T 2703/19 12-10-2022
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Vorrichtung zum Behandeln von Verpackungen
Neuheit - Hauptantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Spät eingereichte Hilfsanträge - zugelassen (nein)
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, Patent EP 2 420 258 unter Artikel 101(3)(a) EPÜ in geänderter Form aufrechtzuerhalten.
II. Im Einspruchsverfahren war das Patent auf der Grundlage des Artikels 100 a) EPÜ wegen mangelnder Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und mangelnder erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) sowie des Artikels 100 b) EPÜ angegriffen worden.
III. Im Einspruchsverfahren wurde auf die folgenden Dokumente verwiesen:
D0: DE 2001 03071 U1
D1': WO 2010/108531
D2: US 2010/0199604
D3: WO 2010/024165
D3': US 2011/0146202
D4: US 2003/0141620
HBP1: Auszug aus "Hütte, das Ingenieurwissen",
33. Auflage, Abschnitt 4.6
HBP2: Auszug aus "Dubbel, Taschenbuch für den
Maschinenbau", 22. Auflage, Seite 81
HBP3: Auszug aus "DUDEN Deutsches Universal
Wörterbuch A-Z", 3. Auflage, Seite 240
HBP4: "Der Brockhaus - Naturwissenschaft und
Technik", Seite 225
Bei Dokument D3 handelt es sich um die Veröffentlichung einer internationalen Patentanmeldung in japanischer Sprache. Dokument D3' ist ein Dokument derselben Patentfamilie in englischer Sprache, das jedoch nach dem Prioritätstag des Streitpatents veröffentlicht wurde und daher keinen Stand der Technik im Sinne des Artikels 54(2) EPÜ darstellt. Da jedoch beide Parteien den Inhalt der beiden Dokumente als im Wesentlichen identisch erachteten und während des Verfahrens die Offenbarung des Dokuments D3' heranzogen, wird auch in der vorliegenden Entscheidung auf Dokument D3' Bezug genommen, im Verständnis dass die herangezogenen Passagen des Dokuments D3' mit den entsprechenden Passagen des Dokuments D3 übereinstimmen.
IV. Die Einspruchsabteilung vertrat in ihrer Entscheidung die Auffassung, das erteilte Patent erfülle die Erfordernisse des Artikels 100 b) EPÜ und der Gegenstand des Anspruchs 1 sei neu gegenüber der Offenbarung der Dokumente D0, D1' und D3/D3' (Artikel 54 EPÜ). Jedoch beruhe der beanspruchte Gegenstand ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D3/D3' nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
Bezüglich des ihr vorliegenden Hilfsantrags 1 kam die Einspruchsabteilung ebenfalls zu der Schlussfolgerung, dass der darin beanspruchte Gegenstand ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D3/D3' nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (Artikel 56 EPÜ).
Dahingegen erfülle Hilfsantrag 2 auch das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ. Dem Fachmann werde weder die Vorrichtung gemäß Anspruch 1, noch das Verfahren gemäß Anspruch 7 durch den vorgelegten Stand der Technik nahegelegt. Die Einspruchsabteilung argumentierte erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Offenbarung der Dokumente D3/D3' und D0 als nächstliegendem Stand der Technik.
V. Die Einsprechende begründete ihre Beschwerde damit, dass die Entscheidung der Einspruchsabteilung fehlerhaft sei. Ihrer Ansicht nach sei der Gegenstand des aufrechterhaltenen Hilfsantrags 2 nämlich weder neu (Artikel 54 EPÜ), noch beruhe er auf einer erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ).
VI. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK informierte die Kammer die Parteien am 3. Juni 2022 über ihre vorläufige Einschätzung der Sach- und Rechtslage. Darin teilte sie den Parteien mit, dass der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene Hilfsantrag 2 (Hauptantrag der Patentinhaberin) hinsichtlich der Offenbarung des Dokuments D3/D3' nach vorläufiger Auffassung der Kammer das Erfordernis der Neuheit erfülle (Artikel 54 EPÜ), und dass während der mündlichen Verhandlung gegebenenfalls erfinderische Tätigkeit ausgehend von der Offenbarung der Dokumente D3/D3', D2 sowie D0 zu erörtern sein könnte.
VII. Am 28. Juli 2022 reichte die Beschwerdegegnerin die Hilfsanträge 3 bis 7 ein.
VIII. Am 12. Oktober 2022 fand eine mündliche Verhandlung statt.
IX. Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags (von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Hilfsantrags 2) hat den folgenden Wortlaut:
"Vorrichtung (1) zum Behandeln von Behältern (10) mit wenigstens einer Transporteinrichtung (2), welche die Behälter (10) entlang eines vorgegebenen Transportpfades transportiert, wobei die Transporteinrichtung (2) ein Transportelement (8) aufweist, welches wenigstens einen Bereich der Behälter (10) während des Transports über eine erste Kontaktfläche (12) kontaktiert, und mit wenigstens einer Behandlungseinrichtung (4), welche die Behälter (10) in einer vorgegebenen Weise behandelt, wobei die Behandlungseinrichtung (4) ein Behandlungselement (6) aufweist, welches wenigstens zeitweise über eine zweite Kontaktfläche (14) mit einer Oberfläche der Behälter (10) in Kontakt steht,
dadurch gekennzeichnet, dass
wenigstens eine Kontaktfläche (12, 14) eine keimabtötende Beschichtung aufweist, wobei die Vorrichtung (1) einen Reinraum aufweist, innerhalb dessen die Behälter (10) transportiert werden und das Transportelement (8) aus einer Gruppe von Transportelementen ausgewählt ist, welche Greifklammern, Heizdorne und Sortierrollen enthält wobei die Vorrichtung (1) eine Sterilisationseinrichtunq (35) aufweist, welche die Behälter wenigstens abschnittsweise sterilisiert., wobei die Behälter mit einem Sterilisationsmittel beaufschlagt werden und das Sterilisationsmittel Wasserstoffperoxid oder Peressigsäure ist."
X. In ihrer Beschwerdebegründung und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen folgendes vor:
Der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene Hilfsantrag 2 erfülle nicht das Erfordernis des Artikels 54 EPÜ, weil die darin beanspruchte Vorrichtung nicht neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D3/D3' sei. Dieses Dokument offenbare sämtliche Merkmale, auf die von der Beschwerdegegnerin verwiesen wurde, und zwar in Kombination.
Ebenso wenig erfülle der Antrag das Erfordernis des Artikels 56 EPÜ. Der beanspruchte Gegenstand beruhe nämlich nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, und zwar unabhängig davon, welches der Dokumente D0, D2 oder D3/D3' als nächstliegender Stand der Technik herangezogen werde. Etwaige Unterscheidungsmerkmale entnehme der Fachmann entweder dem Dokument D3/D3' selbst, oder auch dem Dokument D4. Daher gelange er in naheliegender Weise zu der beanspruchten Vorrichtung.
Die Beschwerdeführerin argumentierte zudem, dass die von der Beschwerdegegnerin erst nach der Mitteilung der Kammer vorgelegten Hilfsanträge 3 bis 7 nicht ins Verfahren zuzulassen seien, da diese verspätet vorgelegt worden seien.
XI. In ihrer Antwort auf die Beschwerdebegründung und im weiteren Verfahren brachte die Beschwerdegegnerin im Wesentlichen folgendes vor:
Die Vorrichtung gemäß Anspruch 1 unterscheide sich von der im Dokument D3/D3' offenbarten Vorrichtung nicht nur durch das bereits von der Einspruchsabteilung festgestellte Merkmal, sondern durch eine Vielzahl weiterer Merkmale. Der Hauptantrag erfülle daher das Erfordernis der Neuheit (Artikel 54 EPÜ).
Auch beruhe der darin beanspruchte Gegenstand auf einer erfinderischen Tätigkeit, und zwar unabhängig davon, welches der Dokumente D0, D2 oder D3/D3' der Fachmann als nächstliegenden Stand der Technik heranziehen würde. Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin erfülle jedoch lediglich Dokument D3/D3' das Erfordernis eines nächstliegenden Stands der Technik.
Die Hilfsanträge 3 bis 7 seien bereits implizit im Verfahren, da die identischen Anträge schon im Einspruchsverfahren vorgelegt wurden. Die Hilfsanträge seien daher zu berücksichtigen. Das erneute Vorbringen dieser Anträge im Beschwerdeverfahren erst nach der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung sei durch die mit Corona-bedingten Maßnahmen zusammenhängenden Kommunikationsprobleme begründet. Dies müsse ebenfalls bei der Frage der Zulässigkeit dieser Anträge berücksichtigt werden.
XII. Anträge der Parteien
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Europäischen Patents Nr. 2420258 in vollem Umfang. Weiter beantragt sie, die Dokumente D15 bis D23 und das Dokument "MSP1" (eingereicht am 21 Juni 2022) bei Bedarf ins Verfahren zuzulassen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Zurückweisung der Beschwerde, als Hauptantrag, hilfsweise die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderten Umfang auf Basis der bereits im Einspruchsverfahren vorgelegten Hilfsanträge 3 bis 7, erneut vorgelegt im Beschwerdeverfahren am 28 Juli 2022. Sie beantragt zudem die Nichtzulassung der Dokumente D15 bis D23.
Hauptantrag - Hilfsantrag 2 im Einspruchsverfahren
Neuheit (Artikel 100 a) und 54 EPÜ)
1. Die Einspruchsabteilung hat in ihrer Entscheidung Neuheit für die im Anspruch 1 des Streitpatents beanspruchte Vorrichtung insbesondere gegenüber der Offenbarung des Dokuments D3/D3' anerkannt. Ihrer Ansicht nach offenbare dieses Dokument nicht das anspruchsgemäße Merkmal "... dass wenigstens eine Kontaktfläche (12, 14) eine keimabtötende Beschichtung aufweist, ...". Anspruch 1 des vorliegenden Hauptantrags enthält ebenfalls dieses Merkmal. Des Weiteren wurde Anspruch 1 gegenüber Anspruch 1 des erteilten Patents um zusätzliche Merkmale ergänzt.
2. Von der Beschwerdeführerin wurde vorgebracht, dass im Dokument D3/D3' im Gegensatz zur Auffassung der Einspruchsabteilung bereits das vorstehend genannte, sich auf die keimabtötende Beschichtung beziehende Merkmal, offenbart werde. Ihrer Ansicht nach weise die darin offenbarte Vorrichtung darüber hinaus auch alle weiteren Merkmale von Anspruch 1 des Hauptantrags auf.
Dem widersprach die Beschwerdegegnerin.
3. Einigkeit zwischen den Parteien herrschte dahingehend, dass im Dokument D3/D3' eine "Vorrichtung zum Behandeln von Behältern" offenbart wird (Abbildungen 1 und 2), "mit wenigstens einer Transporteinrichtung, welche die Behälter entlang eines vorgegebenen Transportpfades transportiert," (Abbildung 5: "conveyer line") "wobei die Transporteinrichtung ein Transportelement aufweist, welches wenigstens einen Bereich der Behälter während des Transports über eine erste Kontaktfläche kontaktiert," (Absatz [0092]: "gripper") "und mit wenigstens einer Behandlungseinrichtung, welche die Behälter in einer vorgegebenen Weise behandelt" (Abbildung 2 und Absatz [0119]: "blow-molding machine (52)").
Des Weiteren wird im Dokument D3/D3' offenbart, dass "das Transportelement aus einer Gruppe von Transportelementen ausgewählt ist, welche Greifklammern, Heizdorne und Sortierrollen enthält" (Absatz [0092]: "gripper"). Auch diesbezüglich herrschte Einigkeit zwischen den Parteien.
4. Die Beschwerdegegnerin brachte vor, die im Hauptantrag beanspruchte Vorrichtung unterscheide sich von einer im Dokument D3/D3' offenbarten durch die nachfolgenden Merkmale. Von der Beschwerdeführerin wurde auf die jeweils angegebenen Passagen des Dokuments verwiesen:
4.1 "... wobei die Behandlungseinrichtung (4) ein Behandlungselement (6) aufweist, welches wenigstens zeitweise über eine zweite Kontaktfläche (14) mit einer Oberfläche der Behälter (10) in Kontakt steht, ..."
Die Beschwerdeführerin sah dieses Merkmal durch die in den Abbildungen 1 und 2 sowie im Absatz [0066] und im Absatz [0119] mit Ziffer 52 gekennzeichnete "blow-molding machine" realisiert, deren Form mit den zugeführten Vorformlingen in Kontakt stehe.
Die Kammer folgt dem Vorbringen der Beschwerdeführerin.
Die im Dokument D3/D3' offenbarte Vorrichtung zum Behandeln von Behältern (Abbildungen 1 und 2) verfügt unter anderem über eine Behandlungseinrichtung, welche die Behälter in einer vorgegebenen Weise behandelt (Abbildung 2 und Absatz [0119]: "blow-molding machine (52)"), und welche ein Behandlungselement aufweist (die Form), welches wenigstens zeitweise - nämlich während des formgebenden Blasformverfahrens (siehe Absatz [0119] sowie Abbildung 7: "The blow-molding machine 52 streches the preform...") - über eine zweite Kontaktfläche (die Innenwand der Form) mit der Oberfläche der hergestellten Behälter in Kontakt steht.
Das genannte Merkmal wird daher im Dokument D3/D3' offenbart.
4.2 "... dass wenigstens eine Kontaktfläche (12, 14) eine keimabtötende Beschichtung aufweist, ..."
Von der Beschwerdeführerin wurde hierzu zunächst darauf verwiesen, dass der anspruchsgemäße Begriff breit auszulegen sei. Anspruch 1 erfordere insbesondere nicht, dass eine Beschichtung über einen bestimmten, längeren Zeitpunkt oder gar permanent auf einer Oberfläche haften müsse. Für diese Auslegung verwies die Beschwerdeführerin auch auf die Dokumente HBP1 bis HBP4. Diesen sei zu entnehmen, dass eine Beschichtung keineswegs als dauerhafte Veränderung einer Oberfläche anzusehen sei, sondern vielmehr auch eine temporär aufgebrachte Substanz als Beschichtung angesehen werden könne. Die in den Absätzen [0064] bis [0066] des Dokuments D3/D3' offenbarte Sterilisation der Oberflächen der Formmaschinen unter Verwendung einer chemischen Substanz sei daher dahingehend zu verstehen, dass dies dazu führe, dass die die Formmaschinen umfassende Vorrichtung gemäß Dokument D3/D3' eine keimabtötende Beschichtung aufweise.
Diese Argumentation überzeugt nicht, die Kammer folgt daher dem Vorbringen der Beschwerdegegnerin.
Ungeachtet der Frage, ob unter einer Beschichtung eine permanente oder lediglich eine temporäre Oberflächenveränderung zu verstehen ist, wird im Dokument D3/D3' das vorstehend genannte Merkmal nicht offenbart.
Dokument D3/D3' offenbart insbesondere in den von der Beschwerdeführerin herangezogenen Absätzen [0064] bis [0066], dass sowohl die äußeren als auch die inneren Oberflächen der verwendeten Formmaschinen Sterilisationsbehandlungen unterzogen werden, und zwar unter Anwendung chemischer Substanzen, wie beispielsweise Peressigsäure, Wasserstoffperoxid, Wasserstofperoxidgas, Ozon oder auch Chlorverbindungen, sowie auch durch Hitzesterilisation unter Verwendung von aseptischem Wasser hoher Temperatur. Bezüglich der Durchführung der Sterilisation offenbart das Dokument, dass die Oberflächen nach der Sterilisation unter Verwendung der genannten chemischen Substanzen mit aseptischen Wasser gewaschen und anschließend getrocknet werden. Der Fachmann entnimmt dem, dass durch das beschriebene Vorgehen die Oberflächen gereinigt bzw. sterilisiert und wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzt werden. Er wird dies jedoch nicht dahingehend interpretieren, dass die Oberflächen mit einem Sterilisationsmittel beschichtet werden, bzw. dass eine Kontaktfläche der Vorrichtung eine durch diese Behandlung hervorgerufene keimabtötende Beschichtung aufweist, zumal auch die Sterilisation mit heißem Wasser als Sterilisationsvariante offenbart wird.
Im Streitpatent wird in Bezug auf die keimabtötende Beschichtung durch Verweis auf den Stand der Technik erläutert, dass hierfür Silber- oder Titanoxid (Absatz [0003], oder auch Kupfer-Edelstahllegierungen (Absatz [0004]) Verwendung finden. Bezüglich der beanspruchten Erfindung wird auf eine Modifikation der Oberflächen durch eine Behandlung verwiesen, die diesen Oberflächen eine keimabtötende Wirkung verleiht (Absatz [0006]). Vorgeschlagen wird als keimabtötende Beschichtung eine Silberionenbeschichtung (Absatz [0009]).
Insgesamt wird der Fachmann daher in den von der Beschwerdeführerin herangezogenen Passagen des Dokuments D3/D3' nicht die Offenbarung einer Kontaktfläche sehen, die eine keimabtötende Beschichtung aufweist.
Das genannte Merkmal wird daher im Dokument D3/D3' nicht offenbart.
4.3 "... wobei die Vorrichtung (1) einen Reinraum aufweist, innerhalb dessen die Behälter (10) transportiert werden ..."
Die Beschwerdeführerin verwies hierzu insbesondere auf die in den Abbildungen 1 und 2 des Dokuments D3/D3' mit Bezugszeichen I bezeichnete "clean box".
Die Argumentation der Beschwerdeführerin überzeugt.
Aus den Abbildungen 2, 5 und 1 des Dokuments D3/D3' geht hervor, dass die beschriebene Vorrichtung über einen als "clean box" bezeichneten Bereich verfügt, innerhalb dessen Behälter transportiert werden. Auch wenn dieser Bereich in den Abbildungen nicht abgeschlossen dargestellt wird - sondern durch eine Schlangenlinie oder eine unterbrochene Linie abgegrenzt dargestellt wird - kann nicht gefolgert werden, dass der Bereich tatsächlich nicht abgeschlossen, also unendlich ist. Auch wenn er, wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht, ein gigantisches Ausmaß annähme, wird das Merkmal offenbart. Zudem überzeugt das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass der Fachmann den Begriff "clean box" im verwendeten Zusammenhang als Reinraum versteht.
Das genannte Merkmal wird somit im Dokument D3/D3' offenbart.
4.4 "... wobei die Vorrichtung (1) eine Sterilisationseinrichtung (35) aufweist, welche die Behälter wenigstens abschnittsweise sterilisiert, ..."
Von der Beschwerdeführerin wurde auf Absatz [0093] des Dokuments D3/D3' verwiesen. Darin werde offenbart, dass die die Formprozesse durchlaufenden Behältnisse in einem "heated sterilizing state" gehalten würden.
Auch bezüglich dieses Merkmals überzeugt die Argumentation der Beschwerdeführerin.
Insbesondere wird im Absatz [0093] auf einen als "heat sterilized state" bezeichneten Zustand verwiesen, in dem sich die das Blasformen durchlaufenden Behälter befinden. Durch Erhitzen der Behälter werden diese sterilisiert, die Vorrichtung zum Erhitzen der Behälter stellt somit eine Sterilisationseinrichtung dar.
Das genannte Merkmal wird deshalb im Dokument D3/D3' ebenfalls offenbart.
4.5 "... wobei die Behälter mit einem Sterilisationsmittel beaufschlagt werden und das Sterilisationsmittel Wasserstoffperoxid oder Peressigsäure ist."
Von der Beschwerdeführerin wurde diesbezüglich darauf verwiesen, dass die im Dokument D3/D3' offenbarte Vorrichtung über eine Einrichtung zur Sterilisation mittels Peressigsäure verfüge (Bezugszeichen 59 in Abbildung 1 und Absatz [0073]). Zwar würden hiermit Behälterdeckel sterilisiert, jedoch seien auch Deckel gemäß Streitpatent als Teil der Behälter anzusehen (Absatz [0008] des Streitpatents).
Des Weiteren offenbare Dokument D3/D3" auch einen Bereich der Vorrichtung, in dem die zuvor hergestellten Flaschen gegebenenfalls zusätzlich sterilisiert werden könnten ("wet-blowing zone WBZ", Bezugszeichen WBZ 54 in den Abbildungen 1 und 2 sowie im Absatz [0098]). Nach Auffassung der Beschwerdeführerin würde der Fachmann diese Flaschensterilisation zweifelsfrei ebenfalls mit den in der Beschreibung des Dokuments angegebenen Substanzen Wasserstoffperoxid oder Peressigsäure durchführen (Seite 8, Absatz 2; Seite 9, Absatz 2).
Somit offenbare das Dokument sogar zwei Varianten der Realisierung des genannten Merkmals.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin bezüglich dieses Merkmals überzeugt nicht.
Zunächst betrifft der von der Beschwerdeführerin herangezogene Absatz [0073] des Dokuments D3/D3' tatsächlich lediglich die Sterilisation von Deckeln. Zwar werden insbesondere Deckel (Verschlüsse) gemäß Absatz [0008] des Streitpatents als Bestandteile der eigentlichen Behälter verstanden, allerdings offenbart Dokument D3/D3' im Zusammenhang mit der Steilisation von Deckeln nicht die weiteren Merkmale des Anspruchs 1 gemäß Streitpatent. Insbesondere handelt es sich bei der im Dokument D3/D3' beschriebenen Maschine zur Sterilisation von Deckeln um eine separate Einheit der Vorrichtung (siehe Teil "E: cap-sterilizing unit") gemäß Abbildung 1, für die beispielsweise keine Transporteinrichtung beschrieben wird. Diese ist dort nämlich Teil derjenigen Einheit, in der die mit den Deckeln zu versehenden Flaschen ausgeformt werden (siehe die Abbildung 5). Gemäß Anspruch 1 des Streitpatents handelt es sich jedoch bei den mit der Transporteinrichtung transportierten, und mit dem Sterilisationsmittel beauftragten Gegenstände jeweils um dieselben Behälter, die durch die beanspruchte Vorrichtung behandelt werden, nicht jedoch um getrennte Behälterteile wie im Dokument D3/D3'. Somit ist das strittige Merkmal im Dokument D3/D3' zumindest nicht in Kombination mit dem Merkmal einer Transporteinrichtung offenbart, welche die Behälter entlang eines vorgegebenen Transportpfades transportiert.
Die zweite Offenbarung des Dokuments D3/D3' wiederum, auf die sich die Beschwerdeführerin bezieht, offenbart das genannte Merkmal nicht unmittelbar und eindeutig.
Zwar wird im Absatz [0098] offenbart, dass zur weiteren Erhöhung des Sterilitätsgrades der Flaschen eine Flaschensterilisationsmaschine für den Fall vorhanden sein kann, dass zwischen der Blasformmaschine und der Flaschenfüllmaschine eine Einheit "WBZ" vorhanden ist, jedoch wird dem Fachmann an dieser Stelle kein Sterilisationsverfahren offenbart. Dass diese Sterilisation zwingend mit aus Absatz [0064] ausgewählten Sterilisationsmitteln (Wasserstoffperoxid oder Peressigsäure) durchzuführen ist, und nicht - wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht - vielmehr mit anderen, dem Fachmann ebenfalls bekannten Sterilisationsverfahren, wie Bestrahlung, wird jedoch im Dokument D3/D3' nicht offenbart.
5. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass im Dokument D3/D3' eine Vorrichtung offenbart wird, die zwar die unter den Punkten 4.1, 4.3 und 4.4 der vorliegenden Entscheidung genannten Merkmale aufweist, nicht jedoch die unter den Punkten 4.2 und 4.5 genannten. Die Vorrichtung gemäß Anspruch 1 ist daher neu gegenüber der Offenbarung des Dokuments D3/D3'.
Der vorliegende Hauptantrag erfüllt die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ.
Erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) und 56 EPÜ)
6. Im Einspruchsverfahren war das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit anerkannt worden. Die Einspruchsabteilung erachtete Dokument D3/D3' als nächstliegenden Stand der Technik und sah in der Beaufschlagung der Behälter mit Wasserstoffperoxid oder Peressigsäure ein Unterscheidungsmerkmal. Sie sah das gelöste technische Problem in der Bereitstellung einer Vorrichtung, die während der Behälterherstellung eine sterile Umgebung garantiere und die besagten Behälter effektiv sterilisiere. Die anspruchsgemäß vorgeschlagene Lösung werde dem Fachmann durch keines der Dokumente D3/D3' oder D4 nahegelegt. Auch ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D0 liege ihrer Ansicht nach erfinderische Tätigkeit vor.
7. Die Beschwerdeführerin widersprach dieser Einschätzung. Sie argumentierte, der beanspruchte Gegenstand werde dem Fachmann sowohl ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D3/D3', als auch D0 nahegelegt.
8. Von der Beschwerdegegnerin wurde die streitpatentgemäße Erfindung dahingehend erläutert, dass Vorrichtungen zum Behandeln von Behältern, insbesondere Flaschen, prinzipiell neben Behandlungseinrichtungen, beispielsweise zur Etikettierung oder zur Plasmabeschichtung der Flaschen, immer auch mit Transporteinrichtungen ausgestattet seien. Ein bekanntes Problem sei hierbei insbesondere die Verschmutzung von mit den Behältern während des Transports in Kontakt gelangenden Flächen der Vorrichtungen, was zu einer Keimbelastung führen könne. Diesem Problem widme sich die beanspruchte Erfindung. Sie schlage Maßnahmen vor zur Verhinderung von Verkeimung, insbesondere nach der Ausformung der Behälter, sowie zur Verringerung des Verbrauchs an Sterilisationsmitteln.
Nächstliegender Stand der Technik
9. Von den Parteien wurde erfinderische Tätigkeit zunächst ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D3/D3' argumentiert. Das Dokument D3/D3' beschäftigt sich mit Vorrichtungen zur Ausformung und Befüllung von Behältern, insbesondere von Flaschen. Die Vorrichtungen enthalten Transporteinrichtungen. Auch wird im Dokument auf die Problematik der Sterilisation von Oberflächen der Vorrichtungen hingewiesen (siehe beispielsweise die Absätze [0001] und [0064] bis [0066]). Das Dokument bezieht sich daher auf dasselbe technische Gebiet wie das Streitpatent, und weist auf Probleme hin, die nach den vorstehenden Ausführungen der Beschwerdegegnerin auch gemäß Streitpatent gelöst werden sollen. Dokument D3/D3' stellt somit ein geeignetes Dokument zur Beurteilung von erfinderischer Tätigkeit dar.
Unterscheidungsmerkmal und technische Aufgabe
10. Wie vorstehend festgestellt, unterscheidet sich die im Anspruch 1 des Hauptantrags beanspruchte Vorrichtung von einer im Dokument D3/D3' offenbarten Vorrichtung dadurch,
"... dass wenigstens eine Kontaktfläche (12, 14) eine keimabtötende Beschichtung aufweist, ..." (siehe vorstehender Punkt 4.2),
sowie durch das Merkmal:
"... wobei die Behälter mit einem Sterilisationsmittel beaufschlagt werden und das Sterilisationsmittel Wasserstoffperoxid oder Peressigsäure ist." (siehe vorstehender Punkt 4.5).
11. Die beiden Parteien vertraten übereinstimmend die Auffassung, dass aufgrund der genannten Unterscheidungsmerkmale die gelöste, objektive technische Aufgabe in der Bereitstellung einer Vorrichtung zum Behandeln von Behältern zu sehen ist, die einerseits zu einem erhöhten Sterilisationsgrad führt, und andererseits zu einer verringerten Rekontamination der behandelten Behälter. Die Kammer schließt sich dieser Auffassung an.
Vorgeschlagene Lösung
12. Zur Lösung der gestellten Aufgabe wird anspruchsgemäß vorgeschlagen, eine aus Dokument D3/D3' bekannte Vorrichtung durch die beiden vorstehend genannten Maßnahmen abzuändern.
12.1 Eine erste Maßnahme besteht somit darin, dass wenigstens eine der Kontaktflächen, die den Behälter kontaktiert, eine keimabtötende Beschichtung aufweist. Die Kontaktfläche ist dabei entweder die Kontaktfläche eines Transportelements einer Transporteinrichtung, oder die eines Behandlungselements einer Behandlungseinrichtung.
12.2 Die zweite Maßnahme besteht darin, dass die Behälter mit einem Sterilisationsmittel, und zwar entweder Wasserstoffperoxid und Peressigsäure, beaufschlagt werden.
Naheliegen der vorgeschlagenen Lösung
13. Zunächst stimmten beide Parteien der Ansicht zu, dass durch die beiden genannten Maßnahmen keine synergistische Wirkung erzielt wird. Demgemäß kann für beide Maßnahmen unabhängig voneinander untersucht werden, ob sie dem dem Fachmann durch den vorliegenden Stand der Technik zur Lösung der gestellten Aufgabe nahegelegt werden.
Dies trifft für beide Maßnahmen zu.
13.1 Der Fachmann wird im Dokument D3 im Zusammenhang mit der Sterilisation der zur Herstellung von Flaschen (also Behältern) verwendeten Formen darauf hingewiesen, dass auch die inneren Oberflächen dieser Formen kontaminiert sein können, und daher eine Behandlung dieser Oberflächen durchgeführt werden kann (siehe am Ende des Absatzes [0066]). Diese innere Oberfläche stellt eine Kontaktfläche des Behandlungselements einer Behandlungseinrichtung im Sinne des Anspruchs 1 des Hauptantrags dar. Auf der Suche nach einer Maßnahme zur Erhöhung des Sterilisationsgrades und zur Verhinderung von Rekontamination der mit den Formen hergestellten Behälter wird der Fachmann ausgehend von dieser Offenbarung nach einem Weg suchen, die genannten Kontaktflächen entsprechend zu behandeln.
Dokument D4 beschäftigt sich mit der Oberflächenbehandlung von geformten Gegenständen aus Polyolefin mittels antimikrobieller Substanzen (Absatz [0002]). Da durch die im Dokument D4 beschriebene Behandlung der Oberfläche ein andauernder Schutz vor mikrobieller Verunreinigung verliehen wird, wird der Fachmann ausgehend von der im Dokument D3/D3' angesprochenen Problematik dieses Dokument in Betracht ziehen. Aus Absatz [0027] des Dokuments D4 geht hervor, dass anhaltender mikrobieller Schutz erreicht wird durch Aufbringen einer antimikrobiellen Beschichtung auf die Oberfläche der für die Herstellung der Gegenstände verwendeten Formen. Als Beispiele für diese Gegenstände werden Müllbehältnisse, also Behälter, angeführt (Absatz [0005]). Daher wird der Fachmann, ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D3/D3' und auf der Suche nach einer Lösung der vorstehend genannten technischen Aufgabe beispielsweise die mit dem herzustellenden Behälter in Kontakt tretende Innenseite der verwendeten Form mit einer antimikrobiellen bzw. keimabtötenden Beschichtung versehen.
13.2 Von der Beschwerdegegnerin wurde vorgebracht, der Fachmann würde diese Behandlung nicht in Betracht ziehen, weil gemäß Dokument D4 die antimikrobielle Substanz auf den geformten Gegenstand übertragen werde, dies aber gemäß Streitpatent nicht beabsichtigt sei.
Dieses Argument überzeugt nicht.
Im vorliegenden Fall wird der Mechanismus, durch den die technische Wirkung erreicht und damit das genannte technische Problem gelöst wird, als nicht ausschlaggebend dafür erachtet, ob bzw. warum eine bestimmte Maßnahme getroffen wird, so lange die Maßnahme dieselbe ist. Dies ist vorliegend der Fall. Durch das im Dokument D4 vorgeschlagene Aufbringen einer keimabtötenden Beschichtung wird die genannte technische Aufgabe gelöst.
13.3 Von der Beschwerdegegnerin wurde zudem vorgebracht, der Fachmann würde die im Dokument D4 offenbarte Technik nicht zur Herstellung von Flaschen verwenden.
Auch dieses Argument überzeugt nicht.
Zunächst ist Anspruch 1 nicht auf Flaschen beschränkt, sondern allgemein auf Behälter. Zudem wird auch im Dokument D4 auf Behälter im weitesten Sinne verwiesen (siehe Absatz [0005]: "trash receptacles").
13.4 Im Dokument D3 wird zudem vorgeschlagen, die von den Behältern getrennt hergestellten und zugeführten Behälterdeckel zum Zwecke der Sterilisation mithilfe von Peressigsäure zu spülen (Absatz [0073]). Zwar handelt es sich bei dem Deckel um einen separaten Teil der Flasche, jedoch wird der Fachmann dieser Offenbarung entnehmen, dass sich die vorgeschlagene Maßnahme auch zur Sterilisation der Behälter eignet. Das Beaufschlagen der im Anspruch angeführten Behälter mit Peressigsäure, um dadurch den Sterilisationsgrad der Behälter zu erhöhen, wird dem Fachmann daher bereits aus Dokument D3/D3' selbst nahegelegt. Dieses Merkmal kann somit ebenfalls nicht zu erfinderischer Tätigkeit beitragen.
13.5 Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass die anspruchsgemäß vorgeschlagene Lösung der vorstehend genannten objektiven technischen Aufgabe unter Berücksichtigung der technischen Lehren des Dokuments D3/D3' (insbesondere Absatz [0073]) und des Dokuments D4 (insbesondere Absatz [0027]) nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ).
14. Von der Beschwerdeführerin wurden weitere Dokumente vorgeschlagen, von denen sie das Naheliegen der beanspruchten Vorrichtung argumentiert hat. Da jedoch, wie vorstehend gezeigt, die Bereitstellung der beanspruchten Vorrichtung bereits ausgehend von der Offenbarung des Dokuments D3/D3' nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, erübrigt sich eine weitere Betrachtung dieser Dokumente und der sich darauf gestützten Argumentation.
15. Da der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne des Artikels 56 EPÜ beruht, ist der Antrag nicht gewährbar.
Hilfsanträge 3 bis 7 - Zulässigkeit
16. Die Hilfsanträge 3 bis 7 wurden von der Beschwerdegegnerin am 28. Juli 2022 eingereicht.
Die Beschwerdegegnerin argumentierte, die identischen Anträge seien bereits im Einspruchsverfahren vorgelegt worden, nämlich mit Schriftsatz vom 27. März 2019. Daher seien sie bereits implizit Bestandteil des Beschwerdeverfahrens. Zudem sei sie davon ausgegangen, dass ihre Beschwerdeerwiderung dahingehend verstanden werde, dass sie ihr Patent weiterhin wie im Einspruchsverfahren verteidigen möchte, also hilfsweise auf der Basis der Hilfsanträge 3 bis 7.
Des Weiteren brachte die Beschwerdegegnerin vor, zum Zeitpunkt der Einreichung der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung seien innerhalb der Kanzlei der Vertreter der Patentinhaberin aufgrund der Coronavirus-bedingten Einschränkungen Kommunikationsprobleme aufgetreten, die durch die Schwangerschaft der Vertreterin weiter erschwert wurden.
Schließlich vertrat die Beschwerdegegnerin die Auffassung, die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern sei in ihrer Fassung vom 25. Oktober 2007 (VOBK 2007) anzuwenden, da die Beschwerdeerwiderung vor dem Inkrafttreten der gegenwärtig gültigen Fassung eingereicht wurde.
17. Die Argumentation der Beschwerdegegnerin überzeugt nicht.
17.1 Zunächst wird festgestellt, dass in Bezug auf die Frage der Zulässigkeit der Hilfsanträge 3 bis 7 die Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der seit 1. Januar 2020 geltenden Fassung anzuwenden ist (Artikel 25(1) VOBK). Zwar sind gemäß Artikel 25(2) VOBK die Artikel 12(4) bis 12(6) nicht anzuwenden auf vor dem Inkrafttreten eingereichte Beschwerdebegründungen und darauf fristgerecht eingereichte Erwiderungen, jedoch bezieht sich diese Ausnahme nicht auf weitere, nach Inkrafttreten der derzeit gültigen Fassung eingereichte Schriftsätze und Anträge.
17.2 Gemäß Artikel 12(3) RPBA müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten. Die Kammer merkt an, dass dies bereits unter der früheren Verfahrensordnung eine Verpflichtung eines Beschwerdegegners war. Die Hilfsanträge 3 bis 7 wurden jedoch nicht mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung eingereicht. Des Weiteren findet sich in der Erwiderung auch kein Hinweis darauf, dass die Beschwerdegegnerin das angefochtene Patent hilfsweise auf der Grundlage dieser Anträge verteidigen möchte. Die Beschwerdegegnerin stellte einzig den Antrag, die Beschwerde zurückzuweisen. Somit stellen die Hilfsanträge 3 bis 7 eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdegegnerin dar.
Die Anträge wurden nicht nur erst nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 10. März 2022 eingereicht, sondern sogar erst als Reaktion auf die Mitteilung der Beschwerdekammer unter Artikel 15(1) RPBA vom 3. Juni 2022. Artikel 13(2) RPBA ist somit anzuwenden.
17.3 Gemäß Artikel 13(2) RPBA bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
17.4 Die Kammer kann keine außergewöhnlichen Gründe erkennen, die eine Zulassung der verspätet vorgelegten Anträge rechtfertigen könnten. Auch wenn, wie von der Beschwerdegegnerin vorgebracht, der Zeitpunkt des Einreichens der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung mit dem Beginn der Coronavirus-bedingten Maßnahmen sowie der Schwangerschaft der Vertreterin zusammenfällt, und damit verbunden Kommunikationsprobleme auftraten, rechtfertigt dies nicht das späte Vorbringen der Anträge. Wie vorstehend angeführt, erfolgte die Einreichung nicht nur nach der Ladung der Kammer zur mündlichen Verhandlung und damit bereits knapp zwei Jahre nach Einreichen der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung, sondern sogar erst nach der, weitere annähernd drei Monate später zugestellten, Mitteilung der Kammer unter Artikel 15(1) RPBA. Es ist nicht ersichtlich, warum die genannten Anträge nicht bereits früher als 28. Juli 2022 eingereicht werden konnten.
17.5 Die Kammer vermag auch keinen Kausalzusammenhang zwischen den geltend gemachten Ursachen und den fehlenden Hilfsanträgen zu erkennen. Immerhin konnte die Beschwerdegegnerin trotz der geltend gemachten Kommunikationsprobleme rechtzeitig auf die Beschwerdebegründung reagieren.
17.6 Die Hilfsanträge 3 bis 7 werden daher nicht ins Verfahren zugelassen (Artikel 13(2) VOBK).
18. Da der Kammer somit kein Antrag vorliegt, der sowohl zulässig als auch gewährbar ist, folgt die Kammer dem Antrag der Beschwerdeführerin, das Patent zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.