T 2411/10 (Ortungssystem/AIZO) 23-11-2012
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Ortungssystem für Einrichtungsgegenstände, insbesondere Hausgeräte in Gebäuden
Implizite Aufrechterhaltungserklärung der Anmelderin - verneint
Zuständigkeitsübergang von der Eingangsstelle auf die Prüfungsabteilung - verneint
Zurückverweisung an die Eingangsstelle
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 09158078.7 mit der Bezeichnung "Ortungssystem für Einrichtungsgegenstände, insbesondere Hausgeräte in Gebäuden" zurückzuweisen.
II. Die Anmeldung wurde am 16. April 2009 unter Inanspruchnahme der Prioritäten dreier DE-Gebrauchsmusteranmeldungen aus dem Jahr 2008 eingereicht. Zugleich wurde die Prüfung der Anmeldung gemäß Artikel 94 EPÜ beantragt und die Prüfungsgebühr entrichtet.
Der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 lautet:
"1. Ortungssystem für Einrichtungsgegenstände eines Gebäudes, wobei dieser Einrichtungsgegenstand mindestens einen Ortungssignalgeber umfasst,
wobei der Ortungssignalgeber in der Lage ist, mindestens ein Ortungssignal abzugeben und/oder mindestens einen Ortungssignalempfänger umfasst, wobei der Ortungssignalempfänger in der Lage ist, mindestens eines dieser Ortungssignale entgegenzunehmen,
wobei Ortungssignalgeber und Ortungssignalempfänger derart zusammenwirken, dass durch dieses Zusammenwirken die räumliche Position des Einrichtungsgegenstands im Gebäude identifizierbar ist."
III. Mit Bescheid vom 27. August 2009 wurde der Anmelderin (jetzt Beschwerdeführerin) der europäische Recherchenbericht übermittelt, und zwar mit einer Erklärung nach Regel 63 EPÜ, dass eine Suche nach den beanspruchten technischen Mitteln nicht möglich sei, da diese nur durch ihren Zweck, nicht aber durch ihre technische Realisierung und Konstitution definiert seien, so dass ein Mangel an Offenbarung im Sinn des Artikels 83 EPÜ vorliege. Somit sei eine Recherche nicht möglich, denn sie setze die Identifizierung und den Vergleich technischer Merkmale voraus. Außerdem sei eine Recherche nicht zielführend, da ein unzureichend offenbarter Gegenstand ohnehin nicht der Patentierbarkeit zugänglich sei. Da aber der vorliegende Offenbarungsmangel nicht zu beheben sei, ohne gegen Artikel 123 (2) EPÜ zu verstoßen, könne auch für einen späteren Zeitpunkt eine Recherche nicht in Aussicht gestellt werden.
IV. Gegen die Verweigerung der Recherche protestierte die Beschwerdeführerin noch am 27. August 2009 per Fax. Das EPÜ biete keine Rechtsgrundlage dafür, eine Recherche unter Verweis auf Artikel 83 EPÜ zu verweigern. Das DPMA habe die prioritätsbegründende Anmeldung 20 2008 005 338.2 recherchiert, was belege, dass eine Recherche sehr wohl möglich sei. Die Beschwerdeführerin bat daher um Abhilfe und beantragte, falls diese nicht gewährt werde, eine beschwerdefähige Entscheidung.
V. Die europäische Patentanmeldung wurde am 21. Oktober 2009 veröffentlicht als
A1: EP-A1-2 110 782,
zusammen mit der oben genannten Erklärung nach Regel 63 EPÜ.
VI. Am 5. Oktober 2009 erging der erste Prüfungsbescheid, ohne dass zuvor eine Aufforderung gemäß Regel 70 (2) EPÜ erging und obwohl ein Verzicht auf Erhalt dieser Aufforderung nicht vorlag. Der beauftragte Prüfer schloss sich der Erklärung nach Regel 63 EPÜ, die er zuvor als für die Recherchenabteilung handelnd selbst verfasst hatte, formal an und wiederholte den Einwand unzureichender Offenbarung (Artikel 83 EPÜ).
VII. Die Beschwerdeführerin erwiderte (14. Oktober 2009), dass die Argumentation der Prüfungsabteilung insbesondere zum behaupteten Offenbarungsmangel (Artikel 83 EPÜ) nicht nachvollziehbar sei. Bezüglich der verweigerten Recherche trug die Beschwerdeführerin vor, dass die in Regel 63 EPÜ enthaltenen Voraussetzungen für die Verweigerung einer Recherche nicht vorlägen.
VIII. Die Prüfungsabteilung beraumte eine mündliche Verhandlung an. In einem Ladungsanhang erachtete sie für die Fortsetzung des Verfahrens eine nachträgliche Recherche nicht als zweckdienlich oder notwendig, denn eine Zurückweisungsentscheidung aufgrund unzureichender Offenbarung (Artikel 83 EPÜ) könne auch ohne Nachrecherche getroffen werden.
IX. Die Beschwerdeführerin beantragte die Zuziehung eines rechtskundigen Mitglieds zur mündlichen Verhandlung insbesondere aus folgenden Gründen:
- Es bestehe die Gefahr der Unzuständigkeit der Prüfungsabteilung, da der Anmelder bisher keine Erklärung nach Regel 70 (2) EPÜ abgesetzt habe, welche die Prüfungsabteilung erst zuständig werden lasse (Regel 10 (3) EPÜ).
- Die Prüfungsabteilung lege Regel 63 EPÜ entgegen der Rechtsprechung aus.
- Die Prüfungsabteilung führe Argumente der Prüfungsrichtlinien an, welche durch die Rechtsprechung überholt seien.
X. Daraufhin erweiterte sich die Prüfungsabteilung um ein rechtskundiges Mitglied und führte am 15. April 2010 eine mündliche Verhandlung durch, an deren Ende sie die Anmeldung zurückwies. Der Zurückweisungsentscheidung liegen ein Hauptantrag (ursprünglich eingereichte Ansprüche) und fünf Hilfsanträge zu Grunde.
a) In den schriftlichen Entscheidungsgründen (Ziffer 2.1) bejaht die Prüfungsabteilung die Frage des wirksamen Übergangs der Zuständigkeit von der Eingangsstelle auf sie. Sie geht von einer "Entscheidung der Eingangsstelle, die Prüfung vor der Abteilung zuzulassen" aus und begründet weiter, diese Entscheidung sei als positiv im Sinne der Anmelderin zu werten, da ihr damit die Verfahrensfortsetzung "erlaubt" worden sei (Ziffer 2.1.1 der Entscheidungsgründe).
Bereits im Schreiben des Recherchenprüfers sowie im Erstbescheid der Prüfungsabteilung sei die Anmelderin darauf hingewiesen worden, dass eine Erklärung nach Regel 63 EPÜ ebenso wenig separat beschwerdefähig sei wie ein Recherchenbericht und dass deshalb ihrem "Antrag" auf Abhilfe (d.h. auf Durchführung einer Recherche) bzw. ihrem Antrag auf eine beschwerdefähige Entscheidung nur nach Durchführung einer Sachprüfung entsprochen werden könne. Somit erscheine der hilfsweise Antrag auf eine beschwerdefähige Entscheidung (Schreiben der Anmelderin vom 27. August 2009) auch in Abwesenheit der vorgesehenen Aufforderung der Eingangsstelle (Regel 70 (2) EPÜ) als unmissverständlicher Wunsch, wenn auch hilfsweise, eine Sachprüfung durchführen zu lassen. Spätestens bei ihrem Schreiben vom 14. Oktober 2009 in Beantwortung eines Bescheids der Prüfungsabteilung (Artikel 94 (3) EPÜ) habe der Anmelderin klar sein müssen, dass die Sachprüfung begonnen hatte. Sie habe in jener Antwort auch von ihrem Recht zur Stellungnahme in der Sache Gebrauch gemacht, unter Bezugnahme auf die Prüfungsrichtlinien eine hinreichende Offenbarung geltend gemacht und weiterhin Interesse an einer Verfahrensfortsetzung gezeigt, u.a. mit einem Antrag auf mündliche Verhandlung, der angesichts des Sachverhalts und der Form des Schreibens nicht an die Eingangsstelle gerichtet gewesen sein könne (Ziffer 2.1.2 der Entscheidungsgründe).
Um wenigstens dem Antrag auf eine beschwerdefähige Entscheidung nachkommen zu können, sei es unvermeidlich gewesen, das Prüfungsverfahren fortzuführen. Im Hinblick auf die augenscheinlichen Absichten der Anmelderin sei davon auszugehen gewesen, dass eine Fortführung in ihrem Interesse gelegen habe (Ziffer 2.1.4 der Entscheidungsgründe).
b) Das Übereinkommen sehe in seiner Gesamtheit kein Rechtsmittel gegen Recherchenberichte vor, als welche auch Mitteilungen nach Regel 63 EPÜ gelten würden. Abhilfe im Sinne des Artikels 109 EPÜ könne nur bei Beschwerden gegen Entscheidungen geleistet werden. Recherchenberichte wie auch Erklärungen nach Regel 63 EPÜ würden keine Entscheidungen darstellen. Die Recherchenabteilung befinde sich nicht unter den in Artikel 106 (1) EPÜ aufgezählten Rechtskörpern, gegen die eine Beschwerde vor der Beschwerdekammer eingelegt werden könne. Aber auch der Prüfungsabteilung werde an keiner Stelle des Übereinkommens die Zuständigkeit verliehen, Recherchenberichte oder entsprechende Erklärungen für nichtig zu erklären (Ziffer 2.2.1 der Entscheidungsgründe).
c) In den Richtlinien für die Prüfung im EPA, Abschnitt C-VI 8.2, sei vorgesehen, dass die Prüfungsabteilung zu einem späteren Zeitpunkt eine Nachrecherche in Auftrag geben könne. Aber auch diese Richtlinien würden eine zusätzliche Recherche unter den Vorbehalt verfahrenstechnischer Notwendigkeit stellen. Im vorliegenden Fall sei eine Zurückweisungsentscheidung aufgrund unzureichender Offenbarung (Artikel 83 EPÜ) möglich gewesen, und dieser Mangel habe nicht durch nachträgliches Zitieren weiterer zu recherchierender Dokumente behoben werden können. Die hinreichende Offenbarung müsse zum Zeitpunkt der Einreichung gegeben sein, sie müsse offensichtlich sein und somit keiner weiterer von der Recherche- oder Prüfungsabteilung eingeführter Dokumente bedürfen (Ziffer 2.2.2 der Entscheidungsgründe).
d) Die Anmeldung versetze den Fachmann nicht in die Lage, das beanspruchte Ortungssystem so auszuführen, dass die angestrebte Ortung genauer erreicht werde als in dem von der Anmeldung angegebenen Stand der Technik (Ziffer 2.4.3 der Entscheidungsgründe). Eine instand setzende Offenbarung wie ein Signalgeber und Ortungssignalempfänger derart zusammen wirken, dass durch dieses Zusammenwirken die räumliche Position des Einrichtungsgegenstands im Gebäude identifizierbar sei, liege nicht vor (Ziffer 2.4.5 der Entscheidungsgründe).
XI. Per Fax vom 21. Juni 2010 (Unterschrift nachgeholt am 28. Juni 2010) wurde Beschwerde gegen die Zurückweisungsentscheidung der Prüfungsabteilung eingelegt. Die Beschwerdebegründung wurde am 11. Oktober 2010 eingereicht. Von den darin gestellten Anträgen gibt die Kammer diejenigen, die bis zum Ende des Beschwerdeverfahrens aufrechterhalten wurden, in Kursivdruck wieder:
- Es wurde beantragt, die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben.
- Weiterhin wurde beantragt festzustellen, dass in diesem Verfahren die Prüfungsabteilung bis heute nicht zuständig geworden ist.
- Weiterhin wurde beantragt, die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.
- Weiterhin wurde beantragt, die Entscheidung, keine Recherche durchzuführen, aufzuheben.
- Weiterhin wurde beantragt festzustellen, dass die Nichtausführung der Recherche ohne Rechtsgrundlage erfolgte.
- Weiterhin wurde beantragt, der Prüfungsabteilung aufzugeben, einen namentlich genannten Fachmann/Zeugen zum Stand der Technik zu hören, falls die Prüfungsabteilung keinen vom Anmelder noch nicht in diesem Verfahren erwähnten schriftlichen Stand der Technik identifizieren sollte.
- Weiterhin wurde beantragt festzustellen, dass die Nichtbehandlung des Hilfsantrags vom 27. August 2009 unrechtmäßig war.
a) In der Beschwerdebegründung rügt die Beschwerdeführerin die mangelnde Beachtung der vom EPÜ vorgesehenen Voraussetzungen zum Zuständigkeitsübergang zwischen Eingangsstelle und Prüfungsabteilung. Die Prüfungsabteilung sei von Rechts wegen nie zuständig geworden, denn Regel 10 (3) EPÜ setze hierzu eine Erklärung der Anmelderin gemäß Regel 70 (2) EPÜ voraus, die sie jedoch nie abgegeben habe und zu deren Abgabe sie auch nie aufgefordert worden sei, obwohl sie auf eine solche Aufforderung zu keiner Zeit verzichtet habe. Dadurch sei der Beschwerdeführerin die Kontrolle über das Verfahren entzogen worden.
b) Das Schreiben vom 27. August 2009, in dem die Beschwerdeführerin die Nicht-Recherche-Erklärung der Recherchenabteilung beanstandete, um die Ermittlung von druckschriftlichem Stand der Technik im Wege einer Abhilfe bat und hilfsweise eine beschwerdefähige Entscheidung beantragte, habe nicht als eine Erklärung nach Regel 70 (2) EPÜ ausgelegt werden dürfen.
Die gesetzlich vorgesehene Anfrage an die Anmelderin, ob sie die Anmeldung aufrechterhalte (Regel 70 (2) EPÜ), diene dem Zweck, der Anmelderin die Möglichkeit zu geben, nach Erhalt des Recherchenberichts die Anmeldung ggf. fallen zu lassen, etwa um die Prüfungsgebühr erstattet zu bekommen oder um eine verbesserte Fassung der Anmeldung neu einzureichen. Diese Wahlmöglichkeit dürfe der Beschwerdeführerin nicht genommen werden. Ihr diese Möglichkeit vorzuenthalten habe keinesfalls im Interesse der Beschwerdeführerin gelegen.
Die Beschwerdeführerin habe auf die vorgenannte Wahlmöglichkeit zu keiner Zeit verzichtet, auch nicht implizit: Am durchgeführten Prüfungsverfahren habe sie sich nur deshalb beteiligt, weil ihr das EPA dieses Verfahren als einzigen Weg zu einer beschwerdefähigen Entscheidung offen gelassen habe.
c) Die Verweigerung einer Recherche sei ohne Rechtsgrundlage erfolgt, insbesondere dürfe sie nicht auf einen Offenbarungsmangel (Artikel 83 EPÜ) gestützt werden. Entscheidend sei vielmehr, dass eine Recherche möglich gewesen sei (was die vom Deutschen Patent- und Markenamt für eine prioritätsbegründende deutsche Voranmeldung durchgeführte Recherche belege); eine Recherche hätte daher durchgeführt werden müssen.
d) Eine Recherche dürfe auch nicht mit dem Argument verweigert werden, dass die Anmeldung ohne recherchiertes Dokument zurückgewiesen werden könne. Die Recherche sei Grundlage der Sachprüfung, nicht umgekehrt, und diene nicht zuletzt auch der Information der Öffentlichkeit (Hinweis auf T 1242/04).
e) Durch die Verweigerung einer Recherche seien der Beschwerdeführerin Nachteile und Rechtsverluste entstanden. Schwerwiegendster Nachteil sei das Fehlen eines zeitnahen Rechercheergebnisses. Ein Anmelder benötige grundsätzlich ein schnelles Rechercheergebnis, um sein unternehmerisches Risiko abschätzen zu können und/oder eine neue Fassung der Anmeldung einreichen zu können.
f) Im Übrigen weise die Anmeldung keinesfalls einen Offenbarungsmangel auf. Dies hätte die Prüfungsabteilung spätestens dann erkannt, wenn sie eine Recherche zur Anmeldung unternommen hätte. Bezüglich der dem Fachmann angeblich fehlenden Lehre habe das EPA von Schreiben zu Schreiben seine Argumentation gewechselt. Es habe am 27. August 2009 begonnen zu argumentieren, dass eine Ausführbarkeit nach Artikel 83 EPÜ wegen funktionaler Definitionen in Anspruch 1 nicht gegeben sei. Die Zurückweisungsentscheidung nenne dann erstmals zu jedem der Ausführungsbeispiele einen mehr oder weniger konkretisierten Grund.
XII. Die Kammer beraumte einen Termin für eine mündliche Verhandlung an. In einem Ladungsanhang stellte sie die Zurückverweisung an die Eingangsstelle und die Erstattung der Beschwerdegebühr in Aussicht.
XIII. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 23. November 2012 statt. Die Beschwerdeführerin hielt die folgenden drei Anträge aufrecht (die in obigem Punkt XI durch Kursivdruck hervorgehoben sind):
- die Zurückweisungsentscheidung aufzuheben;
- festzustellen, dass in diesem Verfahren die Prüfungsabteilung bis heute nicht zuständig geworden ist;
- die Beschwerdegebühr zurückzuzahlen.
1. Anmeldungsgegenstand
Die Anmeldung beinhaltet ein System zur Ortung von Einrichtungsgegenständen in einem Gebäude und offenbart hierzu die Lehre, Einrichtungsgegenstände jeweils mit einem Signalgeber (z.B. Sender) zu versehen, dessen Signal von mindestens einem Empfänger empfangen werden kann, so dass die Position des betreffenden Gegenstands im Gebäude ermittelt werden kann (A1, Absätze 0009...0014) und der Gegenstand somit auffindbar ist (Absätze 0015...0017).
2. Zuständigkeit der Prüfungsabteilung
2.1 Nach Regel 10 (1) EPÜ ist die Eingangsstelle so lange für die Eingangs- und Formalprüfung einer europäischen Patentanmeldung zuständig, bis die Prüfungsabteilung für die Prüfung der europäischen Patentanmeldung nach Artikel 94 Absatz 1 zuständig wird.
Nach Regel 10 (2) EPÜ ist vorbehaltlich der Absätze 3 und 4 die Prüfungsabteilung ab dem Zeitpunkt für die Prüfung einer europäischen Patentanmeldung nach Artikel 94 Absatz 1 zuständig, an dem ein Prüfungsantrag gestellt wird.
Regel 10 (3) EPÜ lautet: Wird ein Prüfungsantrag gestellt, bevor dem Anmelder der europäische Recherchenbericht übermittelt wurde, so ist die Prüfungsabteilung vorbehaltlich des Absatzes 4 ab dem Zeitpunkt zuständig, an dem die Erklärung nach Regel 70 Absatz 2 beim Europäischen Patentamt eingeht.
Regel 10 (4) EPÜ lautet: Wird ein Prüfungsantrag gestellt, bevor dem Anmelder der europäische Recherchenbericht übermittelt wurde, und hat der Anmelder auf das Recht nach Regel 70 Absatz 2 verzichtet, so ist die Prüfungsabteilung ab dem Zeitpunkt zuständig, an dem der Recherchenbericht dem Anmelder übermittelt wird.
2.2 Regel 70 (2) EPÜ, auf die Regel 10 (4) EPÜ Bezug nimmt, ist wie folgt ausgestaltet:
Wird der Prüfungsantrag gestellt, bevor dem Anmelder der europäische Recherchenbericht übermittelt worden ist, so fordert das Europäische Patentamt den Anmelder auf, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob er die Anmeldung aufrechterhält, und gibt ihm Gelegenheit, zu dem Recherchenbericht Stellung zu nehmen und gegebenenfalls die Beschreibung, die Patentansprüche und die Zeichnungen zu ändern.
Nach dieser Aufforderung hat der Anmelder die Wahl, ob er mit der Anmeldung fortfährt oder ob er sie zurücknimmt, mit der Folge, dass er die Prüfungsgebühr zurückerstattet bekommt (siehe Artikel 11 Buchstabe a) der Gebührenordnung). Sinn dieser Regelung ist es, dem Anmelder auf der Basis des Recherchenberichts eine Entscheidung zu ermöglichen, ob es für ihn lohnend ist, im Hinblick auf eventuelle Erfolgsaussichten das Verfahren fortzusetzen.
2.3 Im vorliegenden Fall stellte die Beschwerdeführerin den Prüfungsantrag bereits bei Einreichung der Anmeldung und damit vor Übermittlung der als europäischer Recherchenbericht geltenden Nicht-Recherche-Erklärung nach Regel 63 EPÜ (in der bis 31. März 2010 gültigen Fassung). Die Beschwerdeführerin hat auch weder bei Einreichung der Anmeldung noch zu einem späteren Zeitpunkt auf die Aufforderung nach Regel 70 (2) EPÜ verzichtet. Daher hätte die Eingangsstelle die Beschwerdeführerin auffordern müssen, innerhalb einer zu bestimmenden Frist zu erklären, ob sie die Anmeldung aufrechterhalte.
Eine Aufforderung nach Regel 70 (2) EPÜ kann nur dann entfallen, wenn der Anmelder in Kenntnis des Recherchenberichts gegenüber dem EPA seinen Willen zur Einleitung des Prüfungsverfahrens bereits eindeutig und unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat. Dies ist hier aber gerade nicht geschehen. Das Schreiben der Beschwerdeführerin vom 27. August 2009 kann nicht als eine derartige Erklärung gewertet werden, denn es hat sich gegen die nicht erfolgte Recherche gerichtet und zielte eindeutig darauf ab, eine Recherche zu erhalten. Es kann ihm gerade nicht der Wille entnommen werden, mit der Sachprüfung zu beginnen. Die Interpretation der Prüfungsabteilung, dass angesichts der Tatsache, dass eine beschwerdefähige Entscheidung nur im Prüfungsverfahren getroffen werde könne und deshalb der dahin gehende Antrag als Aufrechterhaltungserklärung im Sinne der Regel 70 (2) EPÜ zu werten sei, steht in klarem Widerspruch zu den Erklärungen der Beschwerdeführerin und stellt dabei formale Dinge in den Vordergrund, die nicht dem Willen der Beschwerdeführerin entsprechen. Ebenso wenig kann die Antwort auf den Prüfungsbescheid als Zustimmung zu dem Prüfungsverfahren gewertet werden, denn die Beschwerdeführerin war gezwungen, hierauf zu reagieren, um eine Rücknahmefiktion zu vermeiden.
Mutmaßungen der Eingangsstelle bzw. der Prüfungsabteilung zum möglichen Interesse eines Anmelders an der Einleitung der Sachprüfung dürfen insoweit nicht an die Stelle einer gesetzlich erforderlichen Aufforderung und Erklärung nach Regel 70 (2) EPÜ treten. Die eindeutige und ausschließliche Zuständigkeitszuweisung im EPÜ hat Vorrang vor Erwägungen der Verfahrensökonomie oder Kostenersparnis (J 5/01).
2.4 Das Fehlen einer eindeutigen Aufrechterhaltungserklärung der Beschwerdeführerin bedeutet im Ergebnis, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Übergang der Zuständigkeit von der Eingangsstelle auf die Prüfungsabteilung (Regel 10 (3) EPÜ) nicht vorlagen. Die angegriffene Entscheidung wurde somit von der Prüfungsabteilung zu einem Zeitpunkt erlassen, zu dem ihre Zuständigkeit nicht gegeben war, und ist aus diesem Grund aufzuheben.
Die Sache ist daher an die zuständig gebliebene Eingangsstelle zurückzuverweisen.
3. Erstattung der Beschwerdegebühr
Eine Entscheidung durch ein unzuständiges Organ stellt einen wesentlichen Verfahrensfehler dar, der die Rückzahlung der Beschwerdegebühr rechtfertigt (Regel 103 (1) (a) EPÜ).
Die Kammer gibt daher auch dem diesbezüglichen Antrag statt.
4. Durchführbarkeit und Notwendigkeit einer Recherche
Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass eine Nachrecherche nicht erforderlich war, da auch in Abwesenheit weiterer Dokumente aus dem Stand der Technik eine Entscheidung wegen mangelnder Offenbarung möglich war. In der Entscheidung T 1242/04-Bereitstellung produktspezifischer Daten/MAN, ABl. EPA 2007, 421, hat die Kammer ausgeführt, dass sich die Vorschrift der Regel 45 EPÜ 1973 (jetzt Regel 63 EPÜ) ausschließlich auf die Durchführbarkeit einer Recherche und nicht auf die mögliche Relevanz ihres Ergebnisses bei der Verwendung für die später vorzunehmende Sachprüfung bezieht. Eine Recherche ist die Grundlage der Sachprüfung und nicht umgekehrt (8.3 der Gründe). Im vorliegenden Fall erscheint eine Recherche auch durchaus möglich.
4.1 Gemäß der Prüfungsabteilung sei es nicht möglich, Anspruchsmerkmale zu recherchieren, die nur durch ihren Zweck definiert seien. Nach Ansicht der Kammer trifft jedoch eher das Gegenteil zu: Je breiter ein Merkmal definiert ist, desto leichter lassen sich im Stand der Technik Belege zu ihm finden. In Ausnahmefällen mag von vornherein klar sein, dass es keinen sinnvollen Stand der Technik geben kann (weil zum Beispiel ein perpetuum mobile beansprucht wird). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
4.2 Auch die Einwände nach Artikel 83 EPÜ belegen keinesfalls eine Unmöglichkeit der Recherche.
Laut Prüfungsabteilung seien die Anspruchsgegenstände nicht ausführbar und nicht recherchierbar, weil die angestrebte Ortung nicht genauer als in dem von der Anmeldung genannten Stand der Technik erzielbar sei. Aus dieser Aussage schließt die Kammer jedoch vielmehr, dass eine allgemeine Recherche auf dem Gebiet der Ortungstechnik durchaus möglich und aussagekräftig gewesen wäre. Denn technisch ist es ohne weiteres plausibel, dass ein Funk-, Infrarot- oder Ultraschallsender geortet werden kann. Die Recherchierbarkeit des Ortungsprinzips ist keine Frage der Genauigkeit der erzielbaren Ortung. Objektiv verlangt die Anmeldung keine revolutionären technischen Mittel, sondern stützt sich großteils auf bekannte technische (z.B. Piezo-)Elemente. Soweit solche Elemente für ihre jeweiligen Zwecke naheliegen, sind sie gerade aus diesem Grund auch ausführbar und recherchierbar (unabhängig von der Frage, ob am Ende ein Patent erteilt werden kann). Auch kann unter Umständen der Stand der Technik gerade dazu Aufschluss geben, ob eine Erfindung ausführbar ist, so dass die Ausführbarkeit nicht zwingend isoliert vom Stand der Technik betrachtet werden kann.
4.3 Da eine Recherche Voraussetzung für die Sachprüfung ist und eine Recherche möglich war, hätte eine Zurückweisung nicht ohne Recherche erfolgen dürfen. Die Rechtsprechung hat anerkannt, dass eine Anmeldung nur dann ohne Nachrecherche durch die Prüfungsabteilung zurückgewiesen werden kann, wenn es sich bei den einzigen technischen Merkmalen um notorische Merkmale handelt (siehe T 1924/07-FA Information/BRIDGESTONE CORP., Punkt 10). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Sache wird an die Eingangsstelle zur weiteren Behandlung zurückverwiesen.
3. Die Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird angeordnet.