J 0024/86 (Bareinzahlung bei der Post) 13-02-1987
Download und weitere Informationen:
1. Wird eine Zahlung erst nach Ablauf der massgebenden Frist gutgeschrieben, jedoch zu einem noch innerhalb der Frist liegenden Zeitpunkt eine Rechtslage geschaffen, die der Gutschrift der Zahlung auf dem Konto gleichkommt, so gilt dieser frühere Zeitpunkt für die Zwecke des Artikels 8(1)(a) GebO als der Tag, an dem die Zahlung auf dem Konto des Amts gutgeschrieben wird (im Anschluss an die Entscheidungen J 26/80, ABl. EPA 1982, 7, T 214/83 Posteinzahlung/ Sigma, ABl. EPA 1985, 10 und J 05/84 Computerausfall/Rippes, ABl. EPA 1985, 306).
2. Der Nachweis dieser rechtlichen Gleichwertigkeit braucht nicht vor Ablauf der Frist beim EPA erbracht zu werden.
3. Die Frage, ob die zu einem früheren Zeitpunkt geschaffene Rechtslage der Gutschrift der Zahlung auf einem Konto des Amts gleichkommt, muss nach Lage des Einzelfalles objektiv entschieden werden (Erläuterung zur Entscheidung J 05/84 "Rippes").
Bareinzahlung bei der Post am letzten Tag
Gutschrift auf dem Konto des EPA/rechtliche Gleichwertigkeit
Zahlung gilt als rechtzeitig erfolgt
Subjektive Absicht und subjekt.Verhalten d. Beteiligten unerheblich
I. Auf die Veröffentlichung des europäischen Recherchen berichts zu der europäischen Patentanmeldung Nr. 82 630 100.4 wurde am 25. Juli 1984 im Europäischen Patentblatt hingewiesen. Die Frist für die Entrichtung der Prüfungsgebühr lief entsprechend Artikel 94 (2) EPÜ am 25. Januar 1985, einem Freitag, ab. In einer Mitteilung vom 26. Februar 1985 wies die Eingangsstelle den Beschwerdeführer darauf hin, daß die Prüfungsgebühr nicht entrichtet worden sei, aber nach Regel 85b EPÜ noch innerhalb einer Nachfrist von 2 Monaten wirksam entrichtet werden könne, sofern eine Zuschlagsgebühr entrichtet werde. Die Nachfrist lief am Montag, den 25. März 1985 ab.
II. Die Prüfungs- und die Zuschlagsgebühr wurden zwar in der richtigen Höhe gezahlt, jedoch erst am 26. März 1985 auf dem Konto des EPA gutgeschrieben.
III. Die Eingangsstelle teilte dem Beschwerdeführer am 16. April 1985 gemäß Regel 69 (1) EPÜ mit, daß die Anmeldung aufgrund des Artikels 94 (3) EPÜ als zurückgenommen gelte, weil die Prüfungs- und die Zuschlagsgebühr bis zum Fristablauf am 25. März 1985 nicht gezahlt worden seien. Die Zahlung sei erst am 26. März 1985 auf dem Konto des EPA gutgeschrieben worden.
IV. Mit Schreiben vom 10. Juni 1985 reichte der Beschwerde führer Beweismittel in Form einer Bescheinigung eines Postamts in Luxemburg vor, die mit einem Datumsstempel versehen war, aus dem hervorging, daß die Zahlung am 25. März 1985 beim Postamt eingegangen war. Er legte ferner ein vom "Inspecteur de Direction" unterzeichnetes Schreiben des Postamts bei, in dem es hieß, daß die Zahlung am 25. März 1985 beim Postamt eingegangen sei, was der Datumsstempel beweise; auch hätte die Zahlung nach Schließung des Postamts um 17.00 Uhr nicht mehr zurückgerufen werden können. Somit sei, führte der Beschwerdeführer aus, vor Ablauf der Frist eine unwiderrufliche Zahlung beim Postamt in Luxemburg geleistet worden und die Sicherheit gegeben gewesen, daß die Zahlung anschließend auf dem Postscheckkonto des EPA gutgeschrieben werde. Weitere Angaben wurden in einem Schreiben des Beschwerdeführers vom 20. Dezember 1985 gemacht, das von seinem Vertreter unter zeichnet war; darin hieß es auch, daß die Zahlung am 25. März 1985 beim Postamt in Luxemburg in bar erfolgt sei.
V. Die Eingangsstelle vertrat in ihrer Entscheidung vom 23. April 1986 die Auffassung, daß die europäische Patentanmeldung wegen Nichtzahlung der Prüfungsgebühr gemäß Artikel 94 (3) EPÜ als zurückgenommen gelte. Sie begründete ihre Entscheidung wie folgt:
i) Die Bareinzahlung beim Postamt in Luxemburg am 25. März 1985 sei keine "Barzahlung" nach Artikel 5 (1) e) GebO, sondern eine Einzahlung auf ein "Postscheckkonto des Amts" nach Artikel 5 (1) b) GebO gewesen.
ii) Nach Artikel 8 (1) a) GebO gilt "als Tag des Eingangs einer Zahlung beim Amt ... der Tag, an dem der ... Betrag auf einem ... Postscheckkonto des Amts gutgeschrieben wird", im vorliegenden Fall also der 26. März 1985.
VI. Am 19. Juni 1986 wurde unter Zahlung der entsprechenden Gebühr Beschwerde eingelegt. Die Beschwerdebegründung wurde am 12. August 1986 nachgereicht; darin brachte der Beschwerdeführer vor, daß die Einzahlung am 25. März 1985 beim Postamt in Luxemburg, bei dem das Amt ein Konto unter hält, unwiderruflich erfolgt sei und deshalb rechtlich einer Gutschrift auf dem Postscheckkonto des EPA gleich komme. Er berief sich dabei auf die Entscheidungen T 214/83 und J 05/84 sowie auf eine Entscheidung der Eingangsstelle zu einer früheren europäischen Patentanmeldung. Er machte ferner geltend, daß die Gebührenordnung zum EPÜ Nachrang nach dem Übereinkommen habe und nur insoweit bindend sei, als sie nicht mit nationalen Rechtsbestimmun gen kollidiere; nach dem luxemburgischen Code Civil habe der Einzahler durch die Einzahlung der Gebühr am 25. März 1986 beim Postamt in Luxemburg seine Schuld beim EPA getilgt. Die Vorschrift des Artikels 8 (1) a) GebO, daß der Tag der Gutschrift als Zahlungstag gelte, sei nachteiliger als der Code Civil, so daß letzterer maßgebend sein müsse. Außerdem beantragte er die Rückzahlung der Beschwerdegebühr.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Wie in der Entscheidung der Eingangsstelle dargelegt, stellte die Bareinzahlung auf das Postscheckkonto des EPA beim Postamt in Luxemburg am 25. März 1985 eine "Einzahlung auf ein Postscheckkonto des Amts" gemäß Artikel 5 (1) b) GebO dar. In Artikel 8 (1) a) GebO heißt es wie folgt: "Als Tag des Eingangs einer Zahlung beim Amt gilt im Fall des Artikels 5 Absatz 1 Buchstaben ... b der Tag, an dem der eingezahlte ... Betrag auf einem ... Postscheckkonto des Amts gutgeschrieben wird".
3. Es besteht kein Zweifel darüber, daß die Zahlung im vorliegenden Fall rein buchungstechnisch gesehen erst am 26. März 1985 auf dem Postscheckkonto des EPA gutgeschrieben wurde; dieser Tag gilt somit bei strenger, wörtlicher Auslegung des Artikels 8 (1) a) GebO als Tag "des Eingangs einer Zahlung beim Amt". Dies ist der Kernpunkt der Entscheidung der Eingangsstelle.
4. Die Juristische Beschwerdekammer hat sich mit der Frage, wie Artikel 8 (1) a) GebO richtig auszulegen ist, erstmals in der Entscheidung J 26/80, ABl. 1982, 7 befaßt. Auch in jenem Fall wurde die Zahlung (bei einer Bank, bei der das EPA ein Konto unterhält) vor Ablauf der betreffen den Frist geleistet, aber erst nach Fristablauf gutgeschrieben. Nach Prüfung der dem Wortlaut des Artikels 8 (1) a) GebO zugrunde liegenden Absicht war die Kammer zu der Auffassung gelangt, daß eine einer Gutschrift auf dem Konto gleichkommende Rechtslage geschaffen sei, sobald die Bank einen Rückruf der Zahlung nicht mehr zulassen und das EPA bereits über das eingezahlte Geld verfügen könne; Artikel 8 (1) a) GebO müsse daher so weit ausgelegt werden, daß als Tag des Eingangs einer Zahlung beim Amt der Tag gelte, an dem eine solche Rechtslage entstanden sei. Dieser weiten Auslegung des Artikels 8 (1) a) GebO schloß sich die Technische Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung T 214/83 "Posteinzahlung/Sigma", ABl. EPA 1985, 10 an.
5. Auf beide Entscheidungen wurde in einer späteren Entscheidung der Juristischen Beschwerdekammer (J 05/84 "Computerausfall/Rippes", ABl. EPA 1985, 306) Bezug genommen, wo es unter Nummer 5 und 6 wie folgt heißt: "Die Urheber des Übereinkommens wollten zum Ausdruck bringen, daß eine Zahlung grundsätzlich erst dann als bewirkt gilt, wenn sich der Zahlungsbetrag tatsächlich im Besitz des EPA befindet und der Einzahlende über die eingezahlte Summe nicht mehr verfügen kann. Die Vorschrift, daß als Zahlungstag der Tag der Gutschrift auf einem Konto gilt, ist im wesentlichen als Verwaltungsvorschrift zu sehen, die die Buchführung des EPA erleichtern soll. Diese Überlegungen zeigen, daß der Ausdruck "der Tag, an dem die Zahlung ... gutgeschrieben wird" nicht zu eng ausgelegt werden darf. ...
6. Man kann diese Vorschrift der Gebührenordnung natürlich nur dann in dieser Weise auslegen, wenn der Anmelder alles in seinen Kräften Stehende getan hat, damit die Zahlung rechtzeitig erfolgt".
7. Damals verzögerte sich die Gutschrift der Zahlung auf dem EPA-Konto durch einen Ausfall des Computers der Bank, bei der die Einzahlung per Scheck vorgenommen wurde. Hätte der Computer richtig funktioniert, so wäre die Gutschrift rechtzeitig erfolgt. Es wurde (nach Ablauf der betreffenden Frist) der Nachweis erbracht, daß der Einzahler während des Computerausfalles die Zahlung nicht mehr hätte zurückrufen und über den Zahlungsbetrag verfügen können. Unter diesen Umständen vertrat die Kammer die Auffassung, daß die Zahlung rechtzeitig erfolgt sei.
8. Die Kammer schließt sich im vorliegenden Fall der weiten Auslegung des Artikels 8 (1) a) GebO an, die erstmals in der Entscheidung J 26/80 wie folgt begründet wurde: Wird zu einem vor der tatsächlichen Gutschrift liegenden Zeitpunkt eine Rechtslage geschaffen, die einer Gutschrift auf dem Konto gleichkommt, so gilt dieser Zeitpunkt für die Zwecke des Artikels 8 (1) a) GebO als der Tag, an dem die Zahlung auf dem Konto des Amts gutgeschrieben wird. Nach Auffassung der Kammer muß die Frage, ob eine Zahlung als rechtzeitig erfolgt gelten kann, je nach Lage des Einzelfalles objektiv entschieden werden. Dabei geht es um die Frage, ob noch innerhalb der Frist eine Rechtslage geschaffen worden ist, die einer Gutschrift auf dem Konto gleichkommt. In der Regel ist der Einzahler dem EPA gegenüber beweispflichtig, obwohl das EPA natürlich nach Artikel 114 (1) EPÜ auch von Amts wegen Ermittlungen anstellen kann. Der Nachweis über das Vorliegen einer gleichwertigen Rechtslage muß jedoch nicht vor Ablauf der entsprechenden Frist beim EPA erbracht werden. Im vorliegenden Fall legte der Beschwerdeführer (allerdings erst nach Ablauf der betreffenden Frist am 25. März 1986) der Eigangsstelle entsprechendes Beweismaterial vor (s. Nr. IV). Nach Ansicht der Kammer geht daraus hervor, daß die Einzahlung am 25. März 1986 beim Postamt in Luxemburg einer Gutschrift auf dem Konto des EPA an diesem Tag gleichkommt. Deshalb gilt nach Ansicht der Kammer der 25. März 1986 (und nicht, wie in der Entscheidung der Eingangsstelle festgestellt wird, der 26. März 1986) gemäß Artikel 8 (1) a) GebO als Tag des Eingangs der Zahlung beim Amt; der Beschwerde wird demnach stattgegeben. Die Kammer braucht deshalb auf das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht einzugehen, daß die Vorschriftn der Gebührenordnung mit dem luxemburgischen Code Civil kollidieren.
9. Im vorliegenden Fall legte der Beschwerdeführer der Eingangsstelle auch Material vor, mit dem er nachweisen wollte, daß er alles in seinen Kräften Stehende getan hatte, damit die Zahlung rechtzeitig erfolgt; er tat dies vermutlich im Hinblick auf den unter Nummer 5 zitierten Auszug aus der Nummer 6 der Entscheidung in der Sache Rippes. Nach Auffassung der Kammer ist die Nummer 6 der Rippes-Entscheidung nicht so zu verstehen, daß ein subjektiver Nachweis dieser Art Voraussetzung für eine weite Auslegung des Artikels 8 (1) a) GebO ist; dieser Nachweis war hier nicht erforderlich, weil er für die Klärung der obengenannten Frage nicht maßgebend ist. Wie unter Nummer 7 dargelegt, muß die Frage, welcher Tag als Zahlungstag gilt, objektiv, also unter Berücksichtigung der Umstände der Zahlung und ungeachtet der subjektiven Absichten und des subjektiven Verhaltens des betreffenden Beteiligten, entschieden werden.
10. Die im ersten Satz unter Nummer 7 wiedergegebene Auslegung des Artikels 8 (1) a) GebO ist weiter als die in den "Richtlinien für die Prüfung im Europäischen Patentamt", A-XI, 3.1.3 empfohlene. Die Kammer hat diese abweichende Auslegung gemäß Artikel 15 (2) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern unter Nummer 4 bis 7 begründet.
11. Da der Beschwerde stattgegeben wird, muß geprüft werden, ob die Beschwerdegebühr gemäß Regel 67 EPÜ zurückgezahlt werden muß. Dabei muß zunächst geklärt werden, ob ein "wesentlicher Verfahrensmangel" vorliegt. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß in der Entscheidung der Eingangsstelle unter den "Entscheidungsgründen" nicht erwähnt wird, daß der Beschwerdeführer Beweismaterial vorgelegt hat (s. Nr. IV), und dieses Beweismaterial auch nicht gewürdigt wird. Nach Ansicht der Kammer beruht darauf die gesamte Argumentation des Beschwerdeführers gegenüber der Eingangsstelle; diese hätte daher in ihrer Entscheidung darauf eingehen müssen. Dies könnte als Verfahrensmangel angesehen werden. Die Kammer hält ihn jedoch nicht für wesentlich, da die Eingangsstelle zum Vorbringen des Beschwerdeführers bereits in dem Schreiben vom 15. November 1985 Stellung genommen hatte. Es liegt daher kein hinreichender Grund vor, eine Rückzahlung anzuordnen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Entscheidung der Eingangsstelle vom 23. April 1986 wird aufgehoben.
2. Als Tag des Eingangs der Prüfungsgebühr beim Amt gilt der 25. März 1986.