T 1311/11 06-09-2016
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Entschlüsselungs-Modul für Receiver zum Empfangen von digital codierten Rundfunk- oder Fernsehsignalen
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung über die Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 02 008 933.0.
II. Der Zurückweisungsentscheidung lag ausschließlich der in der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung eingereichte Satz von Patentansprüchen zugrunde. Die früheren Sätze von Patentansprüchen, insbesondere der mit Schreiben vom 16. November 2010 eingereichte, wurden in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Zurückweisungsgrund war mangelndes Beruhen auf erfinderischer Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) des beanspruchten Gegenstandes, insbesondere gegenüber einem Dokument D1 in Kombination mit allgemeinem Fachwissen. In einer alternativen Argumentation war der Zurückweisungsgrund mangelnde erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) des beanspruchten Gegenstandes gegenüber D1 in Kombination mit Dokumenten D2 oder D5.
III. Die Anmelderin legte Beschwerde ein und beantragte, die Entscheidung aufzuheben. Mit der Beschwerdebegründung reichte sie als Hauptantrag im Beschwerdeverfahren den mit Schreiben vom 16. November 2010 eingereichten Hilfsantrag mit Ansprüchen 1 bis 15 ein. Außerdem reichte sie einen Hilfsantrag mit Ansprüchen 1 bis 12 ein. Sie beantragte, unter Zugrundelegung der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Ansprüche gemäß Hauptantrag oder Hilfsantrag ein Patent zu erteilen.
IV. Zum Hilfsantrag führte die Beschwerdeführerin an, dass im Anspruch 1 nur die Alternative im Anspruch 1 des Hauptantrags gestrichen worden sei, dass die Geheimzahl auch im Entschlüsselungs-Modul gespeichert sein könne. Zumindest für den Hilfsantrag könne das Dokument D1 nicht als nächstliegender Stand der Technik angesehen werden.
V. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Zur Entschlüsselung von verschlüsselt übertragenen Sendungen benötigtes Entschlüsselungs-Modul (M) für einen Receiver (R) zum Empfangen von digital codierten Rundfunk- und Fernsehsignalen, wobei das Entschlüsselungs?Modul (M) ein durch den Benutzer des Receivers (R) austauschbares Entschlüsselungs-Modul ist, dadurch gekennzeichnet, daß das Entschlüsselungs-Modul das Eintreten bestimmter Zustände oder Ereignisse überwacht, und beim Eintreten der bestimmten Zustände oder Ereignisse einen Dialog mit dem Benutzer startet oder veranlaßt, wobei die Überwachung, die das Entschlüsselungs-Modul (M) durchführt, das Alter betreffen, ab welchem die gerade empfangene Sendung freigegeben ist, und wobei das Entschlüsselunqs-Modul (M) dann, wenn es feststellt, daß die gerade empfangene Sendung erst ab einem bestimmten Alter freigegeben ist, einen Dialog mit dem Benutzer startet, innerhalb dessen der Benutzer zur Eingabe einer Geheimzahl aufgefordert wird, und wobei die gerade empfangene Sendung nur wiedergegeben wird, wenn die vom Benutzer eingegebene Geheimzahl mit einer im Entschlüsselungs-Modul oder auf der Chipkarte gespeicherten Geheimzahl übereinstimmt."
VI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag entspricht Anspruch 1 gemäß Hauptantrag, wobei das letzte Merkmal wie folgt formuliert ist
"und wobei die gerade empfangene Sendung nur wiedergegeben wird, wenn die vom Benutzer eingegebene Geheimzahl mit einer Geheimzahl übereinstimmt, die auf einer in das Entschlüsselungs-Modul eingesteckten Chipkarte gespeichert ist."
VII. In einem Bescheid als Anlage zur Ladung für die mündliche Verhandlung gemäß Artikel 15(1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) äußerte die Kammer unter Verweis auf Artikel 12(4) VOBK Zweifel, dass der Haupt- und der Hilfsantrag ins Beschwerdeverfahren zugelassen werden sollten.
VIII. Für den Fall, dass die Beschwerdeführerin die Kammer überzeugen sollte, den Haupt- und/oder Hilfsantrag in das Verfahren zuzulassen, begründete die Kammer vorsorglich ihre Zweifel an der Klarheit der Patentansprüche 1 (Artikel 84 EPÜ 1973) gemäß Haupt- und Hilfsantrag. Die diesbezüglichen Einwände der Kammer sind nachstehend wörtlich wiedergegeben.
"7. Die Kammer hat Zweifel, dass die Patentansprüche klar angeben, wofür Schutz begehrt wird (siehe Artikel 84 EPÜ 1973). Gemäß Patentanspruch 1 wird Schutz begehrt für ein Entschlüsselungs-Modul (M). Dieses Modul wird benötigt zum Empfangen von digital codierten Rundfunk-und Fernsehsignalen, und es muss vom Benutzer des Receivers austauschbar sein. Die Funktion des Entschlüsselungs-Moduls ist im Oberbegriff nicht näher definiert, doch der Begriff scheint zu implizieren, dass das Modul die Entschlüsselung von verschlüsselt übertragenen Sendungen durchführt.
7.1 Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag nimmt zusätzlich Bezug auf eine Chipkarte. (Im Hilfsantrag ist näher spezifiziert, dass die Chipkarte in das Entschlüsselungs-Modul eingesteckt ist.)
7.2 Patentanspruch 1 gemäß Hauptantrag erweckt also den Eindruck, dass das Entschlüsselungs-Modul und die Chipkarte unterschiedliche Gegenstände sind, und dass nur für das Entschlüsselungs-Modul Schutz begehrt wird.
7.3 Im Gegensatz dazu legen die Patentansprüche 3 und 4 gemäß Hauptantrag fest, dass das Entschlüsselungs-Modul durch eine Chipkarte gebildet ist. Demnach wird Schutz begehrt für eine Chipkarte. Dem entsprechend findet sich im Absatz [0035] der Beschreibung die Aussage, dass die Chipkarte das Entschlüsselungs-Modul darstellen kann.
7.4 Insofern entstehen Zweifel, ob Schutz für ein Modul allein, eine Chipkarte allein, oder eine Kombination der beiden gesucht wird.
7.5 Besonders deutlich wird diese Unklarheit im Patentanspruch 5, wenn er auf den Patentanspruch 3 rückbezogen ist. Dann ist das Entschlüsselungs-Modul gleichzeitig eine Chipkarte und ein CI-Modul. Das ist ein Widerspruch.
7.6 Im Hilfsantrag legt Patentanspruch 3 fest, dass die Chipkarte die Entschlüsselung von verschlüsselt übertragenen Sendungen durchführt. Somit scheint auch in diesem Fall die Chipkarte das Entschlüsselungs-Modul darzustellen. Deshalb entstehen die im Punkt 7.4 genannten Zweifel auch im Hilfsantrag.
7.7 Der Kammer ist bewusst, dass die zur Entschlüsselung benötigten Elemente vom verwendeten Receiver abhängen, und dass Receiver in unterschiedlichen Ausführungen existieren, vgl. die Absätze [0012] bis [0014] und [0018] der Beschreibung. Da der Receiver im Patentanspruch aber nicht näher festgelegt ist, scheint der Gegenstand des Schutzbegehrens (Modul und/oder Chipkarte, zur Entschlüsselung benötigte Elemente) von der speziellen Ausgestaltung des Receivers abzuhängen. Es ist nicht klar, welche Merkmale des Moduls und/oder der Chipkarte durch den Bezug auf einen unbestimmten Receiver impliziert werden."
Die Kammer nahm auch eine vorläufige Analyse der erfinderischen Tätigkeit unter der Annahme vor, dass der Erfindung eine dreiteilige Struktur aus Receiver, Entschlüsselungs-Modul und Chipkarte zugrunde zu legen ist, wie sie in der Abbildung der Anmeldung gezeigt ist. Die Kammer kam insgesamt zur vorläufigen Auffassung, dass auch bei engster Auslegung der unabhängigen Patentansprüche zugunsten der Beschwerdeführerin die erfinderische Tätigkeit fehlt.
IX. Die Beschwerdeführerin hat auf den Bescheid der Kammer keinerlei Änderungen oder Schriftsätze eingereicht. Auf telephonische Nachfrage der Geschäftsstelle teilte der Vertreter der Beschwerdeführerin mit, dass seitens der Beschwerdeführerin sehr wahrscheinlich niemand an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde.
X. Am 6. September 2016 fand die mündliche Verhandlung in Abwesenheit der Beschwerdeführerin gemäß Regel 71(2) EPÜ 1973 und Artikel 15(3) VOBK statt. Der Vorsitzende stellte fest, dass die Beschwerdeführerin mit der Beschwerdebegründung beantragte, die Zurückweisung aufzuheben und ein Patent unter Zugrundelegung der mit der Beschwerdebegründung eingereichten Ansprüche gemäß Hauptantrag (die nach Angabe der Beschwerdeführerin den mit Schreiben vom 16. November 2010 eingereichten Ansprüchen entsprechen) oder gemäß Hilfsantrag zu erteilen. Am Ende der Verhandlung verkündete der Vorsitzende die Entscheidung der Kammer.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Zulassung des Hauptantrags (Artikel 12(4) VOBK)
2.1 Artikel 12(4) VOBK erwähnt die Befugnis der Beschwerdekammer, Anträge nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können. Im vorliegenden Fall ist der jetzige Hauptantrag im erstinstanzlichen Verfahren als Hilfsantrag eingereicht und in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen worden, nachdem die Prüfungsabteilung im Verlauf der mündlichen Verhandlung Einwände dagegen erhoben hatte. Deshalb muss die Kammer entscheiden, ob sie den jetzigen Hauptantrag zulässt.
2.2 Wegen der Rücknahme dieses Antrags in der mündlichen Verhandlung liegt keine Entscheidungsbegründung der Prüfungsabteilung vor, die die Beschwerdekammer überprüfen könnte. Zulassung des Hauptantrages würde also bedeuten, dass die Kammer ihn erstmals im Beschwerdeverfahren prüfen oder die Sache an die Prüfungsabteilung zurückverweisen müsste. Ersteres würde dem Hauptzweck des Beschwerdeverfahrens in ex-parte Verfahren, also der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung, zuwiderlaufen (siehe Punkt 4 der Entscheidungsgründe der Entscheidung der Großen Beschwerdekammer G 10/93, ABl. EPA 1995, 172). Letzteres würde nicht der Verfahrensökonomie entsprechen.
2.3 Aus diesen Gründen ist es auch als ständige Rechtsprechung bezeichnet worden, im Prüfungsverfahren zurückgenommene Anträge, die im einseitigen Beschwerdeverfahren erneut gestellt werden, nicht ins Verfahren zuzulassen. (Siehe dazu auch die Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts, 8. Auflage 2016, IV.E.4.3.3c.)
2.4 Die Beschwerdeführerin hat keine Gründe vorgetragen, warum im vorliegenden Fall der Hauptantrag zugelassen werden sollte.
2.5 Die Kammer sieht keinerlei überzeugende Gründe, dass der vorliegende Fall eine Ausnahme darstellen könnte, bei der der Hauptantrag doch zugelassen werden sollte.
2.6 Unter diesen Umständen lässt die Kammer den Hauptantrag nicht ins Verfahren zu.
3. Zulassung des Hilfsantrags (Artikel 12(4) VOBK)
3.1 Patentanspruch 1 des Hilfsantrags definiert eine der beiden Varianten, die von Patentanspruch 1 des Hauptantrags umfasst werden. (Siehe auch Absatz 5 auf Seite 5 der Beschwerdebegründung.)
3.2 Gemäß der Niederschrift der mündlichen Verhandlung vor der Prüfungsabteilung, Punkt 5, wurde bei der Diskussion des damaligen Hilfsantrags (der identisch ist mit dem jetzigen Hauptantrag) beanstandet, dass sich Anspruch 1 auf die in D1 genannten Implementierungen lesen lasse. Deshalb hatte die Anmelderin einen Grund, bereits im erstinstanzlichen Verfahren anzugeben, welche der beanspruchten Varianten sich ihrer Meinung nach nicht auf die in D1 genannten Implementierungen lesen lässt, und den jetzigen Hilfsantrag einzureichen.
3.3 Deshalb ist auch der Hilfsantrag ein Antrag, der im Sinne von Artikel 12(4) VOBK bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätte vorgebracht werden können. Somit muss die Kammer entscheiden, ob sie den Hilfsantrag ins Verfahren zulässt.
3.4 Bis auf die Tatsache, dass der Hilfsantrag im erstinstanzlichen Verfahren nicht zurückgenommen, sondern nur nicht eingereicht worden ist, gelten die Überlegungen in Abschnitt 2 oben auch für den Hilfsantrag. Insbesondere liegt keine Entscheidungsbegründung der Prüfungsabteilung vor, die die Beschwerdekammer überprüfen könnte. Insofern treffen die in den Punkten 2.1, 2.2, 2.4 und 2.5 oben gemachten Bemerkungen auch auf den Hilfsantrag zu.
3.5 Unter diesen Umständen lässt die Kammer auch den Hilfsantrag nicht ins Verfahren zu.
4. Somit liegen keine zugelassenen Anträge der Beschwerdeführerin vor. Deshalb liegt keine Fassung der Anmeldung im Sinne von Artikel 113(2) EPÜ 1973 vor, aufgrund welcher ein europäisches Patent erteilt werden könnte. Darum kann die angefochtene Entscheidung nicht aufgehoben werden, und die Beschwerde ist zurückzuweisen.
5. Unter den gegebenen Umständen erübrigt sich eine Entscheidung der Kammer zu den materiellrechtlichen Fragen, die im Ladungsbescheid erörtert worden waren.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.