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T 2006/19 10-01-2023
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SCHUTZANORDNUNG GEGEN MINEN
Rheinmetall Waffe Munition GmbH /
Rheinmetall Landsysteme GmbH
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Ausreichende Offenbarung - Nacharbeitbarkeit (ja)
Änderungen - zulässig (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des (damaligen) Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, hatte die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
II. Insbesondere hatte die Einspruchsabteilung entschieden, dass
- der Gegenstand dieses Antrags neu und erfinderisch sei,
- das Patent gemäß diesem Antrag die Erfindung so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und
- der Gegenstand der Ansprüche gemäß diesem Antrag nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehe.
III. Im schriftlichen Verfahren stellten die Beteiligten folgende Anträge:
a) Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
b) Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), hilfsweise das Patent in geänderter Form gemäß einem der Hilfsanträge 1?4 eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 13. Januar 2020 aufrechtzuerhalten.
IV. Mit Schreiben vom 4. Januar 2023 legte die zugelassene Vertreterin der Beschwerdeführerin ihr Mandat nieder.
V. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
a) Für die Beschwerdeführerin erschien niemand zur mündlichen Verhandlung.
b) Wie mit Schreiben vom 6. Dezember 2022 angekündigt, nahm auch für die Beschwerdegegnerin niemand an der mündlichen Verhandlung teil.
VI. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Schutzanordnung für gepanzerte und ungepanzerte Fahrzeuge (1) gegen eine Bedrohung durch Blast-, Splitter- und/oder projektilbildende Minen (3), bei welcher der Fahrzeugboden (5) bzw. einer Fahrzeugbodenschutzstruktur auf der der Bedrohung (3) zugewandten Seite mit einer Schutzstruktur (6) bzw. einem Behälter versehen ist, die bzw. der flächenhaft aufgebaut ist und zur Bildung einer Liquidkammer zumindest teilweise mit einem Füllmittel (19) aus einem Liquid oder einem fließfähigen Medium gefüllt ist,
dadurch gekennzeichnet,
dass die Liquidkammer unterseitig mit einer schockdämpfenden Struktur versehen ist."
VII. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
E13 WO 01/32412 A1
E15 US 5 217 185 A
E16 US 43 377 A
E17 DE 27 17 932 C1
E18 EP 0 877 223 A2
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Anspruch 1 des Hauptantrags sei derart unklar, dass die Erfindung nicht ausführbar sei. Insbesondere sei unklar, wo die Unterseite der Schutzstruktur zu finden sei und was unter einer "starren" Schutzstruktur zu verstehen sei.
b) Eine Liquidkammer werde nur in einem einzigen der zahlreichen Ausführungsbeispiele gezeigt. Im allgemeinen Teil der Beschreibung werde eine Liquidkammer dagegen nicht erwähnt. Der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs 1 des Hauptantrag sei daher nicht ausreichend offenbart in den ursprünglichen Anmeldeunterlagen.
c) Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei weder neu gegenüber E15, noch gegenüber E17.
d) Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags sei nicht erfinderisch ausgehend von sowohl E13, als auch ausgehend von E16 bzw. E18.
IX. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Die Unterseite der Schutzstruktur ergäbe sich aus der in den Figuren gezeigten Anwendung. Was unter "starr" zu verstehen sei, werde in der Beschreibung erklärt.
b) In den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen werde im Ausführungsbeispiel der Figur 15 eine Liquidkammer gezeigt und beschrieben.
c) E15 zeige weder eine starre Schutzstruktur, noch eine schockdämpfende Struktur auf deren Unterseite.
d) E17 zeige nur einen hohlen Fahrzeugboden, nicht aber eine daran befestigbare Schutzstruktur. Zudem offenbare auch E17 keine schockdämpfende Struktur auf der Unterseite.
e) Weder E13, noch E16 zeige eine schockdämpfende Struktur und es sei auch für den Fachmann nicht naheliegend, diese bei den in E13 bzw. E16 offenbarten Schutzstrukturen vorzusehen.
f) E18 sei nicht Teil des Einspruchverfahrens gewesen und sei nicht prima facie relevant. Daher könne es nicht zum Verfahren zugelassen werden.
1. Sowohl die Beschwerdeführerin, als auch die Beschwerdegegnerin wurden ordnungsgemäß zur mündlichen Verhandlung geladen, erschienen jedoch nicht.
Gemäß Regel 115(2) EPÜ und Artikel 15(3) VOBK 2020 wurde die vorliegende Entscheidung daher in Abwesenheit der Beteiligten im Rahmen der dennoch abgehaltenen mündlichen Verhandlung getroffen.
Hauptantrag
Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)
2. Die Erfindung gemäß Hauptantrag ist im Streitpatent so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
2.1 Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin wird aus dem erfindungsgemäßen Ausführungsbeispiel der Figur 15 deutlich, was unter der Lageangabe "unterhalb" im Merkmal "Liquidkammer ist unterseitig mit einer schockdämpfenden Struktur versehen" zu verstehen ist.
Der im unabhängigen Anspruch genannte Fahrzeugboden bzw. die Fahrzeugbodenschutzstruktur ist zwar nicht Teil der beanspruchten Schutzanordnung, die beanspruchte Schutzanordnung besteht jedoch aus einer Schutzstruktur bzw. einem Behälter mit Liquidkammer, die bzw. der an einem Fahrzeug anbringbar sein sollen. Figur 15 zeigt, wie die Schutzstruktur bzw. der Behälter mit Liquidkammer am Fahrzeug angebracht werden kann, so dass die im Anspruch genannte Unterseite der im bestimmungsgemäßen Einbau dem Untergrund zugewandten Seite entspricht.
2.2 Der von der Beschwerdeführerin ebenfalls als unklar angesehene Begriff "starr" wird in der Beschreibung erläutert: Im Absatz [0023] wird zwischen "starr" und "flexibel/dehnbar/faltbar" unterscheidet, so dass der Fachmann den Begriff als ausreichend definiert ansieht, um geeignete Materialien wählen zu können. Solange die Schutzstruktur in diesem Material ausgeführt unter Eigenlast sich weder verformt, noch kollabiert, ist sie als starr anzusehen.
Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
3. Der Hauptantrag wurde nicht in einer Weise geändert, dass sein Gegenstand über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglichen eingereichten Fassung hinausgeht.
3.1 Eine Schutzstruktur wurde in Figur 15 der ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen gezeigt und in der korrespondierenden Figurenbeschreibung beschrieben.
3.2 Die Beschwerdeführerin argumentiert zwar, dass die Bildung einer Liquidkammer als Teil der Schutzstruktur in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart worden sei, nicht zuletzt da das Wort "Liquidkammer" dort überhaupt nicht in diesem Zusammenhang genannt wird.
3.2.1 In den ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen wird jedoch in der Figurenbeschreibung von Figur 15 auf Seite 8, Zeile 29 - 32 ("mit einer unteren schockdämpfenden Struktur der Liquidkammer"), sowie auf Seite 18, Zeilen 16 ff. eine Schutzstruktur mit Liquidkammer gemäß Anspruch 1 des Hauptantrags explizit genannt.
3.2.2 Dabei spielt es auch keine Rolle, ob eine entsprechende Liquidkammer nur in einem einzigen der zahlreichen Ausführungsbeispiele offenbart wurde, solange dieses einzige Ausführungsbeispiel eine adäquate Basis für die im Hauptantrag beanspruchte Merkmalskombination bietet.
Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
4. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu.
4.1 Die Beschwerdeführerin macht geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 bereits aus Dokument E15 bekannt sei.
4.1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich jedoch von der Schutzanordnung der E15 dahingehend, dass
- die Schutzstruktur starr ist; und
- die Liquidkammer unterseitig mit einer schockdämpfenden Struktur versehen ist.
4.1.2 Die Schutzstruktur der E15 ist flexibel (siehe Spalte 3, Zeile 52 und Spalte 4, Zeile 54). An dieser flexiblen Ausbildung ändert sich auch nichts, wenn bei einem hohen Innendruck in der Liquidkammer eine dicke Wandstärke gewählt wird, da auch dicke Wände flexibel sein können.
4.1.3 Zudem ist in E15 keine schockdämpfende Schicht zu erkennen. Die in E15 genannte flüssigkeits-undurchlässige Keramikschicht kann zwar zusätzlich auch dazu beitragen, dass auf sie auftreffende Objekte zersplittern. Dabei wird aber der Einschlag nicht abgedämpft. Eine schockdämpfende Schicht muss jedoch in der Lage sein, zumindest einen Teil der Energie des Einschlages durch Verformung zu dissipieren, was eine sehr harte Keramikschicht gerade nicht in der Lage zu leisten ist.
4.2 Die Beschwerdeführerin macht zudem geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auch bereits aus Dokument E17 bekannt sei.
4.2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von der Schutzanordnung der E17 aber dahingehend, dass die Liquidkammer unterseitig mit einer schockdämpfenden Struktur versehen ist.
4.2.2 In E17 ist keine unterseitige Struktur erkennbar. Es wird nur eine oberseitige, der Mannschaftskabine zugewandte Schicht aus elastischem Material beschrieben. Diese Schicht dient dazu, ein Austrittsloch eines Geschosses abzudichten, während das unterseitige Eintrittsloch offen bleibt, so dass eine eventuelle Verpuffung des Tankinhalts von der Mannschaftskabine weg gerichtet erfolgt (siehe Spalte 5, Zeile 9 ff.). Diese Schicht ist daher weder unterseitig angeordnet, noch schockdämpfend ausgebildet.
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
5. Der Gegenstand des Anspruchs 1 wird durch keine der von der Beschwerdeführerin vorgebrachten Argumentationslinien vorweggenommen.
5.1 Die Beschwerdeführerin geht in einer ersten Argumentationslinie von E13 als nächstkommenden Stand der Technik aus.
5.1.1 Die aus E13 bekannte Platte kann aus Sicht der Kammer auch am Unterboden eines Fahrzeugs befestigt werden. Zudem sind die Wände der pyramidenförmigen Erhebungen im Grundzustand als starr anzusehen, da sie erst im Fall der Explosion zusammengedrückt werden (wie letztlich auch beim Streitpatent).
5.1.2 Die Kammer sieht jedoch keinen nachvollziehbaren Grund, warum der Fachmann ausgehend von der aus E13 bekannten Platte bei einer nicht in E13 angeregten Verwendung zur Montage an einem Fahrzeugboden die dann nach unten orientierte Seite mit einer zusätzlichen schockdämpfenden Struktur versehen sollte.
5.2 Gleiches gilt auch für die von der Beschwerdeführerin ebenfalls vorgetragenen zweiten Argumentationslinie ausgehend von E16 als nächstkommenden Stand der Technik.
5.3 Schließlich argumentiert die Beschwerdeführerin noch ausgehend von E18 als nächstkommenden Stand der Technik.
5.3.1 Dokument E18 wurde erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgelegt, so dass die Kammer ein Ermessen nach Artikel 12(4) VOBK 2007 bei der Frage der Zulassung des Dokuments zum Verfahren hat.
5.3.2 Die Beschwerdeführerin behauptet, dass die Vorlage in Reaktion auf die geänderten und dann aufrechterhaltenen Ansprüche im Einspruchsverfahren erfolgte. Der Hilfsantrag 1 im Einspruchsverfahren wurde aber bereits zwei Monate vor der mündlichen Verhandlung innerhalb der Schriftsatzfrist gestellt, so dass E18 bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt werden hätte müssen, spätestens in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.
5.3.3 Die Vorlage erst mit der Beschwerdebegründung ist daher als zu spät anzusehen. Das Dokument E18 wurde daher nicht zum Verfahren zugelassen.
6. Die Kammer kann entsprechend keinen Grund erkennen, warum sie von der von der Einspruchsabteilung getroffenen Entscheidung abweichen sollte.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.