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T 2533/16 (Dichtungsartikel/FRAUNHOFER-GESELLSCHAFT) 16-11-2020
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DICHTUNGSARTIKEL
Erfinderische Tätigkeit (Hauptantrag, 1. bis 3. Hilfsantrag)
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
Rückzahlung der Beschwerdegebühr - angefochtene Entscheidung ausreichend begründet (ja)
I. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Patent EP 2 291 439 in geänderter Fassung die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, haben sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende Beschwerde eingelegt.
II. Im vorliegenden Beschwerdeverfahren sind sowohl die Patentinhaberin als auch die Einsprechende Beschwerdeführerinnen. Die Verfahrensbeteiligten werden daher weiterhin als Patentinhaberin bzw. Einsprechende bezeichnet.
III. Mit ihrer Einspruchsschrift hatte die Einsprechende unter anderem den Widerruf des Patents im gesamten Umfang gemäß Art. 100 a) EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) beantragt.
IV. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem folgende Dokumente vorgelegt:
D2: |B. Jacoby "Abscheidung und Charakterisierung von Plasmapolymerschichten auf Fluorkohlenstoff und Siloxan-Basis", 25. Februar 2008, erhältlich unter: http://ubm.opus.hbz-nrw.de/volltexte/2008/1593|
D5:|WO 01/12705 A1 |
D8: |M. R. Alexander et al., Journal of Materials Science, 31, 1996, 1879-1885 |
D18: |M. R. Alexander et al., Conference: Ceramic films and coatings, Januar 1995, 87-99 |
V. Der Entscheidung der Einspruchsabteilung lagen die erteilten Ansprüche (Hauptantrag) sowie der 1. Hilfsantrag (eingereicht in der Verhandlung am 21. September 2016) zugrunde, den die Einspruchsabteilung als gewährbar ansah.
VI. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Einsprechende unter anderem folgendes Dokument ein:
D20: |Versuchsbericht: Reproduktion der Versuche gemäß D2 auf NBR-Substrat|
VII. Mit Schreiben vom 5. Juli 2017, in Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Einsprechenden, reichte die Patentinhaberin Hilfsanträge 1 bis 8 ein. Mit Schreiben vom 12. Juli 2017 ersetzte sie dann den 6. Hilfsantrag.
VIII. In Vorbereitung auf die für den 16. November 2020 anberaumte mündliche Verhandlung erließ die Kammer eine Mitteilung.
IX. Mit Schreiben vom 6. November 2020 reichte die Patentinhaberin Hilfsanträge 1 bis 8 sowie das folgende Dokument ein:
D21: |Versuchsbericht: "Experimentelle Bestimmung des Verschleißkoeffizienten einer Beschichtung auf einem erfindungsgemäßen Gegenstand"|
Die Hilfsanträge 1 bis 3 sind unverändert gegenüber den Hilfsanträgen 1 bis 3, eingereicht mit der Beschwerdeerwiderung vom 5. Juli 2017, während die Hilfsanträge 4 bis 8 Änderungen umfassen.
X. Relevant für die vorliegende Entscheidung ist lediglich der Wortlaut von Anspruch 1 des 3. Hilfsantrags, der lautet:
"Für dynamische Belastungen geeigneter Dichtungsartikel, umfassend ein elastomeres und/oder polymeres Substrat und eine darauf angeordnete plasmapolymere Beschichtung bestehend aus Kohlenstoff, Silizium, Sauerstoff, Wasserstoff und (i) Fluor oder (ii) keinem Fluor sowie gegebenenfalls üblichen Verunreinigungen, wobei für die Stoffmengenverhältnisse in der plasmapolymeren Beschichtung gilt:
1,3 : 1 <= n(O) : n(Si) <= 3,0 : 1
0,5 [deleted: 0,3] : 1 <= n(C) : n(Si) <= 5,0 : 1
und bevorzugt
0,5 : 1 <= (n(H) + n(F)) : n(C) <= 3,0 : 1."
und wobei im ESCA-Spektrum der plasmapolymeren Schicht, bei Kalibrierung auf den aliphatischen Anteil des C 1s Peaks bei 285,00 eV, im Vergleich mit einem trimethylsiloxy-terminierten Polydimethylsiloxan (PDMS) mit einer kinematischen Viskosität von 350 mm**(2)/s bei 25°C und einer Dichte von 0,97 g/mL bei 25 °C,
der Si 2p Peak einen Bindungsenergiewert besitzt, der um mehr als 0,4 eV zu höheren Bindungsenergien verschoben ist und/oder
der O 1s Peak einen Bindungsenergiewert besitzt, der um mehr als 0,50 eV zu höheren Bindungsenergien verschoben ist."
Die Änderungen gegenüber dem erteilten Anspruch 1 sind unter- bzw. durchgestrichen.
In Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags wurde gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags (Patent wie erteilt) das Merkmal aufgenommen, dass die Dichtung für dynamische Belastungen geeignet ist.
In Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags wurden gegenüber Anspruch 1 des 1. Hilfsantrags zusätzlich die Merkmale betreffend die Bindungsenergiewerte im ESCA-Spektrum aufgenommen. Dieser Hilfsantrag entspricht dem Antrag, den die Einspruchsabteilung für gewährbar erachtet hatte.
In Anspruch 1 des 3. Hilfsantrags wurde gegenüber Anspruch 1 des 2. Hilfsantrags der Wert 0,5 für das
C/Si-Stoffmengenverhältnis (n(C) : n(Si)) aufgenommen.
XI. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
XII. Die Argumente der Patentinhaberin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:
Zulassung in das Verfahren von D21 und der Hilfsanträge 4 bis 8 (in beiden Fassungen)
Die Mitteilung der Kammer habe die Patentinhaberin dazu veranlasst, weitere Versuche durchzuführen und geänderte Anspruchssätze einzureichen. Somit lägen außergewöhnliche Umstände vor, die dieses Vorbringen kurz vor der Verhandlung rechtfertigten.
Erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1, 3. Hilfsantrag
D5 und nicht D2 sei der nächstliegende Stand der Technik. D2 offenbare weder Dichtungsartikel noch sei es nacharbeitbar, weil es nicht möglich sei die Versuche in Kapitel 5.5 zu wiederholen. Anspruch 1 unterscheide sich von D2 durch das O/Si- und das C/Si-Stoffmengenverhältnis sowie durch die Peakverschiebung (Si 2p Peak). Die technische Aufgabe liege darin, verbesserte Dichtungsartikel zur Verfügung zu stellen. D2 lehre glasartige Beschichtungen, während der Kohlenstoffgehalt in Anspruch 1 ein Merkmal der Flexibilität der Beschichtung darstelle. Die Peakverschiebung sei keine inhärente Stoffeigenschaft, sondern stelle ein Maß dar für die innere Vernetzung der Beschichtung. Die Kombination der technischen Merkmale von Anspruch 1 sei aus dem Stand der Technik nicht nahegelegt.
XIII. Die Argumente der Einsprechenden können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:
Zulassung in das Verfahren von D21 und der Hilfsanträge 4 bis 8 (in beiden Fassungen)
Die Einsprechende habe sich nicht auf das Vorbringen der Patentinhaberin vorbereiten oder eigene Versuche vorlegen können.
Erfinderische Tätigkeit von Anspruch 1, 3. Hilfsantrag
D2 offenbare plasmapolymerbeschichtete Elastomere, die als Dichtungen für dynamische Belastungen geeignet seien. Daher stelle es den nächstliegenden Stand der Technik dar. Das Streitpatent belege nicht, dass die Kombination der Merkmale von Anspruch 1, die sich zudem über einen breiten Bereich erstrecke, eine unerwartete Wirkung erzielte. Die technische Aufgabe bestehe lediglich darin, weitere Dichtungsartikel zur Verfügung zu stellen. Die Unterscheidungsmerkmale ergäben sich direkt aus der Lehre von D2 oder seien, wie die Peakverschiebung (Si 2p Peak), ein inhärentes Merkmal. Die Lehre von D2 folgend würde der Fachmann ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen.
Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung sei mit einem wesentlichen Verfahrensmangel behaftet, weil die Begründung zur erfinderischen Tätigkeit des damaligen 1. Hilfsantrags weder ausreichend noch nachvollziehbar sei.
XIV. Schlussanträge
Die Patentinhaberin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent wie ursprünglich erteilt aufrecht zu erhalten (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte sie, das Patent gemäß einem der Hilfsanträge 1 bis 8, eingereicht mit Schreiben vom 6. November 2020, aufrecht zu erhalten oder gemäß einem der Hilfsanträge 4, 5, 7 oder 8, eingereicht mit Schreiben vom 5. Juli 2017, oder Hilfsantrag 6, eingereicht mit Schreiben vom 12. Juli 2017, aufrecht zu erhalten.
Die Einsprechende beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen und die Beschwerdegebühr zurückzuerstatten.
1. Das Streitpatent betrifft einen Dichtungsartikel umfassend ein elastomeres und/oder polymeres Substrat und eine darauf angeordnete plasmapolymere Beschichtung. Plasmapolymerisation ist ein Verfahren, bei dem sich gasförmige Precursoren, d.h. Monomere, angeregt durch ein Plasma, auf einem Substrat als hochvernetzte Schicht niederschlagen.
2. Zulassung von D21
2.1 Die Patentinhaberin hat Dokument D21 zehn Tage vor der mündlichen Verhandlung eingereicht. Es beschreibt von der Patentinhaberin durchgeführte Versuche, in welchen ein Elastomer plasmapolymerbeschichtet und dann der Bestimmung der Verschleißrate unterzogen wurde. Auf dieses Dokument wollte die Patentinhaberin Bezug nehmen, unter anderem bei ihren Ausführungen zur erfinderischen Tätigkeit. Die Einsprechende hat beantragt, dieses Dokument nicht in das Verfahren zuzulassen.
2.2 Das verspätete Vorbringen von D21 war nach Auffassung der Patentinhaberin gerechtfertigt. Außergewöhnliche Umstände hätten sie veranlasst, diese Versuche durchzuführen und einzureichen, insbesondere folgende Passage in der Mitteilung der Kammer (Punkt 7.2.2): "Allerdings scheint die in D2 beschriebene Verschleißrate dem in Absatz [0034] des Streitpatents beschriebenen Verschleißkoeffizienten zu entsprechen". Ferner habe die Patentinhaberin die Versuche nicht früher einreichen können, weil die experimentellen Arbeiten eine langwierige Untersuchung sowie die Untersuchung von einer Vielzahl von Merkmalen verlangt hätten.
2.3 Die Kammer hat in der erwähnten Passage ihrer Mitteilung im Wesentlichen eine Schlussfolgerung übernommen, die von der Einsprechenden in ihrer Beschwerdeerwiderung vom 11. Juli 2017 unter Punkt 2.1.2, insbesondere Abschnitt d), im Detail erläutert worden war. Diese Ausführungen waren der Patentinhaberin daher mehr als drei Jahre vor der mündlichen Verhandlung bekannt. Dass sich die Kammer in ihrer vorläufigen Auffassung in einzelnen Punkten dem Vortrag des einen oder anderen Verfahrensbeteiligten anschließt, kann nicht als ein außergewöhnlicher Umstand angesehen werden.
2.4 Auch der späte Zeitpunkt für das Einreichen von D21 spricht gegen dessen Zulassung in das Verfahren. Gerade weil schon für die Patentinhaberin die experimentellen Arbeiten, wie von ihr selbst vorgetragen, langwierige Untersuchung verlangen, ist es nicht angebracht, D21 in das Verfahren zuzulassen. Die Einsprechende hätte dann nicht die Möglichkeit gehabt, zeitnah angemessen zu reagieren, beispielsweise durch Einreichen von eigenen Versuchen.
2.5 In D21 werden schließlich Materialeigenschaften des beschichteten Elastomers bestimmt. Allerdings beheben diese Versuche zumindest prima facie nicht den Einwand der Einsprechenden im erwähnten Punkt 2.1.2 ihrer Beschwerdeerwiderung, wonach in der Tribologie, Verschleiß- und Reibungseigenschaften Systemeigenschaften und keine Materialeigenschaften seien. Die in D21 dargestellten relativen Messergebnisse gelten für das im D21 ausgewählte Testsystem. Inwieweit diese Ergebnisse mit den Angaben in D2 vergleichbar sind, wäre ein zusätzlicher, in der Verhandlung zu erörternder Punkt gewesen.
2.6 Die Kammer hat daher D21 nicht in das Verfahren zugelassen (Art. 13 (2) VOBK).
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 In der mündlichen Verhandlung wurde die erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hauptantrags sowie des 1. bis 3. Hilfsantrags diskutiert und entschieden.
3.1.1 Anspruch 1 des 3. Hilfsantrags (Wortlaut, siehe Punkt X) umfasst sämtliche Merkmale von Anspruch 1 der höherrangigen Anträge, und ist somit unter allen diesen Anträgen der am stärksten eingeschränkte Anspruch 1.
3.1.2 Da der Gegenstand dieses Anspruchs nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, wie im Folgenden zu zeigen sein wird, beruht keiner der höherrangigen Anträge auf einer erfinderischen Tätigkeit. Diese Anträge müssen daher nicht einzeln diskutiert werden.
3.2 Auswahl des nächstliegenden Standes der Technik
3.2.1 Die Einspruchsabteilung war von D2 als dem nächstliegenden Stand der Technik ausgegangen und war zu dem Ergebnis gelangt, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 sei nicht erfinderisch. Die Patentinhaberin hat diese Entscheidung bemängelt und zudem die Auffassung vertreten, D5 und nicht D2 sei der nächstliegende Stand der Technik.
3.2.2 Die Kammer stellt fest, dass
- sich die Verfahrensbeteiligten im schriftlichen Beschwerdeverfahren intensiv mit D2 auseinandergesetzt haben und
- D2 ein realistischer Ansatzpunkt für die Erörterung der erfinderischen Tätigkeit darstellt.
D2 kommt daher grundsätzlich als nächstliegender Stand der Technik in Frage.
3.2.3 Die Patentinhaberin hat auch argumentiert, D2 sei kein geeigneter nächstliegender Stand der Technik, weil es nicht möglich sei, D2 nachzuarbeiten.
Auch das überzeugt nicht. Hinsichtlich einiger Parameter, die bei der plasmapolymeren Beschichtung eingesetzt werden, mag D2 zwar Lücken aufweisen, die es nicht ermöglichen, genau dieselbe Beschichtung wie in D2 zu reproduzieren. Relevant wäre das allenfalls für die Beurteilung der Neuheit ausgehend von D2. Für die Prüfung der erfinderischen Tätigkeit ist es hingegen entscheidend, dass D2 eine Lehre enthält, die der Fachmann diesem Dokument ohne weiters entnehmen und umsetzen kann.
3.3 D2 als nächstliegender Stand der Technik
3.3.1 D2 ist eine Dissertation, die sich mit der Abscheidung und Charakterisierung von Plasmapolymerschichten befasst. Kapitel 5 betrifft Siloxan-Beschichtungen. In Kapitel 5.1 (Seiten 84 bis 85) wird die Abscheidung von HMDSO-Schichten auf Siliziumsubstraten beschrieben. Diese werden in Kapitel 5.2 bis 5.4 weiter charakterisiert.
3.3.2 Kapitel 5.5 (Seiten 95 bis 99) ist der Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit. Dort wird ein neues Anwendungsbeispiel von HMDSO-Beschichtungen vorgestellt, "das auf Grundlage der vorangegangenen Untersuchungen entwickelt wurde". Dabei werden Platten aus hydriertem Nitril-Butadien-Kautschuk (HNBR) und nicht hydriertem NBR mit HMDSO/O2-Prozessen beschichtet. Ziel war es, die tribologischen Eigenschaften dieser Elastomere, die in dynamischen Dichtungen Anwendung finden, zu verbessern.
Durch Variation des Sauerstoffflusses von 0 auf 220 sccm und bei konstantem HMDSO-Fluss von 10 sccm und einer Plasmaleistung von 160 W wurden Gradientenschichten von ca. 1 µm Dicke auf NBR und 320 nm Dicke auf HNBR abgeschieden. Bei den HNBR-Mustern wurde durch Beibehalten des maximalen Sauerstoffflusses eine zusätzliche, glasartige Phase abgeschieden.
3.3.3 Als Ergebnis dieser Untersuchungen wird unter anderem beschrieben, dass die lineare Verschleißrate der beschichteten NBR-Proben unter den gewählten Versuchsbedingungen nur ca. 1-2 µm/km betrage, während sie bei unbeschichteten NBR-Proben etwa drei Größenordnungen höher liege. Die Beschichtung bewirke ein deutliches Herauszögern des bei einem unbeschichteten Material auftretenden Verschleißes. Somit trage eine HMDSO-Gradientenschicht zu erheblichen Verbesserungen der tribologischen Materialeigenschaften von Elastomeren bei (D2, Absatz zwischen Seiten 98 und 99).
3.3.4 Diese mit einem HMDSO-Gradienten beschichteten NBR-Muster, welche verbesserte tribologische Eigenschaften aufweisen, stellen den nächstliegenden Stand der Technik dar.
3.3.5 Die Patentinhaberin hat den beschichteten Materialien in Kapitel 5.5 von D2 die Eignung abgesprochen, dynamischen Belastungen gewachsen zu sein.
Dem kann nicht gefolgt werden. Die Einsprechende konnte überzeugend darlegen, dass die in D2 beschriebene Verschleißrate dem in Absatz [0034] des Streitpatents beschriebenen Verschleißkoeffizienten zumindest teilweise entspricht. Zudem ist im Patent nicht definiert, welchen Belastungsansprüchen die Dichtungsartikel genügen müssen.
3.3.6 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in Kapitel 5.5 ein für dynamische Belastungen geeigneter Dichtungsartikel offenbart wird, umfassend ein elastomeres und/oder polymeres Substrat und eine darauf angeordnete plasmapolymere Beschichtung (Gradientenschicht) bestehend aus Kohlenstoff, Silizium, Sauerstoff und Wasserstoff. Fluor ist in der Beschichtung nicht enthalten.
3.4 Unterscheidungsmerkmale
3.4.1 Zwischen den Beteiligten war streitig, worin der Unterschied zwischen dem nächstliegenden Stand der Technik und dem Gegenstand von Anspruch 1 bestehe.
3.4.2 Zugunsten der Patentinhaberin wird im Folgenden davon ausgegangen, dass der Gegenstand von Anspruch 1 sich durch diese Merkmale unterscheidet:
- das O/Si-Stoffmengenverhältnis in der Beschichtung (1,3 : 1 <= n(O) : n(Si) <= 3,0 : 1)
- die Peakverschiebung (Si 2p Peak) um mehr als 0,4 eV zu höheren Bindungsenergien (gegenüber dem Si 2p Peak des Standards PDMS)
- das C/Si-Stoffmengenverhältnis in der Beschichtung (0,5 : 1 <= n(C) : n(Si) <= 5,0 : 1).
3.5 Die technische Aufgabe
3.5.1 Die Patentinhaberin hat vorgetragen, die technische Aufgabe liege darin, gegenüber D2 verbesserte Dichtungsartikel zur Verfügung zu stellen (vgl. Absatz [0010] des Patents). So weise der beanspruchte Dichtungsartikel insbesondere eine hohe Flexibilität bei gleichzeitiger hoher Verschleißfestigkeit auf.
3.5.2 Hier ist allerdings zu berücksichtigen, dass Anspruch 1 sehr breite O/Si- und C/Si-Stoffmengenverhältnisse definiert. Abgesehen von der Peakverschiebung umfasst Anspruch 1 keine weiteren Merkmale, die den für dynamische Belastungen geeigneten Dichtungsartikel näher charakterisieren könnten. Die Patentinhaberin hat auch nicht zeigen können, dass die im Anspruch definierten Parameter über die gesamte beanspruchte Breite zu einer Verbesserung gegenüber D2 führen. So führt insbesondere das Argument ins Leere, wonach ein erhöhtes C/Si-Stoffmengenverhältnis gegenüber den mit einer zusätzlichen Glasschicht versehenen HNBR-Substraten zu einer erhöhten Flexibilität führe, da nicht die HNBR-Substrate sondern die NBR-Substrate den nächstliegenden Stand der Technik darstellen.
3.5.3 Was die Kombination aller Unterscheidungsmerkmale betrifft, ist Folgendes anzumerken. Die Patentinhaberin hat zwar vorgetragen, dass die Struktur des Silizium/Sauerstoff-Backbones (wie sie in den anspruchsgemäßen Peakverschiebung Ausdruck findet) und die Elastizität (wie sie im anspruchsgemäßen C/Si-Stoffmengenverhältnis definiert ist) entscheidend sind. Allerdings finden sich im Streitpatent weder Aussagen zur Struktur des Backbones, noch geht daraus hervor, dass die anspruchsgemäßen Peakverschiebung sowie das
C/Si-Stoffmengenverhältnis zusammen, und über den gesamten beanspruchten Bereich, eine unerwartete Wirkung entfalten. Es ist daher nicht überzeugend, dass die anspruchsgemäßen Merkmale zusammenwirken, und einen technischen Effekt erzeugen, der über die gesamte Breite des beanspruchten Bereichs erzielt wird.
3.5.4 Daher ist als objektive technische Aufgabe die Bereitstellung eines weiteren, für dynamische Belastungen geeigneten Dichtungsartikels zu sehen.
3.6 Naheliegen - O/Si-Stoffmengenverhältnis und Peakverschiebung (Si 2p Peak)
3.6.1 Kapitel 5.5 von D2 verweist den Fachmann ausdrücklich auf die vorangegangen Untersuchungen. Dieser wird sich Kapitel 5.1 zuwenden, in dem der Einfluss von Sauerstoff als Reaktivgas auf die Elementkomposition von HMDSO-Schichten untersucht wurde.
3.6.2 Besonders relevant sind die Versuche der Serie II von Kapitel 5.1 sowie die dazugehörige Abbildung 5.1 b), weil die untersuchten Versuchsbedingungen denen von Kapitel 5.5 stark ähneln. In dieser Abbildung ist das O/Si- und C/Si-Stoffmengenverhältnis als Funktion der Sauerstoffflussraten (zwischen 10 sccm und 220 sccm) gezeigt. Das O/Si-Stoffmengenverhältnis liegt oberhalb von 1,3 bereits bei niedrigen Sauerstoffflussraten (unterhalb von 50 sccm) und nähert sich einem Wert von 2.0 an.
3.6.3 Der mit der Bereitstellung eines weiteren, für dynamische Belastungen geeigneten Dichtungsartikels beauftragte Fachmann würde sich an die Lehre von Kapitel 5.1, Abbildung 5.1 b) halten, und somit zu einem O/Si-Stoffmengenverhältnis gelangen, wie es in Anspruch 1 beschrieben ist.
3.6.4 Hinsichtlich des Merkmals der Peakverschiebung hat die Einsprechende argumentiert, dieses Merkmal sei ein inhärentes strukturelles Merkmal, das sich bereits bei einem geringfügigen Überschuss von Sauerstoff in plasmapolymeren Schichten aus HMDSO und Sauerstoff einstelle. Dies sei ersichtlich beispielsweise aus D18 und D8.
3.6.5 In D18 wird die Herstellung von plasmapolymeren Beschichtungen mit HMDSO und zunehmendem Sauerstoffanteil (zwischen 0 und 200 sccm) untersucht. Die dabei bestimmte Veränderung der O/Si- und C/Si- Stoffmengenverhältnisse wird in Abbildung 4 gezeigt. Bereits bei verhältnismäßig niedrigem Sauerstoffanteil liegt das O/Si-Stoffmengenverhältnis in der Beschichtung bei Werten, die im beanspruchten Bereich liegen. Abbildung 6 zeigt, wie der Si 2p Peak mit ansteigendem Sauerstoffanteil (zwischen 0 und 200 sccm) verschoben wird, und dass die Bindungsenergie des Si 2p Peaks von PDMS, das auch gemäß Anspruch 1 des Streitpatents als Standard dient, bei 102,1 eV liegt (untere gestrichelte Linie). Ein um 0,4 eV höherer Wert, also gemäß Anspruch 1, wird bereits in Gegenwart von etwa 30 sccm Sauerstoff erreicht. In Gegenwart von 30 sccm bis 200 sccm Sauerstoff wird der Si 2p Peak um deutlich mehr als 0,4 eV zu höheren Bindungsenergien verschoben, nämlich um bis zu 2,0 eV.
Gestützt wird diese Offenbarung auch durch D8. Auch in diesem Dokument werden plasmapolymere Beschichtungen mit HMDSO und zunehmendem Sauerstoffanteil untersucht. Und auch hier verschiebt sich der Si 2p Peak hin zu höheren Bindungsenergien, um mehr als 0,4 eV gegenüber dem Si 2p Peak von PDMS, bei zunehmendem Sauerstoffanteil (Abbildung 5; Tabelle III).
3.6.6 Die Patentinhaberin hat dem widersprochen. Mit Hinweis auf die in D20 gezeigten Versuchsergebnisse hat sie vorgetragen, die Verschiebung des Si 2p Peaks korreliere nicht mit dem O/Si-Stoffmengenverhältnis.
D20 ist ein von der Einsprechenden erstellter Versuchsbericht. Dabei wurde ein NBR-Werkstoff mit HMDSO und steigendem Sauerstofffluss unter plasmapolymeren Bedingungen beschichtet. In den erhaltenen Proben wurde die Verschiebung des Si 2p Peaks bei unterschiedlichen Sauerstoffflussraten gemessen und in Abbildung 5 gezeigt. Auch die Stoffmengenverhältnisse (O/Si und C/Si) wurden gemessen (Abbildung 3).
Es ist zwar zutreffend, wie dies die Patentinhaberin vorträgt, dass nach D20 bei steigenden Sauerstofffluss der Si 2p Peak zu (leicht) niedrigeren Bindungsenergien verschoben wird (von etwa 103,6 eV auf etwa 103,3 eV). Allerdings liegt in diesen Versuchen das Referenzsignal (PDMS) für den Si 2p Peak bei 102,5 eV. Somit sind alle in Abbildung 5 gezeigten Werte um mehr als 0,4 eV zu höheren Bindungsenergien verschoben. Gleichzeitig beträgt für alle Proben, bei jeder Sauerstoffflussrate, das O/Si-Stoffmengenverhältnis etwa 2 : 1 (Abbildung 4).
Die geringfügige Verschiebung hin zu niedrigeren Bindungsenergien hat die Einsprechende durch eventuelle Messfehler oder Änderungen in der Struktur der Silizium-Sauerstoff-Verbindungen in der Schicht zu erklären versucht. Der genaue Grund für die Verschiebung ist aber nicht weiter relevant. Denn auch D20 zeigt, wie schon D8 und D18, dass bei einem O/Si-Stoffmengenverhältnis von 2 : 1, der Si-2p-Peak um mehr als 0,4 eV zu höheren Bindungsenergien verschoben ist.
Somit stützt auch der Verweis auf D20 die Auffassung der Einsprechenden, dass die in Frage stehende Peakverschiebung sich bei einem O/Si-Stoffmengenverhältnis wie es in Anspruch 1 definiert wird, einstellt. Es ist an dieser Stelle auch festzuhalten, dass eine ähnlich hohe Verschiebung des Si 2p Peaks auftritt, und zwar unabhängig vom Substrat (D8, D18: Aluminiumplatte; D20: NBR).
3.6.7 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Bereitstellung von für dynamische Belastungen geeigneten Dichtungsartikeln, die das O/Si-Stoffmengenverhältnis sowie die Peakverschiebung nach Anspruch 1 aufweisen, für den Fachmann naheliegend ist.
3.7 Naheliegen - C/Si-Stoffmengenverhältnis
3.7.1 Es bleibt zu prüfen, ob die Kombination mit dem C/Si-Stoffmengenverhältnis das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit begründen kann. Die Frage ist hier, ob es ausgehend von D2 für den Fachmann naheliegend war, eine plasmapolymere Beschichtung vorzusehen mit folgendem C/Si-Stoffmengenverhältnis
0,5 : 1 <= n(C) : n(Si).
3.7.2 Die Patentinhaberin hat argumentiert, der Fachmann entnehme aus D2 die Lehre, die plasmapolymere Beschichtung müsse zu einer glasartigen Schichtoberfläche führen und folglich sei der Einbau von Kohlenstoff zu vermeiden.
3.7.3 Zunächst ist hier nochmal festzuhalten, dass die zusätzliche, 330 nm dicke, glasartige Phase auf HNBR-Substraten abgeschieden wurde und nicht auf den NBR-Substraten, von denen die Kammer bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit ausgeht. Zudem ist aus keiner Stelle der Offenbarung von D2 abzuleiten, dass der Ausdruck "glasartig" in der Bedeutung von kohlenstofffrei oder kohlenstoffarm verwendet wird. Überzeugender ist es, dass dieser Ausdruck lediglich ein O/Si-Stoffmengenverhältnis beschreibt, ähnlich dem, wie es in Glas zu finden ist. Wenn also D2 für die HNBR-Substrate beschreibt, die Gradientenschicht stelle einen Übergang von einem flexiblen, polymerartigen Material am Interface zum Substrat zu einer harten, glasartigen Schichtoberflache dar (Seite 96), kann daraus nicht der Hinweis abgeleitet werden, dass niedrige C/Si-Stoffmengeverhältnisse einzuhalten sind. Insbesondere kann nicht darunter verstanden werden, dass ein C/Si-Stoffmengenverhältnis oberhalb von 0,5 : 1 zu vermeiden ist.
3.7.4 Wie schon oben erläutert, wird sich der Fachmann an die Offenbarung der Versuche in Serie II, Abbildung 5.1 halten. Aus dieser Abbildung ist ersichtlich, dass das C/Si-Stoffmengenverhältnis bei etwa 1,7 : 1 beginnend, sich einem Wert zwischen 0,4 : 1 und 0,5 : 1 annähert. Wie bereits in Punkt 3.6.2 erläutert, wird das anspruchsgemäße O/Si-Stoffmengenverhältnis bei einer Sauerstoffflussrate von unterhalb von 50 sccm erreicht. Bei dieser Sauerstoffflussrate liegt das C/Si-Stoffmengenverhältnis bei etwa 1.2 : 1. Der Fachmann würde somit zu einem C/Si-Stoffmengenverhältnis gelangen, wie es in Anspruch 1 beschreiben ist.
3.7.5 In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass bei der plasmapolymeren Beschichtung Ätzprozesse stattfinden, die dazu führen, dass Fragmente aus dem Substrat entfernt werden. Diese befinden sich zunächst im Reaktor und können, abhängig von den Prozessparametern, aus dem Reaktor geleitet werden (D2, Seiten 11 und 12). Bei inerten Substraten, wie die in Serie II verwendeten Siliziumsubstrate, spielen diese Effekte keine Rolle. Bei einem elastomeren Material als Substrat, wie beispielsweise NBR, kann Kohlenstoff daraus geätzt und in der Beschichtung eingebaut werden.
Dies bestätigt auch Beispiel 4 des Streitpatents. Dort wird ein Simmerring 4a bestehend aus NBR plasmapolymer beschichtet. Dabei wurde in der Beschichtung ein verhältnismäßig hoher Kohlenstoffanteil festgestellt, "der darauf zurückgeführt werden kann, dass (neben anderen Elementen) Kohlenstoff aus dem Substrat mit in die Beschichtung eingebaut wurde" (Streitpatent, Absatz [0094]).
3.7.6 Vor diesem Hintergrund ist es überzeugend, wie von der Einsprechenden vorgetragen, dass bei der plasmapolymeren Beschichtung von NBR unter den in Kapitel 5.5 angegebenen Versuchsbedingungen, ein Einbau von Kohlenstoff aus dem Substrat unvermeidlich ist und zu einem C/Si-Stoffmengenverhältnis führt, das in dem beanspruchten Bereich liegt.
3.8 Erfinderische Tätigkeit - Zusammenfassung
3.8.1 Somit ist es für den Fachmann naheliegend, ausgehend von D2 einen für dynamische Belastungen geeigneten Dichtungsartikel zur Verfügung zu stellen, der die Merkmale von Anspruch 1 aufweist, insbesondere:
- das O/Si-Stoffmengenverhältnis in der Beschichtung 1,3 : 1 <= n(O) : n(Si) <= 3,0 : 1
- die Peakverschiebung (Si 2p Peak) um mehr als 0,4 eV zu höheren Bindungsenergien
- das C/Si Stoffmengenverhältnis in der Beschichtung 0,5 : 1 <= n(C) : n(Si) <= 5,0 : 1.
3.8.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 ergibt sich daher für den Fachmann in naheliegender Weise aus dem Stand der Technik (Art. 56 EPÜ).
4. Zulassung der Hilfsanträge 4 bis 8, eingereicht mit Schreiben vom 6. November 2020
4.1 Wie auch Dokument D21 (siehe Punkt 2, oben), wurden die Hilfsanträge 4 bis 8 zehn Tage vor der mündlichen Verhandlung einreicht. Die Einsprechende hat beantragt, diese Anträge nicht in das Verfahren zuzulassen.
4.2 In Anspruch 1 aller dieser Anträge wurde aus der Beschreibung des Patents das Merkmal aufgenommen, wonach die plasmapolymere Schicht einen Verschleißkoeffizienten von <= 3 * 10**(-5) mm**(3)/N km aufweist.
4.3 Zwar wird in einer der im erteilten abhängigen Anspruch 5 offenbarten Alternativen die plasmapolymere Beschichtung durch einen Verschleißkoeffizienten charakterisiert. Aber der dort beschriebene Wert ist um zwei Zehnerpotenzen höher, nämlich <= 3 * 10**(-3) mm**(3)/N km. Ferner war der Verschleißkoeffizient in keinem der bis dahin anhängigen Anträge im unabhängigen Anspruch 1 aufgenommen worden. Erst durch diese Änderung des Vorbringens wäre dieses Merkmal in den Fokus der Diskussion zur erfinderischen Tätigkeit gelangt. Dies hätte zu einer wesentlichen Änderung des Streitstoffs in einem späten Verfahrensstadium geführt.
4.4 Die Patentinhaberin hat auch vorgetragen, es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die das Einreichen dieser Anträge rechtfertigten.
Die Kammer hat sich mit diesem Argument in Zusammenhang mit der Zulassung von D21 (siehe oben, insbesondere Punkt 2.4) auseinandergesetzt. Die dort angegebene Begründung trifft auch auf die Zulassung dieser Hilfsanträge zu.
4.5 Somit sind die Erfordernisse nach Art. 13 (2) VOBK für die Zulassung dieser Anträge nicht erfüllt. Diese Anträge bleiben daher unberücksichtigt.
5. Zulassung der Hilfsanträge 4 bis 8, eingereicht mit Schreiben vom 5. bzw. 12. Juli 2017
5.1 Gegen Ende der Verhandlung hat die Patentinhaberin auch beantragt, falls die vorgenannten Hilfsanträge 4 bis 8 nicht in das Verfahren zugelassen würden, das Patent gemäß einem der Hilfsanträge 4, 5, 7 oder 8, eingereicht mit Schreiben vom 5. Juli 2017, oder Hilfsantrag 6, eingereicht mit Schreiben vom 12. Juli 2017, aufrecht zu erhalten.
5.2 Dies stellt eine erneute Änderung des Vorbringens dar, weil diese Anträge durch die mit Schreiben von 6. November 2020 eingereichten Hilfsanträge ersetzt wurden und somit nicht mehr im Verfahren waren.
5.3 Die Einsprechende hat angeführt, sie habe sich nach Zugang des Schreibens der Patentinhaberin vom 6. November 2020 darauf eingestellt, dass diese Anträge nicht Gegenstand der Verhandlung seien und sie habe sich entsprechend vorbereitet. Genau dasselbe gilt auch für die Kammer. Weder die Einsprechende noch die Kammer mussten damit rechnen, dass diese Anträge doch noch in der Verhandlung zu diskutieren gewesen wären.
5.4 Die Patentinhaberin hat auch keine anderen Gründe aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
5.5 Somit sind die Erfordernisse nach Art. 13 (2) VOBK für die Zulassung dieser Anträge nicht erfüllt. Diese Anträge bleiben daher ebenfalls unberücksichtigt.
6. Rückerstattung der Beschwerdegebühr
6.1 Die Einsprechende hatte in ihrer Beschwerdebegründung bemängelt, die angefochtenen Entscheidung sei in der Sache falsch und nicht ausreichend begründet. Insofern habe die Einspruchsabteilung das rechtliche Gehör der Einsprechenden verletzt. Ferner sei die Einsprechende von der Entscheidung hinsichtlich des 1. Hilfsantrags überrascht worden.
6.2 In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer hat die Einsprechenden letztlich nur noch beanstandet, die Entscheidung der Einspruchsabteilung zur erfinderischen Tätigkeit des damaligen 1. Hilfsantrags, insbesondere Punkt 7.2.3, sei nicht ausreichend begründet.
6.3 Ausweislich der Niederschrift zur mündlichen Verhandlung (Seite 5) hatte die Einsprechenden in dieser Frage Folgendes vorgetragen:
- D18 (in der Niederschrift als D17 bezeichnet) offenbare in Abbildung 6 eine Verschiebung des Si 2p Peaks
- Das Merkmal sei nicht geeignet eine Abgrenzung zum Stand der Technik zu bilden
- Der Parameter stelle ein ungewöhnliches Merkmal oder Scheinmerkmal dar
- Das Merkmal sei zwangsläufig bereits im Stand der Technik erreicht
- Es werde (damit) keine technische Aufgabe gelöst.
6.4 Mit allen diesen Punkten setzt sich die angefochtene Entscheidung in Punkt 7.2.3 auseinander:
- Die in D18 (in der Entscheidung als D17 bezeichnet) analysierten Beschichtungen (Abbildung 6) seien auf Aluminium-Substrate plasmapolymerisiert, und daher nicht relevant
- D18 belege jedoch, dass der Parameter kein ungewöhnliches Merkmal sei
- Die Pateninhaberin habe glaubhaft gelten gemacht, die Peakverschiebung treffe eine Aussage über die Nahordnung der Atome in der plasmapolymeren Schicht, d.h. sie stelle eine Einschränkung der Beschichtungen dar
- Daher sei es als ein zusätzliches Unterscheidungsmerkmal anzusehen.
6.5 Aus diesen Überlegungen gelangt die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass die zu lösende technische Aufgabe darin bestehe, einen weiteren Dichtungsartikel zur Verfügung zu stellen (ebenda, Punkt 7.3). Anschließend wird das Naheliegen der Lösung diskutiert (ebenda, Punkt 7.4).
6.6 Die Begründung mag zwar nach Auffassung der Einsprechenden knapp ausgefallen sein. Allerdings setzt sie sich mit allen wesentlichen Punkten des Vortrags der Einsprechenden auseinander und legt dar, welche Gründe für die Entscheidung der Einspruchsabteilung ausschlaggebend waren.
6.7 Zusammenfassend kann die Kammer in der Begründung der angefochtenen Entscheidung keinen Verfahrensmangel erkennen, geschweige denn einen wesentlichen Verfahrensmangel. Die Voraussetzungen für die Rückzahlung der Beschwerdegebühr nach Regel 103 (1) a) EPÜ sind daher nicht erfüllt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.
3. Der Antrag auf Rückzahlung der Beschwerdegebühr wird zurückgewiesen.