T 1679/17 26-01-2021
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Übergabetrommel der Tabak verarbeitenden Industrie
Zulässigkeit der Beschwerde - Beschwerde hinreichend begründet (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Änderungen - zulässig (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Einwände in der ersten Instanz zurückgenommen - nicht zugelassen
Von der ersten Instanz nicht zugelassen Beweismittel - nicht zugelassen
Beanstandung der Niederschrift über die mündliche Verhandlung
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, mit der das Patent N° 2 628 399 in geänderten Fassung aufrechterhalten worden ist, Beschwerde eingelegt.
II. Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, dass die geltend gemachten Einspruchsgründe unter Artikel 100(a) EPÜ in Verbindung mit Artikeln 54 und 56 EPÜ, Artikel 100(b) EPÜ in Verbindung mit Artikel 83 EPÜ sowie Artikel 100(c) in Verbindung mit Artikel 123(2) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents auf Grundlage des während der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsantrags 3 nicht entgegen stehen. Die Neuheit und das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des einzigen unabhängigen Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3 wurde von der Einspruchsabteilung unter Berücksichtigung des folgenden Standes der Technik anerkannt:
D3: GB-A-1 149 312
D1: EP-A-1 787 534
Folgende Entgegenhaltungen wurden von der Einsprechenden nach Ablauf der Einspruchsfrist vorgelegt und von der Einspruchabteilung als verspätet und nicht "prima facie" relevant ins Einspruchsverfahren nicht zugelassen:
D9: EP-A-1 287 753
D15: EP-B-1 883 318
III. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in vollem Umfang zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen, also das Patent in der Fassung der Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung aufrechtzuerhalten.
IV. Am 11. Februar 2020 erging eine Ladung zur mündlichen Verhandlung. In einer am 17. April 2020 versandten Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 legte die Kammer ihre vorläufige Meinung dar.
V. Mit Schreiben vom 12. Januar 2021 beantragte die Beschwerdegegnerin den Termin für die mündliche Verhandlung aufgrund der schwereren Covid-19 Lage zu verschieben.
Mit Schreiben vom 22. Januar 2021 nahm die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und beantragte, über die Sache auf Grundlage des schriftlichen Beschwerdevorbringens zu entscheiden.
Mit der Mitteilung der Kammer vom 28. Januar 2021 wurde der anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben und den Parteien mitgeteilt, dass die Entscheidung der Kammer auf der Grundlage des schriftlichen Beschwerdevorbringens erfolgen wird.
VI. Anspruch 1 des Streitpatents in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung gemäß Hilfsantrag 3 lautet wie folgt:
Maschine zur Herstellung von Multisegmentfiltern (16a, 16b) der Tabak verarbeitenden Industrie mit einer Übergabetrommel (10) zur queraxialen Förderung von zwei Strömen (64, 65) stabförmiger Produkte (13a,13b,F1,F2) der Tabak verarbeitenden Industrie, dadurch gekennzeichnet, dass die Ströme (64,65) gegenläufig zueinander förderbar sind, wobei für jeden Strom (64, 65) ein Umfangsring (100,101) an der Übergabetrommel (10) vorgesehen ist, auf dem Aufnahmemulden (60,61) für die stabförmigen Produkte (F1,F2,13a,13b) des jeweiligen Stroms (64,65) angeordnet sind.
ZULÄSSIGKEIT DER BESCHWERDE
1. Die Kammer ist der Auffassung, dass die Beschwerde die Erfordernisse des Artikels 108 und der Regel 99 EPÜ erfüllt und daher als zulässig anzusehen ist.
1.1 Die Kammer merkt an, dass sich die Beschwerdeführerin mit der Entscheidung der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Nichtzulassung der verspätet eingereichten Dokumente D9 und D15 ins Einspruchsverfahren auseinandergesetzt hat und ausführlich begründet, warum diese Entscheidung falsch sein soll. Die Beschwerdebegründung erfüllt somit die Erfordernisse der Regel 99(2) EPÜ sowie des Artikels 12(2) VOBK 2020 bezüglich der Substantiierung der Beschwerde und ist daher zulässig.
1.2 Der Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass die Beschwerde zumindest im Hinblick auf den Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit nicht zulässig sei, da dieser ausschließlich auf im Einspruchsverfahren nicht zugelassene Dokumente gestützt sei, ist aus folgenden Gründen nicht zuzustimmen:
1.3 Zum einen kennt das EPÜ und die dazu ergangene Rechtsprechung das Konzept einer teilweisen Unzulässigkeit nicht. Sofern ein Einwand gegen die angefochtene Entscheidung in einer der Regel 99(2) EPÜ entsprechenden Weise vorgetragen wurde, ist die gesamte Beschwerde zulässig. Andere Einwände mögen dann vielleicht nicht ausreichend substantiiert im Sinne von Artikel 12(2) VOBK 2020 sein, dies führt aber nicht zu einer Teilunzulässigkeit, die sich durch späteren Vortrag ja nicht mehr beheben ließe, sondern nur dazu, dass diese Einwände, sofern sie erst später substantiiert werden, unter dem Zulassungsvorbehalt der zum Zeitpunkt ihrer verspäteten Substantiierung anwendbaren Ermessensvorschrift (Artikel 13(1) oder 13(2) VOBK) stehen.
1.4 Zum anderen wäre gemäß ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern eine Beschwerde nicht allein deshalb als unzulässig zu betrachten, weil sie sich auf Beweise stützt, die erstmals mit der Beschwerdebegründung vorgelegt wurden. Im vorliegenden Fall wurden die in Frage kommenden Beweismittel D9 und D15 sogar schon im Einspruchsverfahren vorgelegt und dort von der Einspruchsabteilung als verspätet abgelehnt und somit bei der Entscheidung nicht berücksichtigt. Die Beschwerde befasst sich gerade mit dieser Nichtzulassungsentscheidung und versucht zum einen darzulegen, warum die Einspruchsabteilung hier fehlerhaft entschieden hat und warum zum anderen die Erfindung, hätte man die nicht zugelassenen Dokumente berücksichtigt, nahe gelegen hätte. Die Ansicht der Beschwerdegegnerin, man dürfe zur Patentfähigkeit nicht mit Dokumenten argumentieren, die die Einspruchsabteilung nicht zugelassen hat, würde im Ergebnis dazu führen, dass Nichtzulassungsentscheidungen nicht effektiv mit der Beschwerde angefochten werden könnten, was zu ersichtlichen Rechtsschutzlücken führen würde.
INHALT DER NIEDERSCHRIFT
2. Erstmals mit der Beschwerdebegründung bemängelte die Beschwerdeführerin die Korrektheit und die Vollständigkeit der Niederschrift über die mündliche Verhandlung hinsichtlich des Hilfsantrags 3 und insbesondere der dort ausdrücklich widergegebenen Rücknahme der Einwände unter Artikel 83 und 123 (2) EPÜ durch die Beschwerdeführerin (vgl. Punkt 21 der Niederschrift). Unter Bezugnahme auf ihre Einspruchsschriftsatz vom 21. April 2017 brachte die Beschwerdeführerin vor, dass die bestrittenen Einwände hinsichtlich des Hilfsantrags 3 im schriftlichen Verfahren ausdrücklich aufrechterhalten und nie zurückgenommen worden seien.
2.1 Die Kammer weist darauf hin, dass nach ständiger Rechtsprechung der Beschwerdekammern von den Parteien und deren Vertretern zu erwarten ist, dass der Inhalt einer Niederschrift, insbesondere dessen Vollständigkeit und Korrektheit, direkt nach dem Erhalt sorgfältig geprüft wird und ggf. zeitnah bemängelt wird, weil er die einzige Möglichkeit darstellt, nachzuvollziehen, was sich während der mündlichen Verhandlung vor der ersten Instanz tatsächlich ereignet hat. Hier wurde die Niederschrift hingegen, obwohl sie bereits am 30. Juni 2017 der Beschwerdeführerin zugestellt wurde, erstmals am 30. Oktober 2017 mit der Beschwerdebegründung gerügt.
2.2 Darüber hinaus wurde eine Berichtigung der Niederschrift, die jedenfalls nicht im Zuge des Beschwerdeverfahrens, sondern vor der ersten Instanz hätte erfolgen müssen, nie beantragt.
2.3 Die von der Beschwerdeführerin angeführte Tatsache, dass die bestrittenen Einwände hinsichtlich des Hilfsantrags 3 im schriftlichen Verfahren ausdrücklich aufrechterhalten wurden, schließt eine Rücknahme derselben während der mündlichen Verhandlung nicht aus. Es ist daher auf der Grundlage des in der Niederschrift wiedergegebenen Verlaufs der Verhandlung davon auszugehen, dass die Rücknahme der Einwände unter Artikel 83 und 123(2) EPÜ tatsächlich erfolgte.
2.4 Unter diesen Umständen und nach bestehender Rechtsprechung ist somit die Kammer der Auffassung, dass die Niederschrift den Verlauf der mündlichen Verhandlung korrekt widerspiegelt, und dass demzufolge die Einwände unter Artikel 83 and 123(2) EPÜ hinsichtlich des Hilfsantrags 3 im Lauf der mündlichen Verhandlung zurückgenommen wurden.
EINWÄNDE UNTER ARTIKEL 83 UND 123(2) EPÜ
3. Es liegt somit gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007, der auf diese Beschwerde im Hinblick auf Artikel 25(2) VOBK 2020 anzuwenden ist im Ermessen der Kammer, die Einwände gemäß Artikel 83 EPÜ bzw. Artikel 123(2) EPÜ nicht zuzulassen, die vor der ersten Instanz zurückgenommen wurden. Im vorliegenden Fall kann diese Möglichkeit jedoch dahin stehen, da die Einwände jedenfalls inhaltlich nicht begründet sind:
3.1 Die Beschwerdeführerin merkte an, dass dem gesamten Offenbarungsinhalt des Streitpatents eine einzige Ausführungsform der anspruchgemäßen Übergabetrommel zur queraxialen Förderung von zwei Strömen stabförmiger Produkte zu entnehmen sei, bei welcher die auf dem jeweiligen Umfangsring vorgesehenen Aufnahmemulden parallel zur Drehachse der Übergabetrommel angeordnet sind. Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass unter den breiteren Wortlaut des Anspruchs 1 auch eine nicht parallele Anordnung der Aufnahmemulden relativ zur Drehachse falle, und dass dem Patent keine Lehre zu entnehmen sei, mit welchen Mitteln eine queraxiale Förderung der stabförmigen Produkte ohne eine parallele Anordnung der Aufnahmemulden zur Drehachse der Übergabetrommel gewährleistet werden könne. Diese Ausführungen sind aus folgenden Gründen nicht überzeugend:
3.2 Unabhängig von der strittigen Auslegung des Begriffes "queraxiale Förderung" entnimmt der Fachmann dem gesamten Offenbarungsgehalt des Streitpatents, wie die im Anspruch 1 beanspruchte queraxiale Förderung von zwei Strömen stabförmiger Produkte mittels einer Übergabetrommel umgesetzt sein kann, z.B. mittels der im Anspruch 2 vorgeschlagenen parallelen Orientierung der Aufnahmemulden zur Drehachse der Übergabetrommel. Diese konkrete konstruktive Lösung ist in der Beschreibung ausführlich erläutert und in den Figuren 2 und 7 gezeigt, so dass der Fachmann keine Schwierigkeiten bei der Umsetzung einer Übergabetrommel, die die beanspruchte Funktionalität erfüllt, erfahren würde. Die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass nicht-parallel angeordnete Aufnahmemulden die vom Anspruch 1 verlangte queraxiale Förderung von zwei Strömen stabförmiger Produkte nicht gewährleisten können, wurde nicht belegt. Die Kammer schließt sich hingegen den Ausführungen der Beschwerdegegnerin an, wonach die verlangte queraxiale Förderung nicht unbedingt eine Förderung senkrecht zu den stabförmigen Produkten bedeutet, wobei auch eine nicht-parallele Anordnung der Aufnahmemulden zur Drehachse der Übergabetrommel die im Anspruch 1 angegebene Funktionalität erfüllen würde. Die Ausführung einer solchen alternative Lösung, die vom Anspruch 1 umgefasst ist, stellt für den Fachmann auch keine Schwierigkeit dar.
3.3 Auch der Einwand unter Artikel 123(2) EPÜ greift nicht durch: Der Gegenstand des Anspruchs 1 basiert wörtlich auf einer Kombination der Ansprüche 1, 3 und 5 der ursprünglichen Anmeldung bzw. der Ansprüche 6, 7 und 8 der Stammanmeldung. Zur angeblichen unzulässigen Verallgemeinerung der ursprünglichen Offenbarung der Stammanmeldung ist darauf hinzuweisen, dass - entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin - die Bereitstellung eines einzigen Antriebs oder, alternativ hierzu, zweier gesonderte Antriebe zum Betreiben der Umfangsringe im Anspruch 7 der Stammanmeldung als fakultativ beansprucht wird (vgl. Begriff "insbesondere"), so dass das Weglassen dieser Merkmale zu keiner unzulässigen Zwischenverallgemeinerung führt.
NEUHEIT
4. Die Beschwerdeführerin hat mit der Beschwerdebegründung die Neuheit des Anspruchs 1 in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung nicht in Frage gestellt.
ERFINDERISCHE TÄTIGKEIT
Zulassung der Dokumente D9 und D15
5. Die Beschwerdeführerin beanstandete die Entscheidung der ersten Instanz, die Dokumente D9 und D15 als verspätet und nicht "prima facie" relevant nicht zu berücksichtigen, und beantragte sie ins Beschwerdeverfahren zuzulassen mit der Begründung, dass sie für die Frage des behaupteten Mangels an erfinderischer Tätigkeit in Wirklichkeit hoch relevant seien. Die Beschwerdegegnerin bestritt die Relevanz dieser Beweismittel und trat deren Zulassung entgegen.
5.1 Unter Artikel 12(4) VOBK 2007 liegt es im Ermessen der Kammer, Beweismittel nicht zuzulassen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren nicht zugelassen worden sind.
5.2 Der Einspruchsabteilung, ist bei der Ausübung ihrer Ermessen unter Artikel 114(2) EPÜ, die zur Nichtzulassung der Dokumente D9 und D15 geführt hat, kein Ermessensfehlgebrauch vorzuwerfen. Sie hat vielmehr richtigerweise das im Einspruchsverfahren maßgebliche Kriterium der "prima facie" Relevanz angewendet und auch keine sachfremden Erwägungen angestellt.
5.3 Eine Zulassung dieser Dokumente ins Beschwerdeverfahren aufgrund Ausübung des eigenen Ermessens der Beschwerdekammer nach Artikel 12(4) VOBK 2007 kommt regelmäßig nur dann in Betracht, wenn im Beschwerdeverfahren eine neue Sachlage gegeben ist, die eine erneute Vorlage rechtfertigt. Beim vorliegenden Beschwerdevorbringen scheint dies, zumindest hinsichtlich des aufrechterhaltenen Anspruchs 1 und der Frage des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit, nicht der Fall zu sein. Mangels veränderter Sachlage kommt eine Zulassung der Kammer, somit vorliegend nicht in Betracht da es nach ständiger Rechtsprechung nicht Aufgabe der Beschwerdekammer ist, die Sachlage des Falles nochmal wie ein erstinstanzliches Organ zu prüfen, um zu entscheiden, ob sie das Ermessen in derselben Weise wie dieses ausgeübt hätte.
5.4 Die Entgegenhaltungen D9 und D15 waren daher unter Artikel 12(4) VOBK 2007 nicht zuzulassen.
6. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die Zulassung der beiden Dokumente in der Sache nichts an der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit geändert hätte. Insoweit kann auf die Ausführungen der Kammer im Bescheid gemäß Artikel 15 VOBK 2020 verwiesen werden.
Sonstige Angriffslinien
7. Angriffslinien, die nicht auf die Dokumente D9 oder D15 als nächstliegendem Stand der Technik oder Kombinationsdokument rekurrieren wurden nicht vorgetragen.
8. Die Schlussfolgerung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung, wonach der Gegenstand des Anspruchs 1 in der aufrechterhaltenen Fassung auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne der Artikel 52(1) und 56 EPÜ beruht und somit alle Erfordernisse des EPÜ erfüllt, ist daher zu bestätigen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.