T 1197/13 22-11-2016
Download und weitere Informationen:
WÄRMEDÄMMPLATTE
Sager AG
Flatz Verpackungen - Styropor GmbH
STO AG
Fixit Trockenmörtel Holding AG
Gonon Isolation AG (SA)
Swisspor Management AG
Änderungen vor der Erteilung
Änderungen - zulässig (ja)
Zurückverweisung an die erste Instanz - (ja)
I. Das europäische Patent Nr. 1 815 077 (im Folgenden: Patent) betrifft eine zweischichtige Wärmedämmplatte.
II. Gegen das Patent im gesamten Umfang wurden sechs Einsprüche eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden unzureichende Offenbarung, unzulässige Änderung vor der Erteilung sowie mangelnde Neuheit und mangelnde erfinderische Tätigkeit vorgebracht.
III. Die Einspruchsabteilung entschied, das Patent wegen unzulässiger Änderung zu widerrufen.
IV. Die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdeführerin) hat Beschwerde gegen diese Entscheidung eingelegt.
V. In der als Anlage zur Ladung zur mündlichen Verhandlung beigefügten Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern (VOBK) teilte die Kammer ihre vorläufige Einschätzung der Beschwerde mit.
VI. Die mündliche Verhandlung fand am 22. November 2016 in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und der Einsprechenden 2 und 5 (im Folgenden: Beschwerdegegnerinnen 2 und 5) statt. Die Einsprechenden 1, 3, 4 und 6 (im Folgenden: Beschwerdegegnerinnen 1, 3, 4 und 6) waren wie angekündigt nicht erschienen. Auf die Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird Bezug genommen.
VII. Anträge
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in unverändertem Umfang (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf der Basis des mit der Beschwerdebegründung vom 26. Juli 2013 als Hilfsantrag eingereichten Anspruchssatzes, gegebenenfalls die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur Beurteilung der Patentfähigkeit des Gegenstands des Patents.
Die Beschwerdegegnerinnen 2 bis 6 beantragten die Zurückweisung der Beschwerde.
Die Beschwerdegegnerin 1 hat im Beschwerdeverfahren keine Anträge gestellt und keine Erwiderung auf die Beschwerdebegründung eingereicht.
VIII. Anspruchssatz gemäß Hauptantrag
Der unabhängige Sachanspruch 1 in der erteilten Fassung lautet folgendermaßen (die Änderungen am ursprünglich eingereichten Anspruch 1 sind wie folgt kenntlich gemacht: gestrichene Passagen erscheinen im Text als durchgestrichen und neue Passagen erscheinen im Fettdruck):
"1. [deleted: Dämmplatte] Wärmedämmplatte, insbesondere zur Isolierung von Fassaden, Dächern, Wänden und Decken von Gebäuden, bestehend aus zwei Teilen (1, 2), wobei der eine Teil der Wärmedämmplatte die wesentliche Dämmwirkung erbringt, während der andere Teil der Wärmedämmplatte eine zusätzliche Schutzfunktion erfüllt, [deleted: dadurch gekennzeichnet, dass] wobei der die wesentliche Dämmwirkung erbringende eine Teil der Wärmedämmplatte der zu der isolierenden Fläche zugewandte innere Teil (1) der Wärmedämmplatte (6) ist, während der die zusätzliche Schutzfunktion erfüllende andere Teil der Dämmplatte der nach außen weisende Teil der Wärmedämmplatte (6) ist, wobei der innere Teil der [deleted: Dämmplatte] Wärmedämmplatte [deleted: , der die wesentliche Dämmwirkung erbringt,] eine Dämmplatte (1) aus einem grauen expandierten Polystyrol [deleted: (EPS)] mit einem Zusatz von athermanen Stoffen, insbesondere Infrarotabsorbern bzw. -reflektoren, [deleted: besteht] ist und der [deleted: andere] äußere Teil der [deleted: Dämmplatte] Wärmedämmplatte [deleted: aus einem Kunststoff-Hartschaum mit wenigstens einer weiteren Schutzeigenschaft besteht] eine dünnere Dämmplatte (2) aus einem weißen expandierten Polystyrol ist, das im Wesentlichen, das heißt mit einem Gehalt von bis zu 0,5 Gew.-%, frei von athermanen Bestandteilen ist und ein geringeres Dämmvermögen als die graue innere Dämmplatte (1) aufweist."
Die abhängigen Patentansprüche 2 bis 8 betreffen besondere Ausführungsformen der jeweils in Anspruch 1 definierten Wärmedämmplatte.
IX. Das schriftsätzliche und mündliche Vorbringen der Beteiligten lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:
Vorbringen der Beschwerdeführerin:
Entgegen der Feststellung der Einspruchsabteilung gehe der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus.
Im Rahmen des Prüfungsverfahrens seien unter anderem die Merkmale des ursprünglichen Anspruchs 4 in Anspruch 1 aufgenommen worden, wobei das ursprüngliche Merkmal "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" in das Merkmal "aus einem weißen expandierten Polystyrol" geändert worden sei. Diese weitere Änderung stelle eine Berichtigung nach Regel 139 Satz 2 EPÜ dar und stehe im Einklang mit den Anforderungen des Artikels 123 (2) EPÜ, dies aus folgenden Gründen:
Erstens werde die ursprüngliche Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" in Anspruch 4 und auf Seite 4, Zeile 11 zweifelsfrei vom Fachmann objektiv als unrichtig erkannt. Die übliche Abkürzung für "extrudiertes Polystyrol" laute in der Fachwelt nämlich "XPS", wohingegen die Abkürzung "EPS" für "expandiertes Polystyrol" stehe. Dementsprechend beinhalte die Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" im ursprünglichen Anspruch 4 für den Fachmann objektiv einen Widerspruch bzw. eine Unrichtigkeit. Dies sei von der Einspruchsabteilung bestätigt worden (Gründe Nr. 38.2 der angefochtenen Entscheidung).
Zweitens entnehme der Fachmann den ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen unmittelbar und eindeutig, dass diese unrichtige Angabe richtig "aus einem weißen expandierten Polystyrol (EPS)" lauten müsste. In den gesamten ursprünglich eingereichten Anmeldeunterlagen finde sich lediglich der Begriff "EPS" bzw. "EPS-Dämmplatte", wohingegen an keiner einzigen Stelle der Begriff "XPS" bzw. "XPS-Dämmplatte" zu finden sei. Die ursprünglich eingereichte Beschreibung definiere den Begriff "EPS-Dämmplatte" ausdrücklich als Dämmplatte aus expandiertem Polystyrol (Seite 2, Zeilen 27 und 28). Auf Seiten 4 und 5 der ursprünglichen Anmeldung, in welchen die äußere Dämmplatte der erfindungsgemäßen Wärmedämmplatte beschrieben werde, finde sich neben der objektiv unrichtigen Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" ausschließlich der Begriff "weiße EPS-Dämmplatte", d. h. - nach der Definition auf Seite 2, Zeilen 27 und 28 - eine Dämmplatte aus expandiertem Polystyrol. Beim einzigen Ausführungsbeispiel der ursprünglichen Anmeldung, das eine erfindungsgemäße Wärmedämmplatte betreffe (Seite 7, Zeilen 20 und 21 und Figur), bestehe die Wärmedämmplatte aus einer grauen Dämmplatte 1 aus expandiertem Polystyrol und einer weißen Dämmplatte 2 aus expandiertem Polystyrol (Seite 7, Zeile 28 bis Seite 8, Zeile 15). Schließlich beschreibe die ursprünglich eingereichte Anmeldung - neben der erfindungsgemäßen Wärmedämmplatte - ein Verfahren zu ihrer Herstellung (siehe Seite 6, Zeilen 20 bis 30 und Verfahrensanspruch 12, dort den Wortlaut "Verfahren ... insbesondere zur Herstellung ... einer Wärmedämmplatte nach einem der Ansprüche 4 bis 9"). Bei einer besonderen Ausführungsform dieses Herstellungs-verfahrens bestehen beide Dämmplatten aus expandiertem Polystyrol (Seite 7, Zeilen 1 bis 3; Anspruch 13; Seite 8, Zeilen 1 bis 15 und Figur). Im Hinblick darauf sei eindeutig, dass die weiße äußere Dämmplatte der Wärmedämmplatte aus expandiertem, nicht aber "extrudierten", Polystyrol bestehen müsse.
Zusammenfassend entnehme der Fachmann unter Heranziehung des einschlägigen allgemeinen Fachwissens den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen unmittelbar und eindeutig, dass das ursprüngliche Merkmal "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" unrichtig sei und richtig "aus einem weißen expandierten Polystyrol (EPS)" lauten müsse. Die Aufnahme des richtigen Merkmals "aus einem weißen expandierten Polystyrol" in Anspruch 1 verstoße nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ.
Die Anmeldung wende sich nicht an den Patentanwalt, sondern an den Fachmann. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der vor der Erteilung erfolgten Änderungen sei nicht nur der Wortlaut und die Struktur der ursprünglich eingereichten Ansprüche heranzuziehen, wie die Beschwerdegegnerinnen es tun, sondern die gesamte technische Lehre der Anmeldung unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens.
Vorbringen der Beschwerdegegnerinnen:
Die vor der Erteilung vorgenommenen Änderungen in Anspruch 1 verstoßen gegen Artikel 123 (2) EPÜ. Insbesondere stelle die Änderung des ursprünglich auf Seite 4, Zeile 11 bzw. in Anspruch 4 offenbarten Merkmals "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" in "aus einem weißen expandierten Polystyrol" keine zulässige Berichtigung gemäß den Bestimmungen der Regel 139 Satz 2 EPÜ dar.
Entgegen der Feststellung der Einspruchsabteilung enthalte die ursprüngliche Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" keinen sofort erkennbaren Widerspruch. Da die Anmelderin ein Fachunternehmen sei und sie die Anmeldung mit besonderer Sorgfalt geschrieben haben müsse, könne nicht davon ausgegangen werden, dass sie sich in dieser Angabe geirrt habe. Dies werde durch den Umstand bestätigt, dass diese Angabe sowohl in der prioritätsbegründenden deutschen Anmeldung DE 102004056335 (dort Anspruch 1) als auch in der 2013 veröffentlichten Gebrauchsmusterschrift DE 20 2005 022 093 U1 (dort Anspruch 4) zu finden sei. Jedenfalls sei ein Schreib- bzw. Tippfehler angesichts der deutschen Tastatur auszuschließen. Selbst wenn die Abkürzung "EPS" normalerweise expandiertes Polystyrol bezeichne, stelle die Anmeldung ihr eigenes Wörterbuch dar. Dort werde die Abkürzung "EPS" abwechselnd für expandierbares Polystyrol (Seite 1, Zeile 12), graues expandiertes Polystyrol (Seite 2, Zeilen 27 und 28), weißes extrudiertes Polystyrol (Seite 4, Zeile 11 und Anspruch 4) und aufgeschäumtes Polystyrol (Seite 1, Zeile 21) verwendet. Es sei mithin nicht eindeutig, dass in der Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" auf Seite 4, Zeile 11 bzw. in Anspruch 4 die Abkürzung "EPS" wie fachüblich für expandiertes Polystyrol stehe. Eher sei davon auszugehen, dass im Zusammenhang der dort definierten Wärmedämmplatte die Abkürzung "EPS" für extrudiertes Polystyrol stehe.
Sollte entschieden werden, dass die ursprüngliche Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" in sich widersprüchlich bzw. fehlerhaft sei, wäre nicht offensichtlich, dass sie in "aus einem weißen expandierten Polystyrol (EPS)" zu berichtigen sei. Wie von der Einspruchsabteilung zutreffend festgestellt, bestünden mindestens zwei technisch plausible Möglichkeiten, um die ursprüngliche Angabe zu korrigieren. Alternativ zu der vorgenommenen Berichtigung könnte nämlich die Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" in "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (XPS)" berichtigt werden, da "XPS" die fachübliche Abkürzung für extrudiertes Polystyrol sei. Diese alternative Berichtigung sei sogar wahrscheinlicher als die vorgenommene Berichtigung, weil die Abkürzungen "EPS" und "XPS" sich nur in einem einzigen Buchstaben unterscheiden und dem ausgeschriebenen Wort "extrudierten" ein bedeutungsmäßig größeres Gewicht zukommen müsse als der in Klammern gesetzten Abkürzung "EPS". Die vorgenommene Berichtigung genüge also nicht dem auf die Zulässigkeit einer Berichtigung anzulegenden sehr strengen Maßstab, nämlich derjenige der "mit an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit" (siehe T 307/05 und T 1248/08).
Die Beschreibung des erfindungsgemäßen Verfahrens in der Anmeldung sei für die Berichtigung der Angabe auf Seite 4, Zeile 11 bzw. in Anspruch 4 nicht relevant, weil das Verfahren einen vollkommen eigenständigen und von der auf Seite 4 bzw. in Anspruch 4 definierten Wärmedämmplatte unabhängigen Gegenstand darstelle. Ähnlich sei der ursprüngliche Verfahrensanspruch 12 als ein unabhängiger Anspruch formuliert, der nicht auf ein Verfahren zur Herstellung der in Anspruch 4 definierten Wärmedämmplatte beschränkt sei. Das zusätzliche Merkmal vom abhängigen Anspruch 13, dass beide Dämmplatten aus expandiertem Polystyrol (EPS) bestehen, dürfe daher nicht zur Berichtigung der unrichtigen Angabe auf Seite 4, Zeile 11 bzw. in Anspruch 4 berücksichtigt werden. Sollte Anspruch 12 dennoch ein Verfahren zur Herstellung der in Anspruch 4 definierten Wärmedämmplatte definieren, dann wäre das zusätzliche Merkmal vom abhängigen Anspruch 13 überflüssig, wenn in Anspruch 4 die Angabe "extrudierten Polystyrol (EPS)" in "expandierten Polystyrol (EPS)" berichtigt wäre. Auch dies lasse Zweifel an der Richtigkeit der vorgenommenen Berichtigung aufkommen.
1. Hauptantrag - Artikel 100 c) EPÜ
1.1 Nach Artikel 100 c) EPÜ darf der Gegenstand des Patents nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgehen.
1.2 Anspruch 1 in der erteilten Fassung unterscheidet sich von Anspruch 1 in der ursprünglich eingereichten Fassung - abgesehen von notwendigen Anpassungen der Satzstruktur - darin, dass folgende Beschränkungen aufgenommen worden sind:
a) dass die Dämmplatte eine "Wärmedämmplatte" ist;
b) dass "der die wesentliche Dämmwirkung erbringende eine Teil der Wärmedämmplatte der zu der isolierenden Fläche zugewandte innere Teil der Wärmedämmplatte ist, während der die zusätzliche Schutzfunktion erfüllende andere Teil der Dämmplatte der nach außen weisende Teil der Wärmedämmplatte ist", und
c) dass der "äußere" Teil der Wärmedämmplatte "eine dünnere Dämmplatte aus einem weißen expandierten Polystyrol ist, das im Wesentlichen, das heißt mit einem Gehalt von bis zu 0,5 Gew.-%, frei von athermanen Bestandteilen ist und ein geringeres Dämmvermögen als die graue innere Dämmplatte aufweist".
1.3 Damit wurde der beanspruchte Gegenstand auf die bevorzugte Ausführungsform einer erfindungsgemäßen Dämmplatte beschränkt, die auf Seite 4, Zeilen 1 bis 13 und in Anspruch 4 der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung offenbart ist (siehe veröffentlichte Fassung WO 2006/056387 A1). Es wurde gleichzeitig klargestellt, dass "im Wesentlichen frei von athermanen Bestandteilen" einen Gehalt von bis zu 0,5 Gew.-% von athermanen Bestandteilen bedeutet, wie auf Seite 4, Zeilen 25 und 26 der Anmeldung offenbart.
1.4 Auf Seite 4, Zeile 11 und in Anspruch 4 ist zwar angegeben, dass die äußere Dämmplatte "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" besteht (Unterstreichung hinzugefügt). Dennoch entnimmt der Fachmann der Gesamtheit der Anmeldungsunterlagen in ihrer ursprünglich eingereichten Fassung unter Heranziehung des allgemeinen Fachwissens unmittelbar und eindeutig, dass die Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" unrichtig ist und stattdessen "aus einem weißen expandierten Polystyrol" lauten müsste (Unterstreichung hinzugefügt), wie im vorliegenden Anspruch 1 gefordert, dies insbesondere aus den unter folgende Punkten 1.5 und 1.6 genannten Gründen.
Eine entsprechende Berichtigung vom ursprünglichen Anspruch 4 wurde vor der Erteilung beantragt (Schreiben vom 2. November 2009) und von der Prüfungsabteilung gemäß Regel 139 Satz 2 EPÜ stattgegeben. Ein Berichtigungsantrag ist für die Angabe auf Seite 4, Zeile 11 nicht gestellt worden, aber die Seite 4 ist vor der Erteilung an den geänderten Anspruch 1 angepasst worden (siehe Absatz 10 der Patentschrift).
1.5 Offensichtlichkeit des Fehlers
Die Anmeldung wendet sich an einen auf dem Gebiet der Dämmstoffen für Gebäude tätigen Fachmann. Er kennt die in der Anmeldung durchgehend verwendete Abkürzung "EPS", welche im relevanten Gebiet werkmäßig hergestellte Produkte aus expandiertem Polystyrol-Hartschaum bezeichnet, wie in den einschlägigen deutschen und europäischen Stoffnormen festgelegt (siehe u. a. Norm DIN EN 13163 "Wärmedämmstoffe für Gebäude - Werkmäßig hergestellte Produkte aus expandiertem Polystyrol (EPS)"). Dieses Verständnis wird in der Anmeldung bestätigt. Insbesondere heißt es auf Seite 2, Zeile 26 bis 28 ausdrücklich, dass Dämmplatten aus expandierbarem Polystyrol in der Anmeldung kurz "EPS-Dämmplatten" genannt werden. Für "extrudiertes Polystyrol" wird normalerweise hingegen die Abkürzung "XPS" verwendet (siehe u. a. Norm DIN EN 13164 "Wärmedämmstoffe für Gebäude - Werkmäßig hergestellte Produkte aus extrudiertem Polystyrolschaum (XPS)"). Dementsprechend erkennt der Fachmann die Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" auf Seite 4, Zeile 11 und in Anspruch 4 unmittelbar als in sich widersprüchlich und mithin unrichtig.
Die Beschwerdegegnerinnen vertreten die Meinung, dass die Anmeldung ihr eigenes Wörterbuch darstelle und die Abkürzung "EPS" aufgrund der Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" auf Seite 4, Zeile 11 und in Anspruch 4 für "extrudiertes Polystyrol" stehe. Nach Meinung der Kammer können diese zwei Textstellen für sich allein jedoch keine Abkehr von der fachüblichen und normierten Bedeutung der Abkürzung "EPS" begründen. Eine solche Abkehr würde eine ausdrückliche Definition der speziellen Bedeutung von "EPS" in der Beschreibung voraussetzen, die nicht vorhanden ist. In der Anmeldung wird die Abkürzung "EPS" an 39 Stellen verwendet und dabei - abgesehen von den zwei Stellen auf Seite 4, Zeile 11 und in Anspruch 4 - stets zur Bezeichnung einer Dämmplatte aus expandiertem Polystyrol. Diesbezüglich wird auf die Ausdrücke "aus expandierbarem Polystyrol (EPS)" (Seite 1, Zeile 12, Seite 2, Zeile 27, Seite 7, Zeile 29), "aus einem grauen expandierten Polystyrol (EPS)" (Seite 3, Zeilen 26 und 27, Seite 4, Zeile 6, Seiten 6, Zeilen 1 und 2 und 29, Ansprüche 1, 4 und 10), "aus expandiertem Polystyrol (EPS)" (Seite 7, Zeilen 2 und 3) und den an 26 Stellen verwendeten Ausdruck "EPS-Dämmplatte" in Verbindung mit seiner Definition auf Seite 2, Zeilen 27 und 28 verwiesen. Wie die Einspruchsabteilung festgestellt hat (Gründe Nr. 38.3.1), ist der Wortlaut "aus expandierbarem Polystyrol (EPS)" im Kontext der gesamten Anmeldung technisch sinnvoll nur als "aus expandiertem Polystyrol (EPS)" zu verstehen. Entgegen der Behauptung der Beschwerdegegnerinnen wird an keiner Stelle der Anmeldung die Abkürzung "EPS" für "aufgeschäumtes Polystyrol" verwendet.
1.6 Offensichtlichkeit der Berichtigung
1.6.1 Beim Lesen der Lehre auf Seite 4, Zeilen 1 bis 13 bzw. in Anspruch 4 im Gesamtzusammenhang der Anmeldung ist für den Fachmann sofort erkennbar, dass die unrichtige Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" in "aus einem weißen expandierten Polystyrol" zu berichtigen ist.
1.6.2 So wird bei der Beschreibung der auf Seite 4, Zeilen 1 bis 13 definierten Wärmedämmplatte auf Seite 4, Zeile 13 bis Seite 5, Zeile 27 die weiße äußere Dämmplatte der Wärmedämmplatte durchgehend "weiße EPS-Dämmplatte" genannt (Seite 4, Zeilen 15, 17, 24 und 27; Seite 5, Zeilen 12, 13 und 22), d. h. nach dem allgemeinen Fachwissen und der Definition auf Seite 2, Zeilen 27 und 28, eine Dämmplatte aus einem weißen expandierten Polystyrol. Ähnlich definieren die abhängigen Ansprüche 6 und 8, die direkt auf Anspruch 4 rückbezogen sind, bevorzugte Ausgestaltungen der weißen äußeren Dämmplatte der in Anspruch 4 definierten Wärmedämmplatte und nennen diese "weiße äußere EPS-Dämmplatte (2)".
1.6.3 Ferner beschreibt die Anmeldung als einziges Ausführungsbeispiel der Erfindung eine Wärmedämmplatte (Seite 7, Zeilen 20 und 21), die aus einer grauen EPS-Dämmplatte 1 (Seite 8, Zeile 2) und einer damit verbundenen weißen EPS-Dämmplatte 2 besteht (Seite 8, Zeilen 4 und 14). Im Hinblick auf dieses einzige Ausführungsbeispiel der erfindungsgemäßen Wärmedämmplatte erkennt der Fachmann, dass die auf Seite 4, Zeile 11 bzw. in Anspruch 4 definierte weiße äußere Dämmplatte aus einem expandierten, nicht aber "extrudierten", Polystyrol (EPS) bestehen sollte.
1.6.4 Schließlich offenbart die Anmeldung als Erfindung neben der Dämmplatte gemäß Anspruch 1, der Wärmedämmplatte gemäß Anspruch 4 und der akustischen Schalldämmplatte gemäß Anspruch 10 ein Verfahren zum Verbinden zweier Kunststoff-Hartschaum-Platten, insbesondere Polystyrol-Hartschaumstoff-Dämmplatten, zur einer kombinierten Dämmplatte, insbesondere einer Wärmedämmplatte, weiter bevorzugt einer Wärmedämmplatte gemäß Anspruch 4 (siehe Seite 6, Zeilen 20 bis 30; Anspruch 12, insbesondere Zeile 20; Figur). Bei dem erfindungsgemäßen Verfahren werden die zu verbindenden Schaumstoffplatten zunächst aneinander anliegend angeordnet und danach miteinander thermisch verschweißt. Die Verwendung einer Schaumstoffplatte aus extrudiertem Polystyrol (EPS) ist im Zusammenhang des Verfahrens nicht offenbart. Bei einer bevorzugten Ausführungsform des Verfahrens bestehen die beiden miteinander zu verbindenden Schaumstoffplatten "aus expandiertem Polystyrol (EPS)" (Seite 7, Zeilen 1 bis 3 und Anspruch 13). Der Fachmann erkennt auf Anhieb, dass es sich bei diesem bevorzugten Verfahren um ein mögliches Herstellungsverfahren für die auf Seite 4, Zeilen 1 bis 13 und in Anspruch 4 definierte Wärmedämmplatte handelt. Insbesondere ist die in der Figur dargestellte Wärmedämmplatte mittels dieses bevorzugten Verfahrens hergestellt worden (Seite 7, Zeile 28 bis Seite 8, Zeile 15). Der Fachmann erkennt daher, dass beide Dämmplatten der erfindungsgemäßen Wärmedämmplatte aus expandiertem Polystyrol bestehen und mithin die unrichtige Angabe "extrudierten Polystyrol (EPS)" auf Seite 4, Zeile 11 und in Anspruch 4 richtig "expandierten Polystyrol (EPS)" lauten müsste.
1.6.5 Die Beschwerdegegnerinnen haben den Bedeutungsgehalt des Wortes "extrudiert" und der Abkürzung "EPS" in der ursprünglichen Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" analysiert und daraus den Schluss gezogen, dass es möglich und sogar wahrscheinlicher sei, dass der Fachmann die Angabe "extrudiert" für richtig halte. Dieser auf eine semantische Analyse der strittigen Angabe gestützten Argumentation kann nicht gefolgt werden. Gemäß der gefestigten Rechtssprechung der Beschwerdekammern muss die technische Offenbarung einer Anmeldung als Ganzes betrachtet werden. Die Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" darf also nicht losgelöst von den anderen Teilen der Anmeldung, sondern muss in deren Gesamtzusammenhang betrachtet werden. Wie vorstehend ausgeführt, erkennt der Fachmann daher auf Anhieb, dass diese Angabe technisch sinnvoll nur als "aus einem weißen expandierten Polystyrol (EPS)" zu verstehen ist.
1.7 Die Prioritätsanmeldung gehört nicht zum "Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung" im Sinne von Artikel 123 (2) EPÜ. Demnach ist sie für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Änderung, insbesondere einer Berichtigung, nicht relevant (sie auch die Stellungnahme G 3/89, ABl. EPA 1993, 117). Dasselbe gilt auch für die deutsche Gebrauchsmusterschrift, die die gleiche Priorität wie das Patent beansprucht.
1.8 Die Kammer kommt daher zu dem Schluss, dass die vor der Erteilung erfolgten Änderungen in Anspruch 1 in Einklang mit Artikel 123 (2) EPÜ stehen. Insbesondere erfüllt die Änderung der ursprünglichen Angabe "aus einem weißen extrudierten Polystyrol (EPS)" in "aus einem weißen expandierten Polystyrol" die strengen Kriterien, die gemäß der Rechtssprechung der Beschwerdekammern an die Zulässigkeit einer Berichtigung nach Regel 139 Satz 2 EPÜ anzulegen sind.
2. Folglich steht der von den Beschwerdegegnerinnen zulässigerweise geltend gemachte Einspruchsgrund der unzulässigen Änderung vor der Erteilung (Artikel 100 c) EPÜ) der Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hauptantrags der Beschwerdeführerin nicht entgegen.
3. Zurückverweisung
3.1 Die ebenfalls geltend gemachten Einspruchsgründe der unzureichenden Offenbarung, der mangelnden Neuheit und der mangelnden erfinderischen Tätigkeit wurden von der Einspruchsabteilung noch nicht abschließend erörtert, auch wenn der Ladungsanhang vom 15. Oktober 2012 eine vorläufige Beurteilung dieser Fragen enthielt.
3.2 Auch ist die Angelegenheit in diesen Fragen offensichtlich nicht entscheidungsreif. Die Beteiligten haben in ihrer Beschwerdebegründung bzw. Beschwerdeerwiderung ihr Vorbringen auf den Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ beschränkt und die weiteren geltend gemachten Einspruchsgründe nach Artikel 100 b) und 100 a) EPÜ nicht behandelt (Artikel 12 (2) VOBK). Einzig die Beschwerdegegnerin 2 hat pauschal auf die vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung zur Neuheit und zur erfinderischen Tätigkeit im Ladungsanhang vom 15. Oktober 2012 verwiesen.
3.3 Daher entscheidet die Kammer unter Ausübung ihrer Befugnis nach Artikel 111 (2) EPÜ, die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückzuverweisen, selbst wenn dies eine Verlängerung des Verfahrens mit sich ziehen wird.
3.4 Die Beschwerdegegnerin 6 hat beantragt, den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung wegen missbräuchlicher Verzögerung des Verfahrens abzulehnen. Die Kammer kann in dem bisherigen Vorgehen der Beschwerdeführerin jedoch keinen Verfahrensmissbrauch erkennen. In der Beschwerdebegründung hat sie sich ausführlich mit dem tragenden Grund der angefochtenen Entscheidung der Einspruchsabteilung auseinandergesetzt. Auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 b) und 100 a) EPÜ brauchte sie nicht einzugehen, da die Einspruchsabteilung nur über den Einspruchsgrund gemäß Artikel 100 c) EPÜ entschieden hat. Unter solchen Umständen ist die Möglichkeit der Zurückverweisung wohl im Gesetz vorgesehen. Die Stellung des entsprechenden Antrags kann nicht untersagt werden.
4. Auf den Hilfsantrag der Beschwerdeführerin braucht nicht eingegangen zu werden.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.