T 0028/11 25-03-2014
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HAUT- ODER WUNDAUFLAGE MIT VERKAPSELTEN, WUNDHEILUNGSFÖRDERNDEN UND/ODER HAUTPFLEGENDEN SUBSTANZEN
Hauptantrag
Ausreichende Offenbarung - ja
Neuheit - ja
erfinderische Tätigkeit - nicht naheliegende Alternative
I. Die Beschwerden der Beschwerdeführerin I (Patentinhaberin) und der Beschwerdeführerin II (Einsprechende) richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit welcher das europäische Patent Nr.1 648 529 in geänderter Fassung auf Grundlage des damals geltenden Hilfsantrages I aufrecht erhalten wurde.
II. Im Verfahren vor der Einspruchsabteilung war das Streitpatent in seinem gesamten Umfang von der Beschwerdeführerin II wegen unzureichender Offenbarung, mangelnder Neuheit und mangelnder erfinderischer Tätigkeit angegriffen worden (Artikel 100 a) und b) EPÜ). Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem folgende Druckschriften genannt:
(1) EP-A-1 190 723,
(1a) DE-A-19 646 484,
(2) EP-A-1 203 572,
(3) WO 03/026544 und
(4) WO 02/087534.
III. Der angefochtenen Entscheidung lagen gemäß Hauptantrag die erteilten Ansprüche 1 bis 19 zugrunde. Die unabhängigen Stoffansprüche 1 und 2 lauteten wie folgt:
"1. Haut-oder Wundauflage beinhaltend
a. eine Polykondensatmatrix basierend auf mindestens einem Polykondensatmonomer mit mindestens einer Polykondensatgruppe, und
b. ein teilchenförmiges wasserabsorbierendes Polymer, beinhaltend mindestens eine wundheilungsfördernde und/oder mindestens eine hautpflegende Substanz, mit mindestens einer funktionellen Gruppe, die mit der Polykondensatgruppe unter Bildung einer kovalenten Bindung reagieren könnte, oder
c. ein wasserabsorbierendes Polymer enthaltend mindestens eine wundheilungsfördernde und/oder mindestens eine hautpflegende Substanz,
wobei das teilchenförmige wasserabsorbierende Polymer mindestens teilweise von der Polykondensatmatrix umgeben ist, und
wobei die Haut- oder Wundauflage eine Wundheilsubstanz- oder Wirkstoffverfügbarkeit von mindestens 10 Gew.-% nach dem hierin angegebenen Extraktions-Test zeigt,
dadurch gekennzeichnet, dass die wundheilungsfördernde und/oder hautpflegende Substanz in dem wasserabsorbierenden Polymer inkorporiert ist."
"2. Haut- oder Wundauflage umfassend
a. eine luft- und wasserdampfdurchlässige Polyurethanmatrix enthaltend
b. ein wasserabsorbierendes Polymer in das mindestens eine wundheilungsfördernde und/oder mindestens eine hautpflegende Substanz inkorporiert ist."
IV. Die Einspruchsabteilung stellte in der angefochtenen Entscheidung fest, dass das Patent in seiner Fassung gemäß Hauptantrag die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, nicht ausreichend offenbare. Insbesondere sei der für die Wirkstoffverfügbarkeit angegebene Extraktionstest nur für Dexpanthenol als Wirkstoff in Natriumpolyacrylat in einer Polyurethanmatrix beschrieben, so dass der Fachmann keine Anleitung hatte, die Bestimmung des in Anspruch 1 geforderten Parameters für andere, ebenfalls beanspruchte Kombinationen aus Matrix, wasserabsorbierenden Polymeren und Wirkstoffen durchzuführen. Die hierfür nötigen Versuche stellten für den Fachmann einen unzumutbaren Aufwand dar. Der beanspruchte Gegenstand des damaligen Hilfsantrages 1 wurde als neu und im Hinblick auf Druckschrift (3) als nächstliegendem Stand der Technik auch als erfinderisch angesehen.
V. Die Beschwerdeführerin I brachte vor, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 ausführbar sei. Wie in der Patentschrift angegeben, werde der Extraktionstest mit einer wirkstoffdotierten Probe durchgeführt, deren Wirkstofffreisetzungsrate man ermitteln wolle. Da sich das Merkmal der Wirkstoffverfügbarkeit auf die Haut- oder Wundauflage beziehe, werde als "Probe" für den Extraktionstest ein Teil der Haut- oder Wundauflage verwendet und nicht nur eine Komponente derselben. Da dem Fachmann die eingesetzte Menge des Wirkstoffs in der Probe bekannt sei, könne er auch feststellen, ob sich 10 Gew.-% davon in freigesetzter Form im Extrakt befinden. Die Durchführung dieser Tests sei für den Fachmann nicht mit einem unzumutbaren Aufwand verbunden. Für den Fall, dass eine Probe eine Wirkstoffverfügbarkeit unter 10 Gew.-% aufweise, finde der Fachmann in Paragraph [0094] des Streitpatentes Hinweise darauf, wie er die Haut- oder Wundauflage modifizieren könne, um ein anspruchsgemäßes Produkt zu erhalten.
Zur Neuheit brachte die Beschwerdeführerin I vor, dass keine der zitierten Druckschriften (1) bis (5) eine Haut- oder Wundauflage offenbare, die in einer Polykondensatmatrix ein wasserabsorbierendes Polymer mit einem darin inkorporierten Wirkstoff enthalte. Da die zitierten Druckschriften die Verwendung eines derartigen wirkstoffhaltigen wasserabsorbierenden Polymers nicht nahelegten, beruhe der Gegenstand der erteilten Ansprüche auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Mit Schriftsatz vom 3. August 2011 reichte sie die Hilfsanträge 1 bis 6 ein. Mit Schriftsatz vom 7. März 2014 reichte sie neue Hilfsanträge 5 bis 8 ein, wobei die neu eingereichten Hilfsanträge 5 und 6 die entsprechenden Hilfsanträge 5 und 6, wie mit Schriftsatz vom 3. August 2011 eingereicht, ersetzten.
VI. Die Beschwerdeführerin II brachte vor, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 die Erfindung nicht so ausreichend offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Insbesondere das Merkmal, wonach die Haut- oder Wundauflage eine Wundheilsubstanz-oder Wirkstoffverfügbarkeit von mindestens 10 Gew.-% nach dem in der Patentschrift angegebenen Extraktions-Test zeige, könne nicht über den gesamten Bereich nachgearbeitet werden, da der angegebene Extraktionstest nur mit einzelnen Vertretern durchgeführt worden sei, nämlich mit einer Polyurethanmatrix und mit einem teilneutralisierten, schwach vernetzten Polyacrylat, welches als Wirkstoff nur Dexpanthenol. Es sei bekannt, dass auch die Polymervernetzung, die Quantität an zugesetztem Superabsorber, die Art der Wirkstofffixierung und die Wahl des Wirkstoffs einen wesentlichen Einfluss auf die Kinetik der Wirkstoffverfügbarkeit zeigten. Aufgrund dieser Kriterien sei der Test nicht ohne weiteres auf den gesamten beanspruchten Bereich übertragbar, sondern benötige umfangreiche Testreihen.
Darüber hinaus sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von Druckschriften (1) und (4) neuheitsschädlich getroffen und beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Hinblick auf die Druckschriften (1) bis (4). Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 2 sei im Hinblick auf die Druckschriften (1) bis (4) nicht neu und beruhe auch nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
VII. Die Beschwerdeführerin I beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie erteilt aufrechtzuerhalten (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte sie die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage eines ihrer Hilfsanträge 1 bis 4, eingereicht mit Schriftsatz vom 3. August 2011, oder auf der Grundlage eines ihrer Hilfsanträge 5 bis 6, eingereicht mit Schriftsatz vom 7. März 2014.
Die Beschwerdeführerin II beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
VIII. Am Ende der mündlichen Verhandlung am 25. März 2014 vor der Kammer wurde die Entscheidung verkündet.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
Hauptantrag
2. Ausführbarkeit (Artikel 100 b) EPÜ)
2.1 Die Beschwerdeführerin II hat die Ausführbarkeit der Erfindung, wie im erteilten Anspruch 1 definiert, angegriffen. Insbesondere sei der in Anspruch 1 enthaltene Parameter, wonach "die Haut- oder Wundauflage eine Wundheilsubstanz- oder Wirkstoffverfügbarkeit von mindestens 10 Gew.-% nach dem hierin [in der Patentschrift] angegebenen Extraktions-Test zeigt", nicht über die gesamte Breite des Anspruchs ohne unzumutbaren Aufwand ausführbar.
2.2 Gemäß Artikel 83 EPÜ ist die Erfindung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Nach der Rechtsprechung der Beschwerdekammern ist diese Vorschrift so zu verstehen, dass der im Anspruch definierte Gegenstand anhand der Lehre der Patentschrift und unter Mithilfe des allgemeinen Fachwissens ohne unzumutbaren Aufwand, wozu auch die Durchführung üblicher Versuche gehört, vollständig ausführbar sein muss. Dies gilt auch, wenn der Gegenstand anhand funktioneller Merkmale definiert wird (vgl. T 369/05, Punkt 3.3 der Entscheidungsgründe, mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung der Beschwerdekammern sowie "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes", 7. Aufl., II.C.4.4). Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Patentschrift, gegebenenfalls zusammen mit dem Fachwissen, ausreichende Informationen darüber liefern muss, wie eine anspruchsgemäße Haut- oder Wundauflage ausgestaltet sein muss, um "eine Wundheilsubstanz- oder Wirkstoffverfügbarkeit von mindestens 10 Gew.-% nach dem hierin [in der Patentschrift] angegebenen Extraktions-Test" zu zeigen.
Der zur Bestimmung der anspruchsgemäßen Wirkstoffverfügbarkeit heranzuziehende Extraktions-Test wird auf Seite 14, Zeile 52 bis Seite 15, Zeile 14 ausführlich beschrieben. Dabei werden "0.5 g einer wirkstoffdotierten Probe, die beispielsweise eine teilneutralisierte, schwach vernetzte Polyacrylsäure mit Dexpanthenol als Wirkstoff oder eine diese beinhaltende Polymermatrix" unter definierten Bedingungen mit 100 ml einer 0.9%igen Kochsalzlösung gerührt. Anschließend wird die freigesetzte Wirkstoffmenge durch HPLC-Analyse bestimmt. Da sich der Parameter der Wirkstofffreisetzung auf die Haut- oder Wundauflage bezieht, handelt es sich bei der in der Beschreibung des Extraktions-Tests angegebenen "wirkstoffdotierten Probe" um eine Probe der Haut- oder Wundauflage. Die Hinweise auf "eine teilneutralisierte, schwach vernetzte Polyacrylsäure mit Dexpanthenol als Wirkstoff oder eine diese beinhaltende Polymermatrix" auf Seite 14, Zeilen 53 bis 54 stellen nur als Beispiele angegebene wirkstoffdotierte Proben dar, ohne die jeweils zu messende wirkstoffdotierte Probe darauf zu beschränken. Die technische Durchführung des Extraktions-Tests und die Bestimmung der freigesetzten Wirkstoffmenge erscheint somit ausreichend offenbart und wurde auch nicht von der Beschwerdegegnerin II angegriffen.
2.3 Durch die Inkorporierung des Wirkstoffs in ein wasserabsorbierendes Polymer wird verhindert, dass der Wirkstoff bei der Herstellung der Polykondensatmatrix in diese eingebunden wird. Damit bleibt der Wirkstoff in dem wasserabsorbierenden Polymer und kann in Gegenwart von Wasser oder Wundexudat aus der Polykondensatmatrix freigesetzt werden. Die Streitpatentschrift enthält mehrere Beispiele, die dem Fachmann detaillierte Anleitung geben, wie die Erfindung auszuführen ist. Sollte eine Haut- oder Wundauflage nicht den in Anspruch 1 geforderten Parameter der Wirkstoffverfügbarkeit von mindestens 10 Gew.-% erfüllen, so enthält Paragraph [0094] der Patentschrift Hinweise darauf, durch welche Maßnahmen dieser Parameter beeinflusst werden kann, so dass der Fachmann auch nach Auswertung anfänglicher Fehlschläge zielgerichtet zu Haut- oder Wundauflagen gelangt, welche die geforderte Wirkstoffverfügbarkeit von mindestens 10 Gew.-% erfüllen.
2.3.1 Die Beschwerdegegnerin II brachte vor, dass die Beispiele des Streitpatents nur mit einer Polyurethanmatrix, mit einem schwach verzweigten Polyacrylat als wasserabsorbierendem Polymer und mit Dexpanthenol als Wirkstoff durchgeführt wurden. Diese spezifische Materialkombination könne jedoch nicht auf Kombinationen von anderen Polykondensatmatrices mit anderen wasserabsorbierenden Polymeren und und anderen Wirkstoffen übertragen werden, weshalb die Ausführbarkeit zumindest nicht über den gesamten beanspruchten Bereich gegeben sei.
Indessen hat die Beschwerdeführerin II für diese Behauptung, für die sie beweispflichtig ist, weder Tatsachen noch Beweismittel vorgebracht, mit der Konsequenz, dass ihre Behauptung, die Erfindung sei nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar, nur als unbewiesene Vermutung angesehen werden kann.
2.3.2 Die Beschwerdegegnerin II brachte weiterhin vor, dass die Wirkstofffreisetzung auch von der individuell unterschiedlichen Löslichkeit verschiedener Wirkstoffe abhänge. Insbesondere seien manche Wirkstoffe in den naturgemäß kleinen Mengen an Wundexsudat kaum löslich, so dass auch eine Erhöhung der Konzentration von Wirkstoff keine Erhöhung der Wirkstoffmenge über die Sättigungskonzentration hinaus ermögliche. Die anspruchsgemäß geforderte Freisetzung von mindestens 10 Gew.-% des Wirkstoffes werde dabei nicht erreicht.
Indessen bezieht sich dieses Argument der Beschwerdeführerin II auf die in vivo Situation, bei der die Löslichkeit eines Wirkstoffes von Bedeutung ist. Bei dem Parameter der Wirkstofffreisetzung gemäß Anspruch 1 handelt es sich jedoch um einen in vitro Test mit einer deutlich größeren Flüssigkeitsmenge, nämlich 100 ml einer phydiologischen Kochsalzlösung. Der Extraktions-Test des Anspruchs 1 soll lediglich die Haut- oder Wundauflage hinsichtlich ihrer Wirkstofffreisetzung testen, nicht jedoch die tatsächliche Menge an Wirkstoff in einer Wunde. Daher kann das Argument des Beschwerdeführers II nicht überzeugen.
2.3.3 Weiterhin brachte die Beschwerdeführerin II vor, dass in Paragraph [0094] der Patentschrift keine Hinweise darauf zu entnehmen seien, wie man eine anspruchsgemäße Wirkstofffreisetzung von 10 Gew.-% erreichen könne, da sich dieser Abschnitt nur mit der Kinetik der Freisetzung befasse.
Indessen bezieht sich der Parameter der Wirkstofffreisetzung auf den in der Patentschrift angegebenen Extraktions-Test, der wiederum die innerhalb einer Stunde freigesetzte Menge an Wirkstoff betrifft. Daher kann auch dieses Argument der Beschwerdeführerin II nicht überzeugen.
2.3.4 In Bezug auf die Ausführbarkeit rügte die Beschwerdeführerin II weiterhin, dass wegen angeblicher Unklarheiten in Anspruch 1 der Fachmann nicht feststellen könne, ob er innerhalb oder außerhalb des Anspruchs arbeite, so dass die Erfindung nicht im gesamten Bereich ausführbar sei.
Diese Rüge ist jedoch tatsächlich ein Einwand unter Artikel 84 EPÜ (Deutlichkeit), der im Hinblick auf die Ansprüche in erteilter Fassung nicht zulässig ist.
2.3.5 Die Beschwerdeführerin II brachte auch vor, dass die Beispiele der Patentschrift keine Hinweise darauf enthielten, dass die dort hergestellten Haut- oder Wundauflagen tatsächlich eine Wirkstofffreisetzung von mindestens 10 Gew.-% erreichten.
Indessen ist grundsätzlich davon auszugehen, dass die Beispiele, die die beanspruchte Erfindung illustrieren sollen, auch die im Anspruch geforderten Merkmale, hier die Wirkstofffreisetzung von mindestens 10 Gew.-%, erfüllen. Für die Behauptung, dass dies in den Beispielen des Streitpatentes nicht der Fall sei, ist die Beschwerdeführerin II beweispflichtig. Sie brachte jedoch weder Tatsachen noch Beweismittel hierfür vor, mit der Konsequenz, dass ihre Behauptung, die Erfindung sei nicht im gesamten beanspruchten Bereich ausführbar, nur als unbewiesene Vermutung angesehen werden kann.
2.4 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass der Einspruchsgrund der mangelnden Ausführbarkeit der Erfindung gemäß Artikel 100 b) EPÜ in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ nicht durchgreift.
Anspruch 1
3. Auslegung des Anspruchs
Die Beschwerdeführerin II rügte, dass der erteilte Anspruch 1 unklar sei, da er durch die Verknüpfung der Komponenten "a. [...] und b. [...] oder c. [...]" sowohl eine Haut- oder Wundauflage betreffe, die nur durch die Kombination der Merkmale a. (Polykondensat) und b. (teilchenförmiges wasserabsorbierendes Polymer) charakterisiert werde, als auch eine Haut- oder Wundauflage, die nur das Merkmal c, ein wasserabsorbierendes Polymer, aufweisen müsse.
Geht man, zugunsten der Beschwerdeführerin II, von einer möglichen Unklarheit aus, so ist zur Auslegung des Anspruchs in jedem Falle die Beschreibung des Streitpatentes heranzuziehen (vgl. zur ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern, "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamtes", 7. Aufl., II.A.6.3.1). Da jedoch in der Streitpatentschrift stets von einer Polykondensatmatrix ausgegangen wird, die mit einem wirkstoffdotierten wasserabsorbierenden Polymer kombiniert ist, kann die Interpretation der Beschwerdeführerin II, wonach eine anspruchsgemäße Haut- oder Wundauflage auch nur das Merkmal c, also nur ein wirkstoffhaltiges wasserabsorbierendes Polymer ohne die Polykondensatmatrix a enthalten kann, ausgeschlossen werden.
4. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
4.1 Die Beschwerdeführerin II zitierte die Druckschriften (1) bis (4) als neuheitsschädlich für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 1.
4.1.1 Druckschrift (1) offenbart Wundverbände auf Basis einer Polyurethanmatrix (siehe Anspruch 1). Paragraph [0036] der Druckschrift (1), auf Seite 5, Zeilen 41 bis 45, beschreibt verschiedene Ausgestaltungsvarianten der Polyurethanmasse: Sie kann geschäumt oder ungeschäumt sein, ungefüllt sein oder zusätzliche Füllstoffe enthalten. Die Liste der Füllstoffe nennt auch "Superabsorber", d.h. wasserabsorbierende Polymere (Seite 5, Zeilen 41 bis 42). In der zentralen Zone der Pflastersysteme kann die Polyurethanmasse auch mit Wirkstoffen dotiert werden (Seite 5, Zeile 43 bis 44). Weiterhin können auch Hydrogele in halbfester oder fester Form mit aktiven Bestandteilen für die zentrale Zone verwendet werden. (Seite 5, Zeile 44 bis 45). In Beispiel 1 offenbart Druckschrift (1) die Herstellung eines Polyurethanformkörpers, wobei dem Ausgangsmaterial vor der Herstellung der Polyurethanmatrix sowohl Vitamin E, als auch 10 Gew.-% des Superabsorbers "Favor T" zugesetzt wurde. Damit ist der Druckschrift (1) zumindest jenes Merkmal des Anspruchs 1, wonach der Wirkstoff in einem wasserabsorbierenden Polymer inkorporiert ist, nicht zu entnehmen.
Die Beschwerdeführerin II argumentiert, dass "Favor T" bereits 10 Gew.-% Dexpanthenol enthalte, was aus der Streitpatentschrift hervorgehe. Daher sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 von Beispiel 1 der Druckschrift (1) neuheitsschädlich getroffen.
Jedoch ist weder der Druckschrift (1), noch der Streitpatentschrift zu entnehmen, dass der Superabsorber "Favor T" bereits Dexpanthenol als Wirkstoff enthält, so dass davon auszugehen ist, dass es sich bei der Bezeichnung "Favor T" um ein Handelsprodukt handelt, das frei von Wirkstoffen ist. Daher kann dieses Argument der Beschwerdeführerin II nicht durchgreifen.
Als weiteres Argument der Beschwerdeführerin II ist, dass bei der Herstellung der Polyurethanmasse in Beispiel 1, also beim Zusammengeben der einzelnen Komponenten sich bereits das Vitamin E auch teilweise an den Superabsorber "Favor T" bindet. Damit entstehe automatisch eine Polyurethanmatrix, die auch wirkstoffhaltige wasserabsorbierende Polymerteilchen enthalte.
Indessen ist der Druckschrift (1) nicht zu entnehmen, dass sich nur durch Vermischen der einzelnen Komponenten ohne die Anwesenheit von Wasser komplexe Strukturen bilden, nämlich wasserabsorbierende Polymerteilchen, in die der Wirkstoff inkorporiert ist. Dies erscheint auch im Hinblick auf die Patentschrift selbst unwahrscheinlich, da dort in einem separaten Verfahrensschritt der Wirkstoff in wässriger Lösung in das vorgequollene wasserabsorbierende Polymer inkorporiert wird. Daher kann dieses Argument nicht überzeugen.
Weiter argumentiert die Beschwerdeführerin II, dass die in Paragraph [0036] der Druckschrift (1) genannten Hydrogele ebenfalls wasserabsorbierende Polymere seien, die aktive Bestandteile enthielten.
Indessen ist der Wortlaut des erteilten Anspruchs 1 des Streitpatents klar hinsichtlich des Aufbaus der Haut- oder Wundauflage, welcher zumindest zwei verschiedene polymere Materialien vorsieht, nämlich eine Polykondensatmatrix und ein wirkstoffhaltiges wasserabsorbierendes Polymer. Dieser Aufbau aus mindestens zwei verschiedenen Materialien ist der Druckschrift (1) nicht zu entnehmen, weshalb auch dieses Argument nicht überzeugt.
Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass Druckschrift (1) dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neuheitsschädlich entgegensteht.
4.1.2 Druckschrift (2) ist in ihrem Offenbarungsgehalt der Druckschrift (1) sehr ähnlich und enthält wortgleich mit dieser den Paragraph [0036] (siehe Druckschrift (2), Spalte 7, Zeilen 15 bis 24), auf den sich die Beschwerdeführerin II ausschließlich stützt. Daher kommt die Kammer zu dem Schluss, dass auch Druckschrift (2) dem Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht neuheitsschädlich entgegensteht.
4.1.3 Druckschrift (3) offenbart einen therapeutischen Wundverband, dessen hautkontaktierende Oberfläche von einer Barriereschicht gebildet wird, welche mehrere Öffnungen von definierter Größe enthält. Diese Öffnungen können ggf. mit einem biologisch zersetzbaren Material verschlossen sein. Auf der der Hautoberfläche abgewandten Seite dieser Barriereschicht sind mehrere wirkstoffhaltige Teilchen angeordnet, die erst dann die Öffnungen der Barriereschicht passieren können, wenn durch das Wundexudat eine Quellung der Barriereschicht mit einer damit einhergehenden Vergrößerung der Öffnungen erfolgt ist, oder, wenn das Material, welches die Poren verschließt, durch Kontakt mit dem Wundexudat biologisch zersetzt worden ist (Seite 3, Zeilen 7 bis 13; Seite 10, Zeilen 24 bis 30, Figuren 1 und 2; Seite 15 Zeile 4 bis Seite 16, Zeile 25). Die dabei in die Wunde eingebrachten wirkstoffhaltigen Teilchen werden dort enzymatisch zersetzt und setzen so den Wirkstoff frei (Seite 11, Zeilen 11 bis 18). Damit ist zumindest das Merkmal des Anspruchs 1, wonach der Wirkstoff in einem wasserabsorbierenden Polymer inkorporiert ist, nicht aus Druckschrift (3) zu entnehmen.
Die Beschwerdeführerin II argumentiert, dass gemäß der Figur 1 und 2 der Druckschrift (3) als Material für die wirkstoffbeladenen Teilchen "vernetzte Gelatine" eingesetzt werde. Da allgemein bekannt sei, dass Gelatine in Wasser aufquelle, sei in Druckschrift (3) ebenfalls ein wirkstoffhaltiges wasserabsorbierendes Polymer offenbart.
Indessen handelt es sich in Druckschrift (3) bei dem Material, das für die wirkstoffhaltigen Teilchen verwendet wird, um "vernetzte Gelatine". Dieses Material soll nicht durch Wasserabsorption quellen, da die Teilchen durch die Poren der Barriereschicht zur Hautoberfläche wandern sollen und nicht in Gegenwart von Wundexudat aufquellen sollen. Erst in der Wunde wird dieses Material enzymatisch zersetzt. Somit gilt die "vernetzte Gelatine" nicht als wasserabsorbierendes Polymer im Sinne des Streitpatentes.
4.1.4 Druckschrift (4) offenbart Sericosid enthaltenden dermatologische Formulierungen, die eine gezielte Freisetzung des Wirkstoffes ermöglichen (Seite 1, Zeile 31 bis Seite 13, Zeile 16). In den Beispielen wird auch ein Pflaster auf Basis einer Polyurethanmatrix offenbart, welches den Superabsorber "Favor T", sowie als Wirkstoffe Vitamin E und Sericosid enthält (Seite 73), sowie ein ähnliches Pflaster auf Basis einer Polyacrylsäurematrix (Seite 74). Dabei ist der Wirkstoff jeweils direkt in der Matrix dispergiert und liegt nicht in einem wasserabsorbierenden Polymer inkorporiert vor.
4.2 Daher kommt die Kammer zur Auffassung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu ist gegenüber den zitierten Druckschriften (1) bis (4).
4.3 Die Neuheit des Gegenstandes des unabhängigen Anspruchs 2 wurde nicht bestritten. Da keine der zitierten Druckschriften ein wasserabsorbierendes Polymer offenbart, in welches der Wirkstoff inkorporiert ist, sieht auch die Kammer keine Veranlassung, die Neuheit des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 2 in Zweifel zu ziehen.
5. Erfinderische Tätigkeit
5.1 Gemäß Artikel 56 EPÜ beruht eine Erfindung auf einer erfinderischen Tätigkeit, wenn sie sich für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik ergibt. Für die Beantwortung dieser Frage ist es nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern erforderlich, den nächstliegenden Stand der Technik festzustellen, demgegenüber die Aufgabe zu ermitteln, die erfindungsgemäß aus objektiver Sicht gestellt und gelöst wird, und die Frage des Naheliegens der anmeldungsgemäßen Lösung dieser Aufgabe für den Fachmann angesichts des Standes der Technik zu klären (siehe u.a. T 1/80, ABl. EPA 1981, 206, Entscheidungsgründe Punkt 3, 6, 8 und 11; T 24/81, ABl. EPA 1983, 133, Entscheidungsgründe Punkt 4; T 248/85, ABl. EPA 1986, 261, Entscheidungsgründe Punkt 9.1).
5.2 In der angefochtenen Entscheidung wurde die Druckschrift (3) als nächstliegender Stand der Technik angesehen. Die Beschwerdeführerin II zog im Beschwerdeverfahren zusätzlich die Druckschrift (4) an.
5.3 Die Druckschriften (3) und (4) beschreiben jeweils wirkstoffhaltige Pflastersysteme, die eine gezielte Freisetzung des Wirkstoffes ermöglichen. In dem Pflastersystem gemäß Druckschrift (4) wird der freie Wirkstoff direkt in der Polykondensatmatrix dispergiert (siehe Paragraph 4.1.4 supra), während der Wirkstoff in dem Pflastersystem gemäß der Druckschrift (3) in verkapselter Form als wirkstoffhaltige Teilchen eingesetzt wird (siehe Paragraph 4.1.3 supra). Die Verabreichungsform des Wirkstoffes der Druckschrift (4 ) ist somit vom Gegenstand des Streitpatentes weiter entfernt, als die Druckschrift (3).
Infolgedessen kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass das Druckschrift (3) den nächstliegenden Stand der Technik und Ausgangspunkt bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt.
5.4 Wie von der Beschwerdeführerin I vorgetragen, bestand die Aufgabe des Streitpatentes darin, ausgehend von Druckschrift (3) als nächstliegendem Stand alternative Pflaster mit gezielter Freisetzung des Wirkstoffes bereitzustellen.
5.5 Als eine Lösung dieser Aufgabe schlägt das Streitpatent die Haut- oder Wundauflage gemäß Anspruch 1 vor, die anstelle von biologisch zersetzbaren wirkstoffhaltigen Teilchen ein wasserabsorbierendes Polymer offenbart, in welches der Wirkstoff inkorporiert ist.
5.6 Dass die Haut- oder Wundauflage gemäß Anspruch 1 diese Aufgabe erfolgreich löst war zwischen den Parteien nicht strittig.
5.7 Es bleibt daher zu untersuchen, ob die vom Streitpatent vorgeschlagene Lösung durch den Stand der Technik nahegelegt war, oder nicht.
5.8 Die Druckschrift (3) lehrt, dass die kontrollierte Freisetzung des Wirkstoffs durch kontrollierten Durchtritt der wirkstoffhaltigen Teilchen durch die zwischen Wundoberfläche und Polyurethanmatrix liegende Barriereschicht erreicht wird, d.h. durch Kontrolle der Öffnungen in der Barriereschicht. Der Wirkstoff wird anschließend stets durch Auflösung der wirkstoffhaltigen Teilchen erzielt. Druckschrift (3) enthält jedoch keinen Hinweis darauf, als Alternative das Material der wirkstoffhaltigen Teilchen derart zu modifizieren, dass sie sich in Wundsekret nicht auflösen, sondern dass ihre Struktur durch Aufnahme von Flüssigkeit aufquillt und der Wirkstoff aus der aufgequollenen Struktur der Teilchen freigesetzt werden kann. Auch Druckschrift (4) enthält keinen Hinweis auf diese im Streitpatent angebotene Lösung.
5.9 Die Beschwerdeführerin II brachte vor, dass sich Fachmann bei der Herstellung des auf Seite 73 der Druckschrift (4) offenbarten Pflasters automatisch auch wirkstoffhaltige Teilchen gemäß Streitpatent bildeten, da sich der Wirkstoff Vitamin E automatisch in die Struktur des ebenfalls in der Mischung vorliegenden Superabsorbers "Favor T" inkorporiere.
Indessen ist festzustellen, dass gemäß Streitpatent die Herstellung der wirkstoffhaltigen wasserabsorbierenden Teilchen immer durch Anwendung einer wässrigen Lösung erfolgt. Druckschrift (4) enthält jedoch keinen Hinweis auf eine wässrige Lösung, noch findet sich ein Hinweis darauf, dass Vitamin in die Struktur des Superabsorbers inkorporiert wird. Daher beruht die Argumentation der Beschwerdeführerin II auf einer rückschauenden Betrachtung, die bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit auszuschließen ist.
6. Die Kammer gelangt daher zu der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht.
Anspruch 2
7. Auch die Haut- oder Wundauflage gemäß Anspruch 2 ist dadurch gekennzeichnet, dass der Wirkstoff in einem wasserabsorbierenden Polymer inkorporiert ist. Da aufgrund dieses technischen Merkmals der Gegenstand des Anspruchs 1 als nicht nahegelegt angesehen wurde (siehe Paragraph 5. supra), kann aus denselben Gründen auch dem Gegenstand des Anspruchs 2 eine erfinderische Tätigkeit zugrunde gelegt werden.
8. Die abhängigen Ansprüche 3 bis 19, enthalten ebenfalls dieses Merkmal. Daher wird deren erfinderische Tätigkeit von derjenigen der unanhängigen Ansprüche 1 und 2 getragen.
8.1 Die Kammer kommt somit zum Ergebnis, dass der Gegenstand der Ansprüche gemäß Hauptantrag, d.h. der Ansprüche wie erteilt, auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ beruht.
Hilfsanträge 1 bis 6
9. Da der Gegenstand des Hauptantrages für gewährbar erachtet wurde, ist über die nachrangigen Hilfsanträge 1 bis 6 nicht zu entscheiden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form aufrecht erhalten.