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T 2603/17 27-01-2021
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Auszugsführung
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (ja)
Zulassung neuer Angriffslinien - (nein)
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das europäische Patent Nr. 2 586 333 in geändertem Umfang aufrechterhalten worden ist, wurde von der Einsprechenden Beschwerde eingelegt.
II. In der angefochtenen Entscheidung wird von folgenden Entgegenhaltungen ausgegangen, die auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde liegen:
E1: EP 1 589 291 A1;
E2: EP 1 873 460 A2;
E4: DE 38 81 901 T2.
Mit der Beschwerdebegründung reichte die Einsprechende noch folgende Dokumente ein:
E15: EP 1 277 422 A1;
E16: DE 102 11 470 A1.
III. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neu gegenüber E4 sei, dass aber der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß der im geänderten Umfang aufrechterhaltenen Fassung (Hilfsantrag II) erfinderisch sei gegenüber einer Kombination der Dokumente E4 und E1.
IV. Am 27. Januar 2021 wurde vor der Beschwerdekammer mündlich verhandelt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents. Der Einwand mangelnder Klarheit wurde zu Beginn der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des europäischen Patents auf der Basis eines der mit Beschwerdeerwiderung vom 20. Juni 2018 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3.
V. Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung lautet in Anlehnung an die Merkmalsgliederung der Beschwerdeführerin wie folgt (das gegenüber dem erteilten Anspruch 1 hinzugefügte Merkmal ist durch Unterstreichen gekennzeichnet):
[1.1.a] Auszugsführung (1) für Möbel, mit einer an
einem Möbelkorpus montierbaren Führungsschiene
(2) und mindestens einer über Wälzkörper (5) an
der Führungsschiene (2) verfahrbar gelagerten
Laufschiene (3, 4),
[1.1.b] wobei die Laufschiene (3) über Wälzkörper (5)
an einer Mittelschiene (4) gelagert ist, die
wiederum über Wälzkörper (5) an der Führungs-
schiene (2) verfahrbar gelagert ist,
[1.2] wobei die Wälzkörper (5) in einem
Wälzkörperkäfig (10) gelagert sind,
[1.3] der zumindest teilweise aus einem
schmierstoffhaltigen Material besteht,
dadurch gekennzeichnet, dass
[1.4] der Wälzkörperkäfig (10) eine Vielzahl von
Taschen (13) aufweist,
[1.5] in die jeweils ein Wälzkörperhalter (11)
[1.6] aus schmierstoffhaltigem Material
mit einem Wälzkörper (5) eingelagert ist.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, insoweit es für die vorliegende Entscheidung relevant ist, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Das neu eingeführte Merkmal in Anspruch 1 habe mit der Schmierung einer Auszugsführung (dem Gegenstand des Streitpatents) nichts mehr zu tun. Im Streitpatent sei die Aufgabe schon nicht korrekt formuliert, da die beschriebenen Nachteile durch das aus E1 bekannte Merkmal 1.3 überwunden seien. Das Merkmal 1.1.b aus Absatz [0020] des Streitpatents beschreibe zwei Alternativen einer Auszugsführung ("Vollauszug" mit genau drei bzw. "Teilauszug" mit genau zwei Schienenelementen), die je nach benötigter Auszugslänge seit Jahrzehnten angewendet würden (siehe E1). Als weiterer Nachweis dieses Fachwissens seien E15 und E16 eingereicht worden.
Dokument E4 eigne sich als nächstliegender Stand der Technik, da E4 (Seite 1, erster Absatz) wie das Streitpatent eine verbesserte Schmierung eines Lagers anstrebe und einen Auszug mit Trockenschmierung offenbare. Eine "Auszugsführung" impliziere ein Paar von gegeneinander verfahrbaren Führungsschienen, um einen Auszug zu führen, und keine weiteren Bauelemente. E4 offenbare (Seite 9, zweiter Absatz) eine solche Teleskop- bzw. Auszugsführung, die auch ein Kippmoment aufnehmen könne. E4 zeige, wie in der angefochtenen Entscheidung zur Neuheit des erteilten Anspruchs 1 gegenüber E4 festgestellt, damit alle Merkmale des Anspruchs 1 bis auf das einen Vollauszug beschreibende Merkmal 1.1.b. E4 offenbare Linear-Wälzkörperlager, die eine höhere Stabilität, Leichtgängigkeit und Laufruhe als Gleitkörperlager aufwiesen und für Möbel (z. B. Schublade mit schwerer Last) geeignet seien, wie mit Merkmal 1.1.a verlangt. Entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerin zeige E4 keine Linearführung nur für Maschinenteile und sei nicht auf hochpräzise astronautische Vorrichtungen beschränkt. Der strittige Anspruch 1 verlange keinen Massenartikel, und auch in der Beschreibung des Streitpatents finde sich nur die Angabe "Metallblech". Der im Sinne des Streitpatents weit auszulegende Begriff "Möbel" meine einen Korpus und ein beliebiges weiteres Element, welches mittels einer Auszugsführung gegenüber dem Korpus verfahrbar angebracht sei, umfasse also auch bei hoher oder sehr niedriger Temperatur verwendete Vorrichtungen (wie Server-Racks, Backöfen und Tiefkühlgeräte) wie in E4 (Seite 1, zweiter Absatz) aufgelistet. Mit Anspruch 1 werde auch kein Hochtemperatur-Schmierstoff (wie in porösem Körper eingelagertes Öl) verlangt.
Im Unterschied zu E4 beanspruche Anspruch 1 eine zusätzliche Mittelschiene, also einen Vollauszug mit drei Schienenelementen. Die objektive technische Wirkung (gegenüber einem Teilauszug) bestehe in einer Verlängerung des Auszugsweges auf mehr als die doppelte Schienenlänge, so dass ein Einschub vollständig vor einen Korpus verfahrbar sei. Die objektive Aufgabe werde in der Bereitstellung eines Teleskopauszugs gesehen, der einen längeren Auszugsweg (bis vor den Korpus) erlaube, und enthalte keine Lösungsmerkmale.
In Anbetracht des Standes der Technik und des allgemeinen Fachwissens sei die Anpassung einer als Paar von Führungsschienen bzw. als "Teilauszug" in E4 dargestellten Auszugsführung zu einem "Vollauszug" durch Hinzufügen einer Mittelschiene als weiteres verfahrbares Schienenelement nicht erfinderisch. Diese Maßnahme sei eine Selbstverständlichkeit (siehe z. B. E15, E16) und auch alternativlos, da die Korpustiefe die Schienenlänge vorgebe und wegen der Kugellager die Auszugslänge begrenzt sei. Es bestehe auch kein Hinderungsgrund, den in E4 gezeigten "Teilauszug" als "Vollauszug" auszugestalten, da der Fachmann lediglich vorder- und rückseitig an der Mittelschiene die Laufschiene und die Führungsschiene zu befestigen habe (wie in modifizierten Figuren 4, 5 auf Seite 16 der Beschwerdebegründung veranschaulicht).
Die Einspruchsabteilung habe die objektive technische Wirkung des einzigen neuheitsbegründeten Merkmals und die sich daraus ergebende objektive Aufgabenstellung sowie die grundlegendsten Kenntnisse des Fachmanns auf dem Gebiet der Konstruktion von Auszugsführungen hinsichtlich des Aufbaus und der Funktion von "Teil- und Vollauszügen" außer Betracht gelassen.
Die Angriffslinie mangelnde Neuheit gegenüber E1 (oder E2) sei im Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Vor der Einspruchsabteilung sei die mangelnde Neuheit des erteilten Anspruchs 1 gegenüber E1 bis E5 sowie E14 vorgetragen und diskutiert worden (siehe Niederschrift zur mündlichen Verhandlung unter 1.4, Entscheidung unter 2.1). Die Einspruchsabteilung habe den Parteien nach Beratung auf Nachfrage mitgeteilt, dass ihrer Ansicht nach nur Entgegenhaltung E4 neuheitsschädlich sei, ohne jedoch die Unterschiede zu E1 darzulegen. Es sei klar gewesen, dass E1 und E2 auch einen Vollauszug (Merkmal 1.1.b) offenbarten. Die Feststellung der Einspruchsabteilung unter 1.12 der Niederschrift gebe den tatsächlichen Verlauf der Verhandlung nicht vollständig und richtig wieder. Tatsächlich sei die Neuheit des Anspruchs 1 des Hilfsantrags II von der Einsprechenden lediglich gegenüber der E4 nicht infrage gestellt worden, wie sich aus dem gesamten Zusammenhang (Vortrag mangelnder Neuheit des erteilten Anspruchs 1 gegenüber E1 und E2, die Merkmal 1.1.b offenbarten, siehe dazu Entscheidung unter 4.2) ergebe. Die Einspruchsabteilung habe nicht ausgeführt, dass bzw. weshalb E1 - E3, E5 und E14 nicht als neuheitsschädlich angesehen worden seien. Es könne kein Zweifel bestehen, dass die Einsprechende auch die neuheitsschädliche Vorwegnahme des Anspruchs 1 von Hilfsantrag II durch E1 und E2 als gegeben ansah und diese Position nie aufgegeben habe. Eine erneute Neuheitsdiskussion des Hilfsantrags II gegenüber E1 und E2 sei überflüssig und aus verfahrensökonomischen Gründen nicht angezeigt gewesen, da die Einspruchsabteilung die Neuheit nicht in der Unterscheidung zwischen Teil- und Vollauszug gesehen habe. Dies sei klar gewesen, und die Einspruchsabteilung habe bei Diskussion der erfinderischen Tätigkeit nochmals auf den Vollauszug in E1 hingewiesen. Im Gegenteil, die Einsprechende habe mit einer nachvollziehbaren Verstimmung der Einspruchsabteilung wegen unnötigen Vortrags rechnen müssen, wenn sie bereits Vorgebrachtes wiederholt hätte. Auch sei seinerzeit nicht absehbar gewesen, welche Auswirkungen die Änderungen der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) auf die Zulassung der Angriffslinien von E1 bzw. E2 haben würde. Es habe damals niemand absehen können, dass sich die VOBK so ändere, dass ein derartiges Vorbringen nun nicht mehr möglich sei.
Dies gelte im wesentlichen auch für die weiteren Einwände, die gegen das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit vorgebracht wurden.
VII. Die Beschwerdegegnerin entgegnete dem Vorbringen der Beschwerdeführerin wie folgt:
Das Streitpatent betreffe eine Auszugsführung für Möbel und damit einen großindustriell, unter begrenzten Präzisionsanforderungen und hohem Kostendruck, hergestellten Massenartikel. Auszugsführungen seien an sich bekannt, und Ansatz für die Erfindung sei die Suche nach besseren Schmierungen (auch zum Einsatz in Backöfen) gewesen.
E4 offenbare (Seite 1, erster Absatz) ein Lager mit Trockenschmierung für ein anderes technisches Gebiet (Linearführung für hohe Präzision mittels zweifach geführter Wälzkörper), in dem Fluidlager nicht zu verwenden seien, insbesondere für astronautische Vorrichtungen in spezieller Umgebung bei hoher oder sehr niedriger Temperatur. Solche Lager seien z. B. gemäß Figur 4 als Linearlager ausgebildet, mit zwei massiven Führungsschienen aus Vollmaterial zur bewegbaren Lagerung von Maschinenteilen. Dabei handele es sich nicht um eine bei Möbeln oder Haushaltsgeräten eingesetzte "Auszugsführung", da dieser Begriff eine aus mehreren Schienen gebildete und zusammengehaltene Baueinheit kennzeichne, mittels der ein Schubelement (Schubkasten oder Gargutträger) aus einem Innenraum eines Möbelkorpus bewegbar sei. Eine "Auszugsbewegung" sei in E4 nicht offenbart. Gemäß Streitpatent und auch Anspruch 1 sei die Führungsschiene an einem Möbelkorpus montierbar. An die Laufschiene könne ein Schubkasten montiert werden. In E4 sei die Länge der Schienen nicht durch einen Möbelkorpus begrenzt. E4 zeige nur eine Linearführung und spreche nicht von einem Auszug, gebe also keinen Hinweis auf Möbel oder eine Auszugsführung. In jedem Fall sei Anspruch 1 neu gegenüber E4, da E4 nur zwei relativ zueinander bewegbare Schienen zeige.
Ausgehend von E4 sei es die Aufgabe der vorliegenden Erfindung, eine modifizierte bzw. verbesserte Linearführung bereitzustellen, die als Auszugsführung verwendbar sei. Die von der Beschwerdeführerin formulierte Aufgabe beinhalte Lösungsmerkmale und lasse außer Acht, dass in E4 nichts zu Begrenzungen wie einem Korpus gesagt werde. Es bestehe keine Veranlassung, von einer teuren Präzisionsführung wie in E4 gezeigt auf eine Auszugsführung für Möbel (wie in E1 gezeigt) zu gelangen (also auf ein unter Kostendruck stehendes Massenprodukt, das für andere Lasten konstruiert wurde als in E4) und eine dritte Schiene als Mittelschiene vorzusehen, bei der sich die Toleranzen noch addierten. Außerdem sei die Linearführung in Figur 4 in E4 (auch bei Hinzufügen eines dritten Schienenelements) nicht für bei Auszugsführungen auftretende Kippmomente geeignet, wenn die Außenseite der Laufschiene 36 oben liege - es sei denn, die Laufschiene sei seitlich angeordnet und zwei Laufschienen seien mittels eines dazwischen liegenden Auszugs gegeneinander verspannt, was aber in E4 nicht gezeigt und nicht nahegelegt sei. Die Kombination mit einem Dokument aus einem anderen technischen Gebiet sei nicht naheliegend und das Ergebnis einer Ex-post-Betrachtungsweise.
Das Protokoll über die mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung gebe deren Verlauf richtig wieder. Weitere Angriffslinien seien nicht diskutiert worden.
Insofern sei auch die Entscheidung korrekt.
1. Erfinderische Tätigkeit gegenüber E4 (Artikel 56 EPÜ)
1.1 Ausgehend von Dokument E4 als nächstliegendem Stand der Technik ist das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit für den Gegenstand von Anspruch 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung nicht in Frage zu stellen (Artikel 56 EPÜ).
1.2 Unstrittig offenbart E4 zwei gegeneinander verfahrbare Führungsschienen eines Lagers mit Trockenschmierung (Figur 4; Seite 9, erster und zweiter Absatz). Das Lager ist als Schräg- bzw. Kreuzrollenlager mit in einem Wälzkörperkäfig (34) gelagerten Wälzkörpern (33) ausgebildet, die in einen aus schmierstoffhaltigem Material bestehenden Wälzkörperhalter (44, 45) in Taschen des Wälzkörperkäfigs (zwischen Federn 39) eingelagert sind (siehe Figur 6(A)). Damit sind neben den Merkmalen 1.2 und 1.3 des Oberbegriffs auch die kennzeichnenden Merkmale 1.4 bis 1.6 von Anspruch 1 aus E4 bekannt, was nicht bestritten wurde.
1.3 Die Beschwerdeführerin sah als einzigen Unterschied gegenüber E4 einen "Vollauszug" gemäß Merkmal 1.1.b, wie von der Einspruchsabteilung festgestellt. Ausgehend von diesem Merkmal formuliert sie die objektive von der strittigen Erfindung zu lösende Aufgabe, einen Auszug mit größerer Auszugslänge zur Verfügung zu stellen, der einen Auszugsweg bis vor den Korpus erlaubt.
Von der Beschwerdegegnerin wurde zudem bestritten, dass es sich bei dem in E4 gezeigten Lager um eine bei Möbeln oder Haushaltsgeräten eingesetzte Auszugsführung (als Baueinheit) handele, wie mit Merkmal 1.1.a gefordert.
1.4 Selbst wenn man der Beschwerdeführerin insoweit folgen wollte und als einzigen Unterschied zu E4 die in Merkmal 1.1.b geforderte Mittelschiene sieht,
beinhaltet eine Formulierung der Aufgabe mit der Angabe "Auszugsweg bis vor den Korpus" schon deshalb einen Lösungshinweis, da E4 weder Möbel oder Korpusse noch die Verwendung der Linearführung als Auszugsführung für Möbel erwähnt.
Ausgehend von E4 kann die zu lösende Aufgabe für den Fachmann - der Beschwerdeführerin folgend - also allenfalls darin gesehen werden, einen Auszug mit größerer Auszugslänge zur Verfügung zu stellen.
1.5 Die abgeschnittene Teilansicht in Figur 4 in E4 (ebenso wie die zugehörige Beschreibung auf Seite 9) lässt weder Schlüsse auf die Länge der Führungsschienen noch auf die Erstreckung des Wälzkörperlagers zu. Auch eine Beschränkung durch eine vermeintliche Korpustiefe ist in E4 nicht ersichtlich, da (siehe Seite 1) keine konkrete Einbausituation vorgegeben oder beschrieben wird. Eine Verlängerung des Auszugsweges kann demnach auch durch das Vorsehen längerer Schienenelemente oder durch Modifikation des Wälzkörperkäfigs erreicht werden. Anders als von der Beschwerdeführerin behauptet ist bei der gestellten Aufgabe das Vorsehen eines Vollauszugs also nicht alternativlos.
1.6 Ein aus drei Schienenelementen bestehender Vollauszug ist zwar eine zu einem Teilauszug bekannte Alternative, wie im Streitpatent (unter Verweis auf E1) ausgeführt. Die Kammer ist aber nicht überzeugt, dass der Fachmann ausgehend von E4 die in Figur 4 gezeigte, aus zwei Schienenelementen aufgebaute Linearführung zur Lösung der gestellten Aufgabe in naheliegender Weise durch Hinzufügen einer zusätzlichen Mittelschiene zu einem "Vollauszug" ergänzen würde.
Selbst wenn man der Beschwerdeführerin darin folgt, dass die in E4 gezeigte Linearführung ohne Modifikation für Möbel geeignet sei, würde das Hinzufügen einer Mittelschiene (die beidseitig mittels Wälzkörpern gegenüber der Führungsschiene und der Laufschiene gelagert ist) ausgehend von E4 zu einer Anordnung von drei massiv ausgeführten Vollschienen führen (wie in der Beschwerdebegründung auf Seite 16 veranschaulicht), die als Auszugsführung für Möbel verwendet zumindest in irgendeiner Form zusammengehalten werden müssten. Dies durch eine Verspannung mittels eines zwischen zwei Auszugsführungen eingesetzten Schubelements zu realisieren ist nach Auffassung der Kammer keine Lösung, die der Fachmann in naheliegender Weise in Betracht ziehen würde. Denn dies würde ohne Einhaltung von engen Maßtoleranzen (auch des Schubelementes) nicht zu einer befriedigenden Funktion der Auszugsführung eines Schubelementes führen, auch wenn sich das von der Beschwerdegegnerin bei vertikaler Anordnung der Schienen angesprochene Problem eines Kippmoments dabei nicht stellen würde. Eine vertikale Schienenanordnung scheint zudem abwegig und hat die Beschwerdeführerin auch nicht argumentiert. Der Fachmann findet auch weder in E4 noch im Stand der Technik Hinweise, die in E4 gezeigte Linearführung selbst als eine Baueinheit auszuführen. Dem Fachmann mag zwar eine dreiteilige Auszugsführung bzw. ein Vollauszug als Baueinheit bestehend aus gebogenen Stahlblechteilen bekannt sein (siehe E1), wie auch in der angefochtenen Entscheidung zugestanden. Ausgehend von E4 kann die Kammer aber nicht erkennen, dass der Fachmann - ohne Kenntnis der beanspruchten Erfindung - veranlasst wäre, eine entsprechende Modifikation der in E4 gezeigten Linearführung mit massiven Schienenelemente aus Vollmaterial (wie in Figur 4 dargestellt) und dem komplexen Aufbau des Wälzkörperkäfigs (siehe dazu Figur 6(A) in E4) vorzunehmen.
2. Nichtzulassung weiterer Angriffslinien
2.1 Die in der Beschwerdebegründung vom 22. Februar 2018 vorgetragene Angriffslinie mangelnder Neuheit des Gegenstands des Anspruchs 1 gegenüber E1 oder E2 wird in Anwendung von Artikel 12 (4) VOBK 2007 nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen.
Gemäß Übergangsbestimmungen des Artikels 25 (2) VOBK 2020 der am 1. Januar 2020 in Kraft getretenen (siehe Artikel 24 (1) VOBK 2020) neuen Verfahrensordnung der Beschwerdekammern findet Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin Anwendung.
2.1.1 Die Kammer bezweifelt nicht, dass die Neuheit des Gegenstands des erteilten Anspruchs 1 auch gegenüber E1 und E2 diskutiert worden ist (siehe Niederschrift zur mündlichen Verhandlung, Punkt 1.4; angefochtene Entscheidung, Punkt 2.1). Allerdings stellt Punkt 1.12 der Niederschrift zu mündlichen Verhandlung explizit fest, die Einsprechende "gab auf Nachfrage des Vorsitzenden weiterhin an, dass sie auch die Neuheit des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 nicht in Frage stelle". Der die Grundlage für die Aufrechterhaltung in geänderter Fassung bildende Hilfsantrag wurde also nicht mehr mit mangelnder Neuheit angegriffen, was auch in der angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt 4.1: "Einwände bezüglich der Artikel 54(1) und (2) EPÜ wurden von der Einsprechenden nicht erhoben.") bestätigt wird. Deshalb begründet die angefochtene Entscheidung auch lediglich die erfinderische Tätigkeit des Anspruchs 1 des Hilfsantrags II ausgehend von E4.
2.1.2 Für die Behauptung der Beschwerdeführerin, sie habe als Einsprechende die Position einer neuheitsschädlichen Vorwegnahme des Anspruchs 1 von Hilfsantrag II durch E1 und E2 nie aufgegeben, findet sich demnach in den der Kammer vorliegenden Unterlagen kein Beleg.
Die Einsprechende hat zudem weder einen Antrag auf Berichtigung der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung noch in der Beschwerdebegründung die entsprechenden Aussagen der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung angegriffen. Es ist daher davon auszugehen, dass die Niederschrift zur mündlichen Verhandlung den Ablauf der Verhandlung zutreffend wiedergibt.
2.1.3 Die Einspruchsabteilung mag zwar auf Nachfrage der Parteien nur E4 als neuheitsschädlich für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 angesehen und die Unterschiede zu E1 nicht dargelegt haben. Daraus ist aber nicht abzuleiten, dass die Einsprechende weiter ihre Angriffslinien zur mangelnden Neuheit gegenüber E1 und E2 aufrechterhalten hat.
2.1.4 Das Argument der Beschwerdeführerin, sie habe aus verfahrensökonomischen Gründen auf eine erneute Neuheitsdiskussion verzichtet, um eine Verstimmung der Einspruchsabteilung zu vermeiden und bereits Vorgebrachtes nicht zu wiederholen, überzeugt ebenfalls nicht.
Hauptzweck des Beschwerdeverfahrens ist gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern die Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung, und Artikel 12 (4) VOBK 2007 sanktioniert die Verletzung der Pflicht zur Verfahrensbeförderung in erster Instanz.
Insofern trifft die Einsprechende die Pflicht, die Angriffslinien für einen Hilfsantrag der Einspruchsabteilung eindeutig und zweifelsfrei zu vermitteln, und zwar unabhängig davon, ob zu einer bestimmten - bereits in anderem Zusammenhang diskutierten - Angriffslinie ein erneuter Vortrag in einer mündlichen Verhandlung stattfindet, oder ob auf bereits mündlich oder schriftlich Vorgebrachtes hingewiesen wird.
2.1.5 Auch das Argument der Beschwerdeführerin, durch die zwischenzeitlich geänderte Verfahrensordnung der Beschwerdekammern habe sich die Situation für sie in unabsehbarer Weise geändert, derart, dass seinerzeit im Verfahren vor der Einspruchsabteilung noch nicht absehbar gewesen sei, dass nunmehr das Vorbringen zu E1 und E2 nicht mehr zugelassen werde, kann die Kammer nicht überzeugen. Wie oben unter Punkt 2.1 ausgeführt, gilt für die Beurteilung der Zulassung der Angriffslinien mangelnder Neuheit gegenüber E1 und E2 weiterhin der Artikel 12 (4) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern von 2007.
2.2 Mit gleicher Begründung (Artikel 12 (4) VOBK 2007) werden auch die weiteren in der Beschwerdebegründung erhobenen und in der angefochtenen Entscheidung nicht behandelten Einwände zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit nicht ins Beschwerdeverfahren zugelassen.
Die Beschwerdeführerin hat im Übrigen zur Frage der Zulassung dieser Einwände nicht vorgetragen und scheint im erstinstanzlichen Verfahren (siehe angefochtene Entscheidung, Punkt 4.2) E4 als nächstliegenden Stand der Technik betrachtet und auf weitere Angriffe gegen Anspruch 1 des Hilfsantrags II verzichtet zu haben.
3. Nachdem das allgemeine Fachwissen zu Teil- und Vollauszügen bei Möbeln unstrittig war, war über Frage der Zulassung weiterer Nachweise dieses Fachwissens (E15, E16) in das Beschwerdeverfahren nicht zu entscheiden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.