6.2. Euro-PCT-Anmeldungen
Dies ist die 9. Ausgabe (2019) dieser Publikation; für die 10. Ausgabe (2022) siehe hier |
Anders als in ihrer jetzigen Fassung sah R. 164 (1) EPÜ in früheren Fassungen vor, dass ein ergänzender europäischer Recherchenbericht für diejenigen Teile der Anmeldung erstellt wird, die sich auf die zuerst in den Patentansprüchen erwähnte Erfindung oder Gruppe von Erfindungen beziehen. Muss keine solche ergänzende Recherche durchgeführt werden (nämlich dann, wenn das EPA den internationalen Recherchenbericht oder einen ergänzenden internationalen Recherchenbericht erstellt hat), hat der Anmelder keine Möglichkeit, in der europäischen Phase weitere Recherchengebühren für in dieser Anmeldung enthaltene Erfindungen zu zahlen, die weder im internationalen Recherchenbericht noch in einem ergänzenden internationalen Recherchenbericht behandelt wurden. Stellt die Prüfungsabteilung fest, dass die Anmeldungsunterlagen den Anforderungen an die Einheitlichkeit der Erfindung nicht entsprechen oder dass Schutz für eine Erfindung begehrt wird, die im internationalen Recherchenbericht, im ergänzenden internationalen Recherchenbericht oder im ergänzenden europäischen Recherchenbericht nicht behandelt wurde, so hat sie den Anmelder nach R. 164 (2) EPÜ aufzufordern, die Anmeldung auf eine einzige recherchierte Erfindung zu begrenzen. Nicht recherchierte Erfindungen konnten nur im Rahmen von europäischen Teilanmeldungen weiterverfolgt werden.
Die nachstehenden Entscheidungen der Beschwerdekammern betreffen die damals geltende(n) Fassung(en) der R. 164 EPÜ.
In Bezug auf R. 164 EPÜ (alte Fassung) bestätigte die Juristische Beschwerdekammer in J 3/09, dass sich das Verfahren bei Eintritt einer Anmeldung in die europäische Phase für den Fall, dass das EPA als ISA tätig gewesen sei, zwar mit Inkrafttreten des EPÜ 2000 geändert habe, dass es aber letztendlich nach wie vor Aufgabe der Prüfungsabteilung sei, festzustellen, ob die Anmeldung die Anforderungen an die Einheitlichkeit der Erfindung erfülle. Die vom EPA als ISA vertretene Auffassung zur Uneinheitlichkeit sei weder endgültig noch für die Prüfungsabteilung bindend. Die Kammer merkte an, dass die diesbezügliche Praxis der Prüfungsabteilung sich nicht geändert habe, und stellte insbesondere fest, dass der Anmelder Anspruch darauf habe, dass der gesamte Gegenstand seiner einheitlichen Erfindung recherchiert werde, soweit sich ein von der ISA erhobener Einwand der Nichteinheitlichkeit als unbegründet erweise. Dies ergebe sich auch aus dem damaligen Wortlaut der R. 164 (2) EPÜ, wonach das EPA den Anmelder auffordern könne, seine Anmeldung auf eine einzige Erfindung zu begrenzen. Implizit heiße das, dass es in Fällen, in denen tatsächlich nur "eine einzige" Erfindung vorliege, keine Sanktion gebe.
Die Kammer in T 1285/11 schloss sich diesen Erwägungen an und fügte hinzu, dass die Tatsache, dass der Anmelder in der internationalen Phase keine zusätzlichen Recherchengebühren bzw. keine Widerspruchsgebühr gezahlt habe, nicht als stillschweigende Zustimmung zur Feststellung der Nichteinheitlichkeit durch die ISA gedeutet werden könne. Aus dem Wortlaut der R. 164 (2) EPÜ in der damals geltenden Fassung, in der "eine Erfindung […], die im internationalen Recherchenbericht [nicht behandelt wurde]" und "eine einzige Erfindung […], die im internationalen Recherchenbericht [behandelt wurde]" einander gegenübergestellt würden, könne geschlossen werden, dass diese Regel nur dann anwendbar sei, wenn die nicht recherchierte und die recherchierte Erfindung im Verhältnis zueinander tatsächlich uneinheitlich seien. Im vorliegenden Fall gebe es prima facie ein Merkmal, das als besonderes technisches Merkmal angesehen werden könne, das die Einheitlichkeit von "Erfindung 1" und "Erfindung 2" begründe, sodass R. 164 (2) EPÜ in der damals geltenden Fassung einer Weiterverfolgung auf der Grundlage des Hauptantrags nicht entgegenstehe.
Bei ihrer Prüfung der Anwendbarkeit von R. 164 (2) zweiter Halbsatz EPÜ in der damals geltenden Fassung verwies die Kammer in T 507/11 auf die in G 2/92 (ABl. 1993, 591) vorgesehene Sanktion, wonach die Anmeldung nicht für einen Gegenstand, für den keine Recherchengebühr entrichtet wurde, weiterverfolgt werden kann. Nach Auffassung der Kammer gilt die genannte Sanktion nicht notwendigerweise für Merkmale, die in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen in Zusammenhang mit einer Erfindung oder Gruppe von Erfindungen offenbart sind, hinsichtlich deren eine Recherche durchgeführt worden ist. Im betreffenden Fall umfasste der geänderte Anspruch 1 alle Merkmale der recherchierten Ansprüche 1 und 2. Es wurde daher weiterhin Schutz für die erste, recherchierte Erfindung begehrt, die mit Merkmalen des ursprünglichen Anspruchs 13 (der von der ISA einer anderen Erfindung zugeordnet und daher nicht recherchiert worden war) weiter eingeschränkt wurde, wofür es aufgrund der Abhängigkeiten in den ursprünglichen Ansprüchen eine unmittelbare und eindeutige Offenbarung gab. Somit lag kein Wechsel zu einer nicht recherchierten Erfindung vor. S. auch T 442/11 und T 509/11.
Ebenfalls mit der Auslegung und Anwendung der früheren R. 164 EPÜ befassen sich die Entscheidungen T 1981/12, T 2473/12, T 2459/12 und T 145/13 (s. auch nachfolgenden Abschnitt).