T 2350/17 (Entwerfen von Flugzeugen/DEUTSCHE LUFTHANSA) 10-05-2022
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Verfahren und System zum Entwerfen von Flugzeugen
Erfinderische Tätigkeit - Optimierung des Auslegungspunktes einer Flugzeugkonstruktion in Form eines Anforderungskatalogs anhand der zu bedienenden Flugstrecken (nein
Erfinderische Tätigkeit - wirtschaftliche Optimierung)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung auf Zurückweisung der europäischen Patentanmeldung Nr. 13194503.2 mangels erfinderischer Tätigkeit gemäß Artikel 56 EPÜ.
II. Die Kammer hat in einem Bescheid ihre vorläufige Meinung zu der Beschwerde dargelegt, wonach dem beanspruchten Gegenstand die erforderliche erfinderische Tätigkeit fehlt.
III. Mit Schreiben vom 12. Mai 2021 reichte die Beschwerdeführerin einen Hilfsantrag ein. Es wurden außerdem weitere Argumente im Hinblick auf die erfinderische Tätigkeit übermittelt.
IV. Mit Schreiben vom 24. November 2021 wurde dem Antrag der Beschwerdeführerin entsprechend zur mündlichen Verhandlung geladen. Dabei wurden die Einwände unter Artikel 56 EPÜ aufrecht erhalten.
V. Mit Schreiben vom 12. April 2022 reichte ein in der Anmeldung genannter Miterfinder einen mit "Einwendungen Dritter gemäß Artikel 115 EPÜ" bezeichneten Schriftsatz zu den Akten und führte Argumente für das Vorliegen einer erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstands an.
VI. Am 10. Mai 2022 fand eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz statt, in deren Verlauf die Beschwerdeführerin sich die mit Schreiben vom 12. April 2022 vorgebrachten Argumente des Miterfinders zu Eigen machte sowie alle vorgetragenen Argumente diskutiert wurden.
VII. Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent zu erteilen auf der Grundlage des der angefochtenen Entscheidung zu Grunde liegenden Patentbegehrens (Ansprüche 1 bis 15 vom 11. August 2016) gemäß Hauptantrag oder des mit Schreiben vom 12. Mai 2021 eingereichten Hilfsantrags.
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß dem Hauptantrag lautet:
"1. Verfahren (10) zum Entwerfen von Flugzeugen, umfassend die Schritte:
a. Festlegen eines initialen Anforderungskatalogs für wenigstens einen Flugzeugentwurf (Schritt 11), wobei der Anforderungskatalog technische Anforderungen hinsichtlich der minimalen Nutzlastmasse, der minimalen Reichweite, Start- und Landeanforderungen, minimale Reiseflughöhe, minimale Reisefluggeschwindigkeit und/oder Maximalwerte für Spannweite, Rumpflänge und/oder Flächenpressung pro Rad des Fahrwerks für wenigstens einen Flugzeugentwurf umfasst;
b. Durchführen einer Optimierung des wenigstens einen Flugentwurfs auf Basis des Anforderungskatalogs hinsichtlich der zu erwartenden Betriebskosten (Schritt 13), wobei die Betriebskosten als Funktion der technischen Konfiguration des Flugzeugentwurfes berechnet werden;
c. Simulation eines vorgegebenen Gesamtflugnetzes mit dem wenigstens einen Flugzeugentwurf und Ermittlung der Gesamtflugnetzeffizienz (Schritt 18), wobei die Gesamtflugnetzeffizienz durch Aufsummieren der jeweiligen Flugstreckeneffizienz jeder Flugstrecke des Gesamtflugnetzes gebildet wird, wobei sich die Flugstreckeneffizienz aus den für den wenigstens einen Flugzeugentwurf auf einer bestimmten Flugstrecke zu erwartenden Einkünften abzüglich der Betriebskosten für den Einsatz des Flugzeugentwurfes auf dieser Flugstrecke ergibt, und wobei die Betriebskosten als Funktion der technischen Konfiguration des Flugzeugentwurfes berechnet werden;
d. Überprüfung, ob die ermittelte Gesamtflugnetzeffizienz ein Optimum darstellt (Schritt 19); wenn nicht:
e. Anpassung des Anforderungskatalogs (Schritte 19 und 12) und Iteration ab Schritt (b)."
Der Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag weist in Merkmal d. den weiteren Schritt auf:
"wenn ein Optimum vorliegt: Konstruktion und Bau von Flugzeugen auf Basis des Anforderungskatalogs".
IX. Die Beschwerdeführerin argumentiert im wesentlichen, dass bei der Entwicklung von Verkehrsflugzeugen ein beliebiges iteratives Vorgehen nicht möglich sei und der Auslegungspunkt, von dem ausgehend eine Konstruktion erfolgt, "praktisch unverrückbar" sei. Ziel der Erfindung sei nicht etwa eine iterative Optimierung eines einem vorgegebenen Auslegungspunkt genügenden Flugzeugentwurfs hinsichtlich der Kosten, was bekannt sei (vgl. III.2 der Beschwerdebegründung), sondern die Optimierung des Auslegungspunktes selbst in Form des Anforderungskatalogs im Hinblick auf ein Gesamtflugnetz (vgl. IV.6 der Beschwerdebegründung). Es soll somit ein initialer Flugzeugentwurf erstellt werden.
X. Am Ende der mündlichen Verhandlung verkündete die Kammer ihre Entscheidung.
Artikel 56 EPÜ - Erfinderische Tätigkeit
Hauptantrag
1. Die Kammer teilt die Auffassung der Prüfungsabteilung hinsichtlich des Naheliegens des Gegenstands von Anspruch 1 durch eine herkömmliche Datenverarbeitungsanlage (vgl. Punkt 3 der angefochtenen Entscheidung).
2. Auch die Kammer erachtet die beanspruchte Erfindung als wirtschaftliche Optimierung, wobei die zum Einsatz kommenden Synthese- und Optimierungsverfahren für den Flugzeugentwurf in den unabhängigen Ansprüchen nicht spezifiziert sind, jedoch - wie von der Beschwerdeführerin im Verfahren eingeräumt - als bekannt anzusehen sind (siehe z.B. das in den Anmeldungsunterlagen erwähnte Verfahren nach E. Torenbeek, vgl. Seite 2, Zeile 23 oder Seite 8 sowie Abschnitte II.1 und IV.4 der Beschwerdebegründung).
Insbesondere stimmt die Kammer der angefochtenen Entscheidung zu, dass die Anpassung einer Flugzeugkonstruktion an geänderte Markt- oder Kundenwünsche anhand der zu bedienenden Flugstrecken nicht als technisch angesehen werden kann (vgl. Punkt 13.4 der Entscheidung).
3. Zu der geltend gemachten Optimierung des Auslegungspunktes in Form des Anforderungskatalogs im Hinblick auf ein Gesamtflugnetz (vgl. IV.6 der Beschwerdebegründung) zum Erstellen eines initialen Flugzeugentwurfs stellt die Kammer zunächst fest, dass Anspruch 1 jeglicher technischer Merkmale in Bezug auf die Auslegung eines Flugzeugs entbehrt. Es wird lediglich abstrakt auf die zu erwartenden "Betriebskosten als Funktion der technischen Konfiguration des Flugzeugentwurfs" verwiesen. Im Anforderungskatalog (Schritt a) wird festgelegt, was das Flugzeug können soll. Dabei kommen Größen wie die maximale Reichweite zum Zuge, die zwar bekannte technische Parameter wie die Tankgröße berühren, für deren Festlegung jedoch keine besonderen technischen Kenntnisse eines Flugzeugkonstrukteurs benötigt werden. Des Weiteren spielen aber auch rein wirtschaftliche Parameter wie z.B. Flughafengebühren eine Rolle. Der darauf aufbauende Flugzeugentwurf (Schritt b) basiert auf bekannten Syntheseverfahren, benötigt also wiederum keine besonderen technischen Kenntnisse eines Flugzeugkonstrukteurs, und liefert als Zielgröße die bei einer Umsetzung zu erwartenden Betriebskosten. Anhand dieser Betriebskosten erfolgt eine Kostenkalkulation, indem das Gesamtflugnetz durchgerechnet wird (Schritt c). Dies ist eine betriebswirtschaftliche Kalkulation, bei der als Optimum nicht ein besonders innovatives Flugzeug angestrebt wird, sondern eine ökonomische Gewinnmaximierung (Schritt d). Dazu wird iteriert, ohne anzugeben wie der Anforderungskatalog angepasst werden soll (Schritt e). Siehe hierzu auch die Figur 2 der Anmeldung.
Die Kammer ist nicht überzeugt von dem Argument der Beschwerdeführerin, wonach Betriebskosten zwar eine wirtschaftliche Größe darstellen, deren Ermittlung jedoch "unmittelbar und ausschließlich auf technischen Gegebenheiten der möglichen Konstruktion" basieren (vgl. Seite 9, zweiter und dritter Absatz der Beschwerdebegründung). Zum einen definiert der Anspruch eine betriebswirtschaftliche Optimierung, keine technische Optimierung. Es fehlt jeglicher Hinweis, welche technischen Parameter der Flugzeugkonstruktion konkret wie variiert werden. Hinzu kommt, dass anspruchsgemäß auch die Möglichkeit besteht, dass technisch vorteilhafte Lösungen verworfen werden, wenn diese wirtschaftlich unrentabel sind. So ist im Rahmen der beanspruchten Lehre vorstellbar, dass eine technisch besonders vorteilhafte Kombination aus Spannweite und Rumpflänge eines Flugzeugentwurfs verworfen werden, weil diese besonders hohe Flughafengebühren zur Folge hätten. Dies alles spricht gegen die Annahme einer technischen Innovation, die in einem technisch verbesserten Flugzeugentwurf mündet. Vielmehr wird eine optimale Konfiguration des Flugzeugs davon abhängig gesucht, dass sich ein Minimum der zu erwartenden Betriebskosten ergibt (vgl. Beschwerdebegründung, Seite 10 oben). Es wird somit um bekannte Flugzeugtechnik bzw. bekannte Komponenten herum der zu erwartende Gewinn optimiert, aber keine eigene technische Innovation in Form eines technisch verbesserten Flugzeugs geschaffen. So wird z.B. anhand von Nutzlast- und Reichweiteanforderungen entschieden, ob ein geeigneter Flugzeugentwurf zwei oder vier Triebwerke benötigen würde. Jedoch werden bekannte Triebswerkskonstruktionen zu Grunde gelegt. Keinesfalls aber werden neue technisch bessere Triebwerke geschaffen, die eine technische Innovation darstellen könnten.
4. Entgegen dem Argument der Beschwerdeführerin handelt es sich auch nicht um eine Simulation eines technischen Vorgangs oder Gegenstands, sondern um Kostenberechnungen für verschiedene Szenarien von Flugstrecken (Flugstreckeneffizienz bzw. Gesamtflugnetzeffizienz nach dem Wortlaut von Anspruch 1). Die Kammer stimmt der angefochtenen Entscheidung zu, dass nicht ersichtlich ist, welche konkreten technischen Auswirkungen das beanspruchte Optimierungs- und Simulationsverfahren auf die Konstruktion oder das technische Verhalten eines Flugzeugs hat. Schon alleine deshalb führt die von der Beschwerdeführerin angeführte Entscheidung G 1/19 (vgl. Absatz 43, 47, 56, Schreiben vom 21. Mai 2021) nicht zu einer anderen Einschätzung durch die Kammer. Der technische Charakter der beanspruchten Lehre wurde von der Kammer nicht in Frage gestellt.
5. Der Kammer erscheint der Ausdruck "Simulation" im Zusammenhang mit der vorliegenden Anmeldung wenig passend. Keinesfalls ist eine Simulation als solche beansprucht. Vielmehr handelt es sich um eine mathematische Berechnungsmethode, der eine wirtschaftliche Zielsetzung zu Grunde liegt und in die abstrakt vorgegebene technische Parameter einfließen, ohne aber zu einer Simulation eines technischen Gegenstands oder Vorgangs zu führen. Es fehlt jeglicher Hinweis, welche technischen Parameter der Flugzeugkonstruktion konkret wie variiert werden. Die Beschwerdeführerin argumentiert lediglich, dass dafür auf ein bekanntes Syntheseverfahren zurückgegriffen wird und "solange planvoll iteriert" wird, bis z.B. das Höchstabfluggewicht konvergiert (vgl. Absätze 7 und 9, Schreiben vom 12. Mai 2021). Wie dies konkret durch welche technischen Maßnahmen erfolgt und was "planvoll" ist, bleiben Ansprüche und Beschreibung jedoch schuldig. Entgegen dem Argument der Beschwerdeführerin sieht die Kammer nicht, wie die Schritte (d) und (e) diese Iteration näher definieren (vgl. Absatz 22, Schreiben vom 12. Mai 2021). Im Gegenteil wird darin nur spezifiziert, dass eine Iteration stattfindet, aber nicht wie und ohne technische Details.
Für die angestrebte Betriebskostenabschätzung werden lediglich allgemeine abstrakte Parameter aus der Flugzeugkonstruktion variiert. Wie dies erfolgt und welche Parameter konkret unter welchen Prämissen optimiert werden, bleibt offen. Gerade solche Informationen benötigt der Fachmann jedoch, um flugtaugliche Konstruktionen zu gewährleisten. Deshalb ergeben sich aus Sicht der Kammer auch aus den Anmeldungsunterlagen keine erfolgsversprechenden Änderungsmöglichkeiten.
6. Als Fachmann wird entgegen der Argumentation der Beschwerdeführerin (vgl. z.B. Absatz 49, Schreiben vom 12. Mai 2021) daher nicht ein Flugzeugkonstrukteur, sondern ein Computerexperte angesehen. Denn beansprucht sind nicht Details der Flugzeugkonstruktion, sondern ein computergestütztes Optimierungsverfahren hierzu. Ein solches System ließe sich zur Optimierung eines beliebigen Konstruktionsverfahrens einsetzen und ist nicht auf Flugzeugkonstruktion beschränkt. Hinzu kommt, dass die eigentliche Konstruktion des Flugzeugs vom Anspruch nicht umfasst wird.
6.1 Damit sind die technischen Merkmale des Anspruchs 1 die eines bekannten Computersystems. Bei dem beanspruchten Verfahren handelt es sich um ein abstraktes, betriebswirtschaftlich motiviertes Optimierungskonzept, welches auf bekannte Syntheseverfahren zurückgreift, durch das auch die zu variierenden technischen Parameter vorgegeben sind, und das selbst keinen erfinderischen technischen Beitrag liefert, sondern der Sphäre eines Kaufmanns zuzuordnen ist. Die im Schreiben vom 12. April 2022 angeführte Aufgabe, optimale technische Auslegungsparameter für ein Flugzeug aufzufinden, wird durch die Erfindung nicht gelöst.
6.2 Im Rahmen des COMVIK-Ansatzes (vgl. T 0641/00 - Zwei Kennungen/COMVIK), welcher auch in G 1/19 bestätigt wurde, sind für die Implementierung dieser Optimierungsmethode, worin die eigentliche objektive technische Aufgabe zu sehen ist, keine besonderen technischen Hürden ersichtlich. Aus den Anmeldungsunterlagen sind weder technische Schwierigkeiten noch besondere Maßnahmen zu deren Überwindung zu entnehmen und wurden von der Beschwerdeführerin auch im Verfahren nicht dargelegt.
Hilfsantrag
7. Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß dem Hilfsantrag ist ebenfalls nicht erfinderisch.
Ein weiterer technischer Effekt wird auch nicht durch eine Einbindung der nachfolgenden Fertigung erzielt, die nunmehr Bestandteil von Anspruch 1 ist. Denn der Anspruchsgegenstand liefert nur Auswertungsergebnisse, auf deren Grundlage Konstruktion und Bau mittels gängigen Methoden erfolgen. Keinesfalls jedoch wird durch die Erfindung ein Flugzeug mit generell verbesserten technischen Eigenschaften erreicht, sondern lediglich eine betriebswirtschaftlich optimierte Dimensionierung.
8. Die Implementierung der Optimierungsmethode liegt daher unter Anwendung des COMVIK-Ansatzes im Rahmen des allgemeinen Fachwissens und ist nicht geeignet, einen erfinderischen Schritt im Sinne von Artikel 56 EPÜ beizutragen. Der Gegenstand von Anspruch 1 beider Anträge beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.