T 1496/19 05-08-2022
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ABSTANDSHALTERPROFIL UND ISOLIERSCHEIBENEINHEIT MIT EINEM SOLCHEN ABSTANDSHALTERPROFIL
Ausführbarkeit (ja)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Patentinhaberin legte Beschwerde gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit der das Patent in der Fassung des damaligen Hilfsantrags 1 aufrechterhalten wurde.
Nach Ansicht der Einspruchsabteilung war der Gegenstand von Anspruch 1 des erteilten Patents zwar ausführbar, aber nicht neu gegenüber der Entgegenhaltung D1.
II. Am 5. August 2022 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
III. Die Anträge der Parteien lauteten wie folgt:
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung, das heißt die Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt (Hauptantrag), oder die Aufrechterhaltung des
Patents auf der Grundlage von
- Hilfsantrag I, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 23. Juli 2019,
- Hilfsantrag II, eingereicht mit Schriftsatz vom 6. Juli 2022,
- Hilfsantrag III, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 23. Juli 2019 als Hilfsantrag II,
- Hilfsantrag IV, eingereicht mit Schriftsatz vom 6. Juli 2022,
- Hilfsantrag V, eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 23. Juli 2019 als Hilfsantrag III.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde.
IV. Die folgenden Dokumente wurden verwendet:
D1: DE 198 32 731 A1
D2: WO 2006/027146 A1
D6: US 4 719 728
Anlage B: "Berechnung der Lage der neutralen Faser des
Abstandhalterprofils des Patents EP 2 513 401 Bl"
Anlage B2: "Finite-Element-Simulation des Biegevorgangs des Abstandhalterprofils gemäß Fig. 3a des Patents EP 2 513 401 B1"
Anlage C: Fotodokumentation von gebogenen Abstandshalterprofilen des Jahres 2009 und eidesstattliche Versicherung von Herrn Marc Rehling.
V. Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) lautet (mit hinzugefügten Merkmalsbezeichnungen):
"[1.1] Abstandshalterprofil zur Verwendung in einem Abstandshalterrahmen (50) einer Isolierscheibeneinheit für Türen- oder Fenster- oder Fassadenelemente, die Scheiben (51, 52) mit einem Zwischenraum (53) zwischen diesen aufweist, mit
[1.2] einem Hohlprofilkörper (10) aus einem Kunststoffmaterial mit einer Kammer (20) zur Aufnahme von hygroskopischem Material,
- der sich in einer Längsrichtung (Z) erstreckt, und
- der eine Innenwand (12), die in dem zusammengesetzten Zustand der Isolierscheibeneinheit in Richtung des Zwischenraums (53) zwischen den Scheiben (51, 52) der Isolierscheibeneinheit weist und die Kammer begrenzt, auf der der Innenwand (12) in einer Höhenrichtung (Y), die senkrecht zu der Längsrichtung Z ist, entgegengesetzten Seite der Kammer (20) eine Außenwand (14) und lateral in einer Querrichtung (X), die senkrecht zu der Längsrichtung (Z) und zu der Höhenrichtung (Y) ist, eine erste Seitenwand (16) und gegenüber eine zweite Seitenwand (18), die mit der Innenwand (12) und der Außenwand (14) zur Bildung der Kammer (20) verbunden sind, aufweist,
[1.3] einer ersten Verstärkungsschicht (22) aus einem ersten Metallmaterial mit einer ersten spezifischen Wärmeleitfähigkeit (lambda1), die sich einstückig auf und optional abschnittsweise in der ersten Seitenwand (16) mit gleichbleibendem Querschnitt senkrecht zu und in der Längsrichtung (Z) erstreckt und eine erste Dicke (d1) aufweist,
[1.4] einer zweiten Verstärkungsschicht (24) aus einem zweiten Metallmaterial mit einer zweiten spezifischen Wärmeleitfähigkeit (lambda2), die sich einstückig auf und optional abschnittsweise in der zweiten Seitenwand (18) mit gleichbleibendem Querschnitt senkrecht zu und in der Längsrichtung (Z) mit einem ersten Abstand (a1) von der ersten Verstärkungsschicht (22) erstreckt, und eine zweite Dicke (d2) aufweist, und
[1.5] einer Diffusionssperrschicht (26; 266) mit einer dritten Dicke (d3; d33) und einer dritten spezifischen Wärmeleitfähigkeit (lambda3, lambda33), die auf der Außenwand (14) mindestens zwischen der ersten Verstärkungsschicht (22) und der zweiten Verstärkungsschicht (24) ausgebildet und diffusionsdicht mit denselben zur Bildung einer Diffusionssperre (27) verbunden ist,
[1.6] bei dem das Produkt aus der dritten spezifischen Wärmeleitfähigkeit (lambda3, lambda33) und der dritten Dicke (d3; d33) kleiner als das Produkt aus der ersten spezifischen Wärmeleitfähigkeit (lambda1) und der ersten Dicke (d1) und kleiner als das Produkt aus der zweiten spezifischen Wärmeleitfähigkeit (lambda2) und der zweiten Dicke (d2) ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
[1.7] das Abstandshalterprofil derart ausgebildet ist, dass die Diffusionssperrschicht (26; 266) beim Biegen des Abstandshalterprofils um 90° um eine Achse parallel zu der Querrichtung (X) derart, dass die Innenwand (12) bezüglich des Biegeradius weiter innen als die Außenwand (14) liegt, im Wesentlichen auf der neutralen Faser liegt."
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin können wie folgt zusammengefasst werden.
Ausführbarkeit
Das Patent offenbare die Erfindung gemäß Anspruch 1 wie erteilt so deutlich und vollständig, dass eine Fachmann sie ausführen könne. Insbesondere offenbarten die Absätze [0043] bis [0045] und Figur 15, wie das Merkmal 1.7 des kennzeichnenden Teils von Anspruch 1 ausgeführt werden könne.
Neuheit
D1 offenbare unstreitig die Merkmale 1.1 bis 1.6 des erteilten Anspruchs 1, aber keine Ausgestaltung des Abstandshalterprofils gemäß Merkmal 1.7. Daher sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 neu.
Erfinderische Tätigkeit
Das Merkmal 1.7 schütze die Diffusionssperrschicht beim Biegen vor Beschädigungen. Hätte der Fachmann diese Aufgabe lösen wollen, hätte er die Diffusionssperrschicht einfach dicker gemacht. Er hätte die Außenwand zwar auch in einem geführten Biegeprozess spannungsfrei führen können, dabei aber nicht die in Merkmal 1.7 verlangte Ausgestaltung des Profils erreicht. Für die Idee, die Ausweichbewegung der Außenwand beim Biegen dazu zu verwenden, die Diffusionssperrschicht kontrolliert auf die neutrale Faser zu versetzen, habe es im Stand der Technik hingegen keine Anregung gegeben, so dass dies ohne Rückschau nicht naheliegend gewesen sei.
D2 und D6 offenbarten zwar dem Streitpatent ähnliche Profilquerschnitte, aber nicht, dass das Profil so ausgestaltet sei, dass die Außenwand beim Biegen gemäß Merkmal 1.7 auf der neutralen Faser zu liegen komme. Die unterschiedlichen Profile in D1, D2 und D6 seien auch nicht miteinander vereinbar. Daher hätte eine Kombination der Dokumente D1, D2 und D6 den Fachmann nicht auf naheliegende Weise zum Gegenstand des erteilten Anspruch 1 geführt.
VII. Die Argumente der Beschwerdegegnerin waren im Wesentlichen wie folgt.
Ausführbarkeit
Keines der Ausführungsbeispiele im Streitpatent erfülle die Forderung von Merkmal 1.7, so dass das Streitpatent nicht offenbare, wie die Erfindung des erteilten Anspruchs 1 ausführbar sei. Selbst wenn die Einklappbewegung der Außenwand gemäß den Absätzen [0043] bis [0045] und Figur 15 unter den Anspruchswortlaut falle, hänge die Bewegung von so vielen Parametern ab, für die das Streitpatent keine konkreten Werte angebe, dass der Fachmann ohne unzumutbaren Versuchsaufwand nicht in der Lage sei, die Erfindung wie beansprucht zu realisieren. Daher sei die Erfindung nicht so offenbart, dass sie ausführbar sei.
Neuheit
Da Merkmal 1.7 des erteilten Anspruchs nur das zu erreichende Ergebnis, nicht aber die hierfür erforderlichen Mittel offenbare, sei die Bedingung so breit auszulegen, dass auch die in D1 stattfindende Ausweichbewegung der Außenwand sie erfülle. Daher offenbare D1 implizit auch das breit gefasste Merkmal 1.7.
Erfinderische Tätigkeit
Der Fachmann wäre ausgehend von Figur 4 der D1 in Verbindung mit D2 oder D6 oder ausgehend von D2 in Verbindung mit D1 auf naheliegende Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt.
D2 offenbare, dass sich der Wärmedurchgang durch eine W-Form der Seitenwände verringern lasse (Figur 4a; Absatz [0047]). Daher hätte der Fachmann die Seitenwände des Profils der D1 mit der W-Form von Figur 4a der D2 ausgestaltet. Die Geometrie der Figur 4a der D2 sei identisch mit der Geometrie der Figur 5a des Streitpatents, welche gemäß den Absätzen [0057] und [0059] ohne weitere Merkmale wie eine Wölbung das Merkmal 1.7 erfülle. Somit wäre der Fachmann ausgehend von D1 auf naheliegende Weise zum Anspruchsgegenstand gelangt.
Alternativ hätte er ausgehend von D2 zur weiteren Reduktion des Wärmeübergangs die Verstärkungsschicht wie in D1 in der Mitte der Außenwand durch eine dünnere Diffusionssperrschicht unterbrochen und wäre dabei ebenfalls zum Anspruchsgegenstand gelangt.
D6 offenbare ein Abstandshalterprofil mit Kerben (11, 12, Figur 1), die beim Biegen zum Einklappen der Seitenwände des Profils (Figur 2) führten. Hierdurch würden die Innen- und Außenwand in Kontakt miteinander und im Wesentlichen auf die neutrale Faser geführt (Spalte 4, Zeilen 3 bis 27), so dass Spannungen beim Biegen verhindert würden. Ausgehend von D1 hätte der Fachmann den Klappmechanismus von D6 zur Lösung der Aufgabe verwendet, und wäre dabei ebenfalls zum Anspruchsgegenstand gelangt.
Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheide sich von D1 durch das Merkmal 1.7, welches die Aufgabe löse, eine Beschädigung der Diffusionssperrschicht beim Biegen zu verhindern. Es sei fachbekannt gewesen, dass die Ursache für Beschädigungen in den Zug- und Druckspannungen beim Biegen liege. Daher hätte der Fachmann zur Lösung der Aufgabe versucht, die Diffusionssperrschicht zug- und druckspannungsfrei zu halten.
Hierzu hätte er auf naheliegende Weise entweder das Profil in einem Biegeprozess so geführt, dass die Außenwand mit der Diffusionssperrschicht spannungsfrei geblieben wäre, und wäre so auf naheliegende Weise zu Merkmal 1.7 gelangt. Oder er hätte sich die fachbekannte Ausweichbewegung der Außenwand zunutze gemacht, um die Diffusionssperrschicht wie im Streitpatent auf die neutrale Faser zu versetzen. Somit wäre der Fachmann ausgehend von D1 bereits aufgrund seines allgemeinen Fachwissens auf naheliegende Weise zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gelangt.
1. Ausführbarkeit, (Artikel 100 b) EPÜ)
1.1 Anspruch 1 betrifft ein Abstandshalterprofil zur Verwendung in einem Abstandshalterrahmen einer Isolierscheibeneinheit für Türen- oder Fenster- oder Fassadenelemente.
Das Abstandshalterprofil ist als Hohlprofil ausgebildet, welches den Zwischenraum der Isolierscheiben nach außen dampfdiffusionsdicht abschließen und senkrecht zur Glasebene eine möglichst geringe Wärmeleitfähigkeit aufweisen muss. Zu diesem Zweck sind die zwischen den Isolierscheiben anliegenden Seitenwände und jeweils ein Teil der Außenwand mit einer diffusionsdichten aber noch relativ gut wärmeleitenden Verstärkungsschicht aus einem Metallmaterial ausgebildet. Die Verstärkungsschichten sind auf der Außenwand unterbrochen und durch eine dünnere und/oder schlechter wärmeleitende Diffusionssperrschicht überbrückt.
Um aus dem Abstandshalterprofil einen Abstandshalterrahmen herzustellen, müssen die Hohlprofile gebogen werden. Dabei entsteht die Problematik, dass die empfindliche Diffusionssperrschicht auf der Außenwand durch Zugbelastung beim Biegen beschädigt werden kann oder, um dem entgegenzuwirken, auf Kosten höherer Wärmeleitung stärker ausgeführt werden muss.
1.2 Um dieser Problematik zu begegnen (vgl. Absatz [0014]) verlangt Anspruch 1 im kennzeichnenden Teil, dass "das Abstandshalterprofil derart ausgebildet ist, dass die Diffusionssperrschicht beim Biegen des Abstandshalterprofils um 90° um eine Achse parallel zu der Querrichtung derart, dass die Innenwand bezüglich des Biegeradius weiter innen als die Außenwand liegt, im Wesentlichen auf der neutralen Faser liegt" (Merkmal 1.7).
1.3 Die Beschwerdeführerin argumentierte, die Absätze [0044], [0045] und Figur 15 offenbarten, wie das Merkmal 1.7 ausgeführt werden könne.
1.4 Die Beschwerdegegnerin trug wie folgt vor.
Die "neutrale Faser" sei in fachüblicher Weise als derjenige Ort zu verstehen, an dem die beim Biegen auftretenden Zug- und Druckkräfte im Material sich ausglichen. Die neutrale Faser sei daher nur im materialgefüllten Raum definiert.
Merkmal 1.7 verlange, dass die Diffusionssperrschicht "beim Biegen" im Wesentlichen auf der neutralen Faser "liegt". Das Merkmal 1.7 verlange eine räumliche Lage und nicht eine im Wesentlichen spannungsfreie Diffusionssperrschicht. Der Begriff "liegt" bringe eine statische, nicht nur punktuelle, räumliche Lage am Ort der neutralen Faser zum Ausdruck. "Beim Biegen" gebe die Rahmenbedingungen für die Kräfte und die Lage der neutralen Faser an. Da die Lagebedingung statisch sei, müsse die Diffusionssperrschicht anspruchsgemäß während des gesamten Biegevorgangs unverändert auf der neutralen Faser liegen. Der Zusatz "im Wesentlichen" beziehe sich wie üblich nur auf Fertigungs- und Messtoleranzen und schwäche die Forderung von Merkmal 1.7 daher nicht ab.
Wie die Simulationsergebnisse in Anlage B2 zeigten, liege die neutrale Faser zu Beginn des Biegevorgangs in den Seitenwänden des Hohlprofils. Die Außenwand gerate beim Biegen hingegen unter Zugspannung, so dass sich dort keine neutrale Faser ausbilde. Daher befinde sich die Diffusionssperrschicht zu Beginn des Biegevorgangs nicht in der Nähe der neutralen Faser. Die Simulationsergebnisse in Anlage B2 zeigten auch, dass die Diffusionssperrschicht während des gesamten Biegevorgangs unter einer gewissen, wenn auch geringen Zugspannung stehe und daher bis zum Ende des Biegevorgangs nie auf der neutralen Faser liege.
Das Streitpatent offenbare zwar einen Mechanismus, bei dem die Außenwand im weiteren Verlauf des Biegevorgangs "einklappt" und durch die auftretenden Zugkräfte "in Richtung der neutrale Faser versetzt" werde (Absatz [0044], Figur 15). Dieses Ausführungsbeispiel definiere jedoch einen dynamischen Prozess, der nicht zu dem statischen Ausdruck "liegt" in Merkmal 1.7 passe. Der Mechanismus beruhe zudem darauf, dass auch während des Einklappens noch Zugkräfte auf die Außenwand wirkten, so dass diese sich nicht am Ort der neutralen Faser befinden könne. Dies komme auch in der Formulierung zum Ausdruck, dass die Außenwand beim Einklappen "in Richtung der neutralen Faser versetzt" werde, sich also noch nicht am Ort der neutralen Faser befinden könne. Daher liege die neutrale Faser auch während des Einklappens ausschließlich in den Seitenwänden. Somit komme die Diffusionssperrschicht "beim Biegen" nicht auf der neutralen Faser zu liegen. Das Streitpatent enthalte somit keine Offenbarung, wie der Fachmann das Merkmal 1.7 ausführen könne.
Schließlich sei die Erfindung selbst dann nicht ausführbar, wenn das Merkmal 1.7 so auszulegen wäre, dass das Ausführungsbeispiel von Figur 15 und Absatz [0044] darunterfalle. Denn gemäß Absatz [0045] sei eine Feinabstimmung so vieler Merkmale und Parameter aufeinander nötig, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen, dass es für den Fachmann nicht möglich und zumutbar sei, durch Versuche selbst ein nacharbeitbares Ausführungsbeispiel zu finden. Das Streitpatent offenbare außer der schematischen Figur 15 keine konkreten Werte für diese Dimensionen. Daher sei die Erfindung gemäß Anspruch 1 nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne.
1.5 Es stimmt, dass die neutrale Faser als Zug- und Druckfreier Bereich nur im materialgefüllten Raum eines Körpers definiert ist. Dies stimmt auch mit dem Verständnis des Streitpatents überein, wonach die neutrale Faser "der beim Biegen keine Dehnung oder Stauchung erfahrenden Zone des Materials" entspricht (Absätze [0014] und [0043]).
1.6 Die von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Anlagen B und B2 stellen Simulationsergebnisse der Zug- und Druckspannungsverhältnisse auf der Oberfläche eines nach dem Streitpatent modellierten Hohlprofils in verschiedenen Stadien des Biegevorgangs dar. Demnach bildet sich die neutrale Faser zu Beginn des Biegevorgangs ausschließlich in den Seitenwänden des Hohlprofils aus.
Merkmal 1.7 ist so formuliert, dass es in der Tat eine räumliche Lage der Diffusionssperrschicht am Ort der neutralen Faser verlangt. Das Merkmal 1.7 ist noch nicht erfüllt, wenn die Diffusionssperrschicht lediglich im Wesentlichen spannungsfrei bleibt. Die Bedingung von Merkmal 1.7 ist daher in den Ausführungsbeispielen des Streitpatents zu Beginn des Biegevorgangs nicht erfüllt.
1.7 Jedoch ist Merkmal 1.7 nicht so zu verstehen, dass sich die Diffusionssperrschicht schon zu Beginn und während des gesamten Biegevorgangs am Ort der neutralen Faser befinden muss, auch wenn der Begriff "liegt" einen passiven, statischen Beiklang haben mag.
Vielmehr war dem Fachmann, auch aufgrund der Lehre des Streitpatents, bewusst, dass beim Biegen die Innenwand gestaucht und die Außenwand gedehnt wird (Absatz [0043]) und sich die auf der Außenwand gelegene Diffusionssperrschicht (Figur 3a oder 4a) daher nicht schon zu Beginn des Biegevorgangs auf der neutralen Faser befunden haben konnte. Der Fachmann hätte das Merkmal 1.7 folglich nicht als Forderung einer während des gesamten Biegevorgangs unveränderlichen Lage verstanden.
1.8 Daher genügt die Versetzungsbewegung gemäß den Absätzen [0044], [0045] und Figur 15 zur Erfüllung von Merkmal 1.7, wenn die Diffusionssperrschicht dadurch im Verlauf des Biegevorgangs im Wesentlichen auf der neutralen Faser zu liegen kommt.
1.9 Bei der Einklappbewegung wird gemäß Absatz [0044] die Außenwand "in Richtung der neutralen Faser versetzt". Dieser Ausdruck gibt die Richtung der Einklappbewegung ausgehend von der ursprünglichen Lage der Außenwand an.
Dies schließt jedoch nicht aus, dass die Außenwand bzw. die auf ihr befindliche Diffusionssperrschicht bereits während des Einklappens im Wesentlichen auf der neutralen Faser zu liegen kommt.
Der Einklappprozess beruht nämlich nicht darauf, dass Zugkräfte auf den mittleren Bereich der bereits eingeklappten Außenwand wirken. Vielmehr wird die Einklappbewegung durch die Spannungen in den verbleibenden "Wülsten" im Randbereich zwischen Seitenwänden und Außenwand (bei den Referenzzeichen 22, 24 in Figur 15) in Verbindung mit den Kerben 32 getrieben. Daher ist es, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, durchaus möglich, die Diffusionssperrschicht auf oder sogar über die Verbindungslinie der neutralen Faser in den Seitenwänden hinweg zu versetzen. Daher ist es nicht abwegig, dass die neutrale Faser durch die nach innen versetzte Außenwand verläuft und die Diffusionssperrschicht im Wesentlichen, das heißt im Rahmen der üblichen Fertigungs- und Messtoleranzen, auf der neutralen Faser zu liegen kommt.
1.10 Die von der Beschwerdegegnerin vorgetragenen Argumente begründen folglich keine Zweifel daran, dass es grundsätzlich möglich ist, die Diffusionssperrschicht beim Biegen auf die neutrale Faser zu versetzen. Auch die Simulationsergebnisse in Anlage B2 können hierzu nicht herangezogen werden, da sie die Spannungsverhältnisse nur an der Oberfläche des Hohlprofils und nur für eine exemplarische Geometrie zeigen.
1.11 Die Kammer hat auch keine Zweifel, dass es für den Fachmann durch einfache Versuche (oder Simulationen) entlang der Lehre des Streitpatents in den Absätzen [0043] bis [0045] möglich ist, die Geometrie so zu gestalten, dass das Merkmal 1.7 erfüllt wird.
1.12 Folglich ist die Erfindung gemäß Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) im Streitpatent so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Der Einspruchsgrund von Artikel 100 b) EPÜ trifft daher nicht zu.
2. Neuheit
2.1 Es ist unstreitig, dass D1 ein Abstandshalterprofil mit den Merkmale 1.1 bis 1.6 des erteilten Anspruchs 1 offenbart.
2.2 Mit dem oben dargestellten Verständnis verlangt Merkmal 1.7 eine Ausgestaltung des Abstandshalterprofils derart, dass die Diffusionssperrschicht während des Biegevorgangs um 90° im Wesentlichen auf der neutralen Faser liegt oder zu liegen kommt. Die konkrete Ausgestaltung, die hierzu erforderlich ist, ist in Anspruch 1 nicht angegeben.
2.3 Die Beschwerdegegnerin trug vor, das Ausführungsbeispiel gemäß Figur 4 der D1 offenbare implizit auch das Merkmal 1.7.
Denn auch dort käme es beim Biegen zu Spannungen, die eine Ausweichbewegung der Außenwand nach innen bewirkten. Wie durch die Simulationsergebnisse und den letzten Satz der Erklärung auf Seite 1 der Anlage B2 sowie die Fotodokumentation von gebogenen Profilen in Anlage C belegt, war dies fachbekannt.
Da Anspruch 1 die Mittel nicht spezifiziere, die die Diffusionssperrschicht präzise auf die neutrale Faser befördere, sei es gerechtfertigt die Begriffe "im Wesentlichen" und "liegt" so breit auszulegen, dass das Merkmal 1.7 auch bei der unspezifischen Einklappbewegung in D1 erfüllt werde, da auch dort die Diffusionssperrschicht zumindest zeitweilig "im Wesentlichen" auf die neutrale Faser befördert werde.
2.4 In der Tat waren sich die Parteien einig, dass es auch in D1 beim Biegen zu einer Einklappbewegung der Außenwand nach innen kommen kann. D1 offenbart jedoch nicht unmittelbar und eindeutig, wie weit sich die Außenwand bewegt und wo die neutrale Faser liegt. Mangels konkreter Angaben zu Material, Struktur und Geometrie des Profils ist es auch nicht implizit offenbart, ob die Diffusionssperrschicht beim Biegen auf der neutralen Faser zu liegen kommt. Anlage B2 und die Fotodokumentation der Anlage C betreffen nicht das Profil der D1 und taugen daher auch nicht als Beleg hierfür.
Es stimmt zwar, dass Anspruch 1 die Mittel, die streitpatentgemäß zur Erzielung der kontrollierten Einklappbewegung erforderlich sind, nicht spezifiziert. Es besteht deshalb jedoch kein Anlass, die ansonsten klar formulierte Forderung von Merkmal 1.7 breiter als üblich auszulegen. Daher umfasst "im Wesentlichen" nur die üblichen Fertigungs- und Messtoleranzen, so dass größerer Abstände das Merkmal 1.7 nicht erfüllen. Ebenso erfüllt eine lediglich kurzzeitige Nähe der Diffusionssperrschicht zur neutralen Faser nicht den Begriff "liegt" von Merkmal 1.7.
Die Einklappbewegung des Profils der D1 offenbart daher nicht das Merkmal 1.7.
2.5 Die Einspruchsabteilung hat in der angefochtene Entscheidung festgestellt, das Merkmal 1.7 sei in D1 offenbart, weil das Profil der D1 in einem Biegeverfahren mit speziellen Randbedingungen so gebogen werden könne, dass die Außenwand keinen Zug- und Druckkräften ausgesetzt werde und die Diffusionssperrschicht daher während des gesamten Biegevorgangs im Wesentlichen auf der neutralen Faser liege.
Gegen diese Auffassung, die von der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren bezüglich der Neuheit nicht vertreten wurde, wehrte sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Beschwerde zurecht.
Denn das Merkmal 1.7 verlangt nicht allein, dass die Diffusionssperrschicht beim Biegen auf der neutralen Faser liegt, sondern fordert eine Ausgestaltung des Profils, die dies gewährleistet. Da sich das Merkmal auf ein nicht näher spezifiziertes Biegen bezieht, muss es zumindest bei den fachüblichen Biegeverfahren erfüllt sein. Ein spezielles Biegeverfahren, bei dem die Außenwand spannungsfrei bleibt, ist in D1 nicht offenbart und auch nicht fachüblich, da dabei die Spannungen auf die Innen- und Seitenwände und die Faltenbildung erheblich verstärken würden. Daher ist die von der Einspruchsabteilung herangezogene Tatsache, dass das Profil unter Umständen so gebogen werden könnte, dass die neutrale Faser in der Diffusionssperrschicht liegt, nicht neuheitsschädlich.
2.6 Folglich ist der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) neu gegenüber D1. Der Einspruchsgrund von Artikel 100 a) in Verbindung mit den Artikeln 52 (1) und 54 EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Streitpatents in unveränderter Form nicht entgegen.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Kombinationen D1 + D2, D2 + D1 und D1 + D6
3.1.1 D2 offenbart in Figur 4a ein Abstandshalterprofil mit derselben Geometrie wie in den Ausführungsbeispielen der Figuren 4a oder 5a des Streitpatents, welche gemäß den Absätzen [0057] und [0059] auch ohne Wölbung das Merkmal 1.7 erfüllen sollen. Die Darstellung in den Figuren 4a und 5a des Streitpatents ist jedoch nur schematisch. Eine Ähnlichkeit oder Übereinstimmung von Figur 4a der D2 mit den Figuren des Streitpatent bedeutet daher nicht, dass D2 die anspruchsgemäße Einklappbewegung offenbart, insbesondere nicht so, dass die Außenwand im Wesentlichen auf der neutralen Faser zu liegen kommt.
Somit offenbaren weder D1 (siehe oben) noch D2 das Merkmal 1.7, so dass der Gegenstand von Anspruch 1 auch durch eine Kombination von D1 und D2 nicht nahegelegt ist.
3.1.2 Das Profil in D6 ist mit Kerben (11, 12, Figur 1) versehen, die beim Biegen ein Einklappen der Seitenwände bewirken (Figur 2; Spalte 4, Zeilen 3 bis 27). Dadurch werden Spannungen vermieden (Spalte 3, Zeilen 62 bis 66) und die Innen- und Außenwand einander bis zur Berührung angenähert (Spalte 4, Zeilen 22 bis 24).
Der Fachmann hätte diesen Mechanismus der D6 aber nicht in D1 eingesetzt. Denn das Einklappen der Seitenwände ist nicht mit dem Aufbau des Profils gemäß Figur 4 der D1 vereinbar. Bei diesem weisen die Seitenwände jeweils Einbuchtungen zur gezielten Verlängerung des Wegs entlang der gut wärmeleitenden Verstärkungsschichten auf. Sie sind daher nicht faltbar.
Es kann folglich dahingestellt bleiben, ob der in D6 dargestellte Faltmechanismus die auf der Außenwand aufgebrachte Diffusionssperrschicht überhaupt im Wesentlichen auf die neutralen Faser transportiert und so implizit das Merkmal 1.7 offenbart.
Somit wäre der Fachmann auch ausgehend von D1 in Verbindung mit D6 nicht auf naheliegende Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt.
3.2 D1 in Verbindung mit dem allgemeinen Fachwissen
3.2.1 Das Unterscheidungsmerkmal 1.7 bewirkt unstreitig, dass die Diffusionssperrschicht beim Biegen kaum gedehnt oder gestaucht wird und daher dicht bleibt. Es löst daher die von der Beschwerdegegnerin vorgetragene objektive technische Aufgabe, eine Beschädigung der Diffusionssperrschicht beim Biegen zu verhindern.
3.2.2 Die Beschwerdegegnerin argumentierte weiter, es gehöre zum Fachwissen, dass die Gefahr der Beschädigung von Zug- und Druckspannungen ausgehe. Daher hätte der Fachmann zur Lösung der gestellten Aufgabe nach Möglichkeiten gesucht, die Diffusionssperrschicht beim Biegen im Wesentlichen zug- und druckspannungsfrei zu halten.
Eine naheliegende Möglichkeit hierfür sei es gewesen, den Biegeprozess so zu führen, dass die neutrale Faser im Wesentlichen in der Diffusionssperrschicht liege.
Eine zweite Möglichkeit hätte darin bestanden, die fachbekannte Ausweichbewegung der Außenwand beim Biegen in einen Bereich geringere Zugspannung auszunutzen, um die Diffusionssperrschicht im Wesentlichen auf die neutrale Faser zu befördern.
Mit beiden Möglichkeiten wäre der Fachmann auf naheliegende Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt.
3.2.3 Wie bereits unter Punkt 2.5 oben dargelegt, erfüllt ein spezielles Biegeverfahren, bei dem die neutrale Faser im Wesentlichen in der Diffusionssperrschicht liegt, jedoch noch nicht das Merkmal 1.7. Auf diese Weise wäre der Fachmann daher nicht zum Gegenstand von Anspruch 1 gelangt.
3.2.4 Die genannte zweite Möglichkeit hätte zwar zum Gegenstand von Anspruch 1 geführt, war für den Fachmann aber aus den folgenden Gründen ohne Rückschau nicht naheliegend.
Die gestellte Aufgabe lautet: eine Beschädigung der Diffusionssperrschicht beim Biegen zu verhindern.
Dabei hätte es bereits eines ersten gedanklichen Schrittes bedurft, diese Aufgabe gerade dadurch lösen zu wollen, dass die Diffusionssperrschicht möglichst zug- und druckspannungsfrei gehalten wird. Da sich die Diffusionssperrschicht jedoch auf der Außenwand befindet, wo die höchsten Zugkräfte auftreten, war es für den Fachmann nicht ersichtlich, wie er eine Zug- und Druckspannungsfreiheit der Diffusionssperrschicht dort hätte realisieren können. Erst ein weiterer gedanklicher Schritt hätte den Fachmann möglicherweise auf die Idee gebracht, die Diffusionssperrschicht an einem anderen Ort anzuordnen.
Für die Idee, die Ausweichbewegung der Außenwand zu diesem Zweck auszunutzen, und diese gezielt so zu gestalten, dass die Diffusionssperrschicht beim Biegen im Wesentlichen auf die neutrale Faser versetzt wird, wären jedoch noch weitere Erkenntnisse und gedankliche Schritte nötig gewesen. Da sich hierfür im Stand der Technik keine Anregung findet, können diese ohne rückschauende Betrachtung nicht mehr als naheliegend angesehen werden.
3.2.5 Daher wäre der Fachmann auch ausgehend von D1 in Verbindung mit seinem Fachwissen nicht auf naheliegende Weise zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) gelangt.
3.3 Der Gegenstand von Anspruch 1 des erteilten Patents (Hauptantrag) beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit, so dass der Einspruchsgrund von Artikel 100 a) in Verbindung mit den Artikeln 52 (1) und 56 EPÜ nicht zutrifft.
4. Somit steht keiner der von der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form wie erteilt entgegen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird in unveränderter Form wie erteilt aufrechterhalten.