T 1903/11 12-03-2014
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ALS DOPPELANTRIEB AUSGEBILDETER MÖBELANTRIEB
Neuheit - Anspruch 1 des Hauptantrags (ja)
Zurückverweisung zur weiteren Entscheidung (ja)
I. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat am 24. August 2011 gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung vom 27. Juni 2011 das Patent zu widerrufen, Beschwerde eingelegt, gleichzeitig die Beschwerdegebühr entrichtet, und am 3. November 2011 eine schriftliche Begründung der Beschwerde eingereicht.
Der Einspruch ist auf die Einspruchsgründe nach Artikel 100(a) und (b) EPÜ gestützt worden.
Das Patent wurde aufgrund fehlender Neuheit des Hauptantrags im Vergleich zu E1: US-A-3 191 196 widerrufen.Der Einwand unter Artikel 100(b) EPÜ wurde in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung zurückgenommen.
II. Am 12. März 2014 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
III. Anträge
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) hat beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in der erteilten Fassung, hilfsweise in geänderter Fassung gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 7, die mit der Beschwerdebegründung eingereicht wurden, aufrechtzuerhalten.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) hat beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
IV. Der Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
Für Vertragsstaaten außer DE:
"Stützeinrichtung zum Abstützen einer Polsterung eines Sitz- und/oder Liegemöbels,
mit einem Möbelantrieb (2) zum Verstellen von Stützteilen (60 - 68) der Stützeinrichtung (56) relativ zueinander, wobei der Möbelantrieb (2) ein linear bewegliches Antriebselement zum Verschwenken eines mit einem zu verstellenden Stützteil (60 - 68) der Stützeinrichtung (56) in Wirkungsverbindung stehenden Schwenkhebels (18) aufweist,
wobei das Antriebselement eine verdrehsicher und in Axialrichtung beweglich auf einer drehantreibbaren Stellspindel gehaltene Spindelmutter oder eine in ihrer Axialrichtung beweglich und verdrehsicher gelagerte Stellspindel (10) ist, auf der eine ortsfeste drehantreibbare Spindelmutter (12) angeordnet ist,
wobei das linear bewegliche Antriebselement oder ein mit diesem verbundenes Betätigungselement eine Ausnehmung (22) aufweist, in die der Schwenkhebel (18) in seiner Radialrichtung hineinragt, und
wobei eine Innenwandung der Ausnehmung (22) eine Anlagefläche (34) für den Schwenkhebel (18) bildet und
wobei die Anlagefläche (34) den Schwenkhebel (18) lose beaufschlagt,
dadurch gekennzeichnet, dass
die Anlagefläche in Richtung der linearen Bewegungsachse des Antriebselementes an dem von der Stellspindel abgewandten Ende (26) der Ausnehmung (22) gebildet ist, derart, dass während der Verstellung des zu verstellenden Teils des Möbels mittels des Möbelantriebs (2) das Antriebselement bzw. das Betätigungselement an dem Schwenkhebel (18) zieht."
Anspruch 1 des Hauptantrags für den Vertragsstaat DE fügt weiter hinzu: "dass das Teil, in dem die Ausnehmung gebildet ist, aus Kunststoff besteht."
V. Die Beschwerdeführerin hat im Wesentlichen folgendes vorgetragen:
Die Neuheit sei lediglich in Bezug auf E1 bestritten worden. Diese Entgegenhaltung offenbare jedoch nicht, dass der Schwenkhebel in seiner Radialrichtung in die Ausnehmung hineinrage. Es sei für den Fachmann, der die Erfindung mit dem Willen lese, sie technisch sinnvoll auszulegen, klar, dass in E1 lediglich der Stift, jedoch nicht der Hebelarm in die Ausnehmung hineinrage und dies im Wesentlichen in der axialen und nicht der radialen Richtung des Schwenkhebels.
Falls die Neuheit des Anspruchs 1 anerkannt werden sollte, würde die Beschwerdeführerin eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz befürworten.
VI. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen folgendes vorgetragen:
Wie in dem angefochtenen Patent sei auch in E1 der Schwenkhebel gabelförmig und bestehe aus zwei zueinander parallelen und beabstandeten Hebelarmen mit einem dazwischen angeordneten Stift. Dieser in eine Ausnehmung ragende Stift des Schwenkhebels habe auch eine gewisse Radialerstreckung. Ferner sei aus den Figuren der Patentschrift ersichtlich, dass der erfindungsgemäße Schwenkhebel nur zum Teil in die Ausnehmung hineinrage. Da Anspruch 1 nicht angebe, in welchem Maße der Schwenkhebel in die Ausnehmung zu ragen habe, verwirkliche in dieser Hinsicht auch der zum Schwenkhebel gehörende Stift von E1 durch seine radiale Erstreckung das beanspruchte Merkmal.
Falls die Neuheit des Anspruchs 1 anerkannt werden sollte, würde auch die Beschwerdegegnerin eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz befürworten.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Neuheit des Anspruchs 1 des Hauptantrags:
2.1 Die Neuheit ist in Bezug auf E1 bestritten worden.
2.2 Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass die Entgegenhaltung E1 unter anderem das folgende Merkmal: der Schwenkhebel ragt in seiner Radialrichtung in die Ausnehmung hinein nicht offenbare.
2.3 Die Beschwerdegegnerin hat ausgeführt, dass in E1 (Figuren 1, 2) die Stifte (27, bzw. 39) Teile der Schwenkhebel (26, bzw. 38) seien, wie dies auch im angefochtenen Patent (siehe Abschnitt [0020], Anspruch 4) der Fall sei. Diese Stifte ragten in die Ausnehmungen, die durch die Schlitze (29, bzw. 40) gebildet würden, hinein. Da Anspruch 1 nicht vorschreibe, in welchem Maße der Schwenkhebel in die Ausnehmung ragen solle, genüge es, wenn er durch seinen Stift, der auch eine radiale Erstreckung habe, in die Ausnehmung rage, um das beanspruchte Merkmal zu verwirklichen.
2.4 Es ist zuerst festzuhalten, dass es unbestritten ist, dass, im Sinne der angefochtenen Erfindung, die Radialrichtung des Schwenkhebels eine zur Schwenkachse senkrechte und von dieser radial ausgehende Richtung ist, bzw. sich in der Ebene, in der die Längsachse des Hebelarmes liegt, erstreckt.
Auch wenn es zutrifft, dass in E1 die Schwenkhebel (26, 38) mit ihren Stiften (27, 39) in die Ausnehmungen (29, 40) hineinragen, verlaufen diese Stifte jedoch parallel zu den Schwenkachsen (25, 37) und nicht senkrecht dazu. Sie erstrecken sich somit nicht in Radialrichtung der Schwenkhebel.
Somit wird das von der Beschwerdeführerin als unterscheidend zitierte Merkmal (siehe Abschnitt 2.2 oben) nicht komplett durch E1 verwirklicht.
2.5 Die Beschwerdegegnerin hat vorgetragen, dass in E1 der Stift des Schwenkhebels auch eine gewisse Radialerstreckung habe und somit auch zum Teil in Radialrichtung in die Ausnehmung hineinrage. Diese Art des Hineinragens ist jedoch offensichtlich nicht die, die ein Fachmann durch die Angabe Ausnehmung ... in die der Schwenkhebel (18) in seiner Radialrichtung hineinragt vermittelt bekommt. Der Fachmann versucht, durch Synthese eher aufbauend als zerlegend zu einer Auslegung des Anspruchs zu gelangen, die technisch sinnvoll ist und bei der die gesamte Offenbarung des Patents berücksichtigt wird. Das Patent ist mit der Bereitschaft auszulegen, es zu verstehen, siehe dazu z.B. die T0190/99, Leitsatz. Der Fachmann, der also bestrebt ist, einen Anspruch technisch sinnvoll auszulegen, d.h. diesem einen technischen Sinn zu geben, der auch die gesamte Offenbarung des Patents Rechnung trägt, wird davon ausgehen, dass die im Anspruch angegebene Richtung, in der der Schwenkhebel in die Ausnehmung ragen soll, mit der Richtung übereinstimmt, in der sich dieser überwiegend erstreckt, also von der Schwenkachse aus der Schwenkarm entlang in Richtung seines anderen Endes. Ein solches Hineinragen ist in der Figur 4 der Patentschrift veranschaulicht, und ist für den Fachmann sofort und leicht ersichtlich. Diese Auslegung trifft aber nicht auf E1 zu, da wie bereits angegeben, der Schwenkhebel nur mit dem Stift in die Ausnehmung ragt und dieser sich im wesentlichen senkrecht zur Radialrichtung des Schwenkhebels erstreckt.
2.6 Folglich ist die Neuheit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Hauptantrags in Bezug auf E1 gegeben.
3. Zurückverweisung:
Da ein Beschwerdeverfahren in erster Linie dazu dient, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu prüfen, ist eine Zurückverweisung an die erste Instanz gemäß Artikel 111(1) EPÜ in den Fällen in Betracht zu ziehen, in denen die erste Instanz ihre Entscheidung auf der Basis eines Einspruchsgrundes (hier Neuheit) getroffen, jedoch über weitere erhobene Einspruchsgründe (wie erfinderische Tätigkeit) nicht entschieden hat.
Da im vorliegenden Fall beide Parteien eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung befürwortet haben, hält die Kammer eine solche Zurückverweisung für angebracht.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.