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T 2337/16 (Steuerelektronik/PHOENIX) 15-06-2020
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Steuer- und/oder Datenübertragungsmodul
Bindungswirkung der vorangegangenen Beschwerdekammer-Entscheidung - (nein): keine abschließende Entscheidung zur erfinderischen Tätigkeit und neuer Sachverhalt
Berücksichtigung von durch die Einspruchsabteilung zugelassenen Beweismittel - Dokumente ED1 und ED2 (ja): Nicht-Berücksichtigung würde Art. 12(2) VOBK 2020 entgegenstehen
Erfinderische Tätigkeit - (nein): Juxtaposition
I. Die Beschwerden der Einsprechenden (Beschwerdeführerin I) und der Patentinhaberin (Beschwerdeführerin II) richten sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das vorliegende europäische Patent auf der Grundlage eines "Hilfsantrags 7B3" aufrechtzuerhalten.
Diesen Beschwerden ging eine Beschwerde der Einsprechenden (Fall T 1723/13) gegen die Aufrechterhaltung des Streitpatents in geänderter Fassung gemäß einem "Hilfsantrag 5" voran, die mit einer von dieser Kammer (in anderer Besetzung) erlassenen Entscheidung auf Zurückverweisung auf der Grundlage eines "Hilfsantrags 7" abgeschlossen wurde.
II. Der folgende Stand der Technik ist für die vorliegende Entscheidung relevant:
E3: DE 44 38 804 C1;
E5: DE 698 16 236 T2;
ED1: DE 44 38 806 C1; und
ED2: DE 296 11 543 U1.
III. Am 15. Juni 2020 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
- Die Beschwerdeführerin I beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
- Die Beschwerdeführerin II beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage der Ansprüche des "Hilfsantrags 7" (im Folgenden "Antrag") aufrechtzuerhalten. Der Antrag lag bereits der angefochtenen Entscheidung zugrunde.
IV. Anspruch 1 des Antrags lautet wie folgt (Merkmalsgliederung in Anlehnung an die der angefochtenen Entscheidung von der Kammer hinzugefügt):
a) "Steuer- und Datenübertragungssystem umfassend,
b) eine Anzahl von benachbart aneinandergereihten E/A-Modulen (100 ... 107),
c) wobei jedes E/A-Modul wenigstens einen E/A-Signalkanal umfasst
d) sowie wenigstens einen ersten Signalanschluss zum Verbinden des E/A-Signalkanals mit einem Datenbus
e) und wenigstens einen zweiten Signalanschluss zum Verbinden eines Busteilnehmers mit dem E/A-Signalkanal,
f) und wobei das System ein Steuer- und/oder Datenübertragungsmodul (300) umfasst,
g) wobei das Steuer- und/oder Datenübertragungsmodul eine in einem Gehäuse beherbergte Steuerelektronik zum gezielten Ansteuern der Anzahl von E/A-Modulen umfasst und
h) mit der Anzahl von E/A-Modulen mechanisch miteinander verbunden ist und
i) eine lösbare Einheit mit diesen bildet und
j) wobei die Anzahl von E/A-Modulen vorgesehen ist, um das Gehäuse des Steuer- und/oder Datenübertragungsmoduls (300) tragend aufzunehmen,
k) wobei die E/A-Module eine jeweils zwischen dem ersten und zweiten Signalanschluss angeordnete E/A-Elektronik (110 ... 117) umfassen,
l) wobei jedes E/A-Modul ferner eine erste Verbindungseinrichtung (130) aufweist,
m) und das Steuer- und/oder Datenübertragungsmodul eine Anzahl von komplementär zu den ersten Verbindungseinrichtungen ausgebildeten zweiten Verbindungseinrichtungen (330) aufweist,
n) die zum lösbaren mechanischen Verbinden des Steuer- und/oder Datenübertragungsmoduls (300) mit einer entsprechenden Anzahl von benachbart aneinandergereihten E/A-Modulen (100 ... 107) am Gehäuse des Steuer-und/oder Datenübertragungsmoduls (300) in einer Reihe angeordnet sind
o) und wobei das Steuer- und/oder Datenübertragungsmodul ferner eine entsprechende Anzahl von dritten,
p) der Steuerelektronik zugeordneten Signalanschlüsse[n] aufweist,
q) wobei die Anzahl der dritten Signalanschlüsse und die Anzahl der zweiten Verbindungseinrichtungen derart zueinander angeordnet sind, dass beim Verbinden des Steuer- und/oder Datenübertragungsmoduls mit der Anzahl von E/A-Modulen sich jeweils ein dritter Signalanschluss mit jeweils einem ersten Signalanschluss oder sich jeweils ein dritter Signalanschluss mit jeweils einem zweiten Signalanschluss paart."
1. Vorbemerkung zum Verfahren
Die vorliegende Beschwerde ist die zweite in Bezug auf das Streitpatent (vgl. Punkt I oben). Im vorangegangenen Beschwerdeverfahren T 1723/13 hat die zuständige Kammer den Gegenstand eines Hilfsantrags 7 ausgehend von E5 für neu und erfinderisch erachtet und die Angelegenheit auf dieser Grundlage zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.
Die Einspruchsabteilung ist in ihrer mit den vorliegenden Beschwerden angegriffenen Zwischenentscheidung von ED2 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen und hat entschieden, dass der Gegenstand des Hilfsantrags 7 unter Berücksichtigung der Dokumente ED2 und ED1 nicht erfinderisch sei.
2. Gegenstand des Streitpatents
Das vorliegende Patent betrifft ein Steuersystem mit mehreren E/A-Modulen, die jeweils Signalanschlüsse zum Verbinden mit einem Datenbus und einem Busteilnehmer aufweisen. Die E/A-Module können, insbesondere auf einer Hutschiene, benachbart aneinandergereiht werden. Das System weist ferner ein Steuer- und/oder Datenübertragungsmodul (im Folgenden "Steuermodul") mit einer in einem Gehäuse untergebrachten Steuerelektronik auf.
Dieses Steuermodul (300) ist mit einer Mehrzahl von nebeneinander angeordneten E/A-Modulen (100 bis 107) derart mechanisch und elektrisch verbindbar, dass es von diesen getragen wird und dass sich Anschlüsse des Steuermoduls mit Anschlüssen der E/A-Module paaren. Dies wird durch die folgende Abbildung (Fig. 2) des Streitpatents verdeutlicht:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
3. Stand der Technik
3.1 E5 offenbart eine elektrische und/oder optische Interface-Einrichtung für eine technische Anlage mit einem System aus nebeneinander anordenbaren
E/A-Modulen, die mechanisch und elektrisch mit einem Mehrfachverbinder verbindbar sind (siehe Funktionseinheiten 10 und Mehrfachverbinder 7, Absätze [0001] und [0024], Fig. 2). Der Mehrfachverbinder 7 ist über eine Leitung 2 mit einer Baugruppe einer technischen Anlage verbunden, die somit nicht von den E/A-Modulen getragen wird (Absatz [0026], Fig. 2). Die E/A-Module (Einheiten 10) können eine
E/A-Elektronik zur Realisierung einer Anpassfunktion aufweisen, wobei die E/A-Elektronik implizit zwischen den Anschlüssen des E/A-Moduls angeordnet ist (Absatz [0027] und Absatz [0039], erster Satz).
3.2 ED1 offenbart ein modulares Steuerungssystem, in dem mehrere E/A-Module 24 bis 27 ("Anschlussscheiben" genannt) einen Anschlussblock 3 bilden, auf den ein Steuermodul 2 ("Elektronikmodul" genannt) derart aufsteckbar ist, dass es mechanisch und elektrisch mit dem Anschlussblock verbunden ist und von diesem getragen wird (Spalte 9, Zeilen 39 bis 44; Spalte 10, Zeilen 14 bis 18; Fig. 1). Dies wird auch durch die folgende Abbildung von ED1 illustriert (Fig. 1):
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
3.3 ED2 offenbart ein E/A-Modul zum Aufsetzen auf eine Trageschiene ("Reihenklemmblock", Seite 1, erster Absatz, Fig. 1). Das E/A-Modul weist eine Elektronik ("Elektronikmodul") auf, kann an weitere E/A-Module gleicher Art aneinandergereiht und in einem Steuersystem verwendet werden (Seite 5, letzter Absatz).
4. Zulassung der Dokumente ED1 und ED2
4.1 Die Patentinhaberin argumentierte, dass die Dokumente ED1 und ED2 von der Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren hätten zugelassen werden dürfen. Dies wurde damit begründet, dass die beiden Dokumente erst am 23. März 2016 und damit nach der Einspruchsschrift gegen das Streitpatent eingereicht wurden, obwohl die Dokumente bereits im parallelen Prüfungsverfahren zum deutschen Patent DE 10 2007 006 830 vor der Erteilung des europäischen Streitpatents berücksichtigt wurden und somit der Einsprechenden bekannt waren.
ED1 hätte aufgrund des von der Einsprechenden selbst verschuldeten späten Vorbringens nicht zugelassen werden dürfen. ED2 hätte ebenfalls wegen verspätetem Vorbringen nicht oder zumindest nur für die Prüfung der Hilfsanträge zugelassen werden dürfen, deren zusätzliche Merkmale als Rechtfertigung für das verspätete Einreichen von ED2 gedient hätten.
4.2 Die Kammer stellt zunächst fest, dass sie dem EPÜ keine rechtliche Grundlage dafür entnehmen kann, ein bereits von dem erstinstanzlichen Organ berücksichtigtes Beweismittel im Beschwerdeverfahren nicht zu berücksichtigen. Zudem würde dies auch der Anwendung von Artikel 12(2) VOBK 2020 entgegenstehen, wonach zur gerichtlichen Überprüfung der angefochtenen Entscheidung das Beschwerdevorbringen u.A. auf die dieser Entscheidung zugrunde liegenden Beweismittel zu richten ist; siehe z.B. T 1852/11, Gründe 1.3; T 26/13, Gründe 2; T 487/16, Gründe 3; T 617/16, Gründe 1.1.1). Dennoch führt die Kammer Folgendes zur Ermessensausübung der Einspruchsabteilung in dieser Frage aus:
4.2.1 Die Zulassung der wenige Wochen vor der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung eingereichten Dokumente ED1 und ED2 war eine Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung, bei der insbesondere die prima-facie Relevanz der Dokumente berücksichtigt wurde.
Die Kammer stimmt mit der Einspruchsabteilung darin überein, dass ED1 im Vergleich mit der in der Entscheidung T 1723/13 (Gründe 5.4) für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit berücksichtigten Druckschrift E3 mehr Details, insbesondere zur mechanischen Verbindung zwischen dem Elektronikmodul und den E/A-Modulen, zeigt (siehe Punkt 1.3 der Entscheidungsgründe). Ferner offenbart ED1 Details zur Verbindung zwischen den Leiterplatten innerhalb des Elektronikmoduls und den Kontakten der E/A-Module (siehe ED1, Figuren 2 und 5 und zugehörige Abschnitte der Beschreibung).
Das Dokument ED2 offenbart wiederum E/A-Module mit einer E/A-Elektronik und ist somit eine relevante Druckschrift für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit in Kombination mit dem Dokument ED1, das keine E/A-Elektronik in den E/A-Modulen beinhaltet, aber dafür die tragende Aufnahme des Steuer- und Datenübertragungsmoduls durch die E/A-Module lehrt. Dass die Einsprechende die Einführung des Dokuments ED2 mit der Vorlage geänderter Anspruchssätze der Patentinhaberin gerechtfertigt hat, spielt hierbei keine Rolle, da es eben auf die Einschätzung durch die Einspruchsabteilung ankommt.
4.2.2 Die Kammer ist daher der Ansicht, dass die beiden Dokumente ED1 und ED2 zumindest prima facie relevant für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit sind und die Einspruchsabteilung mithin ihr Ermessen korrekt ausgeübt hat.
5. Frühere Entscheidung T 1723/13 und Umfang der Bindungswirkung
Die Beschwerdeführerin II (Patentinhaberin) hat vorgetragen, die Einspruchsabteilung habe die Dokumente ED1 und ED2 zugelassen, um die Bindungswirkung der früheren Kammerentscheidung (vgl. Punkt I oben) zu umgehen. Vor diesem Hintergrund hält es die hier zuständige Kammer für angemessen, zum Umfang der Bindungswirkung der vorangegangenen Entscheidung T 1723/13 Stellung zu beziehen.
5.1 Nach Artikel 111(2) EPÜ ist das erstinstanzliche Organ bei einer Zurückverweisung zur weiteren Entscheidung an die rechtliche Beurteilung durch die Entscheidung einer Beschwerdekammer gebunden. Nach der Rechtsprechung besteht diese Bindung auch für die Beschwerdekammern selbst (auch "Selbstbindung" genannt), wenn die nach der Zurückverweisung ergangene erstinstanzliche Entscheidung abermals mit einer Beschwerde angefochten wird (siehe z.B. T 961/18, Gründe 4).
5.2 In diesem Zusammenhang war deshalb die Ansicht der Patentinhaberin zutreffend, dass der Fall T 1723/13 eine Bindungswirkung in dem vorliegenden Beschwerdeverfahren entfalten könne. Diese Bindung kann jedoch nur insofern bestehen, als der Tatbestand unverändert bleibt und soweit der Umfang der rechtlichen Beurteilung der vorangegangenen Entscheidung selbst reicht.
5.3 In T 1723/13 hat die zuständige Kammer entschieden, den "Hilfsantrag 7" an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen. Die Kammer kam in ihrer Entscheidung zum Schluss, dass die Fachperson ausgehend von E5 unter Zuhilfenahme ihres Fachwissens nicht zu dem Gegenstand des Hilfsantrags 7 gelangen würde (vgl. Punkt 5.4 der Entscheidungsgründe). Zur Zurückverweisung wurde ausgeführt, dass die Fragen der Neuheit und der erfinderischen Tätigkeit auf der Grundlage von E5 erst im Beschwerdeverfahren vorgebracht wurden und eine erneute Beurteilung durch zwei Instanzen angebracht erscheine (vgl. Punkt 5.5 der Entscheidungsgründe). In Bezug auf eine Kombination von E5 und E3 hat die in T 1723/13 zuständige Kammer ausgeführt, dass das "Elektronikmodul 2" in E3 eine Anpassungselektronik umfasse und dass diese keine Steuerelektronik im Sinne des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 7 sei und auch nicht implizit offenbare (Punkt 5.4 der Entscheidungsgründe).
Diese Einschätzung wird in der vorliegenden Entscheidung in Bezug auf das Elektronikmodul 2 sowohl von E3 als auch von ED1 nicht in Frage gestellt. Zudem merkt die Kammer - aufgrund der starken inhaltlichen Ähnlichkeit zwischen den Dokumenten E3 und ED1 - zur möglichen Bindungswirkung der früheren Entscheidung an, dass die in T 1723/13 zuständige Kammer keine abschließende Entscheidung zur erfinderischen Tätigkeit ausgehend von E3 getroffen hat. Die Kammer ist weiter der Auffassung, dass T 1723/13 auch keine Bindungswirkung bei der sich unter Umständen stellenden Frage entfaltet, ob E5 als Ausgangspunkt zur Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit dem Dokument E3 und damit implizit auch ED1 vorzuziehen sei.
Sowohl E5 als auch E3 offenbaren ein Steuersystem und sind somit grundsätzlich als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit geeignet. Allerdings offenbart E5 im Gegensatz zu E3 nicht das Merkmal k) von Anspruch 1 (d.h. den Einsatz einer
E/A-Elektronik in den entsprechenden E/A-Modulen). Dieses Merkmal ist jedoch in dem Dokument ED2 offenbart, das zum Zeitpunkt der Entscheidung T 1723/13 allerdings noch nicht in das Verfahren eingeführt war und somit logischerweise für eine Kombination mit E3 nicht zur Verfügung stand. Die Wahl von E5 als Ausgangspunkt für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit im Verfahren T 1723/13 ist im Kontext des damals im Verfahren befindlichen Stands der Technik zu bewerten und impliziert nicht, dass E5 auch im jetzigen Beschwerdeverfahren, in das ED2 eingeführt wurde, dem Dokument E3 als Ausgangspunkt vorzuziehen wäre.
6. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
6.1 Ausgangspunkt für den Aufgabe-Lösungs-Ansatz
6.1.1 Die Einspruchsabteilung ist in ihrer Zwischenentscheidung von dem Dokument ED2 als nächstliegendem Stand der Technik ausgegangen (vgl. Punkt 2.1 der Entscheidungsgründe). Dort sind allerdings nur E/A-Module zur Verwendung in einem übergeordneten Steuerungssystem beschrieben, wobei die E/A-Module jeweils eine E/A-Elektronik aufweisen und aneinandergereiht werden können (vgl. ED2, Seite 1, letzter Absatz). ED2 beschreibt jedoch das Steuersystem nicht näher und offenbart somit auch nicht das Merkmal betreffend eines von mehreren E/A-Modulen getragenen Steuer- und/oder Datenübertragungsmoduls gemäß Merkmal j) von Anspruch 1.
6.1.2 Nach Ansicht der Kammer ist ED1 als Ausgangspunkt geeigneter, da dort mehr zentrale Merkmale des beanspruchten Systems offenbart sind wie insbesondere ein Elektronikmodul, das mechanisch und elektrisch mit mehreren aneinander gereihten E/A-Modulen derart verbindbar ist, dass es von letzteren getragen wird (siehe auch Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden, Abschnitte C.III.2 und C.III.3). Daher geht die Kammer von ED1 als dem erfolgversprechendsten Ausgangspunkt für die Frage der erfinderischen Tätigkeit aus.
6.2 Insbesondere offenbart ED1 ein Steuersystem mit den Merkmalen a), b), f), h) und j) von Anspruch 1 (siehe Punkt 3.2 oben). Das Steuermodul (Elektronikmodul 2) bildet mittels Verrastungselementen mit den E/A-Modulen (Anschlussblock aus Anschlussscheiben) eine lösbare Einheit (Spalte 10, Zeilen 14 bis 24; vgl. Merkmal i)). Dies ergibt sich auch daraus, dass das Steuermodul aufgesteckt wird und abnehmbar ist (Spalte 10, Zeilen 64 bis 68 bzw. Spalte 11, Zeilen 60 bis 67).
Die E/A-Module von ED1 weisen zudem einen
E/A-Signalkanal (Kontaktierungssteg 46) auf, der einen zweiten Signalanschluss (Signalleiterklemme 8) zum Verbinden mit einem Busteilnehmer (Initiator, Aktor oder Feldgerät) und einen ersten Signalanschluss (Steckanschluss 11) zum Verbinden mit einem Datenbus (Busleiter 13) aufweist (die an den Steckanschlüssen 11 anliegenden Signale werden im Elektronikmodul 2 an den Busleiter 13 weitergeleitet; siehe Spalte 14, Zeilen 23 bis 30 in Verbindung mit Spalte 16, Zeilen 26 bis 38, Fig. 7; vgl. Merkmale c), d) und e)). Dies wird besonders illustrativ durch die folgende Abbildung von ED1 dargestellt, die eine Anschlussscheibe von der Seite mit aufgestecktem Elektronikmodul 2 zeigt (Fig. 7):
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
Das Elektronikmodul 2 weist wiederum ein Gehäuse mit Funktionsleiterplatten 40 hierin auf, die die ersten Signalanschlüsse 11 der E/A-Module über einen Steckanschluss 12 mit dem Busleiter 13 verbinden (Spalte 11, Zeilen 16 bis 30). Die Elektronik des Elektronikmoduls 2 ist implizit auf den Funktionsleiterplatten 40 angeordnet. Die E/A-Module sind ferner mit unterschiedlichen Busteilnehmern (Sensoren, Aktoren) verbunden (Fig. 3), so dass die Elektronik im Steuermodul implizit die E/A-Module gezielt ansteuert, um die Signale den jeweiligen Busteilnehmern korrekt zuzuführen. Somit offenbart ED1 auch Merkmal g) mit der Ausnahme, dass die Elektronik nicht explizit eine "Steuerelektronik" darstellt. Dem wiederholt vorgetragenen Argument der Patentinhaberin mit dem entsprechenden Verweis auf die Sache T 1723/13 (insbesondere Gründe 5.4), dass die Elektronik im Elektronikmodul von E3 (und dementsprechend von ED1) keine Steuerelektronik sei, wird gefolgt. Die Patentinhaberin argumentierte, dass ED1 eine Übertragung von Steuersignalen durch die Anschlussscheiben nicht offenbare (Schreiben vom 5. Dezember 2019, Seite 11).
6.3 Nach Ansicht der Kammer sind die Signale, die über die zweiten Signalanschlüsse (Signalleiterklemmen 8) an die Aktoren übertragen werden (Spalte 9, Zeile 69 bis Spalte 10, Zeile 4), zweifellos Steuersignale, mit denen die Aktoren notwendigerweise gezielt angesteuert werden, da jeder Aktor sein eigenes Steuersignal benötigt. Zur mechanischen Verbindung weisen die
E/A-Module erste Verbindungseinrichtungen (Führungsfläche 15 mit T-Nuten) auf, wobei das Steuermodul eine entsprechende Anzahl dazu komplementär ausgebildeter und in einer Reihe am Steuermodulgehäuse angeordneter zweiter Verbindungseinrichtungen (T-Nuten-Gegenstücke 19) enthält (Spalte 17, Zeilen 64 bis 68, Figuren 15a und 15b; vgl. Merkmale l), m) und n)).
Darüber hinaus weist das Steuermodul "dritte Signalanschlüsse" auf (d.h. auf den Funktionsleiterplatten 40 im Elektronikmodul 2 angeordnete Kontakte), die der Elektronik im Steuermodul (Funktionsleiterplatten 40 im Elektronikmodul 2) zugeordnet sind und bei aufgestecktem Steuermodul mit den zweiten Signalanschlüssen (Steckanschlüsse 11) der E/A-Module elektrisch verbunden sind (Spalte 11, Zeilen 16 bis 22, Fig. 7; vgl. Merkmale o), p) und q)).
6.4 Das System von Anspruch 1 unterscheidet sich somit vom System von ED1 dadurch, dass die Elektronik des
Steuer- bzw. Datenübertragungsmoduls gemäß Merkmal g) eine "Steuerelektronik" ist und dass gemäß Merkmal k) eine "E/A-Elektronik" im E/A-Modul eingesetzt wird.
6.5 Der Unterschied in Merkmal g) eröffnet nach Auffassung der Kammer die Möglichkeit, Steuerfunktionen in das Elektronikmodul zu integrieren und so ein kompakteres Gesamtsystem zu schaffen.
Die technische Wirkung von Merkmal k) ist hingegen die Bereitstellung eines erweiterten Funktionsumfangs der E/A-Module und damit von erweiterten Anschlussmöglichkeiten z.B. für daran angeschlossene Aktoren oder Sensoren.
Die Kammer folgert, dass beide Wirkungen unabhängig voneinander von verschiedenen Komponenten des Systems erzielt werden, nämlich dem "Steuer- bzw. Datenübertragungsmodul" und den "E/A-Modulen". Die Kammer erachtet es daher als angezeigt, zwei Teilaufgaben für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu formulieren.
6.6 Ausgehend von dem System von ED1 können die dem beanspruchten Gegenstand zugrunde liegenden Teilaufgaben nun darin gesehen werden, (1) "ein kompakteres Steuersystem mit E/A-Modulen" (Merkmal g)) mit (2) "erweiterten Anschlussmöglichkeiten zu schaffen" (Merkmal k)).
6.7 Die Kammer schickt voraus, dass in ED1 bereits die Ziele der Kompaktheit und der weitgehenden Anpassbarkeit erwähnt werden und dass das Steuermodul auch für komplexere Aufgaben wie die Be- und Verarbeitung von Signalen dient (Spalte 2, Zeilen 44 bis 56, Anspruch 1). Weiterhin richtet sich ED1 explizit auf eine Steuerungsanlage, wodurch das Vorhandensein von Steuerfunktionen impliziert ist (vgl. Anspruch 1). Es wird allerdings nicht explizit eine Komponente benannt, die für diese Steuerfunktionen eingerichtet ist.
6.8 Es ist daher zur Lösung der ersten Teilaufgabe nach Ansicht der Kammer der Fachperson aufgrund ihres allgemeinen Fachwissens nahegelegt, Steuerfunktionen in dem Elektronikmodul von ED1 zu implementieren und somit aus dem Elektronikmodul ein Steuermodul zu machen, zumal zu diesem Zweck nur die Funktionsleiterplatten im Elektronikmodul entsprechend angepasst werden müssten.
6.9 Die zweite Teilaufgabe lässt sich einfach dadurch lösen, dass die E/A-Module gemäß ED2 verwendet werden, da diese aufgrund der enthaltenen E/A-Elektronik ("Elektronikmodul 4") den Funktionsumfang erhöhen (siehe auch ED2, Seite 1, erster Absatz und die ersten 13 Zeilen des zweiten Absatzes). Darüber hinaus offenbart ED2, dass das Elektronikmodul 4 mit den Klemmanschlüssen verbunden und somit zwischen zwei Signalanschlüssen angeordnet ist (Seite 3, Zeilen 3 bis 9). Dies geht auch aus Fig. 2 und Fig. 5 hervor, in denen Leiterstreifen zu sehen sind, die von den Anschlussklemmen 8 bis 12 zu den Klemmen 28 führen, in die das Elektronikmodul 4 eingesteckt wird.
6.10 Die Patentinhaberin griff auf den Seiten 14 bis 16 ihrer Beschwerdebegründung die Schlussfolgerung von Punkt 2.6 der Entscheidungsgründe der Einspruchsabteilung an, nämlich dass das Elektronikmodul 2 von ED1 die Funktionalität einer Steuerelektronik zum gezielten Ansteuern der E/A-Module aufweise. Sie argumentierte weiter, dass die Kammer in der Sache T 1723/13, hätte sie diese Ansicht geteilt, bereits in jener Entscheidung das Merkmal betreffend eine die E/A-Module gezielt ansteuernde Steuerelektronik durch das Elektronikmodul 2 von E3 als vorweggenommen beschieden hätte. Stattdessen hätte die dort zuständige Kammer im Gegensatz dazu festgestellt, dass das Elektronikmodul 2 von E3 eine "Anpassungselektronik" im Sinne der E/A-Elektronik gemäß Anspruch 1 sei.
Da die hier zuständige Kammer im Gegensatz zur angefochtenen Entscheidung (siehe Punkt 2.4 der Entscheidungsgründe, Ausführungen zum Merkmal g)) nicht davon ausgeht, dass das Elektronikmodul von ED1 eine "Steuerelektronik" umfasst, kann es dahingestellt bleiben, ob das Verteilen von Steuersignalen per se hinreichend für die Qualifizierung einer Elektronikeinheit als eine "Steuerelektronik" ist und ob das Elektronikmodul 2 von ED1 tatsächlich eine Steuerelektronik aufweist, da die Steuersignale bei einer Implementierung von Steuerfunktionen in dem Elektronikmodul (siehe Punkt 6.7 oben) nicht nur verteilt, sondern auch erzeugt werden würden.
6.11 Die Patentinhaberin hat weiter argumentiert, dass im System von ED1 nur Steuersignale einer entfernten, "großen" Steuereinrichtung verteilt würden und die Fachperson nicht die Funktion einer solchen Steuereinrichtung in das vergleichsweise kleine Elektronikmodul 2 integrieren würde. Zur weiteren Untermauerung dieses Arguments wurde darauf verwiesen, dass die E/A-Module über den Busleiter 13 mit einem Feldbusanschlussmodul 4 verbunden seien.
Dieses Argument kann aus folgenden Gründen nicht überzeugen: ED1 trägt den Titel "Modulare Steuerungsanlage mit Busleiter" und verweist eben nicht auf eine weitere Steuerungseinheit. Anspruch 1 von ED1 richtet sich auf eine Steuerungsanlage mit mindestens einem Elektronikmodul zur Signalbe- und -verarbeitung ohne dass weitere Komponenten zur Steuerung genannt wären. Der Leser von ED1 muss somit davon ausgehen, dass das in diesem Dokument beschriebene System der Bezeichnung "Steuerungsanlage" bzw. "Steuersystem" gerecht wird und nicht zusätzliche Komponenten zur Ausführung von Steuerfunktionen benötigt werden.
Ferner impliziert das Vorhandensein eines Feldbusanschlussmoduls nicht notwendigerweise, dass daran eine Steuervorrichtung angeschlossen wäre und - selbst wenn - würde dies nicht eine Implementierung von Steuerfunktionen im Elektronikmodul 2 ausschließen. Auch im Fall einer an das Feldbusanschlussmodul angeschlossenen Steuerungsanlage könnten nämlich dennoch Steuerungsfunktionen sinnvollerweise im Elektronikmodul 2 implementiert werden, die beispielsweise zeitkritisch sind oder ein hohes Datenübertragungsvolumen erzeugen und daher so nah wie möglich an den an die Anschlussscheiben angeschlossenen Aktoren oder Sensoren ausgeführt werden.
6.12 Der Gegenstand von Anspruch 1 des vorliegenden Antrags beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit gegenüber der Kombination des Systems von ED1 und den E/A-Modulen von ED2. Der Antrag ("Hilfsantrag 7") ist daher nicht gewährbar (Artikel 52 (1) und 56 EPÜ).
7. Da somit kein gewährbarer Anspruchssatz vorliegt, ist das Streitpatent zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.