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T 2508/17 05-02-2021
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MILITÄRISCHES FAHRZEUG MIT EINEM ÜBERROLLSCHUTZ UND VERFAHREN ZUR REDUKTION DER FAHRZEUGHÖHE EINES MILITÄRISCHEN FAHRZEUGS
Mischung technischer und nichttechnischer Merkmale (nein)
Neuheit - (ja)
Rücknahme des in der Beschreibung zitierten Stand der Technik - Zulassung (ja)
Offenbarung im Internet - Stand der Technik
Spät eingereichtes Dokument - Rechtfertigung für späte Vorlage (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - nächstliegender Stand der Technik
Erfinderische Tätigkeit - allgemeines Fachwissen
I. Mit der am 14. September 2017 zur Post gegebenen Entscheidung wurde der Einspruch gegen das Europäische Patent EP-B-2 591 304 zurückgewiesen.
II. Gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) form- und fristgerecht Beschwerde eingereicht.
III. Am 5. Februar 2021 fand eine mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer statt.
Am Ende der Verhandlung war die Antragslage wie folgt:
Die Beschwerdeführerin beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent vollumfänglich zu widerrufen.
Die Patentinhaberin (im Folgenden: Beschwerdegegnerin) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
IV. Beweismittel
Die folgenden, bereits in der angefochtenen Entscheidung genannten Druckschriften sind für die Entscheidung relevant:
E7: DE 35 166 71 A1
E19: DE 10 2004 003476 A
E21: EP 0 927 118 B1
E23: DE 690 02 138 T2
Die folgenden Beweismittel wurden mit der Beschwerdebegründung eingereicht:
E29: Internetauszug vom 13. Januar 2018, URL: http://
olive-drab.com/idphoto/id_photos_m151fav.php
E30: DE 102 04 298 A1
E31: EP 1 923 657 B1
E32: DE 103 33 647 A1
Folgendes Beweismittel wurde von der Beschwerdeführerin erst nach der Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung eingereicht:
E33: Video "Firing the MG 3 on Wolf 250 GD", mit
Verweis auf URL https://www.military.com/video/
guns/machine-guns/firing-the-mg-3-on-wolf-250-
gd/661824713001
V. Anspruchssatz
Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 1 und der unabhängige Verfahrensanspruch 13 in der aufrechterhaltenen Fassung lauten folgendermaßen (die Nummerierung der Merkmale in "[]" wurde durch die Kammer hinzugefügt und lehnt sich an die von den Beteiligten verwendeten Gliederungen an):
"[M1.1] Fahrzeug mit einer richtbaren Waffe (3) und einem Überrollschutz (2), an dem die richtbare Waffe (3) angeordnet ist,
[M1.2] wobei der Überrollschutz (2) zur Reduktion der Fahrzeughöhe (H) aus einer Einsatzstellung in eine Transportstellung absenkbar ist,
dadurch gekennzeichnet,
[M1.3] dass der Überrollschutz (2) zusammen mit der Waffe (3) absenkbar ist und
[M1.4] dass die Waffe (3) in der Transportstellung tiefer als ein höchster Punkt des Fahrzeugs (1) liegt"
"[M13.1] Verfahren zur Reduktion der Fahrzeughöhe eines Fahrzeugs nach einem der vorhergehenden Ansprüche, mit einem Überrollschutz (2), an dem eine richtbare Waffe (3) angeordnet ist,
[M13.2] wobei der Überrollschutz (2) aus einer Einsatzstellung in eine Transportstellung abgesenkt wird,
dadurch gekennzeichnet,
[M13.3] dass der Überrollschutz (2) zusammen mit der Waffe (3) abgesenkt wird und
[M13.4] dass die Waffe (3) in der Transportstellung tiefer als ein höchster Punkt des Fahrzeugs (1) liegt."
VI. Zur Stützung ihres Antrags hat die Beschwerdeführerin im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
a) Neuheit
Der Gegenstand von Anspruch 1 sei nicht neu gegenüber den Offenbarungen von E19 und E23. Insbesondere seien die in den Dokumenten offenbarten absenkbaren Lafetten als Überrollschutz im Sinne der Merkmale M1.1 und M13.1 zu interpretieren, da sie sowohl die Kräfte beim Überrollen aufnähmen als auch das komplette Überrollen mechanisch behinderten. Das Fahrzeugdach gemäß E23 sei zudem zu dünn ausgeführt, um alleine einen hinreichenden Überrollschutz zu gewährleisten. Nach dem Absenken der Waffe bildeten die in E19, Paragraph [0017] genannte Rundumsichtoptik bzw. die in E23, Figur 2 und 4 erkennbare Visiereinrichtung den höchsten Punkt des Fahrzeugs, nicht aber die abgesenkte Waffe, so dass auch Merkmal 1.4 bzw. 13.4 offenbart sei.
b) Zulassung der Dokumente E29-E33
Die Beschwerdegegnerin habe während der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren die Angabe in Absatz [0003], Satz 2 und 3 des Patents widerrufen, wonach es zum allgemeinen Fachwissen gehöre, eine Waffe an einem Überrollschutz, insbesondere einem Überrollbügel eines Fahrzeugs zu befestigen. Dies sei zum einen nach der Erteilung des Patents nicht mehr zulässig gewesen, zum anderen rechtfertige es die Einreichung der weiteren Dokumente E29 und E33 zum Beleg ebendieses von der Beschwerdegegnerin erst in der mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung bestrittenen Fachwissens. Die weiteren Dokumente E30-E32 seien zudem für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit von Relevanz.
c) Erfinderische Tätigkeit
Der Gegenstand von Anspruch 1 und 13 sei nicht erfinderisch ausgehend vom allgemeinen Fachwissen, wie dies zumindest in den Fotos in Dokument E29 (datiert mit 1. Juni 1999 sowie 8. Juni 1991) ersichtlich sei. Ein Absenken des Überrollschutz werde in den Dokumenten E07 und E21 offenbart, und es sei naheliegend, eine an dem Überrollschutz befestigte Waffe mit diesem gemeinsam abzusenken.
Auch sei der Gegenstand von Anspruch 1 und 13 nicht erfinderisch ausgehend von E19 oder E23, jeweils im Hinblick auf die Offenbarung von E07. Der Angriff ausgehend von E19 oder E23 sei bereits in der angegriffenen Entscheidung und in der Mitteilung der Kammer diskutiert worden und daher zulässig.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich, soweit es für diese Entscheidung relevant ist, wie folgt zusammenfassen:
a) Neuheit
Weder E19 noch E23 offenbarten einen absenkbaren Überrollschutz. Absenkbar sei lediglich die jeweilige Lafette, auf der die Waffe angebracht sei. Auch sei nicht ersichtlich, dass die Waffe nach Absenkung der Lafette nicht mehr den höchsten Punkt des Fahrzeugs bilde. Somit offenbare keines der Dokumente die Merkmale M1.2/M13.2 bis M1.4/M13.4.
b) Zulassung der Dokumente E29-E33
Die Beweismittel E29 bis E33 seien als verspätet nicht zuzulassen, da ihre prima facie Relevanz nicht gegeben sei. Die Beweismittel E29 und E33 seien zudem nicht vorveröffentlicht und per se ungeeignet zum Nachweis eines allgemeinen Fachwissens. E33 sei weiterhin unbegründet erst lange nach Verstreichen der Beschwerdefrist eingereicht und nicht nachweislich der Öffentlichkeit zugängig gemacht worden.
c) Erfinderische Tätigkeit
Bei dem in Absatz [0003], Satz 2 und 3 des Patents genannten Stand der Technik handle es sich lediglich um eine intern bekannte Lösung. Es werde bestritten, dass diese Lösung Teil des allgemeinen Fachwissens sei. Die Beweislast zum Nachweis allgemeinen Fachwissens liege bei der Beschwerdeführerin.
Abgesehen von der Tatsache, dass das Fachwissen nicht nachgewiesen sei, könne der Aufgabe-Lösung-Ansatz nicht ausgehend von allgemeinem Fachwissen formuliert werden, da dieses nur abstrakt vorliege und somit keine Bewertung vorgenommen werde könne, welche Modifikationen offensichtlich seien und welche nicht.
Selbst wenn der Fachmann von den Fahrzeugen ausgehe, die in der - nicht nachgewiesen vorveröffentlichten - Offenbarung der E29 gezeigt würden, so gelange er nicht zum beanspruchten Gegenstand. In den gezeigten Ausführungsformen sei nämlich nicht ersichtlich, dass die dortigen Überrollbügel überhaupt mit befestigter Waffe abgeklappt werden könnten, und selbst wenn dies der Fall sein sollte, sei nicht ersichtlich, dass dies so geschehen könne, dass die Waffe nicht mehr den höchsten Punkt des Fahrzeugs bilde.
Die weiteren Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit ausgehend von E19 und E23 seien als unbegründet verspätet nicht zuzulassen. Sie könnten jedoch auch in der Sache nicht überzeugen, da ein Absenken des allenfalls als Überrollschutz interpretierbaren Daches der Fahrzeuge nicht verwirklichbar sei, wobei zudem die Waffe weiterhin den höchsten Punkt bilden würde. Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche beruhe daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
1. Merkmalsauslegung "Überrollschutz"
Zur Auslegung des Begriffs "Überrollschutz" wird in der angefochtenen Entscheidung unter Punkt II.3.1 auf ein "allgemeines Verständnis" verwiesen, nachdem ein solcher Überrollschutz "aufgrund von Auslegung und Gestaltung im Falle eines Umkippens oder Überschlags des Fahrzeuges eine die Fahrzeuginsassen gefährdende Änderung des die Fahrzeuginsassen umfassenden Raumes verhindert". Diese Auslegung wird nach Ansicht der Kammer auch im Patent zu Grunde gelegt. So wird beispielsweise in Absatz [0031] ausgeführt (Hervorhebung hinzugefügt): "Der Überrollschutz 2 ist aus Stahlrohren aufgebaut und schützt die sich im Besatzungsraum 8 befindende Besatzung im Falle des Überschlags des Fahrzeugs". Die Ausführung des Überrollschutzes gemäß dem Patent ist nicht weiter eingeschränkt; eine Ausführung als "Überrollbügel" ist lediglich eine bevorzugte Option. Der Begriff impliziert auch nicht, dass der Besatzungsraum nach oben offen zu sein hat (siehe diesbezüglich Absatz [0019] der Patentschrift): "Ferner kann das Fahrzeug einen, insbesondere nach oben offenen, Besatzungsraum aufweisen."
Damit stellt auch das gepanzerte Dach eines Fahrzeugs gemäß E19 oder E23 einen Überrollschutz dar. Auf solchen Dächern zusätzlich angebrachte Waffenlafetten wie in E19 oder E23 können diese Funktion jedoch nicht erfüllen. Die Behinderung des kompletten Überrollens ist für die Funktion eines Überrollschutzes gemäß der Ansprüche nicht relevant.
2. Technischer Charakter des Merkmals M1.4/M13.4
Die Beschwerdeführerin hat das Argument, wonach die Merkmale M1.4/M13.4 keinen technischen Charakter aufwiesen, in der mündliche Verhandlung nicht weiter verfolgt.
Diese Merkmale haben zudem einen eindeutig technischen Charakter, da eine konkrete technische Wirkung erzielt wird: Da die Waffe nicht mehr in der oberen Außenkontur des Fahrzeuges liegt, bestimmt sie die Fahrzeughöhe nicht mehr, wodurch bezüglich der Waffe eine maximale Reduktion der Transporthöhe erzielt wird. Somit können diese Merkmale bei der Beurteilung der Patentierbarkeit nicht unberücksichtigt bleiben.
3. Hauptantrag - Neuheit
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 ist neu über die Offenbarungen von E19 und E23, da diese nicht die Merkmale M1.2/M13.2 bis M1.4/M13.4 offenbaren.
3.1 Die Kammer ist im Gegensatz zur angefochtenen Entscheidung der Auffassung, dass das Merkmal M1.1/M13.1 in E19 offenbart ist. E19 offenbart ein Fahrzeug mit einem festen Dach, auf dem eine Waffenstation lafettiert ist (Absatz [0003]). Wie zuvor ausgeführt, sieht die Kammer das Fahrzeugdach und nicht die Wangen 4 der absenkbaren Lafette als Überrollschutz im Sinne von Merkmal M1.1 an, da das Dach den Schutz des Besatzungsraums gewährleistet. Dieser Schutz wäre durch eine noch stabilere Konstruktion der Waffenstation im Überrollfall sogar gefährdet, da sich diese dann in den Besatzungsraum eindrücken könnte.
Das gepanzerte Dach ist in E19 nicht als absenkbar offenbart. Die Ausführungen in Absatz [0007] und [0011] richten sich zwar auf eine Verringerung der Bauhöhe des Fahrzeugs, diese wird jedoch lediglich mit der Absenkung der Waffe auf dem Fahrzeugdach erreicht. Auch sieht die Kammer in Absatz [0017] keinen Beleg dafür, dass eine insbesondere mit Winkelspiegeln realisierte 360° Rundumsichtoptik im Transportzustand die Waffe zwingend überragt.
3.2 E23 offenbart ebenfalls ein Fahrzeug mit einem festen Dach, auf dem eine Waffenstation lafettiert ist (Figuren 1, 2 und 5). Auch hier stellt das Fahrzeugdach (1) und nicht das Gestänge der Lafette (Träger 9/10) den Überrollschutz im Sinne von Merkmal M1.4 dar, welcher den Schutz des Besatzungsraums gewährleistet. Das Dach (1) als Überrollschutz ist in E23 nicht als absenkbar offenbart und ist somit auch nicht zusammen mit der Waffe absenkbar.
Aus der Darstellung der Dicke des Daches 1 in den Figuren 1, 2 und 4 von E23 lässt sich weder dessen mangelnde Eignung als Überrollschutz noch eine entsprechende Funktion der Lafette ableiten. Bei einem gepanzerten Fahrzeug wie in D23 ist davon auszugehen, dass die Dachkonstruktion hinreichend stabil ist, um auch als Überrollschutz zu dienen. Wäre dem nicht so, würde zudem die Lafette im Überrollfall in den Besatzungsraum eingedrückt, was nicht mit deren angeblicher Funktion als Überrollschutz vereinbar ist.
In der Transportstellung (Figur 2) stellt die Waffe zudem den höchsten Punkt des Fahrzeugs dar. Auch der von der Beschwerdeführerin zitierten Passage auf Seite 2, Absatz 2 ist diesbezüglich nichts anderes zu entnehmen. Die Auffassung, die Waffe werde gemäß Figur 2 bzw. 4 im Transportzustand von einem Sichtgerät (Visiereinrichtung 17) überragt, überzeugt nicht, da die Visiereinrichtung ein Teil der Waffe ist (vgl. diesbezüglich E23, Figur 1).
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 Merkmale des Oberbegriffs als Stand der Technik
Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin nicht zu, dass durch den Oberbegriff von Anspruch 1 sowie der Aussage bezüglich des Standes der Technik in Absatz [0003] der Gegenstand "eine Waffe an einem Überrollbügel beziehungsweise Überrollschutz eines Fahrzeugs zu befestigen" in nicht zurücknehmbarer Weise als Stand der Technik festgelegt sei.
Zunächst ist festzuhalten, dass sich der Gegenstand des Oberbegriffs von Anspruch 1 und 13 von dem in Absatz [0003] als Stand der Technik genannten Gegenstand unterscheidet. Der Oberbegriff der Ansprüche umfasst ein Fahrzeug mit einem Überrollschutz mit daran angeordneter Waffe (Merkmale M1.1/M13.1), wobei der Überrollschutz absenkbar ist (Merkmale M1.2/M13.2). Dagegen wird in Absatz [0003], zweiter und dritter Satz, ein Fahrzeug mit einem nach oben offenen Besatzungsraum und einem Überrollschutz mit richtbarer Waffe beschrieben. Die Waffe bildet dabei den höchsten Punkt des Fahrzeugs. Dieser Gegenstand ist lediglich auf das Merkmal M1.1/M13.1 der Ansprüche lesbar.
Der Oberbegriff selbst hat für das erteilte Patent keinerlei bindenden Effekt im Hinblick darauf, was als Stand der Technik anzuerkennen ist. Wie die Beschwerdegegnerin korrekt vorbrachte, muss der Stand der Technik anhand der objektiven Sachlage ermittelt werden. Sollte der Oberbegriff hiervon abweichen, so ist dies allenfalls ein Mangel unter Regel 43(1) und Artikel 84 EPÜ, der für die erteilte Fassung des Patents jedoch gemäß G03/14 nicht Gegenstand einer Überprüfung im Einspruchsbeschwerdeverfahren ist.
Der in der Beschreibung in Absatz [0003] genannte Stand der Technik ist nach gängiger Rechtsprechung prinzipiell zu akzeptieren und entspricht somit der objektiven Sachlage bezüglich des Standes der Technik (vergleiche Rechtsprechung der Beschwerdekammer, Auflage 9, 2019, I.C.2.7). Dieser Stand der Technik kann jedoch sowohl von Dritten unter Zuhilfenahme von Gegenbeweisen bestritten, als auch von der Patentinhaberin per Erklärung eines Irrtums (T413/08, Punkt 2) zurückgezogen werden. Letzteres hat die Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung für den Gegenstand des Oberbegriffs von Anspruch 1 getan.
Diese Erklärung ist an keinen bestimmten Zeitrahmen des Verfahrens gebunden. Zwar wird sowohl in T1449/05 (Punkt 2.7/2.8) als auch in der T413/08 (Punkt 2.2) die Akzeptanz der Rücknahmeerklärung an die Bedingung geknüpft, dass hierdurch keine Verfahrensprobleme verursacht werden. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, zumal gemäß dem Protokoll der Verhandlung seitens der Beschwerdeführerin die Zulässigkeit der Rücknahmeerklärung nicht auf Grund von verspätetem Vorbringen in Frage gestellt wurde.
Weder ist ein Fehler bei der Ermessensausübung der Einspruchsabteilung bei der Zulassung der verspätet vorgebrachte Erklärung des Irrtums feststellbar, noch sieht die Kammer einen inhaltlichen Grund, diese Entscheidung zu korrigieren.
Somit können weder die Merkmale des Oberbegriffs von Anspruch 1 noch der Gegenstand, der in Absatz [0003] des Patents genannt ist, als Stand der Technik im Sinne von Artikel 54(1) EPÜ anerkannt werden.
4.2 Zulassung / Nichtzulassung der Dokumente E29-E33
4.2.1 Zulassung von Beweismittel E29
Die Kammer macht von ihrem Ermessen gemäß Artikel 12(4) VOBK 2007 Gebrauch, das erstmalig mit der Beschwerdebegründung vorgebrachte Beweismittel E29 im Verfahren zu berücksichtigen.
Erstmalig in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung erklärte die Beschwerdegegnerin (vgl. Protokoll, Punkt 3.3), sie habe sich bei der Aufteilung bezüglich der zweiteiligen Form geirrt, und der entsprechende Gegenstand sei lediglich ein interner Stand der Technik.
Das Vorbringen von E29 mit der Beschwerdebegründung stellt eine Reaktion auf diese Entwicklung dar. Die Beschwerdeführerin versucht durch E29 zu beweisen, dass zumindest Teile des streitigen Gegenstands, nämlich die, die sich auf Merkmal M1.1 beziehen, und die zudem auch im Absatz [0003] des Patents genannt werden, am Prioritätstag allgemeines Fachwissen waren.
Die Fotos in E29 offenbaren unstreitig Fahrzeuge mit einer an einem Überrollbügel angeordneten Waffe. Damit ist zumindest prima facie die Relevanz gegeben. Da E29 lediglich als Nachweis des Fachwissens vorgebracht wird, handelt es sich um ein indirektes Beweismittel und die Frage des Zeitranges ist zunächst zur Beurteilung der Zulassung nicht das entscheidende Kriterium (vergleiche T1110/03, Punkt 2).
4.2.2 Nicht-Zulassung E33
Gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
Die Beschwerdeführerin möchte mit dem Video E33 - welches erst zwei Wochen vor der mündlichen Verhandlung eingereicht wurde - das angebliche allgemeine Fachwissen zusätzlich belegen. Die E33 zeige, dass Fahrzeuge mit Merkmalen, wie sie in E29 offenbart würden, auch bei der deutschen Bundeswehr bereits vor dem Prioritätszeitpunkt Verwendung gefunden hätten. Eine Erklärung für das späte Vorbringen erfolgte nicht.
Die Kammer übt das ihr gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 zukommende Ermessen derart aus, die Entgegenhaltung E33 nicht in das Verfahren zuzulassen. E33 hätte ebenfalls bereits mit der Beschwerdebegründung vorgebracht werden müssen, insbesondere im Hinblick auf den Versuch des Nachweises von Fachwissen aus einer Vielzahl von Quellen, die weder Übersichtsartikel noch Fachbücher darstellen.
Zudem ist die Vorveröffentlichung des Videos E33 nicht hinreichend bewiesen. Bezüglich des Zeitrangs von E33 verwies die Beschwerdeführerin lediglich auf einen Eintrag unterhalb des Videos "10 Jun 2009 Posted by Video Blogger", der als Hinweis interpretiert wird, dass das Video an diesem Tag "hochgeladen wurde" und somit öffentlich verfügbar gewesen sei. Weitere Beweismittel wurden von der Beschwerdeführerin nicht vorgebracht.
4.2.3 Nicht-Zulassung der Beweismittel E30-E32
Die Dokumente E30 bis E32 wurden im Zusammenhang mit dem Einwand mangelnder erfinderischen Tätigkeit ausgehend vom allgemeinen Fachwissen eingereicht. Die Kammer macht von ihrem Ermessen nach Artikel 12(4) VOBK 2007 Gebrauch und berücksichtigt diese Beweismittel nicht, da sie bereits in der Vorinstanz hätten vorgebracht werden müssen. Die Dokumente sind außerdem prima facie nicht relevant (vgl. diesbezüglich die Mitteilung der Kammer vom 5. Juni 2020, Punkt 9.2). Hierzu wurden in der Verhandlung von der Beschwerdeführerin keine weiteren Angaben gemacht und die Kammer sieht somit keine Veranlassung, von der in der Mitteilung geäußerten Einschätzung abzuweichen.
4.3 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von E29
Auch unter der zu Gunsten der Beschwerdeführerin getroffenen Annahme der Offenkundigkeit der in E29 wiedergegebenen Abbildungen beruht der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche ausgehend von diesen Ausführungsformen auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4.3.1 Offenbarung der E29
Auf dem Foto datiert "1. Juni 1999" ist ein Fahrzeug mit einem Überrollschutz in Form eines Systems von Überrollbügeln offenbart, an denen eine Ringlafette mit einer richtbaren Waffe angeordnet ist. Auf dem Foto datiert "8. Juni 1991" ist eine richtbare Waffe am hinteren Überrollbügel angeordnet. Beide Ausführungs-formen offenbaren also das Merkmal M1.1/M13.1.
4.3.2 Unterscheidungsmerkmale
Für beide Ausführungsformen ist unstreitig, dass die Merkmale M1.2/M13.2 bis M1.4/M.13.4 nicht aus der Abbildung ersichtlich sind.
4.3.3 Aufgabe
In Anlehnung an Absatz [0007] des Patents liegt die Aufgabe darin, ein Fahrzeug mit dem Merkmal M1.1 bereitzustellen, welches schnell von einem Einsatz- in einen Transportzustand mit verminderter Fahrzeughöhe überführbar ist.
4.3.4 Die beanspruchte Lösung ist für den Fachmann nach Ansicht der Beschwerdeführerin unter Berücksichtigung sowohl der Lehre von E7 als auch E21 naheliegend. E7 und E21 offenbaren, dass ein Überrollschutz zur Erzielung einer niedrigen Silhouette (E7, Seite 4, Absatz 3), beziehungsweise eines niedrigen Ladevolumens (E21, Absatz [0004]) absenkbar gestaltet werden kann. Allerdings weisen weder E7 noch E21 eine am Überrollschutz angeordnete Waffe auf und offenbaren somit keine Lehre bezüglich der Lage einer Waffe im Transportzustand.
Der Beschwerdegegnerin ist zuzustimmen, dass für den Fall, dass der Fachmann die Überrollbügel in den beiden Ausführungsformen auf Anregung durch E7 oder E21 absenkbar gestalten würde, zunächst für beide Ausführungsformen aufgrund der baulichen Restriktionen die Abnahme der Waffe vor dem Absenken eine naheliegende Lösung wäre. Dass dann die Waffe nicht mehr einsatzbereit wäre, wie von der Beschwerdeführerin bemängelt, ist im Hinblick darauf, dass die Ansprüche 1 und 13 dies nicht fordern, irrelevant.
Aber selbst wenn die Waffe beim Absenken am Überrollschutz befestigt bliebe, ist deren Lage im Transportzustand nicht zwingend niedriger als der höchste Punkt des Fahrzeugs. Dem Fachmann fehlt aus E7 und E21 jeder Hinweis, die Lage der Waffe in der Transportstellung gemäß Merkmal M1.4/M13.4 bei der Lösung zu berücksichtigen. Auch ist angesichts der Größe der Waffe, deren Befestigung und der Geometrie der in E29 gezeigten Fahrzeuge und Überrollbügel nicht ersichtlich, wie die Konstruktion ohne erfinderisches Zutun so verändert werden kann, dass Merkmal M1.4/13.4 erfüllt wäre.
Damit wird ausgehend von E29 der Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 nicht nahegelegt. Es kann somit dahingestellt bleiben, ob und in welcher Form die in E29 gezeigten Ausführungsformen vor dem Prioritätstag der Öffentlichkeit zugängig waren oder nicht.
4.4 Einwände mangelnder erfinderische Tätigkeit basierend auf allgemeinem Fachwissen als Ausgangspunkt
Wird, wie im vorliegenden Fall, das allgemeine Fachwissen bestritten, so liegt gemäß ständiger Rechtsprechung (Rechtsprechung der Beschwerdekammern, a.a.O., I.D.8.3 sowie I.C.2.8.5) die Beweislast bei demjenigen, der das allgemeine Fachwissen behauptet.
Die Beschwerdeführerin versucht, allgemeines Fachwissen mit Hilfe dreier spezifischer Ausführungsformen in E29 zu belegen. Das derart belegte Wissen des Fachmanns kann daher allenfalls in dem Wissen von der Existenz der in E29 gezeigten individuellen Lösungen bestehen. Wie in Punkt 5.3. diskutiert, ist der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche ausgehend von den in E29 gezeigten individuellen Lösungen erfinderisch. Daran ändert sich auch nichts, wenn diese Lösungen als dem Fachmann bekannte Lösungen angesehen werden.
4.5 Erfinderische Tätigkeit ausgehend von E19 sowie E23
4.5.1 Zulassung der Einwände
Die Einwände ausgehend von E19 und E23 sind nicht erstmalig in der mündlichen Verhandlung im Verfahren benannt worden. So wird E23 in der angefochtenen Entscheidung als Ausgangspunkt verwendet (Punkt II.5.6. der Entscheidung), und die Beschwerdegegnerin selbst verweist gemäß Punkt II.5.1 der angefochtenen Entscheidung (vorletzter Absatz) darauf, dass E19 der nächstliegende Stand der Technik sei. Auch die Kammer wies in ihrer Mitteilung vom 5. Juni 2020 bei der Diskussion des Vorliegens einer erfinderischen Tätigkeit - Punkte 11.1.4 und 11.1.5 - darauf hin, dass die Dokumente E19 und E23 die in Paragraph [0003] der Patentschrift als allgemeines Fachwissen bezeichneten Merkmale M1.1 und M13.1 aufweisen. Das nähere Ausführen dieses bereits im Beschwerdeverfahren befindlichen Einwands einer mangelnden erfinderischen Tätigkeit durch die Beschwerdeführerin kann die Beschwerdegegnerin daher nicht überraschen.
Die entsprechenden Angriffslinien werden daher unter Artikel 13(2) VOBK 2020 zugelassen.
4.5.2 E19 und E23 in Verbindung mit der Offenbarung von E7
Wie bereits bei der Diskussion der Neuheit festgestellt, offenbaren beide Dokumente E19 und E23 einen Überrollschutz in Form einer Panzerung des Fahrzeugs. Auf dem Dach ist jeweils eine Lafette mit einer richtbaren Waffe angebracht. Somit ist für diese beiden Ausgangspunkte das Merkmal M1.1/M13.1 offenbart.
Auch hierfür lässt sich als Aufgabe formulieren, ein Fahrzeug bereitzustellen, welches schnell von einem Einsatz- in einen Transportzustand mit verminderter Fahrzeughöhe überführbar ist.
Allerdings hält es die Kammer für unrealistisch, dass Panzerfahrzeuge mit gepanzerter Dachplatte und Turmluke, wie sie in E19 und E23 beschrieben werden, durch Absenken von Teilen ihrer Panzerung in einen Transportzustand überführt werden. Dies ist schon aufgrund der massiven Gestaltung der Lafette, die die Beschwerdeführerin selbst hervorhebt, für die Fachperson nicht praktikabel.
Die Lehre von E7 richtet sich auf ein leicht gepanzertes Fahrzeug, bei dem zwar die Panzerung abklappbar ist, ohne dass jedoch Hinweise dazu gemacht werden, wie dies gegebenenfalls mit einer auf einem massiven Dach fest montierten, ebenfalls massiven Lafette möglich wäre. Auch finden sich weder in E19 oder E23, noch in E7 Hinweise zur Lage der Waffe im Transportzustand. Somit beruht der Gegenstand der Ansprüche 1 und 13 auch ausgehend von E19 oder E23 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.