T 0914/17 (Polymerpulver mit Polyamid/EVONIK) 01-02-2022
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POLYMERPULVER MIT POLYAMID, VERWENDUNG IN EINEM FORMGEBENDEN VERFAHREN UND FORMKÖRPER, HERGESTELLT AUS DIESEM POLYMERPULVER
Ermessen der Einspruchsabteilung
Spät eingereichte Dokumente - zugelassen (ja/nein)
Mangelhafte Offenbarung (nein)
Neuheit - frühere Offenbarung
Neuheit - implizite Merkmale (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Spät eingereichte Tatsachen - Verfahrensökonomie
I. Die Beschwerde der Einsprechenden (Beschwerdeführerin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Patent EP 1745090 zurückzuweisen.
II. Die Einsprechende hatte den Widerruf des Patents im gesamten Umfang gemäß Artikel 100 a) (mangelnde Neuheit sowie mangelnde erfinderische Tätigkeit) und 100 b) EPÜ beantragt.
III. Im Einspruchsverfahren wurden unter anderem vorgelegt:
D1: |FR 989 062 |
D3: |EP 1 413 595 A1 |
D10:|US 4,334,056 |
D11:|US 6,245,281 B1 |
D16:|"Exemple 1 du brevet FR989062" (eingereicht auf Seite 2 des Schreibens der Einsprechenden vom 22. Dezember 2016)|
IV. Der erteilte Anspruch 1 (Hauptantrag) lautet wie folgt:
"Polymerpulver zur Verwendung in einem schichtweise arbeitenden Verfahren, bei dem selektiv Bereiche der jeweiligen Pulverschicht durch den Eintrag elektromagnetischer Energie aufgeschmolzen werden, dadurch gekennzeichnet,
dass das Pulver zumindest ein Polyamid 11 mit einer Schmelzenthalpie von mindestens 125 J/g und einer Rekristallisationstemperatur von mindestens 148°C, gemessen mittels Differential Scanning Calorimetry nach DIN 53765 aufweist."
V. Im Laufe des Verfahren vor der Beschwerdekammer reichte die Beschwerdeführerin folgende Dokumente ein:
D16a:|Widerholung von Beispiel 1 von D1 - Versuche B1, B2 und B3 (Beschwerdebegründung, Seiten 5 und 6)|
D18:|DIN 53765 (März 1994) |
D19:|US 2008/0116616 A1 |
D20:|US 2009/0236775 A1 |
D21:|"Réalisation des essais"|
D16a wurde mit der Beschwerdebegründung eingereicht.
D18 bis D20 wurden nach der Beschwerdeerwiderung eingereicht.
D21 wurde nach Zustellung der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK eingereicht.
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:
- Die Dokumente D16, D16a sowie D18 bis D21 seien in das Verfahren zuzulassen.
- Der Fachmann könne die Erfindung nicht ausführen, weil die anspruchsgemäße Schmelzenthalpie, ermittelt nach DIN 53765 (D18), nicht erzielbar sei. Diese Vorschrift schreibe vor, dass die Schmelzenthalpie nicht nach dem ersten Aufheizen (1. Lauf) bestimmt werde, sondern erst in einem 2. Lauf. Im Streitpatent werde aber der 1. Lauf für die Bestimmung der Schmelzenthalpie herangezogen.
- Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht neu im Lichte der Offenbarung von D1.
- Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht erfinderisch ausgehend von D3 als nächstliegendem Stand der Technik, in Verbindung mit D11, D10 oder D1. Die Angriffe ausgehen von D1 oder D11 als nächstliegendem Stand der Technik seien in das Verfahren zuzulassen.
VII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin können, soweit für die vorliegende Entscheidung relevant, wie folgt zusammengefasst werden:
- D16, D16a sowie D18 bis D21 und der entsprechende Vortrag seien nicht in das Verfahren zuzulassen.
- Der Fachmann könne die Erfindung ausführen. Er würde erkennen, dass bei der Ermittlung der Schmelzenthalpie gemäß DIN 53765 der 1. Lauf heranzuziehen sei.
- Aufgrund der unvollständigen Offenbarung von D1 sei der Gegenstand von Anspruch 1 gegenüber diesem Dokument neu.
- Ausgehend von D3 als nächstliegendem Stand der Technik sei der Gegenstand von Anspruch 1 nicht nahegelegt. Die Angriffe ausgehend von D1 und D11 seien verspätet vorgebracht und daher nicht zu berücksichtigen.
VIII. Schlussanträge
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents Nr. 1745090.
Die Beschwerdegegnerin beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
1. Das Streitpatent
Das Streitpatent betrifft ein Polymerpulver auf Basis von Polyamid 11, die Verwendung dieses Pulvers in formgebenden Verfahren (insbesondere beim selektiven Laser-Sintern), sowie Formkörper, die unter Verwendung dieses Pulvers hergestellt werden. Das Polymerpulver wird durch Fällungskristallisation von Polyamid 11 erzeugt. Gemäß Streitpatent soll die technische Aufgabe gelöst werden, ein Polymerpulver bereitzustellen, welches die Erzeugung formtreuer Formkörper mit hoher Oberflächengüte ermöglicht (Absätze [0002], [0005], [0013] und [0014]).
2. Zulässigkeit verspätet vorgebrachter Beweismittel
2.1 Die Beschwerdeführerin hat beantragt die Dokumente D16, welches die Einspruchsabteilung nicht in das Verfahren zugelassen hat, und D16a sowie D18 bis D21 in das Beschwerdeverfahren zuzulassen. Dem ist die Beschwerdegegnerin entgegengetreten.
2.2 D16
2.2.1 D16 wurde im Verfahren vor der Einspruchsabteilung nach dem gemäß Regel 116 (1) EPÜ gesetzten Zeitpunkt eingereicht. D16 betrifft gemäß dem Vortrag der Beschwerdeführerin eine Wiederholung von Beispiel 1 von D1, wobei die Versuchsbedingungen strikt eingehalten worden seien. Die Einreichung von D16 sei als eine Reaktion auf die vorläufige Meinung der Einspruchsabteilung (Seite 3), wonach "nicht davon ausgegangen werden kann, dass die beanspruchten Werte der Schmelzenthalpie und Rekristallisationstemperatur implizit" in D1 enthalten seien, anzusehen.
2.2.2 Auch wenn es sich bei D16 um eine Reaktion auf die Mitteilung handelt, hat die Einspruchsabteilung das Ermessen, verspätet vorgebrachte Tatsachen zu berücksichtigen oder auch nicht. Vorliegend hat sich die Einspruchsabteilung nicht darauf beschränkt das verspätete Vorbringen an sich zu beanstanden. Vielmehr hat sich die Einspruchsabteilung, zwar prima facie aber dennoch inhaltlich, mit D16 auseinander gesetzt. Ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung sind auch die Beteiligten zu D16 gehört worden.
2.2.3 Die Einspruchsabteilung hat daraufhin entschieden, D16 nicht zu berücksichtigen, und in der angefochtenen Entscheidung Folgendes ausgeführt:
- D16 sei nach dem gemäß Regel 116 EPÜ gesetzten Zeitpunkt eingereicht worden;
- die experimentellen Ergebnisse der D16 seien für den Ausgang des Verfahrens prima facie nicht relevant;
- D1 gebe keinerlei Hinweise auf die Natur des eingesetzten Polyamids 11, weder durch physikalische Kenngrößen noch durch das Herstellungsverfahren;
- es könne nicht davon ausgegangen werden, dass jedes Polyamid 11, welches nach dem in Beispiel D1 offenbarten Verfahren (nach)behandelt worden sei, identische Werte der Schmelzenthalpie aufweise;
- daher ließe die Messung eines einzelnen Polyamids 11 keine Rückschlüsse auf den Offenbarungsgehalt der D1 zu.
2.2.4 Nach ständiger Rechtsprechung ist es nicht Aufgabe der Beschwerdekammer, die Sachlage des Falls nochmals wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen. Eine Beschwerdekammer sollte sich nur dann über die Art und Weise, in der die erste Instanz ihr Ermessen ausgeübt hat, hinwegsetzen, wenn sie zu dem Schluss gelangt, dass die erste Instanz ihr Ermessen nicht nach Maßgabe der richtigen Kriterien oder in unangemessener Weise ausgeübt und damit den ihr eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 2019, V-A.3.5.1).
2.2.5 Es sind keine Fehler in der Ermessensentscheidung der Einspruchsabteilung zu erkennen. Die Beschwerdeführerin hat in der Beschwerdebegründung auch nicht erläutert, weshalb die Einspruchsabteilung ihr Ermessen nicht korrekt ausgeübt habe.
2.2.6 Im Übrigen ist die Begründung der Einspruchsabteilung nach Auffassung der Kammer auch in der Sache schlüssig und stichhaltig.
2.2.7 Aus den genannten Gründen hat die Kammer das Dokument D16 nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 12 (4) VOBK 2007).
2.3 D16a
2.3.1 Bei D16a handelt es sich um drei Versuche (B1, B2 und B3), die auf Seiten 5 und 6 der Beschwerdebegründung beschrieben sind. Nach Bekunden der Beschwerdeführerin handelt es sich dabei um Wiederholungen des Versuchs von Beispiel 1 von D1. Es ist unstreitig, dass Versuch B2 den in D16 beschriebenen Versuch betrifft.
2.3.2 Daher ergeben sich für die Zulassung von Versuch B2 von D16a die gleichen Erwägungen wie zu D16.
2.3.3 Zu den Versuchen B1 und B3 ist zunächst festzuhalten, dass diese Versuche, genauso wie Versuch B2, noch im Verfahren vor der Einspruchsabteilung hätten vorgebracht werden können.
2.3.4 Es ist auch nicht überzeugend, dass die Versuche B1 und B3 eine Reaktion auf die angefochtene Entscheidung darstellen. Die Einspruchsabteilung hatte darin dargelegt, dass D1 keinerlei Hinweise auf die Natur des eingesetzten Polyamid 11, beispielsweise physikalische Kenngrößen oder Herstellungsverfahren gebe.
2.3.5 Diesen grundsätzlichen Einwand hat die Beschwerdeführerin durch zwei weitere Versuche zu beheben versucht. Dabei wurde im Wesentlichen nur die Katalysatormenge (H3PO4) variiert. Es ist allerdings nicht schlüssig dargelegt worden, weshalb diese zwei weiteren Versuche geeignet sein könnten, den Einwand der Einspruchsabteilung auszuräumen. Daher ist es nicht ersichtlich, dass die Versuche B1 und B3 die unmittelbaren und eindeutigen Offenbarung von D1 wiedergeben.
2.3.6 Aus den genannten Gründen hat die Kammer das Dokument D16a nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 12 (4) VOBK 2007).
2.4 D18
2.4.1 D18 wurde nach der Erwiderung der Beschwerdegegnerin eingereicht.
2.4.2 Allerdings handelt es sich bei D18 um DIN 53765, die in Anspruch 1 des Streitpatents ausdrücklich genannt wird. Diese Vorschrift ist heranzuziehen bei der Durchführung der Bestimmung der Schmelzenthalpie. Das geht auch aus der Beschreibung des Streitpatents hervor (Absätze [0011] und [0024]).
2.4.3 Daher hält es die Kammer für gerechtfertigt, D18 zu berücksichtigen (Artikel 13 (1) VOBK 2020).
2.5 D19 und D20
2.5.1 D19 und D20 wurden nach der Erwiderung der Beschwerdegegnerin eingereicht.
2.5.2 D19 und D20 sind Patentanmeldungen der Patentinhaberin und gehören nicht zum Stand der Technik gemäß Artikel 54 (2) EPÜ. Die Beschwerdeführerin hat diese Dokumente im Rahmen der Erörterung der erfinderischen Tätigkeit zitiert. Sie sollten belegen, dass es zum allgemeinen Fachwissen gehöre, die Schmelzenthalpie eines semi-kristallinen Polymers dadurch zu erhöhen, dass es einem Verfahren der Lösung und Fällung unterzogen werde. Laut Beschwerdeführerin belegten D19 und D20, dass eine solche Maßnahme auf unterschiedliche Polyamide anwendbar sei.
2.5.3 Wie bereits in der Mitteilung der Kammer festgehalten, geht es im Rahmen der erfinderischen Tätigkeit darum, ob der Fachmann am Prioritätstag ausgehend vom nächstliegenden Stand der Technik zu der beanspruchten Erfindung gelangt, und zwar ohne erfinderisches Zutun. D19 und D20 gehören nicht dem Stand der Technik an und sie sind auch nach dem Prioritätstag des Streitpatents angemeldet worden. Es ist daher prima facie nicht ersichtlich, weshalb diese Dokumente zur Klärung der Frage beitragen könnten, was am Prioritätstag allgemeines Fachwissen gewesen war.
2.5.4 Daher bleiben D19 und D20 unberücksichtigt (Artikel 13 (1) VOBK 2020).
2.6 D21
D21 wurde nach Zustellung der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK eingereicht. Gemäß dem Vortrag der Beschwerdeführerin solle damit belegt werden, dass im Streitpatent die Schmelzenthalpie tatsächlich nach dem 1. Lauf gemäß DIN 53765 ermittelt werde. Dieser Punkt steht aber außer Streit. Daher ist D21 irrelevant und wird nicht berücksichtigt.
3. Ausführbarkeit - Einwände in der Beschwerdebegründung
3.1 Die Einspruchsabteilung hat entschieden, die Erfindung sei so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
3.2 Dem hat die Beschwerdeführerin widersprochen. Sie hat angeführt, die Angaben der Schmelzenthalpie und der Rekristallisationstemperatur stünden im erteilten Anspruch 2 im Widerspruch zu denen in den davon abhängigen, erteilten Ansprüchen 3 und 5. Daher sei die Erfindung nicht ausreichend offenbart.
3.3 Dieser Einwand der Beschwerdeführerin war so bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorgebracht worden. Die angefochtene Entscheidung setzt sich damit auseinander und begründet, weshalb diesem Einwand nicht gefolgt wird (Entscheidungsgründe, Punkt 3). Die Beschwerdeführerin hat auch nicht dargelegt, weshalb die Entscheidung der Einspruchsabteilung in diesem Punkt aufzuheben sei.
3.4 Die Kammer sieht daher keine Veranlassung diesem Einwand nachzugehen.
4. Ausführbarkeit - weiterer Einwand
4.1 Die Beschwerdeführerin hat nach der Erwiderung der Beschwerdegegnerin folgenden, weiteren Einwand der mangelnden Ausführbarkeit vorgetragen:
- Nach Anspruch 1 sei die Schmelzenthalpie nach DIN 53765 zu ermitteln.
- Laut Punkt 8.2 dieser Vorschrift werde die Schmelzenthalpie der Probe nicht nach dem ersten Aufheizen und Schmelzen ("1. Lauf") bestimmt. Vielmehr sei für die Bestimmung eine Vorbehandlung der Probe erforderlich. Dazu werde die Probe aufgeheizt, geschmolzen und abgekühlt bei Aufzeichnung der Rekristallisation, bevor sie ein zweites Mal aufgeheizt und geschmolzen werde ("2. Lauf").
- Dies gelte sofern nichts anderes ausdrücklich vereinbart sei.
- Im Streitpatent sei nicht festgelegt, dass der 1. Lauf heranzuziehen sei. Dennoch werde aller Wahrscheinlichkeit nach der 1. Lauf für die Bestimmung der Schmelzenthalpie herangezogen.
- Somit erlaubten die Angaben im Streitpatent es nicht, ein Polymerpulver mit der Schmelzenthalpie nach Anspruch 1, gemessen gemäß DIN 53765 im 2. Lauf, bereitzustellen.
4.2 Die Beschwerdegegnerin hat beantragt, diesen Einwand nicht zu berücksichtigen. Die Zulassung dieses Einwands kann jedoch dahinstehen, da er in der Sache nicht durchgreift. Die Gründe hierfür sind Folgende.
4.2.1 Zunächst ist festzuhalten, dass die Patentinhaberin Anspruch 1 des Streitpatents so versteht, dass die Schmelzenthalpie nach dem 1. Lauf gemäß DIN 53765 zu bestimmen ist. Hingegen besagt die Vorschrift, dass die Bestimmung nach dem 2. Lauf erfolgt, es sei denn etwas anderes sei ausdrücklich vereinbart. Im Streitpatent ist nicht ausdrücklich angegeben, dass der 1. Lauf heranzuziehen ist. Ferner ist es unstreitig, dass die Werte für die Schmelzenthalpie nach dem 2. Lauf deutlich, d.h. etwa um die Hälfte, niedriger sind als nach dem 1. Lauf.
4.2.2 Wesentlich für die Ausführbarkeit der Erfindung ist es also, dass der Fachmann im Lichte des Standes der Technik und der Offenbarung im Streitpatent erkennt, dass die Ermittlung der Schmelzenthalpie nach dem 1. Lauf gemäß DIN 53765 erfolgt.
4.2.3 Aus dem Streitpatent (Absatz [0011]) erfährt der Fachmann, dass für die formgebenden Verfahren mit Hilfe von Laser-Sintern Materialien mit einer möglichst hohen Schmelzenthalpie wünschenswert sind. Diese ist als scharfer Peak in DSC (Differential Scanning Calorimetry nach DIN 53765) ausgebildet. Eine möglichst hohe Schmelzenthalpie des Pulvers, d.h. des Polymerpulvers, verhindert das Ansintern des Pulverbettes an den angeschmolzenen Bereich.
4.2.4 Der Fachmann erkennt daher, dass die maßgebliche Stoffeigenschaft die des Polyamids 11 des Polymerpulvers ist. Diese Eigenschaft ist diejenige, die im Rahmen des Messverfahrens nach DIN 53765 beim ersten Erhitzen und Schmelzen von Polyamid 11 des Polymerpulvers zu beobachten ist. Nach dem Abkühlen, wenn die Probe erstarrt und die Rekristallisation aufgezeichnet wird, liegt kein Pulver mehr vor.
4.2.5 Somit würde der Fachmann erkennen, dass die Bestimmung der Schmelzenthalpie gemäß DIN 53765 nach dem 1. Lauf zu erfolgen hat. Dies gilt nicht nur für das Polyamid 11 im Polymerpulver nach Anspruch 1, sondern auch für das Polyamid 11 im Verfahren zur Herstellung von Formkörpern nach Anspruch 25 sowie den nach diesem Verfahren hergestellten Formkörpern nach Anspruch 28.
4.2.6 Es ist festzuhalten, dass auch in D11, einem Patent des Standes der Technik, die Schmelzenthalpie von Polymeren zur Verwendung in Verfahren zum selektiven Laser-Sintern nach DIN 53765 bestimmt wurde. Die Bestimmung der Schmelzenthalpie erfolgt auch dort allem Anschein nach im 1. Lauf.
Auch diese Offenbarung deutet darauf hin, dass der Fachmann im Bereich von Laser-Sintern die Schmelzenthalpie des 1. Laufs als die maßgebliche Bestimmung ansieht.
4.2.7 Selbst die Beschwerdeführerin hat erklärt, es handle sich bei diesem Einwand um einen verborgenen Mangel des Patents ("un vice caché du brevet"). Dieser falle erst nach eingehender Prüfung ("après examen approfondi") von DIN 53765 und den ermittelten Werten auf.
Diese Einlassung spricht allerdings dafür, dass der Fachmann, wie auch die Fachleute der Beschwerdeführerin, von einer Bestimmung der Schmelzenthalpie nach dem 1. Lauf gemäß DIN 53765 ausgehen würde.
4.2.8 Der Vollständigkeit halber sei noch Folgendes angemerkt. Wird der rein hypothetische Fall angenommen, dass die Beispiele im Streitpatent strikt nach dem Wortlaut von DIN 53765 wiederholt werden und somit die Schmelzenthalpie nach dem 2. Lauf ermittelt wird, so wäre dem Fachmann ein Widerspruch aufgefallen zwischen den bei der Wiederholung der Beispiele ermittelten und den im Streitpatent offenbarten Werten für die Schmelzenthalpie. Dieser etwaige Widerspruch ist allerdings nicht derart gravierend, dass die Erfindung nicht ausgeführt werden kann. Vielmehr würde der Fachmann ohne Weiteres erkennen, dass zwischen beiden möglichen, in DIN 53765 diskutierten Werten für die Schmelzenthalpie, der zum 1. Lauf gehörende heranzuziehen ist.
4.2.9 Die Beschwerdeführerin hat schließlich die Präzision des Verfahrens zur Ermittlung der Schmelzenthalpie gemäß DIN 53765 thematisiert.
Darin ist ebenfalls kein Mangel in der Ausführbarkeit der Erfindung zu erkennen. Etwaige Ungenauigkeiten dieser Messung betreffen die Frage, welcher Gegenstand von Anspruch 1 umfasst wird. Jedoch ist dies allenfalls eine Frage der Klarheit, die vorliegend nicht zu untersuchen ist.
4.2.10 Es ist zusammenfassend festzustellen, dass der Fachmann die Erfindung, wie sie im Streitpatent beschrieben ist, einschließlich der Ermittlung der Schmelzenthalpie, ausführen kann.
4.3 Daher steht der Einspruchsgrund nach Artikel 100 b) EPÜ nicht der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.
5. Neuheit
5.1 Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu sei.
5.2 Der einzige von der Beschwerdeführerin aufrecht erhaltene Einwand der mangelnden Neuheit beruht auf D1. Dieses Dokument betrifft die Herstellung von Polyamidpulvern, wobei das Polyamid im Warmen in bestimmten Lösemitteln gelöst wird und anschließend durch Kühlen ausgefällt wird (Seite 1, linke Spalte, 4. Absatz). Auf Seite 2 von D1 sind einige Bedingungen zum Lösen von bestimmten Polyamiden, einschließlich Polyundecanamid (Polyamid 11), in einer Tabelle angegeben.
5.3 Allerdings sind in D1 keine Angaben zu finden unter anderem betreffend:
- das Polyamid 11, welches in den Versuchen eingesetzt wurde (Katalysatorart, Katalysatormenge, Aufarbeitung, Angaben zum Endgruppengehalt von COOH und NH2);
- die Dauer bis zur Erreichung der Fälltemperatur;
- die Dauer der gehaltenen konstanten Temperatur; und
- die Art des Abkühlens.
5.4 Auf der Grundlage der Gesamtoffenbarung von D1 ist es daher nicht möglich festzustellen, dass D1 die Parameter von Anspruch 1 offenbart, insbesondere die dort geforderte Schmelzenthalpie.
5.5 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ steht daher nicht der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.
6. Erfinderische Tätigkeit
6.1 Die Einspruchsabteilung hat in der angefochtenen Entscheidung dargelegt, dass D3 und nicht D11 der nächstliegende Stand der Technik sei. Ferner sei der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 40 nicht nahegelegt.
6.2 In der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin bestätigt, dass D3 der nächstliegende Stand der Technik ist. Allerdings sei der Gegenstand von Anspruch 1 nicht erfinderisch im Lichte der Offenbarung von D11 oder D1.
6.3 Der nächstliegende Stand der Technik D3 betrifft die Erhöhung des Schmelzpunkts und der Schmelzenthalpie von Polyamiden durch Behandlung mit Wasser. D3 offenbart, dass diese Eigenschaften nützlich beim Laser-Sintern von Polyamidpulvern sind (Absätze [0001] und [0004]). Beschrieben wird ein gegenüber dem Stand der Technik D11 einfacherer Weg zur Erhöhung der Schmelzenthalpie eines Polyamids ("pour augmenter ... l'enthalpie de fusion DeltaHf d'un polyamide"). Dieses wird im festen Zustand bei einer Temperatur nahe der Kristallisationstemperatur mit Wasser oder Wasserdampf in Berührung gebracht (Absatz [0007]). Dieses Verfahren erlaubt es, Schmelzenthalpien im Bereich von 100 bis 110 J/g zu erzielen (Absatz [0045]). Auch ein Polymerpulver aus Polyamid 11 ist in D3 offenbart.
6.4 Es ist unstreitig, dass Anspruch 1 sich von D3 dadurch unterscheidet, dass das Polyamid 11 eine Schmelzenthalpie von 125 J/g aufweist.
6.5 Die zu lösende Aufgabe
6.5.1 Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, dass keine Verbesserung in Vergleich zur Lehre von D3, beispielsweise in der erzielten Oberflächengüte, gezeigt worden sei. Die zu lösende Aufgabe sei daher lediglich die Bereitstellung von einem weiteren Polymerpulver.
6.5.2 Dem ist nicht zuzustimmen. Wie schon oben im Kontext der Ausführbarkeit besprochen (Punkt 4.2.3), erklärt das Streitpatent, dass eine möglichst hohe Schmelzenthalpie des Polyamids in formgebenden Verfahren mit Hilfe von Laser-Sintern wünschenswert ist. Genau das wird auch vom nächstliegenden Stand der Technik D3 beschrieben (Absätze [0001] und [0004]): Eine möglichst hohe Schmelzenthalpie des Polyamids führt zu besser verarbeiteten Formkörpern.
6.5.3 In D3 wird zwar bereits ein gegenüber dem dort zitierten Stand der Technik erhöhter Wert für die Schmelzenthalpie erreicht. Dieser Wert ist gemäß Anspruch 1 aber weiter erhöht. Somit ist es nach Auffassung der Kammer schlüssig, dass der Gegenstand von Anspruch 1 zu einer weiteren Verbesserung der Verarbeitbarkeit in formgebenden Verfahren führt.
6.5.4 Daher ist der Beschwerdegegnerin darin zuzustimmen, dass die zu lösende Aufgabe darin besteht, ein Polyamid 11 mit verbesserter Verarbeitbarkeit in formgebende Verfahren zur Verfügung zu stellen.
6.6 Offensichtlichkeit
6.6.1 Die Beschwerdeführerin hat vorgetragen, der Fachmann würde den Hinweis in D3 aufgreifen, dass in D11 Polyamid-Pulver für Verfahren zum Laser-Sintern beschrieben sind. Der Lehre von D11 folgend, gegebenenfalls unter Berücksichtigung des in D10 beschriebenen Verfahrens zum Lösen und Fällen des Polyamids, würde der Fachmann zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangen.
6.6.2 Dies ist nicht überzeugend. Wie bereits oben erläutert (Punkt 6.3), befasst sich D3 mit einem einfacheren Verfahren zur Erhöhung der Schmelzenthalpie eines Polyamids. Der Fachmann würde D3 als ein gegenüber D11 vereinfachtes Verfahren ansehen. Möglicherweise würde er aus der Offenbarung von D3 sogar eine Erhöhung der Schmelzenthalpie gegenüber D11 erwarten. Ohne in eine rückschauende Betrachtungsweise zu verfallen, gibt die D3 daher keine Anregung, in D11 nach Möglichkeiten zu suchen, die Schmelzenthalpie von Polyamid 11 zu erhöhen.
6.6.3 Allein schon aus diesem Grund ist der Gegenstand von Anspruch 1 für den Fachmann nicht offensichtlich.
6.6.4 Auch bei genauerer Betrachtung der Lehre von D11 ergibt sich nichts Gegenteiliges.
6.6.5 D11 stellt sich zur Aufgabe, ein pulverförmiges, polymeres Material mit verbesserten Eigenschaften beim Laser-Sintern zur Verfügung zu stellen. Zu diesem Zweck werden mehrere Polyamide (Polyamid 11 und Polyamid 12) untersucht, die nach unterschiedlichen Verfahren polymerisiert oder aufgearbeitet wurden. Gelöst wird die Aufgabe schließlich mit einem pulverförmigen Polyamid 12, das unter anderem eine Schmelzenthalpie von 112 J/g aufweist. Dieses wurde hergestellt durch Auflösen von Polyamid 12 in Ethanol und Kristallisierung bei besonderen Bedingungen, für die in D11 auf ein dort zitiertes Dokument, ein Familiendokument von D10, verwiesen wird (D11, Spalte 2, Zeilen 30 bis Spalte 3, Zeile 56).
6.6.6 Selbst wenn der Fachmann, unbeschadet der vorangegangenen Betrachtungen, ausgehend von D3 zu D11 gelangt wäre, müsste er das nach D11 weniger geeignete Polyamid 11 auswählen. Er müsste ferner erkennen, dass zusätzlich dieses Polyamid 11 mit einem Verfahren nach D10 behandelt werden müsste, um eine Erhöhung der Schmelzenthalpie zu erzielen. Darüber hinaus müsste der Fachmann ohne erfinderisches Zutun bei der Kombination der Lehre von D3, D11 und D10 ein Polyamid 11 mit der Schmelzenthalpie nach Anspruch 1 bereitstellen.
6.6.7 In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdeführerin vorgetragen, dass das Behandeln von (jedem) Polyamid 11 mit einem Verfahren nach D10 unweigerlich zu einem anspruchsgemäßen Polyamid 11 führe.
Für diese Behauptung findet die Kammer keinen Beleg. Diese Aussage ist daher nicht überzeugend und sie kann nicht die Offensichtlichkeit des Gegenstandes von Anspruch 1 begründen.
6.6.8 Zusammenfassend stellt die Kammer fest, dass der Gegenstand von Anspruch 1 ausgehend von D3 in Verbindung mit D11, und gegebenenfalls D10, nicht nahegelegt ist.
6.6.9 In der Beschwerdebegründung hatte die Beschwerdeführerin vorgetragen, D3 in Verbindung mit D1 lege den Gegenstand von Anspruch 1 nahe.
Allerdings ist nicht erkennbar, was den Fachmann veranlasst hätte, ausgehend von D3 das Dokument D1 zu Rate zu ziehen. In D1 ist weder von Laser-Sintern noch von einer Erhöhung der Schmelzenthalpie die Rede. Wie bereits oben in Punkt 5.4 beschrieben, offenbart D1 eine anspruchsgemäße Schmelzenthalpie auch nicht implizit.
6.7 Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) in Verbindung mit Artikel 56 EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen.
7. Zulässigkeit weiterer Angriffe betreffend die erfinderische Tätigkeit
7.1 Die Beschwerdeführerin hat im Laufe des Verfahrens vor der Beschwerdekammer weitere Angriffe betreffend die erfinderische Tätigkeit formuliert, und zwar ausgehend von D11 und von D1. Es handelt sich dabei um eine Änderung des Vorbringens der Beschwerdeführerin nach Einreichung ihrer Beschwerdebegründung sowie der Erwiderung der Beschwerdegegnerin. Die Angriffe beruhen auf der sich auf neue Tatsachen stützenden Behauptung, sowohl D11 als auch D1 seien als nächstliegender Stand der Technik zu betrachten.
7.2 Es steht im Ermessen der Kammer, diese Änderungen in das Verfahren zuzulassen.
7.3 Nicht-Zulassung des Angriffs ausgehend von D11
7.3.1 Der Angriff ausgehend von D11 war bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung vorgebracht worden. In der angefochtenen Entscheidung wird begründet, weshalb D11 nicht der nächstliegende Stand der Technik sei. Nach Auffassung der Einspruchsabteilung habe D11 ein Polyamid 12 zum Gegenstand, welches dem herkömmlichen Polyamid 11 im Laser-Sinter-Verfahren überlegen sei und eine Entwicklung hin zu Pulvern mit Polyamid 11 sei nicht naheliegend.
7.3.2 Zunächst stimmt die Kammer ausdrücklich der Einschätzung der Einspruchsabteilung zu, wonach D11 Polyamid 12 betreffe, und ausgehend von dieser Lehre eine Entwicklung hin zu Pulvern mit Polyamid 11 nicht naheliegend sei.
7.3.3 Ferner wird auch auf die D11 betreffenden Ausführungen oben, insbesondere in den Punkten 6.6.5 bis 6.6.7, verwiesen.
7.3.4 Somit besteht prima facie kein Grund, D11 als nächstliegenden Stand der Technik zu berücksichtigen.
7.4 Nicht-Zulassung des Angriffs ausgehend von D1
7.4.1 Wie bereits oben unter anderem in Punkt 6.6.9 beschrieben, ist in D1 weder von Laser-Sintern noch von Erhöhung der Schmelzenthalpie die Rede. Ferner offenbart D1 auch kein Polyamid 11 mit der Schmelzenthalpie nach Anspruch 1.
7.4.2 Vor diesem Hintergrund ist es prima facie nicht überzeugend, dass D1 als nächstliegender Stand der Technik heranzuziehen wäre.
7.5 Aus den genannten Gründen hat die Kammer die Angriffe betreffend die erfinderische Tätigkeit ausgehen von D1 und D11 nicht in das Verfahren zugelassen (Artikel 13 (1) VOBK 2007).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.