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Diese Entscheidung ist nur auf Französisch verfügbar.
T 0636/20 24-06-2022
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DOPPELKUPPLUNG
Valeo Embrayages
BorgWarner Inc.
Einspruchsgründe - unzulässige Erweiterung (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 2 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, legten sowohl die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) als auch die Einsprechende 2 Beschwerde ein.
II. Die Einsprechende 2 zog am Ende der mündlichen Verhandlung ihre Beschwerde zurück und ist somit gemäß Artikel 107, Satz 2 EPÜ Verfahrensbeteiligte (Beschwerdegegnerin 2). Die Einsprechende 1 (Beschwerdegegnerin 1) hat im Beschwerdeverfahren keinen Sachvortrag gemacht und keine Anträge gestellt.
III. Am 24 Juni 2022 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
Die Beschwerdegegnerin 1 war nicht anwesend. Gemäß Regel 115 (2) EPÜ wurde das Verfahren ohne die Beschwerdegegnerin 1 fortgesetzt.
IV. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt aufrecht zu erhalten (Hauptantrag) oder hilfsweise auf Grundlage eines der Hilfsanträge 1 bis 5 aufrecht zu erhalten.
Die Beschwerdegegnerin 2 beantragte die Zurückweisung der Beschwerde der Beschwerdeführerin.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent wie erteilt), mit Merkmalsbezeichnungen der angefochtenen Entscheidung lautet:
M1 |"Doppelkupplung (3) mit zwei nasslaufenden Einzelkupplungen (K1, K2) für ein Doppelkupplungsgetriebe in einem Antriebstrang eines Fahrzeuges, |
M2 |wobei eine erste der Einzelkupplungen (K1) das Kupplungsgehäuse (4) mit einer ersten Getriebeeingangswelle (12) und eine zweite der Einzelkupplung (K2) das Kupplungsgehäuse (4) mit einer zweiten Getriebeeingangswelle (13) schaltbar verbindet, |
M3 |wobei jede der als Lamellenkupplung ausgeführten Einzelnasskupplungen einen Außenlamellenträger (8, 9) zum Einhängen von Außenlamellen an einem äußeren Formschlußbereich und ein Innenlamellenträger (6, 7) zum Einhängen von Innenlamellen an einem inneren Formschlußbereich aufweist,|
M4 |und wobei die Formschlußbereiche jeweils eine Verzahnung aufweisen und dazu dienen, die Lamellenträger drehfest mit den zugehörigen Lamellen zu verbinden, |
M5 |wobei Außenlamellen und Innenlamellen zur Übertragung eines Drehmoments miteinander in Reibeingriff bringbar sind, |
|dadurch gekennzeichnet, dass |
M6 |dass die äußeren Formschlußbereiche der Außenlamellenträger (8, 9) in einem spanlosen Umformprozeß eingeformt sind |
M7.1|und am offenen Ende eines der äußeren Formschlußbereiche ein durchgängig geschlossener, |
M7.2|im wesentlichen zylindrischer Bereich (102) ausgebildet ist, |
M8 |wobei ein Durchmesser (DI) dieses zylindrischen Bereiches (102) kleiner als der Kopfkreisdurchmesser (Dz) der Verzahnung des anderen äußeren Formschlußbereiches ist." |
VI. Die folgenden Entgegenhaltungen sind für die Entscheidung relevant:
D15|US 2006/086586 A1|
D20|EP 1 686 276 A1 |
E1 |DE 103 19 703 B1 |
E2 |WO 2010/081455 A1|
E5 |WO 2011/029489 A1|
VII. Die Beschwerdeführerin argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Artikel 100 c) EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei in der ursprünglichen Anmeldung offenbart.
Das auf Seite 12 der ursprünglichen Anmeldung beschriebene und insbesondere in Figur 8 gezeigte Ausführungsbeispiel zeige die Merkmale M7.1, M7.2 und M8 in Kombination. Diese Merkmale stünden somit für den Fachmann eindeutig in einem Zusammenhang.
Neuheit
Die Auslegung der Beschwerdegegnerin dahingehend, dass schon ein Formschlussbereich zylindrisch sei, würde die Merkmale M7.1 und M7.2 sinnlos machen. Der Fachmann würde den Anspruch jedoch nicht gegen seine klare technische Lehre lesen. Stattdessen würde er den Anspruch technisch sinnvoll auslegen, also mit einem verzahnten Formschlussbereich und einem zum offenen Ende hin folgenden zusätzlichen Bereich, der kein verzahnter Formschlussbereich ist, sondern zylindrisch. Einen bis zum Ende der Lamellenträger verzahnten Formschlussbereich, wie bei den Außenlamellenträgern 104 der D15 und 35 der E2, würde er daher nicht als unter den Anspruch fallend verstehen.
Die Figur 2 der E1 zeige den äußeren Außenlamellenträger in einer perspektivischen Ansicht schräg von hinten. Durch die Löcher 16 sei eine innere Verzahnung zu sehen, die sich bis zum offenen Ende der Träger erstreckte, und am äußeren Rand sei ein Fangring zu sehen, der bereits aus dem im Streitpatent genannten Stand der Technik bekannt ist. Dies sei jedoch kein im Wesentlichen zylindrischer Bereich im Sinne des Anspruchs.
Die Merkmale M7.1 und M7.2 seien daher nicht in D15, E1 oder E2 offenbart.
Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheide sich von der Doppelkupplung der D20, Figur 1 durch die Merkmale M6 bis M8.
Der Fachmann hätte keinen Grund, den inneren Außenlamellenträger der Kupplung der D20 mit einem Außenlamellenträger aus Verbundwerkstoff, wie er aus der E5 bekannt sei, zu ersetzen. Aber selbst wenn er dies tun würde, zeige der Außenlamellenträger der E5, Figur 1 die Merkmale M7.1 und M7.2 nicht.
Somit würde der Fachmann ausgehend von D20 nicht ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.
VIII. Die Beschwerdegegnerin 2 argumentierte im Wesentlichen wie folgt:
Artikel 100 c) EPÜ
Anspruch 1 gehe aufgrund des hinzugefügten Merkmal M8 über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinaus.
Die Merkmale M7.1 und M7.2 definieren einen zylindrischen Bereich am offenen Ende des äußeren Formschlussbereichs von einem der Außenlamellenträger. Dieser Bereich erhöhe laut der ursprünglichen Anmeldung (Seite 12, Absatz 3) die Steifigkeit und Festigkeit in radialer Richtung.
Der im Merkmal M8 definierte Durchmesser des zylindrischen Bereichs sei zwar in Figur 8 der ursprünglichen Anmeldung strukturell erkennbar. Dieser Durchmesser habe jedoch keinen Einfluss auf die Steifigkeit und Festigkeit und stünde somit in keinem technischen Zusammenhang zu dem zylindrischen Bereich, der in den Merkmalen M7.1 und M7.2 definiert sei. Der Fachmann würde diesen Durchmesser daher nicht als Teil der Erfindung offenbart sehen und somit führe die Hinzufügung von Merkmal M8 zu einem Gegenstand, der über den Inhalt der ursprünglichen Anmeldung hinausgehe.
Neuheit
Der Gegenstand des Anspruchs 1 sei gegenüber den in D15, E2 und E1 gezeigten Doppelkupplungen nicht neu.
Insbesondere zeigen diese Dokumenten die Merkmale M7.1 und M7.2.
Der Fachmann würde nur einen verzahnten Bereich, der tatsächlich im Formschluss eine drehfeste Verbindung mit den Lamellenträgern eingeht, als anspruchsgemäßer Formschlussbereich ansehen.
Die Bereiche der Außenlamellenträger der Kupplungen der D15 und E2, die nicht in drehfester Verbindung mit den Außenlamellenträgern stünden, seien somit keine Formschlussbereiche. Die Außenlamellenträger 104 in Figur 1 der D15 und 35 in den Figuren 1 und 2 der E2 wiesen solche weiteren Bereiche am offenen Ende der Formschlussbereiche auf. Diese weiteren Bereiche seien "im wesentlichen zylindrisch" im Sinne der Merkmale M7.1 und M7.2. Der Anspruch verlange nämlich nicht, dass dieser Bereich Kreiszylindrisch sei. Somit würde der Fachmann auch eine verzahnte Mantelfläche, die sich bis zum Ende erstrecke, wie in den Außenlamellenträgern 104 in Figur 1 der D15 und 35 in den Figuren 1 und 2 der E2 zu sehen, als einen im Wesentlichen zylindrisch Bereich gemäß den Merkmalen M7.1 und M7.2 ansehen.
Bei dem in Figur 2 der E1 gezeigten Außenlamellenträger 10 gebe es ferner ganz am Rand zum offenen Ende hin einen ringförmigen Bereich. Auch wenn dieser an der Außenseite sei, so verlange der Anspruch nicht, dass der zylindrische Bereich axial nach dem Formschlussbereich folge. Dass dieser ringförmige Bereich einen Fangring sein solle, sei reine Spekulation. Die Merkmale M7.1 und M7.2 seien somit auch in E1 gezeigt.
Erfinderische Tätigkeit
D20, Figur 1 zeige eine Doppelkupplung mit den Merkmalen M1 bis M5.
Um die Herstellung dieser Kupplung zu vereinfachen, würde der Fachmann den inneren Außenlamellenträger wie in der E5, Figur 1 ausführen. Dieser Außenlamellenträger habe auf der Außenseite bis zum offenen Ende einen im Wesentlichen zylindrischen Bereich, welcher unter die Merkmale M7.1 und M7.2 falle.
Somit würde der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zu einer anspruchsgemäßen Kupplung gelangen.
1. Erweiterung des Gegenstands - Artikel 100 c) EPÜ
Es ist unstrittig, dass das Merkmal M8 in Figur 8 der ursprünglichen Anmeldung strukturell gezeigt ist.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin 2 sieht die Kammer die Merkmale M7.1, M7.2 und M8 in Kombination offenbart. Diese Merkmale sind nämlich im gleichen Ausführungsbeispiel, das auf Seite 12 beschrieben und in den Abbildungen 4 bis 8 gezeigt ist, offenbart. Es ist dabei unerheblich, ob der in Merkmal M8 definierte Durchmesser, wie der in den Merkmalen M7.1 und M7.2 definierte zylindrische Bereich am offenen Ende des Formschlussbereichs, einen Einfluss auf die Steifigkeit und Festigkeit der Außenlammellenträger hat. Es ist vielmehr ausreichend, dass die ursprüngliche Anmeldung dem Fachmann diese Merkmale in Kombination offenbart.
Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ steht somit einer Aufrechterhaltung des erteilten Patents nicht entgegen.
2. Neuheit - Artikel 100 a) i.V.m. 54 EPÜ
Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist neu.
2.1 Die Beschwerdegegnerin 2 hat vorgetragen, dass der Fachmann nur diejenigen Bereiche der Außenlamellenträger, die in drehfesten Eingriff mit den Außenlamellen stehen, als anspruchsgemäße Formschlussbereiche ansehen würde.
Weitere Bereiche am offenen Ende der Formschlussbereiche würde der Fachmann als zylindrische Bereiche im Sinne der Merkmale M7.1 und M7.2 ansehen, auch wenn diese Bereich verzahnt sind.
2.2 Die Merkmale M7.1 und M7.2 verlangen einen Formschlussbereich sowie am offenen Ende des Formschlussbereichs einen durchgängig geschlossenen, im Wesentlichen zylindrischen Bereich. Gemäß Merkmal M4 ist der Formschlussbereich verzahnt.
Der Fachmann würde diese Merkmale als zwei unterschiedliche Bereiche verstehen: Einen verzahnten Bereich und einen nach diesem verzahnten Bereich zusätzlichen, unterschiedlichen und axial zum offenen Ende hin folgenden Bereich, der durchgängig geschlossen und im Wesentlichen zylindrisch ist. Da die Bereiche unterschiedlich sind, würde der Fachmann einen bis zum Ende der Außenlamellenträger verzahnten Bereich nicht als unter den Anspruch fallend verstehen.
2.3 Die in den Dokumenten D15, Figur 1 und E2, Figur 2 gezeigten inneren Außenlamellenträger 104 und 35 sind bis zum offenen Ende verzahnt und weisen keinen am offenen Ende des Formschlussbereichs durchgängig geschlossenen, im Wesentlichen zylindrischen Bereich auf.
Bei dem in E1, Figur 2 gezeigten Außenlamellenträger ist nicht zu sehen, ob der verzahnte Bereich vor dem offenen Ende des Lamellenträgers aufhört. Daraus folgt, dass ein am offenen Ende des Formschlussbereichs durchgängig geschlossener, im Wesentlichen zylindrischer Bereich nicht eindeutig offenbart ist.
Die Merkmale M7.1 und M7.2 sind daher in D15, E1 und E2 nicht offenbart.
2.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu.
Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) i.V.m. 54 EPÜ steht somit einer Aufrechterhaltung des erteilten Patents nicht entgegen.
3. Erfinderische Tätigkeit - Artikel 100 a) i.V.m. 56 EPÜ
Figur 1 der D20 zeigt eine Doppelkupplung mit den Merkmalen M1 bis M5.
E5 zeigt einen Außenlamellenträger mit einem äußeren Mantel 2 aus Verbundwerkstoff, der eine sich bis zum offenen Ende erstreckende Verzahnung 3 aufweist.
Wie oben in Punkt 2.2 ausgeführt, würde der Fachmann einen solchen bis zum Ende der Außenlamellenträger verzahnten Bereich jedoch nicht als unter die Merkmale M7.1 und M7.2 fallend verstehen.
Selbst unter der Annahme, dass der Fachmann den Außenlamellenträger aus Figur 1 der E5 in der Doppelkupplung der D20 einsetzen würde, so würde er daher trotzdem nicht zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen.
Der Gegenstand von Anspruch 1 ergibt sich somit für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus der Doppelkupplung der D20 zusammen mit der Offenbarung der E5. Der Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 a) i.V.m. 56 EPÜ steht somit einer Aufrechterhaltung des erteilten Patents nicht entgegen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Das Patent wird wie erteilt aufrechterhalten.