T 2235/18 14-12-2021
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Verfahren zum Betreiben einer Sprachdurchsageanlage
I. Die vorliegende Beschwerde der Anmelderin (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die am 21. März 2018 zur Post gegeben wurde und mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 11790863.2 aufgrund des Artikels 97 (2) EPÜ zurückgewiesen worden ist.
Die Prüfungsabteilung war zu dem Schluss gekommen, dass der damalige Hauptantrag nicht gewährbar war, weil der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber den Dokumenten
D1:|EP 2 051 220 A1|
D3:|EP 1 197 936 A2|
nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruhe.
II. Am 14. Dezember 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer per Videokonferenz statt, zu welcher die Beschwerdeführerin ihr Einverständnis erteilt hatte.
Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent in der Fassung gemäß Hauptantrag, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, zu erteilen.
III. Der Wortlaut des unabhängigen Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Verfahren zum Betreiben einer Sprachdurchsageanlage mit einer Zentrale, die mehrere, parallel angeschlossene Lautsprecher mit Audiosignalen über eine zweiadrige Ringleitung speist, die über Trennermodule geführt ist, von denen jedes
- mindestens einen Schalter zum Unterbrechen der Ringleitung im Fall eines Kurzschlusses,
- einen steuernden Microcontroller,
- einen aus der Ringleitung wiederaufladbaren Energiespeicher,
- und Spannungsprüfschaltungen für eine von der Zentrale gelieferte Versorgungswechselspannung umfasst,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Zentrale bei Inbetriebnahme der Ringleitung deren Impedanz schrittweise von dem ersten bis zum letzten Trennermodul sowie die Impedanz der gesamten Ringleitung misst, die gemessenen Werte als Sollwerte in eine Impedanztabelle einträgt, im Betrieb periodisch die Impedanz der gesamten Ringleitung misst und mit dem entsprechenden Sollwert aus der Impedanztabelle vergleicht, bei Feststellung einer Abweichung eine Fehlermeldung erzeugt und durch Vergleich des gemessenen Wertes mit den ein-zelnen [sic] Sollwerten in der Impedanztabelle den Fehlerort ermittelt und zur Anzeige bringt."
Die Ansprüche 2 bis 7 sind abhängige Ansprüche.
IV. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin waren im Wesentlichen wie folgt:
Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beruhe gegenüber den Dokumenten D1 und D3 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Die Kombination der Dokumente D1 und D3 führe nicht zum Anspruchsgegenstand. D3 schlage vor, die Adern der Leitung beim Einmessen durch adressierbare Querschalter T3 kurzzuschließen. Im Betrieb sei der Querschalter T3 hingegen geöffnet. Die Schalterstellung habe Einfluss auf die gemessene Leitungsimpedanz. Sie hänge davon ab, ob mit Gleichstrom - wie es D3 eigentlich vorsehe - oder mit Wechselstrom gemessen werde. Bei Wechselstrom wirkten die Lautsprecher beispielsweise wie eine Vielzahl parallel geschalteter Widerstände. In diesem Fall seien die gemessenen Werte daher nicht mehr allein durch die Leitungslängen bestimmt.
Anders gesagt, der im Betrieb periodisch zu messende Impedanzwert der gesamten Ringleitung werde immer von einem mittels Gleichstrom bestimmten Widerstandswert abweichen, welcher gemäß D3 mit kurzgeschlossenen Adern der Ringleitung gemessen werde. Aus der Abweichung der im Betrieb gemessenen Impedanzen von den beim Einmessen ermittelten Soll-Impedanzen könne daher keine Information über Fehler gewonnen werden.
1. Zulässigkeit der Beschwerde
Die Beschwerde erfüllt die Erfordernisse der Artikel 106 und 108 EPÜ, sowie der Regel 99 EPÜ. Sie ist daher zulässig.
2. Erfinderische Tätigkeit
2.1 Die Beschwerde ist auch in der Sache erfolgreich. Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag beruht gegenüber den Dokumenten D1 und D3 auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ.
2.2 Nächstliegender Stand der Technik, Unterscheidungsmerkmale
Es wurde nicht bestritten, dass Dokument D1 den nächstliegenden Stand der Technik bildet und sich der Gegenstand von Anspruch 1 von dem Verfahren zum Betreiben einer Sprachdurchsageanlage gemäß D1 durch die Merkmale des Kennzeichens unterscheidet.
2.3 Technische Wirkung und Aufgabe
Die Unterscheidungsmerkmale haben die technische Wirkung, einen etwaigen Fehler im Betrieb der Anlage von der Zentrale aus erkennen zu können. Die Trennmodule gemäß D1 können zwar einen auftretenden Kurzschluss isolieren. Das Auftreten des Fehlers ist dadurch aber in der Zentrale noch nicht bekannt. Es geht aus Dokument D1 nicht hervor, ob die Trennmodule die Fähigkeit besitzen, mit der Zentrale zu kommunizieren.
Daher lautet die objektive technische Aufgabe, das Verfahren zum Betreiben einer Sprachdurchsageanlage dahingehend weiterzuentwickeln, eine Fehlererkennung von der Zentrale aus zu ermöglichen.
2.4 Bewertung der Lösung
2.4.1 Anspruchsgemäß wird diese Aufgabe dadurch gelöst, dass bei Inbetriebnahme die Impedanzen von der Zentrale bis zu den schrittweise zugeschalteten Trennmodulen sowie die Impedanz der gesamten Ringleitung gemessen werden. Im fehlerfreien Betrieb sollte die von der Zentrale aus gemessene Impedanz der gesamten Ringleitung dem beim Einmessen ermittelten Sollwert entsprechen. Weicht der Wert der periodisch überprüften Impedanz der gesamten Ringleitung hiervon ab, so schließt die Zentrale auf einen Fehler.
2.4.2 Die Kammer hat entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin keine Zweifel, dass der Fachmann zur Lösung der gestellten Aufgabe Dokument D3 konsultiert hätte. Insbesondere sind Gefahrenmeldeanlagen mit Ringbus-Technik ein benachbartes technisches Gebiet zu Sprachdurchsageanlagen, bei denen für einen Fachmann die Erwartung besteht, Lösungen für die gestellte Aufgabe zu finden.
Allerdings ist die Kammer der Auffassung, dass die von D3 vorgeschlagene Lösung nicht in naheliegender Weise dergestalt in der Sprachdurchsageanlage gemäß D1 implementiert werden könnte, dass sie zum Anspruchsgegenstand führen würde. Daher erübrigt sich eine weitergehende Begründung zur Frage, ob der Fachmann D3 zurate gezogen hätte.
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK |
Reproduktion der Figur 1 aus Dokument D3|
Dokument D3 lehrt dem Fachmann die Erkennung und Lokalisierung eines Kurzschlusses auf einer Ringleitung einer Gefahrenmeldeanlage. Ähnlich wie die Anlage gemäß D1 weist auch die Anlage gemäß D3 Trennmodule M1 bis Mn auf. Diese Trennmodule gemäß D3 haben allerdings einen zusätzlichen Querschalter T3, mit dem ein Kurzschluss zwischen den beiden Adern 12 und 14 der Ringleitung auf Anweisung der Zentrale (Prüfschaltanordnung 10) hergestellt werden kann. Die Zentrale weist beim Einmessen die Trennmodule einzeln und nacheinander an, die Kurzschlussschalter T3 zu schließen, siehe Spalte 6, Zeilen 45 und 46 sowie Spalte 7, Zeilen 30 und 31. Daraufhin wird ein konstanter Gleichstrom durch die Konstantstromquelle 26 auf die positive Ader der Ringleitung aufgeprägt, und die bis zum geschlossenen Schalter T3 abfallende Spannung durch die Spannungsmessvorrichtung 26 gemessen. Aus dieser Messung lässt sich der Leitungswiderstand ermitteln und aus ihm die Leitungslänge bis zum geschlossenen Schalter, siehe Spalte 6, Zeile 26 bis Spalte 8, Zeile 19. Es wird auch die Gesamtlänge der Ringleitung bestimmt, siehe Spalte 7, Zeile 55 bis Spalte 8, Zeile 19.
Um einen Kurzschluss auf der Ringleitung zu ermitteln, wird im Betrieb wieder ein konstanter Gleichstrom auf die Leitung aufgeprägt und der Gleichstromwiderstand der Abschirmung überwacht, siehe Spalte 8, Zeile 20 bis Spalte 9, Zeile 7. Mithilfe der Spannungsmess-vorrichtung 36 und der Schirmüberwachung 42 lässt sich der Spannungsabfall der Leitung bis zum Kurzschluss messen. Der Fachmann entnimmt D3 auch ohne detaillierte Angabe, dass die Zentrale einen Kurzschluss durch einen Vergleich des an der Schirmüberwachung gemessenen Spannungsabfalls mit einem Sollwert feststellt.
2.4.3 Diese Lehre lässt sich nicht ohne Weiteres auf die Sprachdurchsageanlage gemäß D1 derart übertragen, dass sie zum anspruchsgemäßen Verfahren führen würde.
Zunächst würde eine direkte Anwendung des Verfahrens gemäß D3 dazu führen, auch in D1 eine Konstantstromquelle vorzusehen, einen Gleichstrom auf die Ringleitung aufzuprägen und den Gleichspannungsabfall in einer Schirmüberwachung zu messen. Auch beim Einmessen würden die Leitungslängen mithilfe einer Gleichstromquelle ermittelt. Anspruch 1 fordert aber die Messung der Impedanzen also der Wechselstromwiderstände der Ringleitung.
Die Prüfungsabteilung war ausweislich des letzten Satzes von Punkt 2.2 der angefochtenen Entscheidung der Ansicht, dass ein Fachmann bei der Sprachdurchsage-anlage gemäß D1, bei der Lautsprecher mit Wechselspannungen betrieben werden sollen, statt des Gleichstroms gemäß D3 einen Wechselstrom und statt der Messung des Gleichspannungswiderstandes gemäß D3 die Impedanz in naheliegender Weise in Betracht gezogen hätte. Diese Auffassung hält der Überprüfung durch die Kammer nicht Stand.
Die Beschwerdeführerin trägt zutreffend vor, dass ein Vergleich der Impedanz-Messwerte im Betrieb bei geöffneten Querschaltern T3 mit Impedanz-Sollwerten beim Einmessen mit kurzgeschlossenen Querschaltern T3 durchgeführt werden müsste. Dies würde aber beim Anlegen von Wechselspannungen im Regelfall die gemessene Impedanz erheblich beeinflussen. Eine Abweichung der im Betrieb bei geöffnetem Querschalter T3 gemessenen Impedanz von den Sollwerten wäre daher kein Anzeichen für das Vorliegen eines Fehlers.
Die Kammer kann diesen Überlegungen zustimmen. Zwar ist sie sich bewusst, dass Anspruch 1 keinerlei Einschränkungen darüber enthält, bei welcher Frequenz die Impedanz gemessen wird. Dies folgt auch nicht implizit durch den Verweis auf die Lautsprecher, da Anspruch 1 nicht darauf eingeschränkt ist, dass die Leitungsimpedanz bei der Audiofrequenz der Lautsprecher vermessen wird. Je nach bei der Impedanzmessung verwendeter Frequenz ist es jedoch zutreffend, dass der geschlossene Querschalter T3 eine erhebliche Auswirkung auf die Impedanz haben kann. Im kHz-Bereich würde der geschlossene Schalter, welcher parallel zu dem Lautsprecher des Trennmoduls gemäß D1 angeordnet sein müsste, dessen Induktivität im Wesentlichen kurzschließen. Die so gemessene Impedanz hätte also im Wesentlichen einen dem Leitungswiderstand entsprechenden Realteil, aber nur einen sehr kleinen vom Lautsprecher verursachten Imaginärteil, da der Strom fast vollständig durch den geschlossenen Querschalter fließen würde. Im Betrieb wären alle Querschalter T3 der Trennmodule hingegen geöffnet, so dass zu erwarten wäre, dass die Impedanz nun deutlich stärkere Einflüsse durch die Lautsprecherinduktivitäten aufweist. Insbesondere wäre zu erwarten, dass ein merklicher induktiver Imaginärteil aufgrund der Lautsprecher im fehlerlosen Betrieb bei der Messung der Impedanz der Leitung auftritt. Es ist daher im Regelfall nicht zu erwarten, dass die "Sollwerte" der Impedanz, welche bei geschlossenen Querschaltern T3 ermittelt werden, mit den im Betrieb bei geöffneten Querschaltern T3 gemessenen Impedanzen übereinstimmen.
2.4.4 Anspruch 1 fordert nun, dass die Zentrale im Betrieb periodisch die Impedanz der gesamten Ringleitung misst und mit dem entsprechenden Sollwert aus der Impedanztabelle vergleicht und bei Feststellung einer Abweichung eine Fehlermeldung erzeugt.
Wendet der Fachmann die Lehre von D3 auf die Trennmodule von D1 an, müsste er anders vorgehen als anspruchsgemäß gefordert. Der Fachmann würde im Allgemeinen nicht erwarten, dass die gemäß D3 ermittelten "Soll"-Impedanzen mit den im Betrieb ermittelten Impedanzen übereinstimmen. Allerdings würde der Fachmann im Allgemeinen erwarten, dass beim Auftreten eines Kurzschlusses auf der Leitung wie beim Einmessen die Impedanzbeiträge der Lautsprecher zur Gesamtimpedanz kaum einen Einfluss haben. Der Fachmann würde also im Regelfall nur erwarten, dass die "Soll"-Impedanzen und die im Betrieb ermittelten Impedanzen übereinstimmen, falls ein Kurzschluss vorliegt, nicht jedoch im fehlerlosen Betrieb.
Aus dem Gesagten folgt, dass die Kombination der Dokumente D1 und D3 den Fachmann anleitet, eine Fehlermeldung auszugeben, wenn die im Betrieb ermittelten Leitungsimpedanzen mit einer der eingangs ermittelten "Soll"-Impedanzen übereinstimmen, und nicht, wie anspruchsgemäß gefordert, wenn sie voneinander abweichen.
Daher führt die Kombination der Dokumente D1 und D3 selbst unter der Annahme, der Fachmann würde die Lehre von D3 dahingehend abändern, Impedanzen anstelle von Gleichstromwiderständen zu verwenden, nicht in naheliegender Weise zum Anspruchsgegenstand.
2.4.5 Die Kammer bemerkt abschließend, dass sie sich bewusst ist, dass der Einfluss des geschlossenen Querschalters T3 auf die gemessenen Leitungsimpedanz von verschiedenen Faktoren abhängt, insbesondere der Frequenz, bei der die Impedanz ermittelt wird, sowie von den tatsächlichen Größen der Leitungswiderstände, der Lautsprecherimpedanzen, oder der Größe eines gegebenenfalls vorhandenen Messwiderstands. Es mag Spezialfälle geben, bei denen der Einfluss des Querschalter-Zustandes von T3 auf die gemessene Impedanz nur einen vernachlässigbaren Einfluss hat, und dass diese Spezialfälle zumindest teilweise vom Anspruchswortlaut nicht ausgeschlossen sind. Ein Beispiel wäre die Impedanzmessung bei sehr geringer Frequenz.
Allerdings wird der Fachmann ohne Kenntnis der Erfindung ausgehend von D1 bei einer naheliegenden Weiterentwicklung im Lichte von D3 vom Regelfall und nicht vom Spezialfall ausgehen. Wenn sich der Fachmann entscheidet, von der direkten Lehre von D3 abzuweichen und die Impedanz anstelle des Gleichstromwiderstandes zu messen, dann wird er in naheliegender Weise davon ausgehen, dass die Impedanzen bei geschlossenem Querschalter T3 im Regelfall von den Impedanzen bei geöffnetem Querschalter abweichen. Es lag hingegen in den Augen der Kammer nicht nahe, von der direkten Lehre von D3 abzuweichen, d.h. die Impedanz anstelle des Gleichspannungswiderstandes zu messen, und dann Spezialfälle zu identifizieren, bei denen abweichend von der Regel die Impedanzen einerseits vom Schalterzustand unbeeinflusst aber vom Ort des jeweiligen Schalters immer noch beeinflusst sind. Solche Spezialfälle mögen existieren (Grenzfall sehr geringer Frequenz), ein solches Vorgehen würde der Fachmann jedoch ohne Kenntnis der Erfindung nicht in naheliegender Weise in Betracht ziehen, obgleich es ihm im Rahmen seines Könnens vermutlich möglich gewesen wäre ("könnte - würde").
3. Schlussfolgerungen
Die Kammer ist im Ergebnis überzeugt, dass der Gegenstand von Anspruch 1 den Erfordernissen des Übereinkommens genügt. Sie gibt daher dem Hauptantrag der Beschwerdeführerin statt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Prüfungsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in der folgenden Fassung zu erteilen:
Beschreibungsseiten | |
1, 3 bis 122, 2a |veröffentlichte Fassungvom 27. November 2013|
Ansprüche | |
1 bis 7 |veröffentlichte Fassung|
Zeichnungen, Blätter| |
1/3 bis 3/3 |veröffentlichte Fassung|