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T 2054/18 (Herstellung von Pankreatin-Pellets / NORDMARK) 15-07-2021
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Verfahren zur Herstellung von Pankreatin-Pellets, insbesondere Pankreatin-Mikropellets, und hiernach hergestellte Pankreatin-Pellets
Änderungen - zulässig (ja)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Das europäische Patent Nr. 2 295 039 wurde mit 9 Ansprüchen erteilt. Die unabhängigen Ansprüche des Patents lauteten wie folgt:
"1. Verfahren zur Herstellung eines zu 100 % aus Pankreatin bestehenden Pellets bzw. Mikropellets ohne Hilfsstoffe oder Bindemittel und mit einem Überzug oder ohne einen Überzug sowie mit einer kugeligen oder ellipsoidischen Gestalt, wobei der Kugeldurchmesser bzw. die kurze Achse im Bereich von 0,4 bis 0,8 mm liegt oder mit einer tropfenförmigen Gestalt zur Ausgabe aus einer Tropfenflasche umfassend folgende Schritte:
a.) Zerkleinerung von vom Schwein oder Rind stammenden Pankreasdüsen unter Unterziehung einer Autolyse;
a1.) Gewinnung eines Siebfiltrats durch Filtration des nach Schritt a.) erhaltenen Zwischenproduktes;
a2.) Ausfällung der Enzyme aus dem Siebfiltrat;
a3.) Filtrierung des nach Schritt a2.) erhaltenen Gemisches zur Gewinnung des Filterkuchens;
a4.) Vermahlung und Vakuumtrocknung des Filterkuchens bis zum Erhalt einer Restfeuchte von 0,1 bis 0,3 Gew.-%, wobei das Pankreatinprodukt mit 0,1 bis 0,3 Gew.% Restfeuchte das getrocknete Endprodukt bildet, wohingegen die extrudierbare Filterkuchenmasse eine in der Größenordnung von 50% liegende Restfeuchte bzw. Organlösemittelrückstände enthält;
a5.) Unterziehung des Filterkuchens einer Wärmebehandlung bei 80°C oder bei einer unter 80°C liegenden Temperatur;
a6.) Extrudierung des wärmebehandelten und eine hinreichende Plastizität aufweisenden Filterkuchens unter Ausschluss von Zusatzstoffen und/oder Bindemitteln zur Bildung von Strängen;
a7.) Spheronisation unter Ausschluss von Zusatzstoffen und/oder Bindemitteln oder anderweitigen Hilfsstoffen zur Gewinnung von kugeligen, elliptischen oder tropfenförmigen Pellets."
"3. Pellet bzw. Mikropellet hergestellt nach dem Verfahren gemäß Anspruch 1, dadurch gekennzeichnet, dass das Pellet bzw. das Mikropellet eine Restfeuchte von 0,1 bis 0,3 Gew.-% aufweist und keine Hilfsstoffe oder Bindemittel enthält und zu 100 % aus Pankreatin besteht, eine kugelige oder ellipsoide Gestalt aufweist, wobei der Kugeldurchmesser bzw. die kurze Achse im Bereich von 0,4 bis 0,8 mm liegt, oder eine tropfenförmige Gestalt aufweist und mit einem Überzug versehen ist oder keinen Überzug aufweist."
II. Gegen die Erteilung des Patents wurde Einspruch eingelegt. Als Einspruchsgründe wurden fehlende Neuheit und fehlende erfinderische Tätigkeit (Artikel 100 a) EPÜ), unzureichende Offenbarung (Artikel 100 b) EPÜ) sowie unzulässige Erweiterung des Inhalts (Artikel 100 c) EPÜ) angeführt.
III. Die Einspruchsabteilung kam zu der Entscheidung, das Patent zu widerrufen. Dieser Entscheidung lagen das erteilte Patent als Hauptantrag und 22 am 9. September 2016 eingereichte Hilfsanträge sowie ein während der mündlichen Verhandlung am 11. November 2016 eingereichter Hilfsantrag zugrunde.
IV. Folgende Dokumente wurden inter alia in der Entscheidung der Einspruchsabteilung zitiert:
D2: EP 0 436 110 A1
D3a: TW 310277
D3b: Übersetzung zu D3a
V. Die Einspruchsabteilung führte in ihrer Entscheidung insbesondere Folgendes aus:
a) Der Hauptantrag sowie die Hilfsanträge 1-4 erfüllten die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ nicht.
b) Der Hilfsantrag 5 genüge den Erfordernissen des Artikels 83 EPÜ nicht, weil der Fachmann weder seinem allgemeinen Fachwissen noch dem Streitpatent ein Verfahren zur Herstellung tropfenförmiger Pellets ohne Überzug entnehmen könne.
c) Der Hilfsantrag 6 sei unklar.
d) Der Gegenstand des Hilfsantrags 6b sei gegenüber D2 nicht erfinderisch, da beide Dokumente bereits lehrten, Bindemittel sowie Hilfsstoffe auszuschließen und einen möglichst niedrigen Wassergehalt zu erzielen.
e) Die Hilfsanträge 7-22 erfüllten aus denselben Gründen, wie für den Hilfsantrag 6b ausgeführt, die Erfordernisse des Artikels 56 EPÜ nicht, weil der Sachgegenstand sich in diesen Hilfsanträgen nicht substantiell geändert habe.
VI. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die obige Entscheidung ein.
Mit der Beschwerdebegründung vom 24. Oktober 2018 reichte die Beschwerdeführerin 22 Hilfsanträge ein.
Der Inhalt der Ansprüche, auf denen die vorliegende Entscheidung basiert, lautet wie folgt:
Der am 24. Oktober 2018 eingereichte Hilfsantrag 12 unterschied sich von dem Hauptantrag (Patent wie erteilt) insofern als:
- die Ansprüche für Erzeugnisse, die durch ein Verfahren zu ihrer Herstellung gekennzeichnet waren (d.h. Ansprüche 3-9), gestrichen wurden, und
- die Konjunktion "oder" im Anspruch 1 entweder durch die Konjunktion "und" ersetzt (s. 1. Absatz) oder gestrichen wurde (s. Verfahrensschritte a6.) und a7.)).
VII. Am 15. Juli 2021 fand die mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Wie mit Schreiben vom 9. Juli 2021 angekündigt, nahm die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) an der Verhandlung nicht teil. Im Laufe der mündlichen Verhandlung machte die Beschwerdeführerin den mit der Beschwerdeerwiderung vom 24. Oktober 2018 eingereichten Hilfsantrag 12 zum Hauptantrag und beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents auf der Grundlage des mit der Beschwerdebegründung eingereichten Hilfsantrags 12.
VIII. Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
IX. Die für die vorliegende Entscheidung relevanten Argumente der Beschwerdeführerin lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Die Ansprüche des Hauptantrags basierten auf der ursprünglichen Anmeldung und erfüllten somit die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
b) Der Hauptantrag sei ausreichend offenbart. Insbesondere sei es dem Fachmann möglich, anhand des Verfahrensschritts a6.) und gegebenenfalls des allgemeinen Fachwissens tropfenförmige Pellets gemäß dem vorliegenden Anspruch herzustellen.
c) Die beanspruchten Verfahrensschritte könnten D2 nicht implizit entnommen werden, um zum vorliegenden Verfahren zur Herstellung von Pellets, die ausschließlich aus Pankreatin bestehen, zu gelangen.
X. Die Beschwerdegegnerin hat im Beschwerdeverfahren bezüglich der Verfahrensansprüche, auf die sich der neue Hauptantrag beschränkt, keine detaillierte Argumentation vorgebracht. Die in der Beschwerdeerwiderung bezüglich des erteilten Patents vorgebrachten Argumente sind jedoch zumindest teilweise für den vorliegenden Hauptantrag anwendbar. Diese lassen sich wie folgt zusammenfassen:
a) Wie in der erstinstanzlichen Entscheidung aufgeführt, seien die Erfordernisse der Artikel 123(2) und 83 EPÜ nicht erfüllt.
b) In Abwesenheit jeglicher durch experimentelle Daten belegte vorteilhafte Eigenschaften der vorliegenden Pankreatin Pellets sei fraglich, ob eine Erfindung überhaupt vorhanden sei.
Hauptantrag
1. Änderungen
1.1 Artikel 123(2) EPÜ
1.1.1 Anspruch 1 basiert auf dem ursprünglichen Anspruch 13, wobei inter alia das Merkmal "mit einer kugeligen oder ellipsoidischen Gestalt, wobei der Kugeldurchmesser bzw. die kurze Achse im Bereich von 0,4 bis 0,8 mm liegt oder mit einer tropfenförmigen Gestalt" eingeführt wurde.
Eine Beschreibung der Herstellung von tropfenförmigen Pellets ohne Größenangabe ist auf der ursprünglichen Seite 5, 1. Absatz zu finden. Der gesamte Absatz (ab Seite 4) beschreibt alle Verfahrensschritte und Merkmale des Anspruchs 1 und stellt somit eine geeignete Stütze für die besagte Änderung dar.
1.1.2 Der in der erstinstanzlichen Entscheidung erhobene Einwand bezüglich des angeblichen Ausschlusses von Hilfsstoffen oder Bindemitteln ist nicht länger relevant, da nunmehr die Konjunktion "und" benutzt wird. Diese Formulierung basiert inter alia auf dem ursprünglichen Anspruch 1.
1.1.3 Die Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ wurde für die weiteren im vorliegenden Anspruch 1 durchgeführten Änderungen weder in der erstinstanzlichen Entscheidung noch seitens der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren bemängelt. In diesem Zusammenhang wird bemerkt, dass der lediglich allgemeine Verweis der Beschwerdegegnerin auf das Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren (s. Beschwerdeerwiderung Punkte 10. und 11.) nicht hinreichend substantiiert ist. Der vorliegende Anspruch 2 wurde ebenfalls in diesem Zusammenhang im Beschwerdeverfahren nicht beanstandet. Die Kammer sieht keinen Anlass hiervon abzuweichen.
1.2 Artikel 123(3) EPÜ
1.2.1 Die Beschwerdegegnerin hat im Beschwerdeverfahren keinen Einwand mangelnder Erfüllung der Erfordernisse des Artikels 123(3) EPÜ für den vorliegenden Hauptantrag erhoben.
1.2.2 Die Kammer ist der Auffassung, dass die Formulierung "eines zu 100% aus Pankreatin bestehenden Pellets bzw. Mikropellets ohne Hilfsstoffe oder Bindemittel" im erteilten Anspruch 1 den Ausschluss beider Substanzen beinhaltet (d. h. weder Hilfsstoffe noch Bindemittel können enthalten sein). Folglich ändert der Ersatz der Konjunktion "oder" durch die Konjunktion "und" im vorliegenden Fall den Schutzumfang nicht. Die weiteren Änderungen gegenüber den erteilten Ansprüchen schränken den Schutzumfang ein.
1.3 Die Kammer kommt somit zum Schluss, dass die Ansprüche des Hauptantrags den Erfordernissen der Artikel 123(2) und (3) EPÜ genügen.
2. Ausreichende Offenbarung
2.1 In ihrer Entscheidung beanstandet die Einspruchsabteilung, dass das Patent keine Lehre bezüglich der Herstellung eines tropfenförmigen Pellets ohne Überzug enthalte. Ein entsprechendes Verfahren lasse sich ferner nicht aus dem geläufigen Wissen des Fachmanns ableiten. Die Beschwerdegegnerin hat zu der Frage der ausreichenden Offenbarung im Beschwerdeverfahren keine detaillierten Ausführungen vorgebracht. Wie unter Punkt 1.1.3 erwähnt, ist der lediglich allgemeine Verweis auf das Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren (s. Beschwerdeerwiderung Punkte 10. und 11.) nicht hinreichend substantiiert.
2.2 Der Fachmann erfährt aus dem Patent, dass nach dem Verfahrensschritt a6.) eine plastische Masse erhalten wird (s. Anspruch 1 wie erteilt). Ein direktes Aufarbeiten der besagten Masse (ähnlich wie Kneten) in jeder beliebigen Form erscheint folglich sogar für nicht Fachleute offensichtlich. In Abwesenheit gegenteiliger Anhaltspunkte werden ferner bekannte Verfahren, wie z. B. das Pressen der besagten Masse, als geeignet betrachtet, um diese tropfenförmig zu gestalten. Schließlich bemerkt die Kammer, dass in Absatz [0019] des Streitpatents die Herstellung von überzugsfreien tropfenförmigen Pellets durch Spheronisation allgemein beschrieben ist. In Abwesenheit ernsthafter durch nachprüfbare Tatsachen erhärteter Zweifel ist die Kammer der Auffassung, dass das bestrittene Verfahren ausreichend offenbart ist.
2.3 Der Hauptantrag erfüllt folglich die Erfordernisse des Artikels 83 EPÜ.
3. Neuheit
3.1 Die Beschwerdegegnerin erhob einen Einwand mangelnder Neuheit gegenüber den im erteilten Patent beanspruchten Erzeugnissen. Der vorliegende Hauptantrag enthält jedoch nunmehr keine auf Erzeugnisse gerichteten Ansprüche sondern ausschließlich Verfahrensansprüche. Die Neuheit dieser Ansprüche wurde seitens der Beschwerdegegnerin nicht bemängelt. Die vorliegenden Verfahrensschritte der Ansprüche 1-2 des Hauptantrags werden in keinem der zitierten Dokumente offenbart.
3.2 Die Kammer ist dementsprechend der Auffassung, dass der Gegenstand der Ansprüche des Hauptantrags die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ erfüllt.
4. Erfinderische Tätigkeit
4.1 D2 wurde in der erstinstanzlichen Entscheidung sowie durch beide Parteien im Beschwerdeverfahren als nächstliegender Stand der Technik bevorzugt. Die Kammer sieht keinen Grund hiervon abzuweichen. D2 betrifft die Herstellung von Pankreatin-Partikeln ohne Bindemittel oder Hilfsstoffe mit hohem Enzymgehalt.
4.2 In der erstinstanzlichen Entscheidung wurde lediglich allgemein ausgeführt, dass die Hilfsanträge aus denselben Gründen, wie für den der besagten Entscheidung zugrundeliegenden Hilfsantrag 6 angegeben, nicht erfinderisch seien. Die Kammer bemerkt jedoch, dass der vorliegende Hauptantrag auf Verfahrensansprüche limitiert wurde. Das beanspruchte Verfahren unterscheidet sich von dem in D2 beschriebenen Verfahren durch mehrere spezifische Verfahrensschritte (inter alia Filtrierung, Wärmebehandlung und Extrusion). Diese Unterscheidungsmerkmale wurden in der Argumentation der Einspruchsabteilung bezüglich des besagten Hilfsantrags nicht berücksichtigt, da diese Argumentation die erfinderische Tätigkeit des Erzeugnisses betraf. Die Beschwerdegegnerin hat im Beschwerdeverfahren ebenfalls keine Ausführungen bezüglich der Verfahrensansprüche vorgebracht. In diesem Zusammenhang wird bemerkt, dass der lediglich allgemeine Verweis auf das Vorbringen aus dem Einspruchsverfahren (s. Beschwerdeerwiderung Punkte 4. und 11.) nicht hinreichend substantiiert ist. Auf geeignete Weise begründete Einwände mangelnder erfinderischer Tätigkeit liegen somit für den beanspruchten Gegenstand nicht vor. Die Kammer erkennt ferner keine Anhaltspunkte, zu schlussfolgern, dass ausgehend von D2 die beanspruchte Kombination dieser Verfahrensschritte dem Fachmann offensichtlich erschienen wäre, um ein weiteres Verfahren zur Herstellung von 100%-Pankreatin haltigen Pellets mit einer niedrigen Restfeuchte bereitzustellen. Dieselbe Schlussfolgerung würde sich ausgehend von D3a als nächstliegendem Stand der Technik ergeben.
4.3 Der Hauptantrag wird dementsprechend als erfinderisch betrachtet (Artikel 56 EPÜ).
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen mit der Anordnung das Patent aufrechtzuerhalten auf der Basis der Ansprüche des ehemaligen Hilfsantrags 12 (nunmehr Hauptantrag) und einer gegebenenfalls hieran anzupassenden Beschreibung.