T 2338/19 02-07-2021
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VERSTÄRKUNGSELEMENT ZUR VERSTÄRKUNG VON HOHLRÄUMEN VON STRUKTURELLEN BAUTEILEN
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Unzulässige Erweiterung - Hilfsantrag 1 (nein)
Patentansprüche - Klarheit
Patentansprüche - Hilfsantrag 1 (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 1 (ja)
Spät eingereichter Hilfsantrag 1 - zugelassen (ja)
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 1 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, hat die Einsprechende (Beschwerdeführerin) Beschwerde eingelegt.
II. Insbesondere war die Einspruchsabteilung der Auffassung, dass der Gegenstand dieses Antrags neu und erfinderisch sei.
III. Am 2. Juli 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents. Der zunächst gestellte Antrag auf Zurückverweisung der gesamten Angelegenheit an die Einspruchsabteilung wurde zurückgezogen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde und hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage der mit der Beschwerdeerwiderung neu eingereichten Hilfsanträge 1-6.
V. Die unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags lauten wie folgt:
Anspruch 1:
Verstärkungselement (1) aus einem schäumbaren Material (2) zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen (6), dadurch gekennzeichnet,
dass an der Aussenseite des schäumbaren Materials mindestens teilweise ein Faserwerkstoff (3) angeordnet ist, in welchem die Fasern unidirektional oder als Gewebe oder Gewirke oder als Multiaxialgelege vorliegen, und welcher mit einer härtenden Klebstoffzusammensetzung versehen ist, und
dass das schäumbare Material thermisch, bei einer Temperatur von 80°C bis 150°C, bevorzugt von 90°C bis 140°C, schäumbar ist und dass die härtende Klebstoffzusammensetzung hitzehärtend ist und bei einer Temperatur von 150°C bis 220°C, bevorzugt von 160°C bis 200°C, aushärtet.
Anspruch 9:
Verfahren zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen umfassend die Schritte:
i) Platzieren des Verstärkungselements (1) aus einem schäumbaren Material (2) zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen (6), wobei an der Außenseite des schäumbaren Materials mindestens teilweise ein Faserwerkstoff (3) angeordnet ist, welcher mit einer härtenden Klebstoffzusammensetzung versehen ist, in einem Hohlraum,
und wobei der Faserwerkstoff (3) nicht rundherum geschlossen auf dem schäumbaren Material (2) angebracht ist;
ii) Schäumen des schäumbaren Materials (2); und
iii) Aushärten der härtenden Klebstoffzusammensetzung,
dadurch gekennzeichnet,
dass das schäumbare Material thermisch schäumbar ist und dass der Schritt ii) das Erhöhen der Temperatur auf die Schäumungstemperatur des schäumbaren Materials umfasst, wobei diese Temperatur 80°C bis 150°C, bevorzugt 90°C bis 140°C ist; und
dass die härtende Klebstoffzusammensetzung hitzehärtend ist und dass der Schritt iii) ein Schritt iii') des Erhöhens der Temperatur auf die Aushärtungstemperatur der hitzehärtenden Klebstoffzusammensetzung ist, wobei diese Temperatur 150°C bis 220°C, bevorzugt 160°C bis 200°C, ist.
VI. Hilfsantrag 1 enthält nur einen unabhängigen Anspruch 1, der dem unabhängigen Verfahrensanspruch 9 des Hauptantrags entspricht, wobei der Schritt ii) wie folgt ergänzt wurde: "sodass der Faserwerkstoff durch das schäumbare Material an die Innenwand des Hohlraums gepresst wird während die härtende Klebstoffzusammensetzung noch nicht ausgehärtet ist"
und wobei im kennzeichnenden Teil der Schäumungstemperaturbereich auf 90°C bis 140°C und der Aushärtungstemperaturbereich auf 160°C bis 200°C begrenzt sind.
VII. In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
L6: US 2003/0183317 A1
L12: US 4,397,914
VIII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechende) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Hauptantrag
i) Anspruch 9 - Klarheit und unzulässige Erweiterung - Artikel 84 EPÜ und 123(2) EPÜ
Anspruch 9 sei nicht klar. Das Merkmal "wobei an der Außenseite des schäumbaren Materials mindestens teilweise ein Faserwerkstoff (3) angeordnet ist" stehe im Widerspruch zu dem Merkmal "wobei der Faserwerkstoff nicht rundherum geschlossen auf dem schäumbaren Material angebracht ist".
Das Merkmal "wobei der Faserwerkstoff (3) nicht rundherum geschlossen auf dem schäumbaren Material (2) angebracht ist" sei von der Passage auf Seite 7, Zeilen 23-25, der ursprünglich eingereichten Anmeldung in Anspruch 9 aufgenommen worden ohne das im gleichen Satz aufgeführte Merkmal "um die Ausdehnung des schäumbaren Materials zu erlauben" ebenfalls aufzunehmen; dies führe zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung.
ii) Anspruch 1 - Neuheit gegenüber L12 - Artikel 54 EPÜ
L12 (Figur 4 und Spalte 2, Zeile 48 - Spalte 3, Zeile 38) offenbare alle Merkmale des Anspruchs 1. Das in Anspruch 1 definierte Merkmal "Verstärkungselement (1) aus einem schäumbaren Material (2) zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen (6)" sei von der Einspruchsabteilung und der Patentinhaberin zu restriktiv ausgelegt worden. Anspruch 1 definiere weder den Zweck noch die Ausrichtung noch den Verstärkungsgrad des Verstärkungselements. Darüber hinaus erfordere Anspruch 1 keine Verstärkung des Hohlraums selbst, sondern die Verstärkung der strukturellen Bauteile, die aber auch flach sein können.
b) Zulassung der Hilfsanträge 1-6
Die Hilfsanträge sollten nicht zugelassen werden, denn sie hätten früher eingereicht werden können. Die in der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände gegen Neuheit und erfinderische Tätigkeit fänden bereits eine Grundlage in der Einspruchsschrift. Darüber hinaus seien die Hilfsanträge nicht konvergent.
c) Hilfsantrag 1
i) Anspruch 1 - Klarheit und unzulässige Erweiterung - Artikel 84 und 123(2) EPÜ
In Anspruch 1 sei nicht klar, wie "der Faserwerkstoff durch das schäumbare Material an die Innenwand des Hohlraums gepresst wird". Darüber hinaus beziehe sich dieses Merkmal auf "die Innenwand", die in Anspruch 1 nicht vorher definiert sei.
Das aufgenommene Merkmal "sodass der Faserwerkstoff durch das schäumbare Material an die Innenwand des Hohlraums gepresst wird während die härtende Klebstoffzusammensetzung noch nicht ausgehärtet ist" in Anspruch 1 gehe über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus. Seite 3, Zeilen 5-9, der Beschreibung offenbare nicht das Aufschäumen des schäumbaren Materials und das Pressen des Faserwerkstoffs gegen die Innenwand des Hohlraums als Folge, wie es in Anspruch 1 definiert sei.
Darüber hinaus führe die Nicht-Aufnahme des Wortlauts der Zeilen 7-9, wonach, sich der Faserwerkstoff Hohlräumen beliebiger Struktur anpasse und die Verstärkung auch an schwer zugänglichen Stellen ermögliche, zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung.
ii) Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
Anspruch 1 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von dem der L12 dadurch, dass "der Faserwerkstoff durch das schäumbare Material an die Innenwand des Hohlraums gepresst wird während die härtende Klebstoffzusammensetzung noch nicht ausgehärtet ist".
Dieser Unterschied habe keinen technischen Effekt. Die zu lösende Aufgabe könne darin gesehen werden, ein alternatives Verfahren zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen bereitzustellen.
Ausgehend von L12 liege es für den Fachmann nahe, deren Lehre mit der Lehre von L6 zu kombinieren, um zum Gegenstand des Anspruchs 1 zu gelangen. Ausgehend vom Verstärkungselement der L12 und im Hinblick auf die Lehre der L6 würde der Fachmann entweder die Dicke der Komponenten des Verstärkungselements erhöhen, den Hohlraum verkleinern oder dem schäumbaren Material mehr Treibmittel hinzufügen, sodass der Faserwerkstoff an die gegenüberliegende Innenwand des Hohlraums gepresst werde.
Im schriftlichen Verfahren machte die Beschwerdeführerin geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von der Lehre der L6 auf keiner erfinderischen Tätigkeit beruhe. Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von L6 dadurch, dass die Schäumungstemperatur und die Härtungstemperatur des Matrixmaterials durch Temperaturbereiche quantifiziert wurden. Die spezielle Auswahl eines Treibmittels mit einer Aktivierungstemperatur im Bereich von 90°C bis 140°C und die spezielle Auswahl eines Härtungsmittels für den Klebstoff mit einer Aktivierungstemperatur im Bereich von 160°C bis 200°C werde von L6 nahegelegt und gehöre zum allgemeinen Fachwissen.
IX. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Hauptantrag
i) Anspruch 9 - Klarheit und unzulässige Erweiterung - Artikel 84 und 123(2) EPÜ
Anspruch 9 sei klar und basiere auf der ursprünglich eingereichten Anmeldung. Das Merkmal "wobei der Faserwerkstoff (3) nicht rundherum geschlossen auf dem schäumbaren Material (2) angebracht ist" schränke alle Ausführungsformen ohne Widerspruch ein und sei auf Seite 7, Zeilen 23-26, der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart.
ii) Anspruch 1 - Neuheit gegenüber L12
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu gegenüber L12. Die strukturellen Bauteile in Anspruch 1 seien für den Fachmann Teile von Automobilkarossen, welche Hohlräume aufweisen (siehe Absätze [0001] und [0004] des Patents). Die Bezugnahme im Anspruch 1 auf "Verstärkung in Hohlräumen" würde der Fachmann als strukturelle Verstärkung des Hohlraums an sich verstehen, wobei die Eigenschaften/Struktur/Form des Hohlraums durch die Verstärkung erhalten bleiben soll. In den Figuren 4 und 6 der L12 dient das Verstärkungselement zur Verstärkung von flächigen Bauteilen. Für den Fachmann wäre das Verstärkungselement der L12 aufgrund seiner Dimension und Form nicht für eine Verwendung zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen geeignet.
b) Zulassung der Hilfsanträge 1-6
Die Patentinhaberin habe keinen Anlass gehabt, die Hilfsanträge 1-6 im Einspruchsverfahren einzureichen. Die mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1-6 seien daher ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
c) Hilfsantrag 1
i) Anspruch 1 - Erfordernisse der Artikel 84 und 123(2) EPÜ
Das Merkmal "sodass der Faserwerkstoff durch das schäumbare Material an die Innenwand des Hohlraums gepresst wird während die Härtende Klebstoffzusammensetzung noch nicht ausgehärtet ist" sei auf Seite 2, Zeilen 5-7 der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart. Diese Einschränkung sei für alle Ausführungsformen und insbesondere für das erfindungsgemäße Verfahren gültig und im Einklang mit der allgemeinen Wirkungsweise der Erfindung.
Darüber hinaus sei für den Fachmann klar, dass der Faserwerkstoff an die Innenwand des Hohlraums durch "das Schäumen des schäumbaren Materials" gepresst werde.
ii) Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.
- Ausgehend von L12
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von dem der L12 dadurch, dass "der Faserwerkstoff durch das schäumbare Material an die Innenwand des Hohlraums gepresst wird während die härtende Klebstoffzusammensetzung noch nicht ausgehärtet ist"
Der mit dem identifizierten Unterschied verbundene Effekt bestehe darin, dass der Faserwerkstoff sich Hohlräumen beliebiger Struktur anpasse und die Verstärkung auch an schwer zugänglichen Stellen ermögliche (Absatz [0010] des Patents).
Die objektive technische Aufgabe könne darin gesehen werden, ein Verfahren zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen bereit zu stellen, das die Verstärkung an schwer zugänglichen Stellen ermögliche.
Ausgehend von L12 würde der Fachmann die L6 nicht in Betracht ziehen. L12 lehre dagegen, den gesamten Hohlraum mit einem Verstärkungselement zu füllen. Die Beschwerdegegnerin verwies auf Spalte 4, Zeilen 36-39 der L12.
Darüber hinaus bestünden in L6 die beiden Schichten 20 und 24 des Verstärkungselements 10 aus demselben schäumbaren Material. Die Aktivierung beider Schichten finde gleichzeitig statt. Ausgehend von der Lehre der L6 finde der Fachmann keine Hinweise, die Schichten 20 und 24 der Figur 1 mit verschiedenen Materialen zu versehen, um zum Anspruch 1 zu gelangen.
- Ausgehend von L6
Im schriftlichen Verfahren machte die Beschwerdegegnerin geltend, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 ausgehend von der L6 erfinderisch sei.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von dem der L6 dadurch, dass der Faserwerkstoff (statt zwischen zwei Schichten des schäumbaren Materials) mindestens teilweise auf der Außenseite des schäumbaren Materials angeordnet sei, wobei der Faserwerkstoff zusätzlich mit einer härtenden Klebstoffzusammensetzung versehen sei.
Die objektive technische Aufgabe sei es, ein Verstärkungselement umfassend ein schäumbares Material und einen Faserwerkstoff bereitzustellen, welches den Hohlraum eines Bauteils besonders gut mechanisch verstärkt, aber sich trotzdem diesem Hohlraum bei der Expansion des schäumbaren Materials flexibel und schlüssig anpassen kann.
L6 enthalte keine Hinweise, die Aufgabe entsprechend der Erfindung des Streitpatents zu lösen. In der L6 seien beide Schichten um den Faserwerkstoff aus schäumbarem Material und würden gleichzeitig aktiviert. Somit könne zwar das schäumbare oder geschäumte Material an sich innerlich verstärkt werden; gegenüber den Wänden des Hohlraums hingegen finde keine besondere Verstärkung statt.
1. Hauptantrag - entsprechend dem von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Hilfsantrag 1
1.1 Neuheit - Artikel 54 EPÜ
Entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung ist die Kammer zu dem Schluss gekommen, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht neu gegenüber L12 ist.
1.1.1 Das einzige strittige Merkmal ist die Eignung des Verstärkungselements "zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen (6)".
1.1.2 L12 offenbart in Figur 4 ein Verstärkungsmaterial 23 aus einem schäumbaren Material 26 zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen in Form von Türen. Wie den Figuren 1A und 1B des Standes der Technik der L12 zu entnehmen ist, definiert die Tür 5, die als strukturelles Bauteil anzusehen ist, einen Hohlraum. Die Kammer ist daher der Auffassung, dass L12 das einzige strittige Merkmal offenbart.
1.1.3 Die Beschwerdegegnerin beruft sich im Wesentlichen auf die drei folgenden Argumente:
(i) Der Fachmann würde die "strukturellen Bauteile" in Anspruch 1 gemäß den Absätzen [0001] und [0004] als Teile von Automobilkarossen interpretieren.
(ii) Gemäß seinem allgemeinen Fachwissen würde der Fachmann die "Verstärkung in Hohlräumen" als "strukturelle Verstärkung des Hohlraums an sich" interpretieren, wobei die Eigenschaften/Struktur/Form des Hohlraums durch die Verstärkung erhalten bleiben soll.
(iii) In den Figuren 4 und 6 der L12 diene das Verstärkungselement zur Verstärkung von flächigen Bauteilen. Der Fachmann würde daher das Verstärkungselement der L12 aufgrund seiner Dimension und Form für die Verstärkung in Hohlräumen im Sinne der Auslegung gemäß ii) als ungeeignet betrachten.
1.1.4 Die Kammer folgt der von Seiten der Beschwerdegegnerin und der Einspruchsabteilung vorgenommenen Auslegung des Anspruchs 1 nicht.
zu i) Der Begriff "strukturelle Bauteile" ist weit gefasst. Ohne genauere Definition fällt auch die Fahrzeugtür der L12 unter den Begriff "strukturelles Bauteil", da sie als Bauteil zur Gesamtstruktur des Fahrzeugs beiträgt. Anspruch 1 ist nicht auf die Verstärkung von Automobilstrukturteilen beschränkt, sodass der Fachmann den Begriff "strukturelle Bauteile" nicht auf Fahrzeugstrukturen oder Karosserien beschränken würde, wie die Beschwerdegegnerin behauptet. Im vorliegenden Fall besteht keine Veranlassung, Absätze [0001] und [0004] der Beschreibung zur Interpretation des Begriffs "strukturelle Bauteile" heranzuziehen, denn obwohl der Begriff "strukturelle Bauteile" breit ist, ist er klar. Es besteht daher kein Anlass, den Begriff einschränkender auszulegen als entsprechend seiner allgemeinen Bedeutung, die im vorliegenden Kontext auch technisch Sinn ergibt.
zu ii) Der Wortlaut des Anspruchs 1 macht deutlich, dass das Verstärkungselement geeignet sein soll, strukturelle Bauteile mit Hohlräumen zu verstärken. Anspruch 1 erfordert nicht, dass das Verstärkungselement den Hohlraum ausfüllt und definiert auch weder die Form noch die Dimension des Hohlraums oder des Verstärkungselements. Anspruch 1 definiert keine Verstärkung des Hohlraums an sich, sondern nur eine in dem Hohlraum angeordnete Verstärkung des strukturellen Bauteils.
zu iii) L12 offenbart in Spalte 1, Zeilen 11-14, dass das Verstärkungselement an der Innenfläche eines Türaußenblechs 2 (metallplattenartiges Element 2a) befestigt ist. Das Verstärkungselement der L12 ist für Fahrzeugtüren konzipiert, die einen Hohlraum haben (siehe Figuren 1A und 1B). Anspruch 1 definiert nicht die Ausrichtung des Verstärkungselements bezüglich des Hohlraums. Anspruch 1 ist insbesondere nicht auf ein Verstärkungsmaterial gerichtet, das die gesamte Innenwand des Hohlraums bedeckt. Das an dem Türaußenblech angeordnete Verstärkungselement 23 der L12 ist daher zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen geeignet.
2. Hilfsantrag 1
2.1 Zulassung - Artikel 12(4) VOBK 2007
Die Kammer sieht keine Veranlassung, Hilfsantrag 1 nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Zusammen mit der Beschwerdeerwiderung hat die Beschwerdegegnerin den Hilfsantrag 1 zusammen mit den weiteren Hilfsanträgen 2-6 als neue Hilfsanträge eingereicht. Ob ein neues Vorbringen zum Verfahren zugelassen werden sollte oder nicht, ist gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 zu entscheiden, dem zufolge es im Ermessen der Kammer liegt, Anträge nicht zum Beschwerdeverfahren zuzulassen, die bereits im Einspruchsverfahren hätten eingereicht werden können (Artikel 25(2) VOBK 2020).
Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist maßgeblich, ob die Anträge bereits im Einspruchsverfahren nicht nur hätten vorgelegt werden können, sondern auch sollen.
Im vorliegenden Fall gab es keinen Anlass, Hilfsantrag 1 im Einspruchsverfahren einzureichen, denn der Hauptantrag (der damalige Hilfsantrag 1) wurde von der Einspruchsabteilung als gewährbar angesehen.
Außerdem legt die Kammer im vorliegenden Fall die Ansprüche des Hauptantrags (damaliger Hilfsantrag 1) anders aus als die Einspruchsabteilung. Die Einreichung des Hilfsantrags 1 ermöglicht es a priori, den Einwänden mangelnder Neuheit und erfinderischer Tätigkeit abzuhelfen, ohne neue Probleme aufzuwerfen.
Der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Mangel an Konvergenz ist für den Hilfsantrag 1 nicht relevant.
2.2 Klarheit - Artikel 84 EPÜ
Anspruch 9 ist deutlich und knapp gefasst und von der Beschreibung gestützt.
Das Merkmal "wobei an der Außenseite des schäumbaren Materials mindestens teilweise ein Faserwerkstoff (3) angeordnet ist" steht nicht im Widerspruch zu dem Merkmal "wobei der Faserwerkstoff nicht rundherum geschlossen auf dem schäumbaren Material angebracht ist".
Das zweite Merkmal schränkt nur das erste ein. Gemäß dem Verfahren von Anspruch 9 ist der Faserwerkstoff nicht rundherum geschlossen auf der Außenseite des Schaums angebracht, hat also in Umfangsrichtung mindestens eine Lücke.
Diese Auslegung ist durch Absatz [0025] und die Figuren 1-8 gestützt.
Darüber hinaus erachtet die Kammer das Merkmal "sodass der Faserwerkstoff durch das schäumbare Material an die Innenwand des Hohlraums gepresst wird während die Härtende Klebstoffzusammensetzung noch nicht ausgehärtet ist" als klar.
Das schäumbare Material wird geschäumt wie in Anspruch 1 definiert ("Schäumen des schäumbaren Materials") und dadurch ("sodass") wird der Faserwerkstoff an die Innenwand des Hohlraums gepresst. Das heißt der Faserwerkstoff wird in Kontakt mit der Innenwand des Holraums kommen, während die härtende Klebstoffzusammensetzung noch nicht ausgehärtet ist. Die "Innenwand" des Hohlraums in Anspruch 1 ist zwar nicht vorher definiert, ist aber ein inhärentes Merkmal eines Hohlraums eines strukturellen Bauteils und ist daher klar.
2.3 Unzulässige Erweiterung - Artikel 123(2) EPÜ
Das Merkmal "wobei der Faserwerkstoff (3) nicht rundherum geschlossen auf dem schäumbaren Material (2) angebracht ist" wurde aus der Passage auf Seite 7, Zeilen 23-25, der ursprünglich eingereichten Anmeldung ohne das Merkmal "um die Ausdehnung des schäumbaren Materials zu erlauben" in Anspruch 1 aufgenommen.
Die Kammer ist der Auffassung, dass "um die Ausdehnung des schäumbaren Materials zu erlauben" die implizite Konsequenz davon ist, dass der Faserwerkstoff nicht rundherum geschlossen auf dem schäumbaren Material angebracht ist. Das Weglassen dieser Konsequenz führt daher nicht zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung.
Das Merkmal "sodass der Faserwerkstoff durch das schäumbare Material an die Innenwand des Hohlraums gepresst wird während die härtende Klebstoffzusammensetzung noch nicht ausgehärtet ist", ist auf Seite 3, Zeilen 5-9 der ursprünglich eingereichten Anmeldung offenbart. Diese Passage offenbart zwar nicht explizit, dass das schäumbare Material geschäumt wird; dies ist aber implizit, sonst würde das schäumbare Material den Faserwerkstoff nicht an die Innenwand der Hohlraum pressen.
Darüber hinaus ist das Merkmal auf Seite 3, Zeilen 5-9 der Anmeldung, dass sich der Faserwerkstoff dadurch Hohlräumen beliebiger Struktur anpasst und die Verstärkung auch an schwer zugänglichen Stellen ermöglicht, eine direkte Folge des eingeführten Merkmals. Der Verfahrensschritt, der die Erzielung dieses Ergebnisses ermöglicht, ist in Anspruch 1 angegeben. Das Ergebnis ist implizit und muss daher nicht in Anspruch 1 aufgenommen werden.
3. Erfinderische Tätigkeit - Artikel 56 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3.1 Ausgehend von L12
3.1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem der L12 indem: "der Faserwerkstoff durch das schäumbare Material an die Innenwand des Hohlraums gepresst wird". In L12 wird der Faserwerkstoff (28) nicht an die Innenwand des Hohlraums gepresst, sondern von der Innenwand weggedrückt. Dies wird von den Parteien nicht bestritten.
Der oben genannte Unterschied hat den Effekt, dass der Faserwerkstoff sich an Hohlräume beliebiger Struktur anpasst und die Verstärkung auch an schwer zugänglichen Stellen ermöglicht (Absatz [0010] des Patents).
Die Aufgabe kann darin gesehen werden, ein Verfahren zur Verstärkung in Hohlräume von strukturellen Bauteilen bereitzustellen, das eine Verstärkung an schwer zugänglichen Stellen ermöglicht.
L6 befasst sich zwar mit Verstärkungselementen von strukturellen Bauteilen von Fahrzeugen, inklusive Türen (L6, Absätze [0002], [0042]), L6 befasst sich aber nicht speziell mit der oben genannten Aufgabe. Der Fachmann würde die Lehre der L6 daher nicht in Betracht ziehen.
Aber selbst wenn der Fachmann L6 in Betracht ziehen würde, lehrt L6 nicht, den Faserwerkstoff (24) an die Innenwand des Hohlraums zu pressen, bzw. in Kontakt mit der Innenwand zu bringen.
In L6 (siehe Figuren) bleibt der Faserwerkstoff (24, 58, 60) in der Mitte des Hohlraums umgeben von Schaummaterial (20, 22, 50, 52, 54). Absatz [0018] der L6 offenbart, dass der erste Teil (20) und der zweite Teil (22) des Matrixmaterials vorzugsweise so ausgewählt werden, dass sie unter einer gewünschten Bedingung aktiviert werden, um zu erweichen, zu expandieren, zu schäumen oder auf andere Weise Zustände zu ändern, so dass das Schaummaterial benachbarte Oberflächen benetzen kann und vorzugsweise an angrenzende Oberflächen binden kann.
Der Fachmann hat durch L6 keinen Anreiz, Maßnahmen zu ergreifen, damit der Faserwerkstoff gegen die Innenwand des Hohlraums gepresst wird.
3.1.2 Ausgehend von L12 ist die Beschwerdeführerin der Auffassung, dass die zu lösende Aufgabe darin gesehen werden kann, ein alternatives Verfahren zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen bereitzustellen.
Ausgehend von der Lehre der L12 in Kombination mit der Lehre der L6 (Absätze [0044], [0047] und [0048]) ist die Beschwerdeführerin der Meinung, dass der Fachmann entweder die Dicke der Verstärkungskomponente (Faserwerkstoff, Schaummaterial oder härtender Klebstoff) erhöhen oder die Größe des Hohlraums verkleinern oder die Treibmittelmenge in der schäumbare Material erhöhen würde, sodass das Verstärkungsmaterial mit der gegenüberliegenden Innenwand des Hohlraums in Kontakt kommen würde.
3.1.3 Die Kammer ist davon nicht überzeugt. Auch wenn die betrachtete Aufgabe darin besteht, ein alternatives Verfahren bereitzustellen, ist der Fachmann ausgehend von L12 nicht veranlasst, den gesamten Hohlraum mit dem Verstärkungselement auszufüllen, oder Maßnahmen zu ergreifen, damit das Verstärkungselement mit den anderen Wänden des Hohlraums in Kontakt kommt. Das Verstärkungselement von L12 hat die Form eines Streifens, der an einer Seite des Hohlraums befestigt ist. Der Zweck des Verstärkungsmaterials von L12 besteht nicht darin, den gesamten Hohlraum zu verstärken, sondern eine Seite des Hohlraums der Tür zu verstärken. Es besteht somit kein Anreiz für den Fachmann, das Verstärkungselement mit den anderen Wänden des Hohlraums in Kontakt zu bringen.
Darüber hinaus lehrt L6 den Fachmann, auf jeder Seite des Faserwerkstoffs ein Matrixmaterial zu verwenden, ohne das Matrixmaterial auf der einen Seite von demjenigen auf der anderen Seite zu unterscheiden (Menge, Zusammensetzung...), sodass der Faserwerkstoff in der Mitte des Matrixmaterials verbleiben wird. L6 lehrt daher gerade nicht, den Faserwerkstoff an eine Innenwand des Hohlraums zu pressen, sodass er mit der Innenwand des Hohlraums in Kontakt kommt.
3.2 Ausgehend von L6
3.2.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich von dem der L6 indem
(i)- der Faserwerkstoff durch das schäumbare Material an die Innenwand des Hohlraums gepresst wird; und
(ii)- die Schäumungstemperatur des schäumbaren Materials zwischen 90 °C und 140 °C liegt und die Aushärtungstemperatur der hitzehärtenden Klebstoffzusammensetzung zwischen 160°C und 200°C liegt.
3.2.2 Für die zwei oben genannten Unterschiede kann jeweils eine Teilaufgabe definiert werden:
Die mit dem Unterschied (i) verbundene Aufgabe kann darin gesehen werden, ein Verfahren zur Verstärkung in Hohlräumen von strukturellen Bauteilen bereitzustellen, das eine Verstärkung an schwer zugänglichen Stellen ermöglicht.
Die mit dem Unterschied (ii) verbundene Aufgabe kann in der Bereitstellung eines Verstärkungsmaterials, das unter bestimmten erhöhten Temperaturen verwendet werden kann, gesehen werden.
3.2.3 L6 enthält keinen Hinweis darauf, den Faserwerkstoff durch das schäumbare Material an die Innenwand des Hohlraums zu pressen, d.h. mit der Innenwand des Hohlraums in Kontakt zu bringen. In L6 bleibt der Faserwerkstoff zwischen zwei Schichten von schäumbarem Material. Ausgehend von L6 hat der Fachmann keinen Anreiz, den Faserwerkstoff an die Innenwand des Hohlraums zu pressen. Der Fachmann würde daher nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.
4. Das Patent in der Fassung gemäß Hilfsantrag 1 genügt somit den Erfordernissen des EPÜ.
Beide Parteien sind sich einig, dass die Anpassung der Beschreibung an den Hilfsantrag 1 im schriftlichen Verfahren vor der Einspruchsabteilung durchgeführt werden möge.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent in eingeschränktem Umfang auf der Grundlage des Hilfsantrags 1, wie eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung, einer noch anzupassenden Beschreibung und den Figuren wie erteilt aufrechtzuerhalten.