R 0020/11 (Nichtentscheiden über relevanten Antrag/Andawari GmbH) 23-10-2012
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Verfahren zum Authentifizieren und/oder Autorisieren einer Person
Überprüfungsantrag offensichtlich unbegründet
Nichtentscheiden über relevanten Antrag - nein
Katalog der Überprüfungsgründe in Art. 112a(2) i.V.m. R. 104 EPÜ ist abschließend
I. Der vorliegende Überprüfungsantrag richtet sich gegen die Entscheidung T 458/08 der Technischen Beschwerdekammer 3.5.06 vom 06. September 2011, zugestellt mit Schreiben vom 23. September 2011, mit der die Beschwerde der Anmelderin (Beschwerdeführerin und Antragstellerin im Überprüfungsverfahren) gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 21. Juni 2007 zurückgewiesen wurde.
II. Mit ihrer Entscheidung hatte die Prüfungsabteilung die europäische Patentanmeldung Nr. 03727353.9 der Anmelderin wegen mangelnder erfinderischer Tätigkeit im Verhältnis zu den Dokumenten D1 und D2 zurückgewiesen.
Mit der Beschwerde verfolgte die Anmelderin die der Zurückweisung zugrunde liegenden Anträge, d.h. den Hauptantrag und Hilfsantrag 1, weiter und reichte weitere Hilfsanträge ein.
III. Anspruch 1 des Hauptantrags war gerichtet auf ein
"Verfahren zum Authentifizieren und/oder Autorisieren einer Person als Nachweis für eine von der Person vorgenommene Bestellung von Waren und/oder Dienstleistungen im Internet, ohne dass die Person hierzu bei dem Anbieter vorab registriert sein muss, aufweisend die folgenden Verfahrensschritte:"
Die durchzuführenden Verfahrensschritte waren in den Merkmalen a) bis h) des Anspruchs 1 definiert.
IV. In einem der Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Bescheid teilte die Kammer der Beschwerdeführerin ihre vorläufige Auffassung mit, dass sich Anspruch 1 von der Offenbarung in D1 dadurch unterscheide, dass a) der Benutzer beim Anbieter nicht vorab registriert sein müsse, und b) dass insbesondere die Telefonnummer während der Bestellung eingegeben werde, wobei das Merkmal b) im Wesentlichen aus Merkmal a) zu folgen scheine.
Nach Ansicht der Kammer war allgemein bekannt, dass Bestellungen per Telefon - die es schon lange vor dem Internethandel gegeben habe und neben diesem immer noch gebe - in der Regel ohne Vorabregistrierung auskommen. Die Kammer kam in ihrem Bescheid zu dem vorläufigen Ergebnis, dass Anspruch 1 des Hauptantrags keine erfinderische Tätigkeit aufweise.
In ihrer schriftlichen Erwiderung auf den Bescheid der Kammer vor der mündlichen Verhandlung nahm die Beschwerdeführerin zu den Ausführungen des Ladungsbescheids Stellung und reichte weitere Hilfsanträge ein. Auf die in Punkt 6 des Ladungsbescheides enthaltene Auffassung der Kammer zur allgemeinen Bekanntheit von Bestellungen per Telefon ohne Vorabregistrierung ging die Beschwerdeführerin nicht ein.
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer wandte sich die Beschwerdeführerin gegen die in Punkt 6 des Ladungsbescheids enthaltene Annahme und verlangte unter Bezugnahme auf Entscheidungen der Beschwerdekammern von der Kammer einen schriftlichen Beweis für ihre Annahme.
V. Die Kammer teilte der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung mit, dass sich ihre Annahme auf einen Gegenstand der täglichen Erfahrung von jedermann beziehe, der keines Beweises bedürfe. Daraufhin erhob die Beschwerdeführerin ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung vom 06. September 2011 die Rüge eines Verfahrensmangels, die dem Protokoll als handschriftliche Anlage beigefügt ist.
Sie lautet wie folgt:
"Rüge/Petition gemäß Artikel 112 a) (2) d) "Fundamentaler Verfahrensfehler"
Rüge des folgenden Fehlers:
Die Kammer behauptet ohne schriftlichen Nachweis, es sei allgemein bekannt, vor dem Prioritätstag (26.April 2002), daß bei einer telefonischen Bestellung von Waren/Dienstleistungen auf eine Vorabregistrierung von Bestelldaten einer bestellenden Person verzichtet wird."
Ausweislich des Protokolls über die mündliche Verhandlung und des Tenors der angefochtenen Entscheidung hat die Kammer diesen Einwand nach Beratung zurückgewiesen.
In der angefochtenen Entscheidung vom 06. September 2011 begründete die Technische Beschwerdekammer die Zurückweisung dieses Einwands mit Bezug auf Anspruch 1 des Hauptantrags wie folgt:
"7. Nach Ansicht der Kammer ist es allgemein bekannt, dass Bestellungen per Telefon - die es schon lange vor dem Internethandel gab und neben diesem immer noch gibt - ohne Vorabregistrierung auskommen.
7.1 Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen diese Annahme und bestreitet, dass die Kammer sie ohne einen schriftlichen Beleg ihrer Argumentation zugrunde legen dürfe.
7.2 Die Kammer ist hingegen der Ansicht dass sich die Annahme auf einen Gegenstand der täglichen Erfahrung von jedermann bezieht, der keines Beweises bedarf, insbesondere dann nicht, wenn er den Kammermitgliedern als Mitgliedern der Öffentlichkeit bekannt ist. Insoweit können sich alle Mitglieder der Kammer sicher daran erinnern, vor dem relevanten Prioritätszeitpunkt zum Beispiel ein Hotelzimmer gebucht zu haben, ohne sich zuvor bei diesem Hotel registriert zu haben."
VI. Mit vom 30. November 2011 datiertem und an diesem Tag beim EPA eingegangenem Schriftsatz stellte die Beschwerdeführerin (nachstehend Antragstellerin) unter gleichzeitiger Entrichtung der Überprüfungsgebühr einen Antrag auf Überprüfung der Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer gemäß Artikel 112a EPÜ.
Sie begründete ihren Antrag zugleich wie folgt:
Der Antrag stütze sich auf einen Einwand gemäß Artikel 112a (2) d) in Verbindung mit Regel 104 EPÜ, insbesondere darauf, dass die Beschwerdekammer über die Beschwerde entschieden habe, ohne über einen hierfür relevanten Antrag zu entscheiden (Regel 104 b) EPÜ).
Dass die Antragstellerin ihrer Rügepflicht Genüge getan habe, ergebe sich aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung und auch aus Punkt VIII und Punkt 17 der zu überprüfenden Entscheidung.
Die Antragstellerin habe in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer folgenden Beweisantrag gestellt:
(Teil 1) Antrag zu beweisen, dass vor dem Prioritätstag bei einer telefonischen Bestellung von Waren auf eine Vorabregistrierung von Bestelldaten einer bestellenden Person verzichtet wurde;
(Teil 2) Antrag zu beweisen, dass vor dem Prioritätstag bei einer telefonischen Bestellung von Dienstleistungen auf eine Vorabregistrierung von Bestelldaten einer bestellenden Person verzichtet wurde.
Dieser Beweisantrag sei - zumindest soweit es den ersten Teil des Beweisantrags betreffe - nicht beschieden worden. So sei in der mündlichen Verhandlung nur der Hinweis der Beschwerdekammer erfolgt, dass diese der Auffassung sei, es bestehe keine Beweispflicht und die Kammer wisse aus eigener Erfahrung, dass bereits vor dem Prioritätstag der gegenständlichen Patentanmeldung eine telefonische Bestellung von Hotelzimmern ohne vorhergehende Registrierung bei dem entsprechenden Hotel bekannt war. Zum Nachweis legte die Antragstellerin eine "Eidesstattliche Versicherung" des zugelassenen Vertreters vor, der die Antragstellerin sowohl im Beschwerdeverfahren als auch im vorliegenden Überprüfungsverfahren vertreten hat.
Des Weiteren ergebe sich ein derartiger Verlauf der mündlichen Verhandlung auch unmittelbar aus Punkt 7.2 der zu überprüfenden Entscheidung. Aus dieser Textpassage der Entscheidung ergebe sich, dass die Beschwerdekammer allenfalls den zweiten Teil des Beweisantrags beschieden habe, da es sich bei Hotelzimmerreservierungen bekanntermaßen um eine Dienstleistung handele.
Das schwerwiegende Gewicht des gerügten Verfahrensmangels ergebe sich insbesondere daraus, dass die Beschwerdekammer ihre nicht bewiesene Behauptung der Entscheidung zu Grunde gelegt habe (s. Punkt 7.4 und 7.5) und die Zurückweisung des Anspruchs 1 des Hauptantrags explizit mit den streitig gestellten allgemeinen Kenntnissen begründet habe.
VII. Die Antragstellerin hat beantragt:
1. die zu überprüfende Entscheidung der Technischen Beschwerdekammer vom 06.09.2011 aufzuheben,
2. die Wiederaufnahme des Verfahrens vor den Beschwerdekammern anzuordnen,
3. die Mitglieder der Beschwerdekammer, die an der zu überprüfenden Entscheidung mitgewirkt haben, zu ersetzen, und
4. die Rückerstattung der Gebühr für den Überprüfungsantrag anzuordnen.
VIII. Im Hinblick auf die von der Antragstellerin ursprünglich hilfsweise beantragte mündliche Verhandlung beraumte die Große Beschwerdekammer für den 23. Oktober 2012 eine mündliche Verhandlung an. Mit Fax vom 22. Oktober 2012 teilte die Antragstellerin mit, dass sie an der mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde und dass sie den Antrag auf mündliche Verhandlung zurückziehe. Die Große Beschwerdekammer hielt den Termin für die mündliche Verhandlung aufrecht. Am Ende der Verhandlung verkündete sie ihre einstimmige Entscheidung, den Überprüfungsantrag als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.
1. Der Überprüfungsantrag gegen die der Antragstellerin mit Schreiben vom 23. September 2011 zugestellte Entscheidung der Beschwerdekammer wurde am 30. November 2011 unter gleichzeitiger Entrichtung der Überprüfungsgebühr sowie der Begründung des Antrags, und damit rechtzeitig, eingereicht. Die Begründung genügt den Anforderungen der Regel 107 EPÜ.
2.1 Die Antragstellerin hat ihren Überprüfungsantrag auf Artikel 112a (2) d) EPÜ in Verbindung mit Regel 104 EPÜ gestützt.
Sie hat diesen Antrag damit begründet, die Beschwerdekammer habe zumindest den ersten Teil ihres in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisantrages - soweit er nämlich auf die Bestellung von Waren gerichtet gewesen sei - nicht beschieden. So sei in der mündlichen Verhandlung nur der Hinweis der Beschwerdekammer erfolgt, dass diese der Auffassung sei, es bestehe keine Beweispflicht und die Kammer wisse aus eigener Erfahrung, dass bereits vor dem Prioritätstag der gegenständlichen Patentanmeldung eine telefonische Bestellung von Hotelzimmern ohne vorhergehende Registrierung bei dem entsprechenden Hotel bekannt gewesen sei. Zum Nachweis legte die Antragstellerin eine eidesstattliche Versicherung des sie im vorliegenden Verfahren vertretenden Patentanwalts vor und verwies auch auf Punkt 7.2 der Entscheidungsgründe, aus der sich der Verlauf der mündlichen Verhandlung ergebe.
2.2 Aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung und aus dem Tenor Nummer 1 der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass die Antragstellerin im Verfahren vor der Technischen Beschwerdekammer eine Beanstandung im Sinne von Regel 106 EPÜ erhoben hat. Die Große Beschwerdekammer sieht den Überprüfungsantrag deshalb jedenfalls nicht als offensichtlich unzulässig an.
3. Der Überprüfungsantrag ist jedoch offensichtlich unbegründet.
3.1 Aus dem von der Antragstellerin selbst herangezogenen Punkt 7.2 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung geht eindeutig hervor, dass die Kammer den Einwand oder die Forderung der Antragstellerin, dass die Kammer ihre im Bescheid geäußerte Annahme nicht ohne einen schriftlichen Beleg ihrer Argumentation zu Grunde legen dürfe, insgesamt zurückgewiesen hat. Die Kammer führt unter 7.2 wie auch schon im Bescheid ganz allgemein aus, dass sich die Annahme auf einen Gegenstand der täglichen Erfahrung von jedermann beziehe, der keines Beweises bedürfe, insbesondere dann nicht, wenn er den Kammermitgliedern als Mitgliedern der Öffentlichkeit bekannt sei. Bereits im Bescheid hatte die Kammer der Antragstellerin, auch dort ganz allgemein formuliert, ihre Ansicht mitgeteilt, es sei allgemein bekannt gewesen, dass Bestellungen per Telefon - die es schon lange vor dem Internethandel gegeben habe und neben diesem immer noch gebe - in der Regel ohne Vorabregistrierung auskommen. Eine Begrenzung auf die telefonische Bestellung von Dienstleistungen enthalten diese Ausführungen nicht. Wie aus dem ausdrücklichen Wortlaut des zweiten Satzes in Punkt 7.2 der Entscheidungsgründe hervorgeht, hat die Kammer mit der Verwendung der Worte "zum Beispiel" die Buchung eines Hotelzimmers lediglich beispielhaft angeführt.
3.2 Die Antragstellerin hat entgegen ihrer Darstellung im Überprüfungsantrag in der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer auch keinen als zwei Teilanträge formulierten Antrag gestellt. Vielmehr hat sie ausweislich der als Anlage dem Protokoll beigefügten handschriftlichen Originalfassung ihres Einwands (siehe die wörtlich wiedergegebene Fassung unter V. oben), der die Forderung der Antragstellerin nach Beweisführung durch die Kammer reflektiert, selbst eine einheitliche Fassung ihrer Forderung gewählt, in welcher Waren und Dienstleistungen in Übereinstimmung mit dem Wortlaut von Anspruch 1 des Hauptantrags durch Schrägstrich miteinander verbunden aufgeführt werden.
3.3 Selbst wenn man aber diesen einheitlichen Antrag - wie es die Antragstellerin getan hat - gedanklich in einen Beweisantrag für Waren und einen Beweisantrag für Dienstleistungen aufspalten wollte, ändert dies nichts daran, dass die Beschwerdekammer in Punkt 7.2 der Entscheidungsgründe, wie sie dies schon im Ladungsbescheid angesprochen hatte, die Forderung der Antragstellerin nach Vorlage von Beweisen insgesamt zurückgewiesen und sie sich nur beispielhaft auf das Bestellen von Hotelzimmern bezogen hat.
3.4 Folglich ist die von der Antragstellerin im Überprüfungsantrag erhobene Beanstandung, die Beschwerdekammer habe entgegen Artikel 112a (2) d) in Verbindung mit Regel 104 EPÜ über die Beschwerde entschieden, ohne über einen für die Beschwerde relevanten Antrag zu entscheiden, unzutreffend und der Überprüfungsantrag insoweit offensichtlich unbegründet.
4. Die dieser Beanstandung zugrunde liegende Kritik der Antragstellerin an der Verfahrensführung durch die Beschwerdekammer, sie habe die Vorlage eines schriftlichen Belegs für ihre Annahme zu Unrecht abgelehnt, ist nicht Gegenstand der Überprüfung durch die Große Beschwerdekammer.
Das gilt zum einen, weil die Antragstellerin als Überprüfungsgrund lediglich das Nichtentscheiden über einen für die Beschwerde relevanten Antrag im Sinne von Regel 104 b) EPÜ geltend gemacht hat. Zum anderen berechtigen die für das Überprüfungsverfahren erlassenen Vorschriften die Große Beschwerdekammer auch nicht zu einer generellen Überprüfung des Verfahrens vor der Beschwerdekammer daraufhin, ob die Beschwerdekammer im Verfahren vor ihr das Verfahrensrecht richtig angewandt hat. Wie sich mit der Verwendung des Wortes "nur" in Artikel 112a (2) EPÜ bereits aus dessen Wortlaut ergibt und es dem Willen des Gesetzgebers entspricht, sind die einen möglichen Überprüfungsgrund bildenden Verfahrensmängel in Artikel 112a (2) in Verbindung mit Regel 104 EPÜ abschließend geregelt. Folglich beschränkt sich die Überprüfungskompetenz der Großen Beschwerdekammer, was etwaige Verfahrensmängel des Beschwerdeverfahrens angeht, darauf zu prüfen, ob das Beschwerdeverfahren mit einem der in den genannten Vorschriften aufgeführten Verfahrensmängel behaftet war (siehe: Das revidierte Europäische Patentübereinkommen (EPÜ 2000), Synoptische Darstellung EPÜ 1973/2000 - Teil I: Die Artikel, S.144; st Rspr der GBK, Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 6. Auflage, 2010, VII.E.15.1: z.B. erneut in R 6/11 vom 4.11.2011, Punkt 11.1 der Entscheidungsgründe, mit weiteren Nachweisen aus der Rspr), wenn und soweit der Antragsteller sich im Überprüfungsantrag auf das Vorliegen eines solchen Verfahrensfehlermangels beruft. Wie zuvor ausgeführt, hat die Antragstellerin über den Überprüfungsgrund der Regel 104 b) EPÜ hinaus jedoch keinen weiteren Überprüfungsgrund geltend gemacht, noch ist auch nur ansatzweise ersichtlich, inwiefern der von der Antragstellerin behauptete Verfahrensfehler einen der in Artikel 112a (2) in Verbindung mit Regel 104 EPÜ genannten Überprüfungsgründe erfüllen könnte.
5. Die Große Beschwerdekammer ist deshalb einstimmig zu dem Ergebnis gekommen, dass der Überprüfungsantrag offensichtlich unbegründet ist.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Der Antrag auf Überprüfung wird einstimmig als offensichtlich unbegründet verworfen.