T 0243/19 30-06-2021
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VERFAHREN ZUR HERSTELLUNG VON WASSERLÖSLICHEN HOMO- ODER COPOLYMEREN UMFASSEND (METH)ACRYLAMID
Spät eingereichte Tatsachen
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die am 26. November 2018 zur Post gegebene Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Europäische Patent Nr. 2 933 271 zurückzuweisen.
II. Anspruch 1 wie erteilt lautete wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung von wasserlöslichen Homo- oder Copolymeren umfassend (Meth)acrylamid durch radikalische Polymerisation einer wässrigen Lösung ethylenisch ungesättigter Monomere umfassend mindestens (Meth)acrylamid in Gegenwart mindestens eines Stabilisators zur Verhinderung von Polymerabbau durch molekularen Sauerstoff, dadurch gekennzeichnet, dass es sich um eine Gelpolymerisation handelt und das Verfahren mindestens die folgenden Schritte umfasst:
(I) Bereitstellen einer wässrigen Monomerlösung umfassend mindestens
Wasser,
25 bis 45 Gew. % -bezogen auf die Menge aller Komponenten der wässrigen Lösung- ethylenisch ungesättigter Monomere (A), wobei es sich bei mindestens 70 Gew. % der Monomere um monoethylenisch ungesättigte, hydrophile Monomere (A1) mit einer Löslichkeit in Wasser bei Raumtemperatur von mindestens 50 g/l handelt, mit der Maßgabe, dass es sich bei mindestens einem der Monomere (A1) um (Meth)acrylamid handelt,
0,1 bis 2 Gew. % -bezogen auf die Summe aller Monomere- mindestens eines Stabilisators (B) zur Verhinderung von Polymerabbau durch molekularen Sauerstoff, ausgewählt aus der Gruppe von schwefelhaltigen Verbindungen, sterisch gehinderten Aminen, N-Oxiden, Nitrosoverbindungen, aromatische Hydroxyverbindungen oder Ketonen,
einen Azoinitiator (C) mit einer 10 h t1/2 von 40°C bis 75°C,
wobei die wässrige Monomerlösung
einen pH-Wert < 7 aufweist,
auf eine Temperatur < 5°C gekühlt und
inertisiert ist,
(II) Zugabe mindestens eines Redox-Initiators (D) für die radikalische Polymerisation zu der auf weniger als 5°C gekühlten Monomerlösung,
(III) Polymerisieren der wässrigen Monomerlösung unter im Wesentlichen adiabatischen Bedingungen, wobei dem Reaktor während der Polymerisation keine Wärme von außen zugeführt und der Reaktor während der Polymerisation nicht gekühlt wird, und wobei die Starttemperatur der Polymerisation weniger als 5°C beträgt und sich die Mischung unter dem Einfluss der gebildeten Polymerisationswärme auf eine Temperatur von 60°C bis 100°C erwärmt und ein Polymergel gebildet wird, sowie
(IV) Trocknen des erhaltenen Polymergels".
III. Folgende Dokumente wurden unter anderem in der Entscheidung zitiert:
D1: US-A-5 668 229
D2: US-A-5 296 577
D3: US-4 306 048
D6: US-4 306 045
D7: US-4 317 759
IV. In der angefochtenen Entscheidung wurde unter anderem ausgeführt, dass Anspruch 1 des Hauptantrags (Ansprüche wie erteilt) sowohl ausgehend von D1 als auch ausgehend von D2 erfinderisch sei. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, soweit relevant für die vorliegende Beschwerde, kann wie folgt zusammengefasst werden:
- Beispiel 20 der D1 offenbare ein Verfahren zur Herstellung eines (Meth)acrylamidcopolymers aus einer wässrigen Monomerlösung mit pH-Wert von 4,5 und Initiationstemperatur 0°C. Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheide sich vom Beispiel 20 der D1 dadurch, dass 0,1-2 Gew.-% eines Stabilisators in der Monomerlösung bereits vor der Polymerisation zugegeben sei. Die Aufgabe sei, ein sicheres und einfaches Herstellungsverfahren für hochmolekulare, hochviskose Polyacrylamide mit geringem Gelanteil, hoher Homogenität und verringerter Neigung zu oxidativem Abbau ohne zusätzliche Verfahrensschritte bereitzustellen, die sich für das "Polymerfluten" bei der tertiären Erdölförderung eigneten.
- D2 lehre von der Lösung weg: i) D2 lehre einen bevorzugten pH-Bereich von 7 oder höher und aus den mit Schreiben vom 8 Juni 2017 eingereichten zusätzlichen Beispielen gehe hervor, dass das Verfahren gemäß Streitpatent nur bei pH-Werten unter 7 funktioniere; ii) D2 lehre einen Temperaturbereich von 5-100°C und lehre weg von Temperaturen unter 5°C; iii) Beispiel 10 von D2, in dem einen pH-Wert von 6 und eine Temperatur von 12°C beschrieben sei, zeige, dass bei diesem pH-Wert der Gelanteil hoch sei.
- D3, D6 und D7 lehrten zwar den Zusatz eines Stabilisators zu der mittels Azo- und Redoxinitiatoren initiierten Polymerisation von wässrigen Monomermischung ohne negative Beeinflussung der Polymerisationsreaktion, allerdings sei in D3, D6 und D7 die Beschreibung sehr allgemein und breit gehalten und eine allgemeine Lehre hinsichtlich des pH-Wertes fehle in diesen Dokumenten gänzlich. Somit führe die Lehre von D3, D6 und D7 eher von der vorgeschlagenen Problemlösung weg.
- D2 könne auch als nächstliegender Stand der Technik gesehen werden. Das unterscheidende Merkmal des Streitpatentes gegenüber D2 sei eine Starttemperatur der Polymerisation von weniger als 5°C. D2 lehre einen Temperaturbereich für die Polymerisation von 5-100°C. Es sei allerdings darin bei kombiniertem Einsatz von Azoinitiator und Redoxsystem von einer Initiationstemperatur kleiner als 5°C abgeraten. Somit führe bereits die Lehre der D2 eher von der im Streitpatent vorgeschlagenen Problemlösung weg.
V. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) reichte mit der Beschwerdebegründung unter anderem die Dokumente D10, D11, D11a, D12 und D12a ein:
D10: Löslichkeitsdaten für 2-MBT, aus der Webseite des US-amerikanischen Nationalbibliothek für Medizin, "3.2.8 Solubility" https://pubchem.ncbi.nlm.nih.gov/compound/2-Mercaptobenzothiazole
D11: "Synthesis and Performance of AmPAM Used in Oilfields", Specialty Petrochemicals, September 2006, Vol. 23, Ausgabe 5, Seiten 6-10, in Chinesisch
D11a: Englische Übersetzung von D11
D12: CN 102453111
D12a: Englische Übersetzung von D12
VI. Die mündliche Verhandlung, die im Hinblick auf entsprechende Anträge der Parteien anberaumt worden war, fand am 30. Juni 2021 per Videokonferenz statt.
VII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Zulassung von Dokumenten
- Die Dokumente D10 sowie D11, D12 und ihre Übersetzungen wurden zusammen mit der Beschwerdebegründung eingereicht.
- D10 bestätige die Löslichkeitsdaten von 2-Mercaptobenzothiazol (2-MBT). D11 und D12 seien als unmittelbare Antwort auf das Vorbringen der Beschwerdegegnerin, das in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zu den Polymerisationsbedingungen vorgetragen worden sei. Die Dokumente D11 und D12 seien äußerst relevant, um zu zeigen, dass die Kombination der Polymerisationsbedingungen in Anspruch 1 des angefochtenen Patents gängige Praxis im Stand der Technik sei, ohne dass eine erfinderische Tätigkeit vorliege. Außerdem seien sowohl D11 als auch D12 nur in chinesischer Sprache verfügbar gewesen, und die Beschwerdeführerin sei erst nach der mündlichen Verhandlung auf ihre Existenz aufmerksam gemacht worden.
- D10 sowie D11, D12 und ihre Übersetzungen seien somit ins Verfahren zuzulassen.
Erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags
- Ausgehend von D1 als nächstliegender Stand der Technik
- D1 offenbare, dass es bei einem Verfahren zur Herstellung von hochmolekularen Acrylamidpolymeren wirksam sei, eine adiabatische Polymerisation bei einer relativ niedrigen Temperatur von 0°C oder darunter durchzuführen. Während der Polymerisation steige die Temperatur des Systems von etwa 0°C auf etwa 100°C an, gemäß Anspruch 1 des Streitpatents.
- D1 lehre auch, dass die Konzentration des Monomers im Bereich von 2 bis 70 Gew.-% liege und alle Beispiele von D1 zeigten Polymerisationen, bei denen die Monomerkonzentration 25 Gew.-% betrage. In mehreren der Beispiele von D1 sei die Polymerisation eingeleitet, wenn die Monomerlösung bei 0°C sei. Folglich offenbare D1 eindeutig eine niedrige Initiierungstemperatur unter 5°C auch in Kombination mit denselben Monomerkonzentrationen wie im Anspruch 1 vom Streitpatent.
- D1 offenbare, dass es keine besondere Beschränkung des pH-Werts des Reaktionssystems zum Zeitpunkt der Initiierung der Polymerisation gebe und der pH-Wert sei ungefähr im Bereich von pH 3 bis 10. In den Beispielen 20 - 22, 24 sei die Polymerisation bei pH 4,5 und einer Temperatur von 0°C initiiert worden. D1 lehre also eindeutig die Verwendung einer niedrigen Initiierungstemperatur unter 5°C in Kombination mit einem Initiierungs-pH unter 7.
- Des Weiteren offenbare D1 in direktem Bezug auf den Polymerisationstemperaturanstieg von 0°C auf 100°C, dass die Redox-Initiatoren mit anderen zusätzlichen Initiatoren, wie Azo-Initiator, kombiniert werden, um die Polymerisation in einem so weiten Temperaturbereich voranzutreiben.
- D1 verbinde somit eine Initiierungstemperatur unter 5°C, mit den anderen in D1 offenbarten Merkmalen. Das einzige Merkmal, das das Verfahren von Anspruch 1 des Hauptantrags von D1 unterscheide, sei die Zugabe von 0,1-2 Gew.-% Stabilisator zu der Monomerlösung vor der Polymerisation.
- Die Verwendung von Stabilisatoren sei bei der Herstellung von wasserlöslichen, hochmolekularen, hochviskosen Polyacrylamiden mit geringem Anteil an Unlöslichem im Stand der Technik bekannt. Die zusätzlichen Beispiele der Beschwerdegegnerin zeigten, dass die Zugabe eines Stabilisators vor der Polymerisation zumindest über den gesamten beanspruchten Bereich keine eindeutige technische Wirkung habe. Das zu lösende Problem bestehe also darin, einen alternativen Weg für die Zugabe eines Stabilisators zu einem Polymer bereitzustellen. Dieses sei bereits durch D2 gelöst worden.
- Die Beispiele 10 und 11 offenbarten die Einarbeitung von 0,5 Gew.-% 2-MBT in die Monomermischung mit einem Azoinitiator vor der Polymerisation und der pH-Wert der Monomermischung sei auf pH 6 (Beispiel 10) und pH 7 (Beispiel 11) eingestellt worden. D2 verwende zwar Azo-Initiatoren als Hauptinitiator für die Polymerisation, wodurch die Initiierungstemperatur von 5 bis 100°C begrenzt sei, D2 lehre jedoch die Verwendung von Azo-Initiatoren in Kombination mit Redox-Initiatoren, die im Niedertemperaturbereich weniger aktiviert seien. Folglich ergänzten sich die Lehren von D1 und D2 gegenseitig.
- In Anbetracht der Lehre von D2 wäre der Fachmann deshalb auf Anspruch 1 des Hauptantrags in naheliegender Weise gekommen.
- D3 offenbare ausdrücklich, dass der Abbau des Polyacrylamids dadurch gehemmt werden könne, indem man mindestens eine der Verbindungen [I] und [III], die gemäß Anspruchs 1 des Hauptantrags seien, in einem Schritt vor der Trocknung vorliegen lasse (Anspruch 1 von D3). D3 lehre somit eindeutig, dass Stabilisatoren in Polyacrylamid eingearbeitet werden könnten, indem der Stabilisator vor dem Polymerisationsprozess in die Monomerlösung eingebracht sei. Die Polymerisationsreaktion sei bei einer Temperatur von 0°C bis 100°C durchgeführt. Anspruch 1 des Hauptantrags weise auch in Anbetracht der Dokumente D1 und D3 keine erfinderische Tätigkeit auf.
- D6 offenbare eine Herstellung von getrocknetem hochmolekularem Acrylamidpolymer durch radikalische Polymerisation von Acrylamid allein oder zusammen mit Comonomeren in einem wässrigen Medium mit Initiator. Die Polymerisationsreaktion sei bei einer Temperatur von 0°C bis 100°C durchgeführt worden. D6 lehre eindeutig, dass ein Stabilisator, d.h. 2-MBT, in Polyacrylamid eingearbeitet werden könne, indem er vor der Polymerisation in die Monomerlösung eingebracht sei. Folglich fehle Anspruch 1 des Hauptantrags in Anbetracht der Dokumente D1 und D6 die erfinderische Tätigkeit.
- D7 lehre, dass die Acrylamidlösungen durch 2-Mercaptobenzimidazol oder eine phenolische Antioxidansverbindung gegen Abbau stabilisiert werden könnten. Somit sei mindestens einen Stabilisator bei der Polymerisation der Homo- oder Copolymere des Acrylamids vorhanden. Die Anwendung dieses Wissens auf die Herstellung von Homo- oder Copolymeren, die (Meth)acrylamid in Gelform enthielten, wäre im Rahmen der üblichen technischen Praxis naheliegend gewesen. Folglich fehle dem Anspruch 1 des Streitpatents in Anbetracht der Dokumente D1 und D7 die erfinderische Tätigkeit.
- Ausgehend von D2 als nächstliegender Stand der Technik
- D2 offenbare ein Verfahren zur Herstellung von wasserlöslichem Polyacrylamid-Polymer in Gegenwart von 0,1 Gew.-% oder mehr des Stabilisators 2-MBT (Anspruch 1). D2 offenbare auch, dass die Polymerisation bei einem pH-Wert von 6 oder höher durchzuführen sei. Wenn eine Substanz der Azo-Reihe als Initiator zu verwenden sei, sei die Temperatur des Polymerisationsprozesses auf 5 bis 100 °C festgelegt. Anspruch 1 des Streitpatents unterscheide sich von D2 dadurch, dass die Starttemperatur kleiner als 5°C sei.
- Die von der Patentinhaberin zusätzlich angeführten Beispiele gäben keinen Hinweis darauf, dass die angebliche Erfindung über den gesamten beanspruchten Bereich oder sogar bei pH-Werten unter 6 funktioniere. Das zu lösende technische Problem bestehe darin, Homo- oder Copolymere von (Meth)acrylamid herzustellen, die eine hohe Viskosität, ein hohes Molekulargewicht, aber ein niedriges Gelverhältnis aufwiesen. D1 enthalte eine eindeutige Lehre für den Fachmann in Bezug auf die Verwendung von niedrigen Initiierungstemperaturen bei der Herstellung von Polyacrylamiden.
- Gemäß D1 sei es für eine gute Qualität notwendig, dass die Wasserunlöslichkeiten im Polymer so weit wie möglich reduziert seien und die Polymerisation ohne Verschlechterung der Löslichkeit und des Molekulargewichts des erhaltenen Polymers durchgeführt sei. Gemäß D1 gebe es keine besonderen Beschränkungen für den pH-Wert der wässrigen Monomerlösung zum Zeitpunkt der Initiierung der Polymerisation (pH 3 bis 10) und die Starttemperatur der Polymerisation sei im Bereich von -10 bis 40°C. Ein Fachmann, der das Polymerisationsverfahren von D2 verbessern wolle, hätte aus D1 Informationen erhalten, die unmittelbar und eindeutig zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags geführt hätten. Folglich fehle dem Anspruch 1 des Hauptantrags die erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf D2 in Kombination mit D1.
VIII. Die für die Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdegegnerin können wie folgt zusammengefasst werden:
Zulassung von Dokumenten
- D11, D12 und ihre Übersetzungen seien spät eingereicht worden und hätten im Einspruchsverfahren gefunden werden können. Diese Dokumente seien somit nicht ins Verfahren zuzulassen. Gegen D10 gebe es keinen Einwand.
Erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags
- Ausgehend von D1 als nächstliegender Stand der Technik
- Eine Mehrfachauswahl sei aus D1 erforderlich, um zu den Polymerisationsparametern des Streitpatents zu gelangen.
- In den Beispielen und Vergleichsbeispielen, die im Einspruchsverfahren eingereicht wurden, sei jeweils unter verschiedenen Bedingungen polymerisiert, und es seien die drei Parameter "Gelanteil", "Filtrierbarkeit (MPFR)" sowie "Viskosität" bestimmt. In einem Versuch sei weiterhin die Langzeitstabilität bestimmt worden. Der Vergleich von Beispiel 1 und Vergleichsbeispiel V1 zeige beispielsweise, dass die Anwesenheit eines Stabilisators, geringere Gelanteile, verbesserte Filtrierbarkeit und verbesserte Viskosität zur Folge habe. Eine Starttemperatur von 10°C führe zu schlechteren Produkten (V2) und bei einem zu hohen pH (V3) springe die Reaktion erst gar nicht an.
- Ausgehend von D1 sei also die Aufgabe, einen Stabilisator einzusetzen und die Verfahrensparameter so anzupassen, dass die Produktion hochwertiger, für Erdöl-Rückgewinnung geeigneter Polyacrylamide bei Starttemperaturen von weniger als 5°C überhaupt möglich sei.
- Hierzu trage D2 nichts bei. Der Fachmann wisse, dass der Stabilisator gemäß D2 als Radikalfänger agiere und könne somit einen negativen Einfluss auf die radikalische Polymerisation des (Meth)acrylamid haben. D2 führe sogar in der Textstelle auf Spalte 3, Zeilen 44-46 von einer Starttemperatur unter 5°C weg. Dementsprechend beruhe Anspruch 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination von D1 und D2.
- D3 führe auch nicht zum beanspruchten Gegenstand. D3 beschreibe zwar die Zugabe bestimmter Stabilisatoren zu Polyacrylamiden, diese könnten allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt, z.B. unmittelbar vor dem Trocknen, zu dem Polymerisationssystem zugegeben werden. Somit sei aus D3 eine Auswahl aus verschiedenen Möglichkeiten erforderlich. Hinsichtlich der weiteren Parameter von Anspruch 1 des Hauptantrags, enthalte D3 aber keine Hinweise. Die Hinweise auf Polymerisationsparameter seien nur sehr allgemein und breit gehalten. Dementsprechend beruhe Anspruch 1 auch auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination von D1 und D3.
- D6 beschreibe die Zugabe von 2-MBT zu Polyacrylamiden. Der Inhalt von D6 entspreche weitgehend dem von D3, nur sei in D6 2-MBT anstelle der in D3 beschriebenen Stabilisatoren verwendet. Wie D3 enthalte D6 hinsichtlich der weiteren Parameter von Anspruch 1 des Hauptantrags keine eindeutigen Hinweise. Dementsprechend beruhe der Hauptantrag auch auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination von D1 und D6.
- D7 offenbare die Stabilisierung einer wässrigen Polyacrylamid-Lösung mit einer Kombination aus 2-Mercaptobenzimidazol und einem phenolischen Antioxidans. Die Beispiele von D7 offenbarten nur das Stabilisieren einer wässrigen Lösung, welche durch Auflösen von festem Polyacrylamid erhalten sei. Hinsichtlich der Polymerisationsparameter mache D7 in der Beschreibung keinerlei Angaben. In Beispiel 1 sei bei pH 8 und einer Starttemperatur von 25°C polymerisiert, wobei Stabilisatoren nicht zugegeben seien. Dementsprechend beruhe der Hauptantrag auch auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber einer Kombination von D1 und D7.
- Ausgehend von D2 als nächstliegender Stand der Technik
- D2 offenbare ein Verfahren, bei dem man den Stabilisator bereits der zu polymerisierenden Lösung zugebe. Diese Lösung habe den Vorteil, dass der Stabilisator gleichmäßig im Polymer verteilt sei, bringe aber Probleme bei der Polymerisation mit sich. D2 enthalte hierzu die klare Aussage, dass Polymerisationstemperaturen unter 5°C unvorteilhaft seien.
- Aufgabe des Streitpatents sei es, Polymerisationsbedingungen zu finden, bei denen man auch in Gegenwart eines Stabilisators die Polymerisation bei Temperaturen unterhalb 5°C initiieren könne. Ein wichtiger Parameter hierfür sei der pH-Bereich von kleiner 7. Die Beispiele und Vergleichsbeispiele zeigten, dass die Polymerisation bei einem pH-Wert von 8 und 0°C gar nicht mehr starten lasse.
- D1 erwähne die Problematik der Gelpolymerisation in Gegenwart von Stabilisatoren nicht und somit könne D1 die Lösung gemäß Hauptantrag nicht nahelegen. Darüber hinaus offenbare D1 eine Initiierung bei weniger als 5°C nicht eindeutig. D1 lehre auch keine bestimmte Starttemperatur für die Polymerisation. D1 enthalte allerdings 25 Beispiele: 9 davon offenbarten eine Starttemperatur von 10°C und 16 eine Starttemperatur von 0°C. Der Fachmann würde daraus schließen, dass es egal sei, ob man bei 0°C oder bei 10°C startet. Anspruch 1 des Hauptantrags beruhe deshalb auch auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber D2 in Kombination mit D1.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
X. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde oder die Aufrechterhaltung des Patents auf Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 3.
1. Zulassung von Dokumenten
1.1 Die Druckschriften D10, D11/D11a, D12/D12a wurden von der Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung eingereicht und wurden in Bezug auf die Argumentation der erfinderischen Tätigkeit des Hauptantrags gegenüber D2 (Beschwerdebegründung, Seiten 5, 8 und 9) und D1 (Beschwerdebegründung, Seiten 12/13) diskutiert.
1.2 D10 soll Löslichkeitsdaten von 2-Mercaptobenzothiazol (2-MBT) bestätigen. In diesem Zusammenhang offenbart D10 allgemeine Eigenschaften des im Streitpatent bevorzugten Stabilisators. Die Beschwerdegegnerin hatte keinen Einwand gegen die Zulassung von D10 ins Beschwerdeverfahren. Die Kammer sieht keinen Grund, D10 nicht ins Verfahren zuzulassen.
1.3 D11/D11a und D12/D12a seien gemäß der Argumentation der Beschwerdeführerin als direkte Antwort auf die Argumentation der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung zu den Polymerisationsbedingungen zu verstehen. Es ist allerdings aus der Beschwerdebegründung ersichtlich (Punkte 4.1.2 und 4.1.4), dass D11/D11a und D12/D12a lediglich alternative Kombinationsdokumente zu den schon im Verfahren zitierten Kombinationsdokumenten D1, D2, D3, D6 und D7 sind. Die Kammer sieht somit keinen triftigen Grund, warum D11/D11a und D12/D12a nicht im Einspruchsverfahren vor der Einspruchsabteilung hätten eingereicht werden können. Insbesondere ist keine Änderung im Verfahren anzuerkennen, die die späte Einreichung begründen könnte. D11 und D12 sind zwar Dokumente in chinesischer Sprache, allerdings sind diese Dokumente vor dem Einlegetag des Einspruchs im Stand der Technik veröffentlicht worden (D11 in 2006 und D12 in 2010) und waren somit dem Fachmann schon lange vor dem Beschwerdeverfahren zugänglich. Wenn die Einsprechende die Absicht hatte, weitere Einwände auf Basis dieser Dokumente zu erheben, hätte sie die Dokument schon während des Einspruchsverfahrens einreichen sollen. Folglich findet die Kammer es für angemessen, ihr Ermessen gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 (der gemäß Artikel 25(2) VOBK 2020 Anwendung findet) dahingehend auszuüben, die Dokumente D11/D11a und D12/D12a nicht ins Verfahren zuzulassen.
2. Erfinderische Tätigkeit
2.1 Das Streitpatent betrifft ein Verfahren zur Herstellung von wasserlöslichen Homo- oder Copolymeren auf Basis von (Meth)acrylamid in Gegenwart eines Stabilisators zur Verhinderung von Polymerabbau durch molekularen Sauerstoff, ausgewählt aus der Gruppe von schwefelhaltigen Verbindungen, sterisch gehinderten Aminen, N-Oxiden, Nitrosoverbindungen, aromatische Hydroxyverbindungen oder Ketonen, (Absatz 1, Anspruch 1), welche Polymere insbesondere bei Anwendungen wie bei Polymerfluten verwendet werden (Absätze 3-6). Das Polymerisationsverfahren des Streitpatents erfolgt in Anwesenheit von freien Radikalen bei einem pH-Wert unter 7 und eine Starttemperatur unter 5°C (Anspruch 1, Absatz 19).
2.2 Die erfinderische Tätigkeit des Hauptantrags wurde in der strittigen Entscheidung sowohl ausgehend vom Beispiel 20 von D1 (Punkt 8.2.2 und insbesondere erster voller Absatz, Seite 4) als auch von D2 (Punkt 8.2.3) bewertet. D1 und D2 wurden auch im Beschwerdeverfahren von der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin diskutiert. Die Kammer findet auch, dass sowohl D1 als auch D2 als nächstliegender Stand der Technik geeignet sind.
2.3 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D1
2.3.1 Die Beschwerdeführerin bestritt die Auswahl des Beispiels 20 in D1 als Ausgangspunkt durch die Einspruchsabteilung und betrachtete die Lehre der D1 in ihrer Gesamtheit als besser geeignet, um die erfinderische Tätigkeit zu beurteilen.
2.3.2 D1 betrifft ein Verfahren zur Herstellung von Polyacrylamiden, wobei zur Initiierung der Polymerisation ein Redox-Initiator-System eingesetzt wird und bei dem eine reduzierende Komponente mit zwei oder mehreren verschiedenen oxidierenden Komponenten kombiniert wird (Anspruch 1). Die Beschwerdeführerin trug vor, dass bis auf den Zusatz von 0,1-2 Gew.-% eines Stabilisators (B) zur Verhinderung von Polymerabbau durch molekularen Sauerstoff in der Monomerlösung vor der Polymerisation, D1 ein Verfahren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags offenbaren würde.
2.3.3 Eine solche Offenbarung erhält die Beschwerdeführerin aus der allgemeinen Beschreibung der D1 allerdings nur durch mehrfach Auswählen in Textstellen, die die unterschiedlichen Aspekte des Polymerisationsverfahrens wie die Starttemperatur, der pH und die Monomerkonzentration in allgemeiner Form beschreiben. Dies betrifft insbesondere die Starttemperatur der Polymerisation, die gemäß Beschreibung der D1 (Spalte 4, Zeilen 61-67; Spalte 6, Zeilen 16-21 und 41-44) sowohl in dem Bereich 0°C bis 100°C, als auch in dem Bereich -10 bis 40°C angegeben ist; eine Starttemperatur unter 5°C ist allerdings nicht explizit in Verbindung mit allen anderen Merkmalen des Anspruchs 1 des Hauptantrags offenbart. Der pH der Monomerlösung gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags (unter 7) müsste auch im Bereich von 3-10 ausgewählt werden (Spalte 6, Zeilen 38-40) sowie die Menge an Monomer (A) (25-45 Gew.-%) im Bereich von 2-70 Gew.-% (Spalte 5, Zeilen 31-34). Ausgehend von der Beschreibung von D1 müsste also zusätzlich zu dem Stabilisator (B), mindestens auch noch drei mal ausgewählt werden, um zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags zu gelangen. Diese Kombination ist allerdings aus D1 nicht zu entnehmen. Es folgt, dass die allgemeine Beschreibung aus D1 nicht besser als das Verfahren gemäß Beispiel 20 der D2 als Startpunkt für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit gegenüber D1 geeignet ist. Es ist unbestritten, dass die Startemperatur, der pH-Wert und die Menge an Monomer dieses Beispiels in den Bereichen gemäß Anspruch 1 liegen und dass das Verfahren von Anspruch 1 sich von Beispiel 20 von D1 nur durch die Anwesenheit in der wässrigen Monomerlösung 0,1 bis 2 Gew. % eines Stabilisator (B) unterscheidet.
2.3.4 In Bezug auf den Effekt bezog sich die Beschwerdegegnerin auf die zusätzlichen Beispiele der vom 8 Juni 2017, die eine Verbesserung der Eigenschaften des hergestellten Polymers zeigen sollten (Gelanteil, Filtrierbarkeit MPFR und Viskosität). Insbesondere Vergleichsbeispiel 1, Beispiel 1 und Beispiel 3 wurden in diesem Zusammenhang zitiert. In diesen Beispielen wurden Polymerisationen durchgeführt, die sich nur durch die Anwesenheit eines Stabilisators (B) (Natrium-2-Mercaptobenzothiazol (2-MBT)) unterschieden (0 Gew.-% im Vergleichsbeispiel 1; 0,35 Gew.-% im Beispiel 1 und 1,08 Gew.-% im Beispiel 3). Allerdings zeigen die Werte des Gelanteils, MPFR und Viskosität, keine signifikante Verbesserung dieser Eigenschaften (Gelanteils 1-2 ml, MPFR 1,28 und Viskosität 30 mPas im Vergleichsbeispiel 1 und Gelanteils 1 ml, MPFR 1,27 und Viskosität 31 mPas im Beispiel 3). Somit erkennt die Kammer keine Verbesserung der Eigenschaften des Polymers als Folge der Verwendung von 0.1-2 Gew.-% eines Stabilisators (B) zur Verhinderung von Polymerabbau durch molekularen Sauerstoff in der Monomerlösung vor der Polymerisation.
2.3.5 Die Beschreibung des Streitpatents macht allerdings glaubhaft (Absatz 6), dass die Verwendung des Stabilisators (B) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags zu Polymeren führt, die den Abbau des Polymers durch molekularen Sauerstoff bzw. durch diesen induzierte weitere Reaktionen verhindern. Tatsächlich sind die Stabilisatoren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags auch für diesen Zweck schon aus dem Stand der Technik bekannt (D7, Anspruch 1 mit Spalte 1, Zeilen 8-10). Dieser Effekt der Verwendung des Stabilisators (B) ist somit an sich glaubhaft und kann für die Formulierung der Aufgabe berücksichtigt werden.
2.3.6 Unter diesen Umständen ist die Aufgabe, die formuliert werden kann, die Bereitstellung eines weiteren Verfahrens zur Herstellung von wasserlöslichen (Meth)acrylamid enthaltenden Homo- oder Copolymeren, die den Abbau des Polymers durch molekularen Sauerstoff bzw. durch diesen induzierte weitere Reaktionen verhindern sollen.
2.3.7 In D1 sind Stabilisatoren gemäß Anspruch 1 des Streitpatents nicht beschrieben. Bei der Frage, ob die beanspruchte Erfindung durch den Stand der Technik nahegelegt ist, wurden D2, D3, D6, D7 von der Beschwerdeführerin für relevant gehalten, weil diese Dokumente die Verwendung von Stabilisatoren während der Herstellung von wasserlöslichen (Meth)acrylamid enthaltenden Homo- oder Copolymeren beschreiben.
2.3.8 Bei den Stabilisatoren (B) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags handelt es sich um Radikalfänger, d.h. um Verbindungen, welche mit freien Radikalen (beispielsweise Sauerstoff, durch UV-Licht oder andere RedOx- Prozesse gebildeten Radikalen) reagieren können, so dass die Radikale nicht mehr das Polymer angreifen und somit abbauen können (Streitpatent, Absatz 89). Die Anwesenheit solcher Radikalfänger ist offensichtlich kritisch für eine Polymerisation die durch radikalische Polymerisation, insbesondere für eine Polymerisation die, sowie dies in D1 der Fall ist, auch in Anwesenheit eines Oxidations-Reduktionssystem-Polymerisationsstarters durchgeführt wird (D1, Spalte 3, Zeilen 53-65).
2.3.9 Die Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D1 ist somit nicht nur, ob einem Fachmann Stabilisatoren, die den Abbau des Polymers durch molekularen Sauerstoff verhindern, bekannt sind, sondern auch, ob der Fachmann in Betracht gezogen hätte, solche Verbindungen zur Monomerlösung vor der radikalischen Polymerisation im Verfahren gemäß D1 hinzuzufügen.
2.3.10 D2 wurde zur Beantwortung dieser Frage von der Beschwerdeführerin für relevant gehalten. D2 offenbart ein Verfahren zur Herstellung von (Meth)acrylamid enthaltenden Homo- oder Copolymeren. Bei diesem Verfahren wird 0.3-2 Gew.-% 2-MBT als Stabilisator bereits zu der zu polymerisierenden Lösung zugegeben (Spalte 2, Zeilen 43-59).
2.3.11 Die Verwendung von 2-MBT in der Polymerisation gemäß D2 ist in der Spalte 3, Zeilen 19-65 beschrieben. Aus dieser Textstelle ist ersichtlich, dass der pH und die Starttemperatur der Polymerisation in Wechselwirkung mit der Anwesenheit von 2-MBT einen signifikanten Einfluss auf die Polymerisation haben. Insbesondere offenbart D2 in Spalte 3, Zeilen 28-46, dass Temperaturen von 5°C bis 100°C und pH-Werte von über 6 notwendig sind, um einen vorteilhaften Effekt des 2-MBT auf die hergestellten Polymeren zu gewährleisten, ohne die Polymerisation negativ zu beeinflussen. Darüber hinaus offenbart D2 an dieser Stelle, dass im Tieftemperaturbereich die Polymerisationstemperatur auf 5°C oder höher einzustellen ist und dass, wenn die Temperatur unter 5°C ausgewählt ist, die Initiierung der Polymerisation deutlich verzögert wird, so dass das gewünschte Polymer nicht erhalten werden kann. In Anbetracht dieser klaren Lehre hätte ein Fachmann 2-MBT bei der radikalischen Polymerisation nur bei einer Starttemperatur von mindestens 5°C in Erwägung gezogen. Aus diesem Grund lehrt D2 weg von dem Zusatz eines Stabilisators in einer radikalischen Polymerisation bei einer Starttemperatur unter 5°C. Insbesondere ist in D2 keine Lehre zu finden, dass durch gezielte Auswahl des pH-Wertes auch bei Starttemperaturen unter 5°C eine Stabilisator hinzugefügt werden kann. Anspruch 1 des Hauptantrags ist somit erfinderisch gegenüber D1 in Kombination mit D2.
2.3.12 D3 wurde auch als Kombinationsdokument erwähnt, da D3 die Herstellung von (Meth)acrylamidpolymeren beschreibt (Anspruch 1). Stabilisatoren der Formel [I] und [II], die den Stabilisatoren gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags entsprechen, können auch vor der Polymerisation zugegeben werden (Spalte 4, Zeilen 46-48). D3 beschreibt eine Polymerisationstemperatur von 0°C bis 100°C (Spalte 4, Zeile 34) ohne einen Hinweis auf Temperaturen unter 5°C in Anwesenheit eines Stabilisators zu geben und ohne Lehre über den pH-Wert, der gemäß D2 ein wesentliches Merkmal der Polymerisation und in Zusammenwirkung mit dem Stabilisator seien könnte (Spalte 3, Zeilen 19-27). Unter diesen Umständet findet die Kammer, dass D3 nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags führen kann.
2.3.13 D6 beschreibt auch die Verwendung von 2-MBT als Stabilisator während der Polymerisation von (Meth)acrylamidpolymeren, die bei einem ähnlichen Verfahren wie in Anspruch 1 des Hauptantrags hergestellt werden (Spalte 2, Zeilen 16-33). D6 lehrt, dass die Anwesenheit von 2-MBT in der Monomerlösung keine negative Auswirkung auf die Polymerisation hat und sogar die Bildung von unerwünschten Polymerverbindungen letztendlich verhindert (Spalte 3, Zeilen 2-61). Die Polymerisation kann damit bei Raumtemperaturen oder niedrigeren Temperaturen durchgeführt werden (Spalte 3, Zeilen 5/6), wie zum Beispiel bei ungefähr 10°C (Spalte 4, Zeile 29). Eine Starttemperatur unter 5°C ist in diesem Kontext der Polymerisation in D6 nicht gelehrt, wobei die Beispiele der D6 offenbaren sogar keine Starttemperaturen unter 15°C. Ein pH-Wert unter 7 ist auch in D6 nicht gelehrt, da D6 in Spalte 5, Zeile 38 nur auf "hohe pH-Werte" hindeutet, wobei in den Beispielen der pH-Wert 7 gewählt wurde. Die Polymerisation gemäß D6 unterscheidet sich somit von der Polymerisation gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags, indem sie auf unterschiedlichen Temperaturen und pH-Werten basiert. Die Stelle in Spalte 6, Zeile 4 offenbart zwar einen breiten Temperaturbereich von 0-100°C, allerdings betrifft diese Textstelle die Beschreibung eine allgemeine Polymerisation (Spalte 5, Zeile 57 bis Spalte 6, Zeile 4), die nicht zwangsläufig einen Azo-Initiator sowie 2-MBT enthält. Somit lehre diese Textstelle nicht die Verwendung vom 2-MBT als Stabilisator bei Starttemperaturen unter 5°C.
2.3.14 D7 beschreibt die Verwendung von 2-MBT als Stabilisator in der Polymerisation von (Meth)acrylamidpolymeren, allerdings nur in Verbindung mit Temperaturen über Raumtemperaturen (Spalte 2, Zeilen 26-28, und Spalte 4, Zeile 62). Aus diesem Grund lehrt D7 auch nicht die Verwendung von 2-MBT als Stabilisator bei Polymerisationstemperaturen unter 5°C.
2.3.15 In Anbetracht dieser Analyse der verfügbaren Kombinationsdokumente (Punkte 2.3.10 bis 2.3.14) und der Wechselwirkung zwischen Stabilisator und Reaktionssystem (Punkt 2.3.8) kommt die Kammer deshalb zum Schluss, dass D1, D2, D3, D6 und D7 die Verwendung eines Stabilisators (B) gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags bei einer Starttemperatur unter 5°C nicht nahelegen. Anspruch 1 des Hauptantrags ist somit erfinderisch ausgehend von D1.
2.4 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von D2
2.4.1 D2 betrifft die Herstellung hochmolekularer Polyacrylamide mit guter/verbesserter Löslichkeit, welche für den Einsatz bei der Erdölgewinnung geeignet sind (Spalte 1, Zeilen 6-17). D2 beschreibt die Zugabe von 2-Mercaptobenzothiazol (2-MBT) in einer bevorzugten Menge von 0.3-2.0 Gew.-% zu der zu polymerisierenden Zusammensetzung (Spalte 2, Zeilen 43-46). Zur Evaluierung der erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1 des Hauptantrags ging die Beschwerdeführerin von D2 in seiner Gesamtheit aus.
2.4.2 In der strittigen Entscheidung wurde das unterscheidende Merkmal gegenüber D2 als die Verwendung einer Starttemperatur der Polymerisation von weniger als 5°C betrachtet. In Bezug auf die Polymerisationstemperatur offenbart nämlich D2 einen Bereich von 5°C bis 100°C (Spalte 3, Zeile 3), der sich vom Bereich gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags unterscheidet. In Anbetracht der Tatsache, dass durch dieses Unterscheidungsmerkmal eine erfinderische Tätigkeit anerkannt werden kann, ist es nicht nötig zu analysieren, ob es weitere Unterscheidungsmerkmale gibt.
2.4.3 In Bezug auf einen Effekt wurden Vergleichsbeispiel 2 und Beispiel 3 der zusätzlichen Beispiele vom 8 Juni 2017 von der Beschwerdegegnerin für relevant gehalten. Diese Beispiele betreffen die Durchführung von Polymerisationen bei gleichen Mengen an 2-MBT (1,08 Gew.-%) und pH (6,5) und bei Initiationstemperaturen von 10°C (Vergleichsbeispiel 2, repräsentativ von D2, oberhalb 5°C) und 0°C (Beispiel 3, anspruchsgemäß, unterhalb 5°C). Die Tabelle 1 zeigt, dass die Polymerisation gemäß Beispiel 3 ein Polymer mit niedrigerem Gelanteil (1 ml vs. 2 ml im Vergleichsbeispiel 2), verbesserter Filtrierbarkeit (MFR von 1,27 vs. 1,30 im Vergleichsbeispiel 2) und höherer Viskosität (31 mPas vs. 26 im Vergleichsbeispiel 2) ergab. Der Zweifel der Beschwerdeführerin in Bezug auf die Validität des Effekts bei niedrigeren pH-Werten als 6,5 ist spekulativ und somit nicht relevant, weil dieser Zweifel nicht durch nachprüfbare Fakten erhärtet wurde. Unter diesen Umständen ist die Aufgabe ausgehend von D2 die Bereitstellung eines Verfahrens zur Herstellung von wasserlöslischen Homo- oder Copolymeren aus (Meth)acrylamid mit verbesserten Produkteigenschaften (Beschwerdeerwiderung, Seite 4, vierter Absatz).
2.4.4 Es wurde im Punkt 2.3.11 dieser Entscheidung geschlossen, dass D2 von Starttemperaturen unter 5°C bei Polymerisationen in Anwesenheit von 2-MBT weg lehrt. Folglich hätte den Fachmann ausgehend von D2 als nächstliegender Stand der Technik auch keinen Grund gehabt, die Polymerisation gemäß D2 bei einer Starttemperatur unter 5°C durchzuführen, um die gestellte Aufgabe zu lösen. In diesem Kontext ist der Verweis auf den Temperaturbereich von 0°C bis 100 °C, der in D1 offenbart ist, nicht relevant, weil dort von Stabilisatoren nicht die Rede ist. Der Fachmann hätte nämlich keine Motivation gehabt, entgegen der Lehre der D2 die Lehre der D1 zu verwenden, weil diese Lehre eine Polymerisation ohne 2-MBT, bzw. ohne Stabilisator betrifft und somit nicht zum beanspruchten Gegenstand führen kann.
2.4.5 Unter diesen Umständen schließt die Kammer, dass Anspruch 1 des Hauptantrags auch ausgehend von D2 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
3. Da alle Einwände der Beschwerdeführerin, die auf im Verfahren befindlichen Dokumenten basieren, nicht erfolgreich sind, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.