAU AG + Co
Spät vorgebrachte Einwände - zugelassen (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden 1 richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, die Einsprüche gegen das Europäische Patent Nr. 2 649 357 (im Folgenden "das Patent" genannt) zurückzuweisen.
II. Von den bereits im Einspruchsverfahren vorgelegten Druckschriften sind die Folgenden für diese Entscheidung relevant:
E3: EP 1 793 152 A1
E7: DE 10 2006 006 211 B3
E8: DE 10 2007 024 782 A1
III. Am 27. Januar 2021 erging eine Ladung zur mündlichen Verhandlung.
IV. Die Kammer erließ am 7. Juni 2021 eine Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen Fassung der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK 2020, ABl. EPA 2021, A35).
V. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 13. Dezember 2021 als Videokonferenz statt. Die Einsprechende 2 nahm, wie mit Schreiben vom 25. November 2021 angekündigt, nicht an der mündlichen Verhandlung teil. Gemäß Regel 115 (2) EPÜ und Artikel 15 (3) VOBK 2020 wurde das Verfahren ohne die Einsprechende 2 fortgesetzt.
VI. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende 1) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung basierend auf den mit der Beschwerdeerwiderung am 26. März 2018 eingereichten Ansprüchen 1 gemäß Hilfsanträgen 1 und 2 aufrechtzuerhalten.
Die Einsprechende 2 war gemäß Artikel 107 Satz 2 EPÜ am Beschwerdeverfahren beteiligt, hat sich aber während des Beschwerdeverfahrens nicht zur Sache geäußert und keine Anträge gestellt.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) lautet wie folgt (die von der Kammer verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):
,,[1.1] Verwendung einer beheizbaren Fluidleitung (1) für ein SCR-Katalysatorsystem eines Verbrennungsmotors, [1.2] wobei die beheizbare Fluidleitung (1) mindestens eine Rohrleitung (2, 218) und mindestens einen sich über mindestens einen Teilbereich der Rohrleitungslänge (L) erstreckenden elektrischen Heizleiter (3, 224) umfasst, [1.3] wobei die Rohrleitung (2) mindestens zwei miteinander verbundene Längenabschnitte (2a, 202, 2b, 204) aufweist, dadurch gekennzeichnet, dass [1.4a] die Fluidleitung (1) über Verbinderteile (5, 14, 15, 21, 22, 50, 51, 244, 246), die eine nur zerstörend voneinander trennbare oder [1.4b] eine zerstörungsfrei voneinander lösbare Verbindung zwischen den Längenabschnitten (2a, 202, 2b, 204) herstellen, [1.5] einen Tank (10, 254) des Katalysatorsystems mit einer Einspritzeinrichtung (11, 256) des Katalysatorsystems verbindet, [1.6a] wobei die Längenabschnitte (2a, 202, 2b, 204) hinsichtlich ihrer Materialeigenschaften und/oder [1.6b] ihrer konstruktiven Gestalt unterschiedlich ausgebildet sind, [1.7] indem mindestens einerseits ein erster Längenabschnitt (2a, 202) aus einem ersten Material besteht, welches ein erstes Polymer enthält, und [1.8] andererseits ein zweiter Längenabschnitt (2b, 204) aus einem zweiten Material besteht, welches ein zweites Polymer enthält, [1.9a] wobei das Material des zweiten Längenabschnitts (2b, 204) flexibler ist und/oder [1.9b] eine höhere Beanspruchbarkeit aufweist als das Material des ersten Längenabschnitts (2a, 202)."
VIII. Das Vorbringen der Beteiligten, soweit für diese Entscheidung relevant, lässt sich im Wesentlichen folgendermaßen zusammenfassen:
a) Erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der Druckschriften E3 und E7
i) Beschwerdeführerin
Der erteilte Anspruch 1 unterscheide sich von der Druckschrift E3 nur durch die Merkmale 1.6 bis 1.9. Die objektive technische Aufgabe liege in der Anpassung des in der Druckschrift E3 beschriebenen Fluidverteilungssystems an die in der Praxis angetroffenen Anforderungen. Der Fachmann suche nämlich ausgehend von der Druckschrift E3 nach Materialien, welche er für die Längenabschnitte verwenden könne. Er stoße dabei auf die Druckschrift E7, die ebenfalls der SCR-Technologie zugeordnet sei und sich ferner mit konstruktiven Details der Fluidleitung beschäftige. Die Druckschrift E7 offenbare in Absatz [0015], dass die Werkstoffauswahl der Baugruppe durch das zu leitende Medium und den Einsatztemperaturbereich wesentlich mitbestimmt werde. Der Begriff ,,Baugruppe" beschreibe gemäß Anspruch 1 der Druckschrift E7 eine Vorrichtung, welche einen Schlauch und einen Konnektor umfasse. Genau dies sei mit dem Begriff ,,Längenabschnitt" im Patent gemeint und mit den Bezugszeichen 116, 118 in der Druckschrift E3 gekennzeichnet. Die Druckschrift E7 empfehle somit, dass Baugruppen und damit Längenabschnitte jeweils über den jeweiligen Werkstoff auf die jeweilige Einsatztemperatur abgestimmt werden. Die unterschiedlich warmen Umgebungen würden in Absatz [0085] der Druckschrift E7 genannt. So könne die Baugruppe an eine recht heiße Einspritzdüse oder aber an einen verhältnismäßig kühlen Vorratstank angeschlossen werden.
Zwar beziehe sich Absatz [0015] der Druckschrift E7 möglicherweise zunächst darauf, dass unterschiedliche Materialien für unterschiedliche Komponenten der Baugruppe (z.B. Schlauch und Konnektor) ausgewählt würden. Das sei hier aber irrelevant. Absatz [0015] sei vielmehr das allgemeine Konzept zu entnehmen, unterschiedliche Materialien für unterschiedliche Temperaturanforderungen zu verwenden. Aus der Druckschrift E3 als nächstliegendem Stand der Technik seien dem Fachmann bereits unterschiedliche Längenabschnitte bekannt. Er hätte hierauf zwanglos das aus der Druckschrift E7 bekannte allgemeine Konzept angewendet und wäre somit zum Anspruchsgegenstand gelangt.
Absatz [0015] der Druckschrift E7 beschreibe auch, welche Kunststoffe für AdBlue bzw. die Harnstoff-Wasser-Lösung in Betracht kämen. Gleichzeitig wisse der Fachmann aus seinem allgemeinen Fachwissen heraus, dass Polyamide günstig seien, während Polyphthalamide und auch Polyphenylensulfid teurer, aber dafür deutlich wärmebeständiger seien. Es liege auf der Hand, dass der Fachmann PPA und PPS in dem Längenabschnitt am Abgasstrang einsetzen werde, während er bei anderen, weniger hohen Temperaturen ausgesetzten Bereichen - insbesondere in der Nähe des Tanks - Polyamid-Längenabschnitte vorsehen werde. Er hätte dabei beispielsweise bei dem Längenabschnitt 116 der Druckschrift E3 PA12 vorgesehen und bei dem Längenabschnitt 118 PPS.
ii) Beschwerdegegnerin
Der erteilte Anspruch 1 unterscheide sich von der Druckschrift E3 nicht nur durch die Merkmale 1.6 bis 1.9, sondern beispielsweise auch durch das Merkmal 1.5.
Die Beschwerdeführerin stütze sich ferner auf eine unzulässige rückschauende Betrachtungsweise. Keine der Druckschriften E3 und E7 beschreibe, dass an verschiedene Längenabschnitte der gleichen Fluidleitung verschiedene Anforderungen gestellt würden. Die Druckschrift E7 definiere nicht einmal unterschiedliche Längenabschnitte. In Absatz [0015] der Druckschrift E7 gehe es um die Materialauswahl für die Baugruppe, das heißt, für das ganze System, nicht für unterschiedliche Längenabschnitte. Ausgehend von diesem Hinweis hätte der Fachmann die ganze Leitung auf die maximal auftretende Temperatur ausgelegt, beispielsweise auf 100°C. Diese Temperatur könne auch fahrzeugabhängig sein. Die Auslegung beträfe dann aber das ganze Leitungssystem. Keine der Druckschriften E3 und E7 offenbare hingegen unterschiedliche Materialien für unterschiedliche Längenabschnitte der Leitung oder lege diese nahe.
b) Erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der Druckschrift E3 mit dem allgemeinen Fachwissen
i) Beschwerdeführerin
Dem Fachmann sei aufgrund seines allgemeinen Fachwissens bekannt, unterschiedliche Polymere in unterschiedlichen Längenabschnitten eines Leitungssystems zu verwenden. Außerdem seien ihm unterschiedliche Polymere mit unterschiedlichen Temperaturbeständigkeiten und Preisen bekannt. Letzteres stelle für sich genommen schon einen Anlass dar, unterschiedliche Längenabschnitte aus unterschiedlichen Kunststoffmaterialien vorzusehen.
In der Praxis würden bei der Montage eines Leitungssystems darüber hinaus ohnehin zufällig, aber mit einer hohen Wahrscheinlichkeit, Längenabschnitte verschiedener Zulieferer aus unterschiedlichen Kunststoffmaterialien verwendet werden.
ii) Beschwerdegegnerin
Die Beschwerdeführerin habe nicht nachgewiesen, dass es zum allgemeinen Fachwissen gehöre, unterschiedliche Polymere in unterschiedlichen Längenabschnitten eines Leitungssystems zu verwenden. Diese Ansicht beruhe vielmehr auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise.
Eine solche Ausgestaltung würde sich in der Praxis darüber hinaus auch nicht zufällig ergeben, da die Zulieferer die Längenabschnitte speziell für einen Hersteller fertigten und die Längenabschnitte somit aufeinander abgestimmt seien. Die Längenabschnitte würden daher nicht zufällig zusammengesteckt werden.
c) Erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der Druckschriften E3 und E8
i) Beschwerdeführerin
In der Beschwerdebegründung trug die Beschwerdeführerin erstmals vor, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf eine Kombination der Druckschriften E3 und E8 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Dieser Einwand sei eine Reaktion darauf, dass die Einspruchsabteilung die Einsprüche in der angefochtenen Entscheidung zurückgewiesen habe. Allerdings sei der Einwand beruhend auf der Kombination der Druckschriften E3 und E7 (siehe oben) der näherliegendere Einwand.
ii) Beschwerdegegnerin
Der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit beruhend auf der Kombination der Druckschriften E3 und E8 sei erst mit der Beschwerdebegründung und somit verspätet erhoben worden. Für die Verspätung gebe es auch keinen rechtfertigenden Grund. Inhaltlich liege die Druckschrift E8 weiter von der beanspruchten Erfindung entfernt als die Druckschrift E7, da sie sich mit der Heizeinrichtung eines Tanks befasse, während es im Anspruch 1 um eine Fluidleitung gehe, die einen Tank mit einer Einspritzeinrichtung eines Katalysatorsystems verbinde (siehe Merkmal 1.5).
d) Erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E8 als nächstliegendem Stand der Technik
i) Beschwerdeführerin
Erstmals mit Schreiben vom 28. Januar 2019 führte die Beschwerdeführerin aus, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des erteilten Patents ausgehend von der Druckschrift E8 als nächstliegendem Stand der Technik nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
ii) Beschwerdegegnerin
Die Beschwerdegegnerin ist der Ansicht, dieser Vortrag sei verspätet erfolgt, und beantragt, den Einwand nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
1. Erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der Druckschriften E3 und E7
Selbst unter der Annahme, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von der Druckschrift E3 nur durch die Merkmale 1.6 bis 1.9 unterscheidet, und dass die diesbezüglich gelöste objektive technische Aufgabe in der Anpassung des in der Druckschrift E3 beschriebenen Fluidverteilungssystems an die in der Praxis angetroffenen Anforderungen gesehen wird, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, hat die in Anspruch 1 beschriebene Lösung dem Fachmann im Hinblick auf eine Kombination der Druckschriften E3 und E7 aus den folgenden Gründen nicht nahegelegen.
Zunächst ist der Beschwerdeführerin zuzustimmen, dass bereits die Druckschrift E3 zwei Längenabschnitte vorsieht. Allerdings beziehen sich die Unterscheidungsmerkmale 1.6 bis 1.9 auf Eigenschaften beider Längenabschnitte. Diese Eigenschaften sind nicht für jeden Längenabschnitt einzeln, sondern in Bezug aufeinander definiert. So sollen die Längenabschnitte hinsichtlich ihrer Materialeigenschaften und/oder ihrer konstruktiven Gestalt unterschiedlich ausgebildet sein, indem ein erster Längenabschnitt aus einem ersten Material besteht, welches ein erstes Polymer enthält, und ein zweiter Längenabschnitt aus einem zweiten Material besteht, welches ein zweites Polymer enthält. Das Material des zweiten Längenabschnitts soll flexibler sein und/oder eine höhere Beanspruchbarkeit aufweisen als das Material des ersten Längenabschnitts.
Die Druckschrift E3 selbst enthält keine Angaben über die Materialien, die Flexibilität oder die Beanspruchbarkeit der in Figur 1 gezeigten Fluidleitungen 116, 118. Bei dieser Ausgangslage würde eine Anpassung lediglich einer der Fluidleitungen 116, 118 der Druckschrift E3 daher nicht zu der erfindungsgemäßen Lösung (im Hinblick auf die Kombination der Merkmale 1.6 bis 1.9) führen. Erforderlich wäre vielmehr eine aufeinander bezogene, unterschiedliche Anpassung beider Fluidleitungen.
Die Beschwerdeführerin trägt vor, die in der Druckschrift E7 beschriebene Baugruppe, die einen Konnektor und einen Schlauch umfasse (siehe beispielsweise Anspruch 1 der Druckschrift E7), sei vergleichbar mit einer der Fluidleitungen 116, 118 der Druckschrift E3. Die Baugruppe stelle somit kein komplettes System dar, das den Tank mit der Einspritzdüse verbinde, sondern lediglich einen Längenabschnitt eines solchen Systems. Die Kammer schließt sich dieser Ansicht an.
Allerdings beschreibt die Druckschrift E7 auch nicht, dass mehrere der dort beschriebenen Baugruppen zusammengefügt werden, um ein Fluidverteilungssystem (im Sinne der Druckschrift E3) zu bilden. Wenn aber die Druckschrift E7 nur einen einzelnen Längenabschnitt beschreibt, kann sie auch die aufeinander bezogene, unterschiedliche Anpassung von zwei Längenabschnitten gemäß der Kombination der Merkmale 1.6 bis 1.9 nicht zeigen.
Die Argumentation der Beschwerdeführerin scheint vielmehr auf der Annahme zu beruhen, dass der Fachmann ausgehend von der Druckschrift E3 die Druckschrift E7 zu Rate gezogen hätte, um eine Materialauswahl für eine der Fluidleitungen 116, 118 zu treffen, und darüber hinaus die Druckschrift E7 erneut zu Rate gezogen hätte, um eine Materialauswahl für die andere der Fluidleitungen 116, 118 zu treffen. Dabei hätte er in Anbetracht der Druckschrift E7 jeweils unterschiedliche Materialien für die Fluidleitungen gewählt.
Ein Hinweis hierauf ist aber der Druckschrift E7 nicht zu entnehmen. Der von der Beschwerdeführerin zitierte Absatz [0015] lautet vollständig:
"Der bevorzugte Nenndruck des Fluids liegt beispielsweise bei 0,6 MPa und die Einsatztemperatur der Baugruppe liegt vorzugsweise in einem Temperaturbereich von minus 35°C bis plus 100°C. Die Werkstoffauswahl der Baugruppe wird daher durch das zu leitende Medium und den Einsatztemperaturbereich wesentlich mitbestimmt. Bei der Verwendung der Baugruppe zur Leitung und Temperierung von Harnstoff-Wasser-Lösung ist es daher vorteilhaft, wenn der Werkstoff des Konnektors und/oder des Schlauchs und/oder des Temperierungsmittels, zumindest in den Bereichen, die mit der Harnstoff-Wasser-Lösung in Berührung kommen, aus der Gruppe der Polyamide (PA), insbesondere PA 12 oder PA 12 mit Blends oder PA 6.6 oder PA 11, oder der Polyphenylensulfide (PPS) oder der Polyphthalamide (PPA) oder der Polyetheretherketone (PEEK) oder der Polyetherimide (PEI) ausgewählt ist."
Zwar gibt diese Textstelle an, dass die Werkstoffauswahl der Baugruppe durch das zu leitende Medium und den Einsatztemperaturbereich wesentlich mitbestimmt sei. Allerdings ist der Druckschrift E3 nicht unmittelbar zu entnehmen, dass die Fluidleitungen 116 und 118 unterschiedliche Einsatztemperaturbereiche aufweisen. Selbst wenn sich die in der Praxis in den beiden Fluidleitungen auftretenden Temperaturen unterscheiden sollten, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, ist nicht unmittelbar erkennbar, dass hierdurch unterschiedliche Einsatztemperaturbereiche im Sinne des Absatzes [0015] der Druckschrift E7 definiert sind. Vielmehr scheint die Druckschrift E7 an dieser Stelle davon auszugehen, dass der Temperaturbereich weit gefasst ist ("minus 35°C bis plus 100°C"). Für die Annahme, dass der Einsatztemperaturbereich einer der Fluidleitungen 116 und 118 in der Druckschrift E3 hiervon abweicht, gibt es keinen Anlass.
Darüber hinaus differenziert aber auch die Druckschrift E7 nicht zwischen verschiedenen Abschnitten der Baugruppe (oder gar einer mehrere Baugruppen umfassenden Fluidleitung). So empfiehlt Absatz [0015] für die "Verwendung der Baugruppe zur Leitung und Temperierung von Harnstoff-Wasser-Lösung", dass der Werkstoff "aus der Gruppe der Polyamide (PA), insbesondere PA 12 oder PA 12 mit Blends oder PA 6.6 oder PA 11, oder der Polyphenylensulfide (PPS) oder der Polyphthalamide (PPA) oder der Polyetheretherketone (PEEK) oder der Polyetherimide (PEI) ausgewählt ist." Somit werden alle dort genannten Materialien für den Einsatz zur Leitung und Temperierung von Harnstoff-Wasser-Lösung empfohlen. Dass innerhalb einer Leitung für eine Harnstoff-Wasser-Lösung unterschiedliche Einsatztemperaturbereiche zu bestimmen sind, welchen dann jeweils unterschiedliche Werkstoffe aus der Liste in Absatz [0015] zugeordnet werden, ist diesem Absatz jedoch nicht zu entnehmen.
Dies gilt auch für den von der Beschwerdeführerin zitierten Absatz [0085] der Druckschrift E7. Dort ist zwar beschrieben, dass die Baugruppe an eine Düse oder einen Vorratstank/-behälter angeschlossen werden kann. Aber ein Hinweis darauf, unterschiedliche Werkstoffe zu verwenden, je nachdem, ob die Baugruppe an eine Düse oder an einen Vorratstank angeschlossen wird, fehlt auch hier.
Die Kammer hält vielmehr die Ansicht der Beschwerdegegnerin für überzeugend, dass die Druckschrift E7 dem Fachmann den Hinweis gab, die Bereiche der Fluidleitung, die mit der Harnstoff-Wasser-Lösung in Berührung kommen, aus dem gleichen Werkstoff vorzusehen, beispielsweise aus einem der in Absatz [0015] genannten Materialien. Der Fachmann hätte somit bei einer Kombination der Druckschriften E3 und E7 möglicherweise die beiden Fluidleitungen 116, 118 der Druckschrift E3 aus einem der in Absatz [0015] der Druckschrift E7 genannten Materialien ausgebildet. Einen Hinweis darauf, die beiden Fluidleitungen 116, 118 der Druckschrift E3 aus unterschiedlichen Kunststoffmaterialien vorzusehen, erhielt der Fachmann jedoch nicht.
Die weiteren Überlegungen der Beschwerdeführerin hinsichtlich der unterschiedlichen Preise und Temperaturbeständigkeiten der in Absatz [0015] der Druckschrift E7 genannten Kunststoffmaterialien gehen deutlich über die Lehre der Druckschrift E7 an den Fachmann hinaus und beruhen auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise. Insbesondere beschreibt keine der Druckschriften E3 und E7, dass unterschiedliche Längenabschnitte des gleichen Fluidverteilungssystems aus unterschiedlichen Materialien gebildet sind, oder legt dies nahe.
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht daher gegenüber einer Kombination der Druckschriften E3 und E7 auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 52 (1) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ).
2. Erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der Druckschrift E3 mit dem allgemeinen Fachwissen
Die Kammer schließt sich ebenfalls nicht der Auffassung der Beschwerdeführerin an, der Gegenstand des Anspruchs 1 sei durch die Druckschrift E3 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen nahegelegt.
Zunächst hat die Beschwerdeführerin nicht nachgewiesen, dass es zum allgemeinen Fachwissen gehöre, unterschiedliche Kunststoffmaterialien für unterschiedliche Längenabschnitten eines Leitungssystems für Harnstofflösung vorzusehen. Zwar mögen dem Fachmann unterschiedliche Kunststoffmaterialien bekannt sein, die für Leitungen für Harnstofflösungen geeignet sind. Es mag ihm auch bekannt sein, dass diese Kunststoffmaterialien unterschiedliche Temperaturbeständigkeiten aufweisen und unterschiedlich hohe Preise haben. Dies allein impliziert jedoch nicht, dass ihm auch allgemein bekannt ist, innerhalb der gleichen Leitung unterschiedliche Kunststoffmaterialien für unterschiedliche Längenabschnitte vorzusehen. Diese Sichtweise ist nicht durch entsprechende Nachweise gestützt sondern vielmehr das Ergebnis einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise.
Auch ist es nicht plausibel, dass in der Praxis mit hoher Wahrscheinlichkeit "zufällig" zwei Längenabschnitte aus unterschiedlichen Kunststoffmaterialen zu einer Leitung zusammengefügt werden, wie ebenfalls von der Beschwerdeführerin vorgetragen wurde. Zunächst hat die Beschwerdeführerin nichts zur Stützung dieser Behauptung vorgelegt. Darüber hinaus ist aber auch der Vortrag der Beschwerdegegnerin plausibel, dass die Längenabschnitte in der Praxis speziell für einen Hersteller angefertigt werden und nicht zufällig Längenabschnitte aus unterschiedlichen Materialien zusammengesteckt werden.
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruht daher auch gegenüber einer Kombination der Druckschrift E3 mit dem allgemeinen Fachwissen auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 52 (1) EPÜ i.V.m. Artikel 56 EPÜ).
3. Erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der Druckschriften E3 und E8
Der Einwand vorgeblich mangelnder erfinderischer Tätigkeit bezüglich des erteilten Anspruchs 1 im Hinblick auf eine Kombination der Druckschriften E3 und E8 ist erstmals mit der Beschwerdebegründung erhoben worden.
Nach Maßgabe des Artikels 25 (2) VOBK 2020 in Verbindung mit Artikel 24 (1) VOBK 2020 ist Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020 nicht anzuwenden auf vor dem 1. Januar 2020 eingereichte Beschwerdebegründungen und darauf fristgerecht eingereichte Erwiderungen. Stattdessen ist weiterhin Artikel 12 (4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der Fassung aus dem Jahr 2007 (VOBK 2007, siehe ABl. EPA 2007, 536) anzuwenden. Nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 hat die Kammer unter anderem die Befugnis, Tatsachen, Beweismittel oder Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können.
Mit dem Einwand vorgeblich mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Druckschriften E3 und E8 greift die Beschwerdeführerin Anspruch 1 in der erteilten Fassung an. Es wäre daher nach Ansicht der Kammer geboten gewesen, diesen Einwand, der sich auf bereits mit den Einsprüchen vorgelegte Druckschriften stützt, bereits im Einspruchsverfahren zu erheben. Unter diesen Umständen ist ein Ermessen der Kammer nach Maßgabe des Artikels 12 (4) VOBK 2007 gegeben, den Einwand als verspätet nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Die Ansicht der Beschwerdeführerin, die Vorlage dieses Einwands erst mit der Beschwerdebegründung sei eine Reaktion auf die angefochtene Entscheidung, hat die Kammer nicht überzeugt. Der Umstand, dass die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung die Einsprüche zurückgewiesen hat, vermag für sich genommen nicht zu rechtfertigen, dass der genannte Einwand erst mit der Beschwerdebegründung erhoben wurde.
Zwischen den Parteien ist ferner unstrittig, dass der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Druckschriften E3 und E8 weniger relevant ist als jener im Hinblick auf eine Kombination der Druckschriften E3 und E7. Die Kammer schließt sich dieser Ansicht an. Da bereits der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit gegenüber einer Kombination der Druckschriften E3 und E7 der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegensteht (siehe Punkt 1. oben), ist der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der Druckschriften E3 und E8 prima facie für den Ausgang des Beschwerdeverfahrens nicht entscheidend.
Die Druckschrift E8 befasst sich mit einem, ein Ansaugrohr umfassenden Heizeinsatz in einem Harnstofftank (siehe beispielsweise Absatz [0015]). Es ist jedoch nicht ohne Weiteres erkennbar, dass der Fachmann zur Weiterbildung des Fluidverteilungssystems der Druckschrift E3 konstruktive Merkmale des in der Druckschrift E8 beschriebenen Ansaugrohres für eine der in der Druckschrift E3 beschriebenen Fluidleitungen 116, 118 vorgesehen hätte.
Der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Hinblick auf eine Kombination der Druckschriften E3 und E8 steht daher prima facie nicht der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.
Aus diesen Gründen entschied die Kammer, diesen Einwand nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
4. Erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E8 als nächstliegendem Stand der Technik
Der Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E8 als nächstliegendem Stand der Technik ist erstmals mit Schreiben vom 28. Januar 2019 und somit nach Einreichung der Beschwerdebegründung vorgetragen worden.
Nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 bedürfen Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Einreichung seiner Beschwerdebegründung oder Erwiderung rechtfertigender Gründe seitens des Beteiligten und ihre Zulassung steht im Ermessen der Kammer. Der Beteiligte muss die Gründe dafür angeben, weshalb er die Änderung erst in dieser Phase des Beschwerdeverfahrens einreicht.
Vorliegend hat die Beschwerdeführerin keine Gründe dafür angegeben, warum der genannte Einwand ausgehend von der Druckschrift E8 als nächstliegendem Stand der Technik erst nach Einreichung ihrer Beschwerdebegründung erhoben wurde. Auch für die Kammer sind derartige Gründe nicht erkennbar.
Daher übte die Kammer das ihr nach Artikel 13 (1) VOBK 2020 eingeräumte Ermessen dahingehend aus, dass sie den von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift E8 als nächstliegendem Stand der Technik nicht ins Beschwerdeverfahren zuließ.
5. Ergebnis
Die von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Einwände stehen einer Aufrechterhaltung des Patents in erteilter Fassung somit nicht entgegen. Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.