T 1785/19 (Totmannschalter mit Bewegungssensor/SCHWEIZER ELECTRONIC AG) 05-12-2023
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Verfahren zur Überwachung eines Sicherheitspostens und entsprechende Vorrichtung
Einspruchsgrund Neuheit steht Aufrechterhaltung entgegen
Neuheit - (nein)
Neuheit - Hilfsantrag 1
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsantrag 2
Erfinderische Tätigkeit - Bonuseffekt
Erfinderische Tätigkeit - Zeitfaktor
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
I. Die vorliegenden Beschwerden der Patentinhaberin und der Einsprechenden richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung vom 18. April 2019, mit der festgestellt wurde, dass das Streitpatent in der Fassung des damaligen Hilfsantrages 2 den Erfordernissen des Übereinkommens genügt.
II. Es wird auf die folgenden Dokumente Bezug genommen:
E3 |"Motorola Zusatzkarte für Totmannfunktion" |
E3.1|Screen Shot Google Recherche nach E3 |
B1 |Broschüre "Motorola GP680: The Versatile Radio"|
B2 |Broschüre "Motorola Two-Way Radios P Series" |
B3 |Specification sheet "Motorola GP680" |
III. Am 5. Dezember 2023 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Die abschließenden Anträge der Beteiligten waren wie folgt:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte,
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Streitpatent in der erteilten Fassung aufrechtzuerhalten, hilfsweise,
das Streitpatent in geänderter Fassung auf Grundlage des Hilfsantrags 1 vom 14. November 2018 aufrechtzuerhalten, weiter hilfsweise,
die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen.
IV. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag (also wie erteilt) lautet wie folgt
a)|"Verfahren zur Überwachung eines Sicherheitspostens(10, 15) zur Sicherung von Baustellen an Bahngeleisen gegenüber herannahenden Zügen, wobei |
b)|durch ein Detektionsmodul (21) die Aufmerksamkeitsparameter des Sicherheitspostens (10, 15) detektiert werden und |
c)|ein Alarmsignal (AS) an eine Alarmzentrale (30) durch ein Übermittlungsmodul (25) übermittelt wird, wenn die Aufmerksamkeitsparameter des Sicherheitspostens (10, 15) von vorgegebenen Werten abweichen, dadurch gekennzeichnet,|
d)|dass durch mindestens eine Einrichtung (22, 23) des Detektionsmoduls (21) eine Bewegung des Sicherheitspostens (10, 15) detektiert wird, |
e)|dass bei Ausbleiben der Bewegung des Sicherheitspostens (10, 15) eine erste vorbestimmte Zeit durch ein Zeitzählmodul (24) abgezählt; und |
f)|nach der Abzählung der ersten vorbestimmten Zeit ein Warnsignal (WS) abgegeben wird, und |
g)|dass nach Auslösung des Warnsignals (WS) einezweite vorbestimmte Zeit durch das Zeitzählmodul(24) abgezählt, und |
h)|nach der Abzählung der zweiten vorbestimmten Zeit das Alarmsignal (AS) durch das Übermittlungsmodul (25) an die Alarmzentrale (30) übermittelt wird, |
i)|wobei eine Evakuierung der Baustelle ausgelöst wird." |
Die Kammer hat die Merkmalsgliederung aus der angefochtenen Entscheidung übernommen.
Der Hauptantrag sowie die im folgenden genannten Hilfsanträge 1 und 2 enthalten des Weiteren entsprechende unabhängige Vorrichtungsansprüche.
V. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 weist die Merkmale a) bis c) sowie f) bis i) des Hauptantrages auf. Die Merkmale d) und e) wurden wie folgt geändert
|"dass durch mindestens eine Einrichtung (22, 23) des Detektionsmoduls (21) eine kontinuierliche Bewegung des Sicherheitspostens (10, 15) detektiert wird,|
|dass bei Ausbleiben der kontinuierlichen Bewegung des Sicherheitspostens (10, 15) eine erste vorbestimmte Zeit durch ein Zeitzählmodul (24) abgezählt;"|
Die Unterstreichungen wurden durch die Kammer hinzugefügt.
VI. Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 weist die Merkmale a) bis c), sowie e) bis i) des Hauptantrages auf. Merkmal d) wurde wie folgt geändert
"dass durch mindestens einen Bewegungs- bzw. Beschleunigungssensor (22) oder Gyroskop (22) des Detektionsmoduls (21) eine Bewegung des Sicherheitspostens (10, 15) detektiert wird"
VII. Der für die vorliegende Entscheidung relevante Vortrag der Patentinhaberin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 6 gemäß Hauptantrag sei neu. Es sei nicht strittig, dass alle Merkmale dieser Ansprüche mit Ausnahme der Merkmale d) und e) (und entsprechende Vorrichtungsmerkmale) schon aus dem Stand der Technik bekannt seien. Die vor dem Anmeldetag bekannten Totmannschaltungen, welche als Stand der Technik im Absatz [0007] der Patentschrift zitiert würden, wiesen alle diese Merkmale auf.
Die Betätigung eines Tasters einer Totmannschaltung könne jedoch nicht als eine Bewegung des Sicherheitsposten im Sinne der oben genannten Merkmale aufgefasst werden. Gemäß der Entscheidung T 646/12 (sic!) unterlägen Ansprüche eines Patents den allgemeinen Grundsätzen zur Auslegung von Texten. Zu diesen Grundsätzen gehöre, dass ein Begriff bzw. ein Textbestandteil nur im Kontext ausgelegt werden könne. Auf Patente angewandt bedeute dies, dass Begriffe eines Anspruchs kontextuell, also im Gesamtzusammenhang des Anspruchssatzes beziehungsweise der Beschreibung auszulegen seien. Sie könnten daher in der Regel nicht völlig losgelöst von der Beschreibung betrachtet werden. Der Fachmann, der einen Anspruch auslege, müsse sich zumindest vergewissern, ob die Ausdrücke des Anspruchs ihrem üblichen Wortsinn nach zu verstehen seien oder ob die Beschreibung für diese Ausdrücke eine besondere Bedeutung definiere. Das Patent habe zum Ziel, ein Verfahren und eine Vorrichtung vorzuschlagen, welche eine aktive Bewegung des Sicherheitspostens zur Betätigung einer Totmannschaltung nicht benötigten. Darüber hinaus werde im Absatz [0015] explizit der Vorteil erwähnt, dass die Aufmerksamkeit des Sicherheitspostens automatisiert ohne aktive Quittierung durch den Sicherheitsposten überwacht werde. Auf diese Weise könne sich der Sicherheitsposten seiner Hauptaufgabe widmen, ohne ständig durch die Warnsignale und die notwendige Quittierung unterbrochen zu werden. Ein Fachmann hätte den Begriff "Bewegung" in den Merkmalen d) und e) zweifellos so verstanden, dass dieser Begriff das aktive Betätigen einer Totmannschaltung durch den Sicherheitsposten nicht umfasse. Die Verwendung eines engeren Begriffs als "Bewegung" hätte den Schutzumfang der Ansprüche unangemessen eingeschränkt.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 6 gemäß Hilfsantrag 1 sei neu. Der Begriff "kontinuierlich" müsse wiederum mit Hilfe der Beschreibung ausgelegt werden. Im Absatz [0016] werde offenbart, dass bei einer kontinuierlichen Bewegung des Sicherheitspostens kein Warnsignal ausgegeben werde. Wenn während einer gewissen Zeit keine Bewegung festgestellt werde (beispielsweise wenn der Sicherheitsposten kurz eine Sitzposition eingenommen habe), werde die Abzählung der Warnzeiten bei der nächsten Bewegung automatisch unterbrochen. Dem Absatz [0026] sei ferner zu entnehmen, dass die kontinuierliche Bewegung des Sicherheitspostens so zu verstehen sei, dass der Sicherheitsposten im Normalzustand dauernd leichte Bewegungen ausführe. Aus diesen Absätzen könne der Begriff "kontinuierlich" nur im Zusammenhang mit einem zeitlichen und unbewussten Aspekt verstanden werden, also mit den Worten der Einspruchsabteilung "als wiederholte Bewegung". Das bewusste Betätigen einer Totmannschaltung hingegen falle nicht unter den Begriff "kontinuierlich". Der Begriff "kontinuierlich" könne auch nicht im Hinblick auf den Duden im Sinne der Einsprechenden ausgelegt werden. Dort würden die Begriffe kontinuierlich, stetig, ununterbrochen, lückenlos, andauernd, beharrlich, beständig als Synonyme angegeben.
Es könne nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden, wann und unter welchen Umständen Dokument E3 offenkundig geworden sei. Es handele sich bei E3 um ein internes Datenblatt, welches möglicherweise gar nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war. Die Dokumente B1 bis B3 belegten, dass erhebliche Diskrepanzen zwischen dem Druckdatum und Urheberrechtsvermerken bestehen könnten.
Die zwei Dokumente, welche mit Schreiben vom 30. November 2023 eingereicht wurden (Artikel aus der Schweizerischen Bauzeitung vom 15. April 1950 und Artikel aus Behaviour Research Methods 2008, 40 (4), 1016-1025), seien zuzulassen. Obwohl alle Punkte bereits im Verfahren gewesen seien, habe die Patentinhaberin erstmals vom Europäischen Patentamt eine negative Einschätzung zur Patentierbarkeit des Hilfsantrags 2 in der vorläufigen Meinung der Beschwerdekammer erhalten. Dies stelle außergewöhnliche Umstände dar. Die Dokumente unterstützten lediglich die bereits vorgetragene Argumentationslinie. Die Dokumente seien auch ein Nachweis für das allgemeine Fachwissen und als solche immer zuzulassen. Sie belegten, dass das anspruchsgemäß gelöste Problem schon sehr lang bekannt gewesen sei, ohne dass jedoch eine Lösung gefunden worden sei.
Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 4 gemäß Hilfsantrag 2 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Der nächstkommende Stand der Technik und die Unterscheidungsmerkmale würden nicht bestritten. Jedoch hätte der Fachmann E3 nicht in naheliegender Weise herangezogen. E3 betreffe ein Funkgerät und keine Vorrichtung zur Überwachung eines Sicherheitspostens. Dies seien keine benachbarten Gebiete. Funkgeräte dienten nur der Kommunikation zwischen Menschen, wohingegen die Bahngleis-Sicherung zur Sicherung von Bahninfrastruktur und Personen erfolge. Dies zeige sich auch dadurch, dass Geräte für Bahnsicherung und Funkgeräte auf unterschiedlichen Messen präsentiert würden. Anspruchsgemäß gehe es um die Sicherung der Baustelle vor herannahenden Zügen, welche eine Evakuierung der Baustelle auslösen müsse. Hierzu seien Menschen als Sicherheitsposten nötig, deren Zustand überwacht werden müsse. Wenn Sicherheitsposten eine Evakuierung nicht mehr sicherstellen könnten, werde eine "Not-Evakuierung" ausgelöst. Hingegen gehe es beim Funkgerät gemäß E3 darum, beim Ausbleiben einer Rückmeldung einen Notruf abzusetzen, nicht jedoch darum, ein Notsignal abzusetzen, durch das ein Evakuierungs-Alarm für Dritte ausgelöst werde. Herkömmliche Totmannschalter seien seit vielen Jahren bekannt. Ebenso sei es bekannt, dass herkömmliche Totmannschalter ergonomische Probleme aufwiesen und die Aufmerksamkeit beeinträchtigten. Auch das im Dokument E3 beschriebene Gerät sei seit 2002 auf dem Markt. Nichtsdestotrotz sei bis 2009 niemand auf die patentgemäße Lösung gekommen, sonst wäre diese schon auf dem Markt gewesen. Anspruchsgemäß werde eine Bewegung mindestens durch einen Bewegungs- bzw. Beschleunigungssensor oder ein Gyroskop detektiert. Hingegen offenbare E3 keinen Bewegungs- bzw. Beschleunigungssensor und kein Gyroskop. Dies sei auch nicht naheliegend, da es weitere Möglichkeiten zur Bewegungserkennung wie zum Beispiel Kameras gebe. Des Weiteren seien in E3 drei Funktionen offenbart, und eine fachkundige Person hätte eine Auswahl tätigen müssen. E3 enthalte keinen Hinweis, gerade die Funktion des Totmannschalters den anderen Ausführungen vorzuziehen. In E3 werde offenbart, dass das Modul vor dem Senden des Notsignals einen Ton aussende, der eine Aufforderung zum Bewegen des Geräts darstelle. Die Anwendung dieser technische Lehre in den bekannten Vorrichtungen leite daher zu einem Verfahren, bei dem das Drücken der Tasten bekannter Geräte durch eine Bewegung des Gerätes, zum Beispiel durch das Kippen des Gerätes, ersetzt werde. Daher werde der Fachmann durch E3 nicht zu einem Verfahren geführt, bei welchem eine Bewegung des Sicherheitspostens das Betätigen der Knöpfe der bekannten, herkömmlichen Vorrichtungen ersetzen würde.
VIII. Der für die vorliegende Entscheidung relevante Vortrag der Einsprechenden lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag sei nicht neu. Bei dem aus dem Stand der Technik bekannten Druck auf einen Totmannschalter handele es sich um eine Bewegung im Sinne des Anspruchs. Die Patentinhaberin argumentiere, der anspruchsgemäße Begriff Bewegung müsse eingeschränkt ausgelegt werden, ohne dabei positiv anzugeben, wie der Begriff auszulegen sei. Stattdessen lege sie ihn nur als Disclaimer aus. Selbst wenn man die Beschreibung zur Auslegung heranzöge, verwende diese den Begriff "Bewegung" in seiner allgemeinen Breite. Hingegen finde sich dort keine positive Definition. Das Argument der Patentinhaberin käme der Ansicht gleich, man müsse den Anspruchswortlaut eng auslegen, weil sonst der Anspruchsgegenstand nicht neu sei. Dies sei aber kein anerkannter Auslegungsgrundsatz.
Auch die unabhängigen Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1 seien nicht neu. Der Begriff "kontinuierliche Bewegung" sei breit, und schließe lediglich einmalige Bewegungen aus. Der Begriff "kontinuierlich" könne gleichförmige, fortwährende, sowie auch wiederholte Bewegungen bezeichnen. Die wiederholte Betätigung eines Totmannschalters sei eine gleichförmig fortwährende Bewegung, also auch kontinuierlich. Absatz [0026] des Streitpatents sei zwar nicht zur Auslegung heranzuziehen, aber selbst wenn man dies täte, so stütze er das Argument der Patentinhaberin nicht. Auch das Drücken des Totmannschalters durch einen Sicherheitsposten sei eine dauernde, leichte Bewegung. Dies falle daher sogar unter die angebliche Definition der Beschreibung. Im selben Absatz werde auch auf die Bewegung der Augenlider als Beispiel für eine kontinuierliche Bewegung Bezug genommen. Auch dies zeige, wie breit der Begriff "kontinuierlich" zu verstehen sei und dass er sich über einen gewissen Zeitraum wiederholende Bewegungen umfasse. Die von der Patentinhaberin genannten Synonyme "fortwährend" oder "beharrlich" stützten nur die Auffassung, dass eine Betätigung eines Totmannschalters zwanglos unter den Anspruchswortlaut falle.
Die beiden mit Schreiben vom 30. November 2023 eingereichten Dokumente sollten nicht im Verfahren berücksichtigt werden. Die Zustellung der vorläufigen Meinung läge beinahe ein Jahr zurück. Die Vorlage dieser Dokumente vier bis fünf Tage vor der Verhandlung sei entweder nachlässig oder taktisch motiviert. Die Dokumente seien schon nicht relevant, wenn man deren Interpretation durch die Patentinhaberin als zutreffend unterstelle. Nicht einmal diese treffe aber zu. Die Bauzeitung beschreibe kein seit 1950 ungelöstes Problem, sondern eine Verbesserung hinsichtlich der Ablenkung durch die Bedienung des Totmannschalters.
Der Gegenstand der unabhängigen Ansprüche gemäß Hilfsantrag 2 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die zu lösende Aufgabe sei es, die aus dem Stand der Technik bekannte Totmannfunktion ergonomischer zu gestalten. Die Sicherheit gegenüber Fehlbedienung zu erhöhen, sei ein Bonuseffekt. Ein Fachmann hätte zur Lösung dieser Aufgabe E3 berücksichtigt. E3 betreffe eine Zusatzkarte für Funkgeräte mit Totmann-Alarm und "Keine Bewegungsalarm". Es handele sich hierbei um ein eng benachbartes Gebiet. Schon die Figur 1 des Streitpatents zeige ein Funkgerät, das bei der Gleisbaustellen-Sicherung eingesetzt werde. Die Einsatzbedingungen gemäß Streitpatent seien vergleichbar mit den gemäß Seite 1, zweitem Absatz anvisierten Einsatzbedingungen der E3, zum Beispiel "gefährliche Bereiche oder abgeschnittene Umgebungen" sowie für "Wartungstechniker". Gerade weil ein Sicherheitsposten bei der Gleisüberwachung alleine arbeite, müsse dessen Aufmerksamkeit überwacht werden. Dies sei eine mit E3 vergleichbare Situation. Es sei irrelevant, dass gemäß E3 nicht explizit eine Gleisbaustelle zu sichern oder die Sicherheit der Gleis-Arbeiter zu erhöhen sei, denn dies sei bereits durch die Wahl des Ausgangspunktes vorgegeben. Aufgabe sei lediglich, die Totmannfunktion zu verbessern. E3 solle gemäß Überschrift gerade eine Totmannfunktion bereitstellen. Daher würde der Fachmann sie für die Lösung der Aufgabe in Betracht ziehen. Die Zusatzkarte gemäß E3 könne Neigungswinkel ermitteln. Dies stelle einen Bewegungssensor dar. Des Weiteren könnten im Modus "keine Bewegungsalarm" Bewegungen detektiert werden. Der Fachmann wisse, dass Beschleunigungs-sensoren oder Gyroskope die Standardsensoren für diese Aufgabe seien. Kameras seien in E3 offensichtlich nicht vorgesehen. Auch die Nennung "umweltfreundlich" und "kein Quecksilber" in E3 weise auf Beschleunigungssensoren hin, da frühere Neigungsschalter als Quecksilberschalter ausgebildet gewesen seien. Beschleunigungssensoren oder Gyroskope seien implizit in E3 offenbart. Falls nicht, so begründe deren Auswahl im Lichte von E3 keine erfinderische Tätigkeit. Auch in der Auswahl der Funktionen sei keine erfinderische Tätigkeit begründet. E3 offenbare schon nicht drei unterschiedliche Funktionen. Vielmehr seien der Totmann- und Keine-Bewegungs-Alarm sehr ähnlich und explizit auch in Kombination offenbart. Ausgehend von der objektiven Aufgabe würde der dritte genannte Alarmtyp, der "Bewegungsalarm", offensichtlich nicht verwendet, da ein Bewegungsalarm keine Totmannfunktion sei und auch explizit als nicht mit ihr verwendbar offenbart sei. Daher sei auch keine Auswahl bezüglich der Funktionen der Zusatzkarte nötig. Bezüglich des Zeitfaktors sei zu bemerken, dass sieben Jahre kein überraschend langer Zeitraum seien. Die Patentinhaberin habe hier nicht zu Produktzyklen vortragen. Die Produktentwicklungszyklen im Gebiet des Streitpatents seien eher lang.
1. Zulässigkeit der Beschwerden
Die Beschwerden genügen den Erfordernissen der Artikel 106 bis 108 EPÜ sowie der Regel 99 EPÜ. Sie sind daher zulässig.
2. Hauptantrag - Neuheit
2.1 Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 6 des Hauptantrages ist nicht neu. Deshalb steht der Einspruchsgrund unter Artikel 100 a) EPÜ in Verbindung mit Artikel 54 EPÜ der Aufrechterhaltung des erteilten Patents entgegen.
2.2 Die Patentinhaberin hat nicht bestritten, dass die in Absatz [0007] des Streitpatents genannten Totmannschalter mit Ausnahme der Merkmale d) und e) alle Merkmale der Ansprüche 1 und 6 offenbaren. Das Vorbringen der Patentinhaberin zielt im Wesentlichen darauf ab, dem Merkmal "eine Bewegung des Sicherheitspostens [...] detektiert wird" der unabhängigen Ansprüche eine Bedeutung beizumessen, welche aus dem Gesamtkontext der Beschreibung und nicht nur aus dem Anspruch abzuleiten sei. Die Patentinhaberin bestreitet nicht, dass die Betätigung eines Totmanntasters eine Bewegung des Sicherheitspostens im allgemeinen Wortsinn darstellt. Sie hat auch nicht dargelegt, dass das allgemeine Verständnis einer Fachperson auf dem maßgeblichen technischen Gebiet eine andere Auslegung erfordere. Sie wendet lediglich ein, dass es sich hierbei nicht um eine Bewegung im Sinne des Gesamtkontextes der Beschreibung, insbesondere den dort beschriebenen Aufgaben und Vorteilen der Erfindung handele. Eine derartige Auslegung ist aber nicht zulässig. Aufgrund der in Artikel 84 EPÜ definierten Funktion der Ansprüche als Definition für den Gegenstand, für den Schutz begehrt wird, sind Merkmale aus dem Anspruch vielmehr so auszulegen, wie dies nach dem Verständnis der maßgeblichen Fachperson technisch sinnvoll und zulässig ist. Dementsprechend ist auch die Betätigung eines Totmannschalters als Bewegung im Sinne des erteilten Anspruchs 1 anzusehen. Dies steht im Einklang mit Spalte 4 Zeilen 46 ff des Streitpatents, in dem die Unterbrechung der Abzählung durch den Druck eines Knopfes oder die Betätigung eines Hebels als erfindungsgemäß eingeordnet wird. Selbst die von der Patentinhaberin angeführte Entscheidung T 1646/12 stellt explizit in den Entscheidungsgründen 2.1 klar:
"In diesem Zusammenhang gilt es zwei Extreme zu meiden. Zum einen ist es nicht zulässig, die Ansprüche und die Beschreibung gewissermaßen als kommunizierende Gefäße zu betrachten, zum Beispiel, indem man einschränkende Merkmale, die zwar in der Beschreibung beschrieben sind, aber nicht in den Ansprüchen, in letztere hineinliest (siehe dazu "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA", 7. Auflage, 2013, II.A.6.3.4). Eine solche Übertragung von einschränkenden Merkmalen kann nicht durch Auslegung, sondern nur durch eine Änderung der Ansprüche erreicht werden."
Die Patentinhaberin versucht aber gerade, in den Begriff "Bewegung eines Sicherheitsposten" des Anspruchs Einschränkungen hineinzulesen, die sich nicht aus dem allgemeinen Verständnis des Fachmanns oder einer expliziten Definition in der Beschreibung, sondern lediglich aus der in der Beschreibung genannten Aufgabe und den angeblichen Vorteilen der Erfindung ergeben soll. Dabei sollen lediglich vereinzelte aus dem Stand der Technik bekannte Bewegungen ausgeschlossen werden. De facto wünscht die Patentinhaberin also, den Begriff "Bewegung" in der Art eines impliziten Disclaimers auszulegen, der alles umfassen soll bis auf den Stand der Technik. Die Patentinhaberin hat überdies nicht überzeugend dargelegt, weshalb andere Formulierungen als der Begriff des Wortes "Bewegung" den Schutzumfang in unangemessener Weise eingeschränkt hätten. Es obliegt einem Anmelder oder Patentinhaber, den Gegenstand, für den er mit seinen Ansprüchen Schutz begehrt, in objektiv erkennbarer und deutlicher Weise vom Stand der Technik abzugrenzen.
Die Herangehensweise der Patentinhaberin ist weder mit der Funktion der Ansprüche nach Artikel 84 EPÜ vereinbar, noch handelt es sich hier um einen anerkannten Auslegungsgrundsatz. Der Ansatz ist auch nicht mit der von der Patentinhaberin selbst vorgetragenen Rechtsprechung, oder irgendeiner der Kammer bekannten Rechtsprechung vereinbar.
3. Hilfsantrag 1 - Neuheit
3.1 Der Gegenstand der Ansprüche 1 und 6 gemäß Hilfsantrag 1 ist nicht neu.
3.2 Auch hier beruft sich die Patentinhaberin darauf, dass dem Begriff "kontinuierliche Bewegung" durch die Beschreibung eine einschränkende Bedeutung beizumessen sei, die den Anspruchsgegenstand von dem im Streitpatent genannten Stand der Technik abgrenzen könne.
Dies überzeugt die Kammer nicht. Der Vortrag der Einsprechenden zur Neuheit des Hauptantrages trifft auch im Bezug auf den Hilfsantrag 1 zu. Der Begriff "kontinuierliche Bewegung" ist entsprechend dem Verständnis der maßgeblichen Fachperson breit auszulegen und schließt eine über eine gewissen Zeitraum wiederholte Bewegung mit ein. Ausgeschlossen ist jedoch eine Bewegung, die lediglich einmal stattfindet. Insbesondere hat die Einsprechende dem Begriff "kontinuierlich" bereits eine in den Gesamtkontext gestellte Bedeutung beigemessen, welche überdies mit dem für sich genommenen Wortlaut des Anspruchs konsistent ist. Sie verwies nämlich auf Absatz [0025] der Beschreibung, nach dem unter diesem Begriff "dauernd leichte Bewegungen" zu verstehen seien. Die Kammer stimmt zu, dass das wiederholte Betätigen eines leichtgängigen Totmanntasters unter diese Umschreibung fällt. Gerade die Verwendung der Bewegung der Augenlider, wie in diesem Absatz der Beschreibung beschrieben, stützt die Auffassung der Einsprechenden, nach der "kontinuierlich" nicht ununterbrochen bedeutet. Hingegen kann diese Offenbarungsstelle nicht die Auffassung der Patentinhaberin stützen, nach der gerade das wiederholte Betätigen eines Tasters ausgeschlossen sei. Dies folgt auch nicht aus dem ebenfalls von der Patentinhaberin zur Stützung ihrer Auslegung herangezogenen Absatz [0016] des Streitpatents. Ebenso wenig stützt der Verweis auf die Definition gemäß Duden die Sichtweise der Patentinhaberin, dass der Begriff "kontinuierlich" lediglich "im Zusammenhang mit einem zeitlichen und unbewussten Aspekt" gesehen werden könne. Die von der Patentinhaberin genannten Synonyme "andauernd", "beharrlich" und "beständig" umfassen eine über einen Zeitraum wiederholte Bewegung ohne Unterbrechungen der Bewegung auszuschließen.
Daher ist sowohl aus dem Wortsinn selbst als auch im Gesamtkontext des Patents unter einer "kontinuierlichen Bewegung" lediglich eine über einen Zeitraum immer wieder auftretende Bewegung zu verstehen. Dies schließt also das wiederholte Betätigen eines Totmannschalters, wie aus dem Stand der Technik bereits bekannt, nicht aus.
4. Zulassung der Dokumente B1 bis B3, der beiden Dokumente eingereicht am 30. November 2023 und Offenkundigkeit des Dokuments E3
4.1 Die Kammer hat ihr Ermessen gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 dahingehend ausgeübt, die Dokumente B1 bis B3 nicht zuzulassen.
4.2 Die Beweismittel B1 bis B3 der Patentinhaberin wurden eingereicht, um zu belegen, dass die jeweiligen Zeitpunkte von Urheberrechtsvermerken und Drucklegungen stark abweichen können. Dadurch sollen die Zweifel am Zeitpunkt der Offenkundigkeit des Dokuments E3 etabliert werden. Diese Dokumente hätten allerdings bereits im erstinstanzlichen Verfahren eingereicht werden können und sollen, denn bereits dort stand die Offenkundigkeit von E3 zur Debatte. Die Patentinhaberin hat nicht dargelegt, weshalb sie hieran gehindert war.
4.3 Die Kammer ist zu dem Schluss gekommen, dass Dokument E3 vor dem Anmeldetag des Streitpatents offenkundig war.
4.4 Die Kammer stimmt der Einsprechenden zu, dass das Dokument E3 seiner Aufmachung und seinem Inhalt nach der Information potentieller interessierter Kunden dient. Daher ist nach allgemeiner Lebenserfahrung davon auszugehen, dass das Dokument zügig nach Drucklegung auch öffentlich gemacht wurde. Von der Charakterisierung des Dokuments E3 als internes Produktdatenblatt, wie von der Patentinhaberin geltend gemacht, ist die Kammer nicht überzeugt, denn der Fokus von E3 liegt eindeutig nicht auf der Präsentation von Produktdaten, sondern auf der leicht verständlichen Präsentation der Funktionen, Vorteile und Anwendungsgebiete.
Zumindest bestehen für die Kammer keine vernünftigen Zweifel daran, dass eine Broschüre, die Anfang 2003 gedruckt wurde, deutlich vor dem sechs Jahre späteren Anmeldetag des Streitpatents veröffentlicht wurde. Dies wird nach Ansicht der Kammer durch die Anlage E3.1 der Einsprechenden bestätigt. Diese Anlage belegt, dass die Firma Oppermann-Telekom die Broschüre E3 deutlich vor dem Anmeldetag des Streitpatents im Internet zur Verfügung gestellt hat. Es ist üblich, dass ein Vertriebspartner die Broschüre erst zu einem späteren Zeitpunkt im Internet zugänglich macht als die Herstellerin des Produkts. Insofern ergeben sich hier keinerlei Zweifel bezüglich der Offenkundigkeit zum Anmeldezeitpunkt. Die Argumentation der Patentinhaberin verkennt, dass E3.1 einen eigenständigen Nachweis darstellt, dass das Dokument E3 zumindest ab 2003, also sechs Jahre vor dem Anmeldetag, offenkundig war.
4.5 Die Kammer hat ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, die zwei Dokumente, welche mit Schreiben vom 30. November 2023 eingereicht wurden (Artikel aus der Schweizerischen Bauzeitung vom 15. April 1950 und Artikel aus Behaviour Research Methods 2008, 40 (4), 1016-1025), nicht im Verfahren zu berücksichtigen, da nicht, wie von Artikel 13 (2) VOBK 2020 gefordert, außergewöhnliche Umstände vorlagen.
Wie die Patentinhaberin selbst vorträgt, waren alle Punkte bereits im Verfahren genannt. Die Kammer hat in ihrer vorläufigen Meinung keinerlei neuen Aspekte ins Verfahren eingeführt. Der Umstand, dass die vorläufige Meinung der Kammer von der Entscheidung der Einspruchsentscheidung abweicht, ist unerheblich. Dies liegt schlicht in der Natur einer gerichtlichen Überprüfung (siehe auch Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 10. Auflage, Juli 2022, V.A.4.5.6 h)).
5. Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit im Hinblick auf den im Streitpatent genannten Stand der Technik und E3
5.1 Der im Streitpatent genannte Stand der Technik wird von beiden Verfahrensbeteiligten nicht bestritten. Die Kammer ist der Auffassung, dass er eine geeignete Wahl als nächstkommender Stand der Technik für die Bewertung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Die Diskussion im Weiteren trifft auf beide unabhängigen Ansprüche gleichermaßen zu.
5.2 Unterscheidungsmerkmal
Das folgende Merkmal stellt das einzige Unterscheidungsmerkmal zum im Streitpatent genannten Stand der Technik dar:
"dass durch mindestens einen Bewegungs- bzw. Beschleunigungssensor (22) oder Gyroskop (22) des Detektionsmoduls (21) eine Bewegung des Sicherheitspostens (10, 15) detektiert wird"
5.3 Technische Wirkung und technische Aufgabe
Es war zwischen den Beteiligten unstreitig, dass dieses Unterscheidungsmerkmal im Rahmen des Anspruchs 1 die technischen Wirkungen hat, welche in den Paragraphen [0012] und [0015] des Streitpatents offenbart sind.
Einerseits nennen diese Passagen sinngemäß eine verbesserte Ergonomie für den Sicherheitsposten. Andererseits wird eine Vermeidung der Fehlerquelle beim Herannahen eines Zuges durch das versehentliche, durch die repetitive Betätigung des Totmannsignals eingeübte Betätigung des Totmanntasters anstelle des Alarmknopfes genannt.
Die objektive technische Aufgabe der anspruchsgemäßen Erfindung war es daher, die Ergonomie für den Sicherheitsposten und die Sicherheit von Baustellen an Bahngleisen zu verbessern.
5.4 Bewertung der Lösung
Das Dokument E3 offenbart eine Zusatzkarte für ein Funkgerät für Sicherheitspersonal mit Totmann-Alarm und Keine-Bewegungsalarm. Ein Neigungssensor ersetzt hierbei einen herkömmlichen Totmanntaster, siehe Abschnitt "Totmann-Alarm" auf Seite 2 von E3, linke Spalte, ganz oben. Dort wird offenbart, dass Sicherheitspersonal das Funkgerät innerhalb vorgegebener Zeitspannen aus der horizontalen in eine zumindest geneigte Lage bringen muss, um das Auslösen eines Alarms zu verhindern. Des Weiteren wird offenbart, dass das Funkgerät zusätzlich einen Alarm senden könne, wenn es längere Zeit nicht bewegt würde.
Die Patentinhaberin argumentiert, eine fachkundige Person hätte Dokument E3 bei der Suche nach einer Lösung für die objektive technische Aufgabe gar nicht berücksichtigt. Dies mag nach Ansicht der Kammer vielleicht auf die Teilaufgabe der Erhöhung der Sicherheit von Baustellen an Bahngleisen zutreffen, jedoch nicht auf die Teilaufgabe der verbesserten Ergonomie. Auch E3 betrifft explizit eine Totmannfunktion und liefert eine zu einer Tasterbetätigung alternative Betätigung. Es ist korrekt, dass E3 ein Funkgerät betrifft, aber dies ist ein eng benachbartes Gebiet, in dem eine fachkundige Person auch aufgrund der dort ebenfalls verwendeten Totmannfunktion nach Anregungen gesucht hätte. Zudem zeigen sogar die Figuren 1 und 2 des Patents ein Funkgerät. Der Verweis der Patentinhaberin auf die Präsentation auf unterschiedlichen Messen ist eine unbelegte Behauptung. Selbst wenn sie als zutreffend angenommen würde, könnte sie jedoch nicht überzeugend erklären, wieso ein Fachmann für die Weiterentwicklung einer Totmannfunktion nicht eine Zusatzkarte für ein Funkgerät mit ebensolcher Totmannfunktion in Betracht gezogen hätte, nur weil diese Funktion nicht explizit im Anwendungsgebiet der Gleisbaustellensicherung offenbart ist.
Die Ansprüche des Streitpatents schließen ein Neigen als Bewegung zum Rücksetzen des Totmannsignals oder generell eine Bewegung des Funkgeräts nicht aus. Daher bewirkt auch das Neigen eine Verbesserung der Ergonomie. Damit offenbart E3 eine ergonomische Alternative zur Betätigung eines Totmanntasters. Dies mag zwar in einem leicht anderen Kontext geschehen, stellt aber doch eine Lösung der objektiven technischen Aufgabe dar. Die Patentinhaberin hat umfangreich vorgetragen, welche Unterschiede ihrer Ansicht nach zwischen der Gleisbaustellen-Sicherung und beim Einsatz von Wachpersonal bestehen. Die Kammer kann jedoch nicht erkennen, inwiefern die Offenbarung im Kontext eines Funkgerätes für allein arbeitendes Personal eine fachkundige Person davon abhalten sollte, die in E3 offenbarte ergonomischere Alternative zur Bedienung eines Totmanntasters auch für Sicherheitsposten an Gleisbaustellen zu verwenden. Nach Auffassung der Kammer würde die verbesserte Ergonomie eine fachkundige Person dazu veranlassen, im Stand der Technik einen Totmanntaster durch einen Neigungssensor gemäß E3 oder den dort genannten "Keine-Bewegungsalarm" zu ersetzen. Die Verringerung von Fehlbedienungen würde sich so als Bonuseffekt zusätzlich einstellen.
In diesem Zusammenhang argumentierte die Patentinhaberin schriftlich, die Kombination des Standes der Technik gemäß Streitpatent mit Dokument E3 würde zu einem Gerät führen, bei dem ein Notruf abgesetzt wird, wenn das Funkgerät während einer vordefinierten Zeitspanne nicht bewegt wird. Gemäß der obengenannten Passage offenbart E3 jedoch, dass das Funkgerät innerhalb einer vordefinierten Zeitspanne bewegt werden muss, um ein Notrufsignal zu verhindern, nicht um es auszulösen, was herkömmlichen Totmanntastern entspricht.
Eine fachkundige Person muss auch nicht erfinderisch tätig werden, um Mittel zur Umsetzung der Lehre von E3 auszuwählen. Die Argumentation der Patentinhaberin verkennt schon, dass anspruchsgemäß nur funktional "Bewegungssensoren" gefordert sind und E3 die Funktion offenbart, Bewegungen zu erkennen. Darüber hinaus ist der Einsprechenden zuzustimmen, dass in E3 offensichtlich keine Kamera vorgesehen ist und es sich bei Beschleunigungssensoren oder Gyroskopen um Standardsensoren handelt. Diese für die Umsetzung der Lehre von E3 auszuwählen war naheliegend.
Des Weiteren muss eine fachkundige Person auch nicht deshalb erfinderisch tätig werden, weil die Zusatzkarte nach E3 mehrere Funktionen bereitstellt. Die Einsprechende hat zutreffend vorgetragen, dass der "Totmann-Alarm" und der "Keine Bewegungsalarm" in E3 explizit in Kombination offenbart sind. Ausgehend von der objektiven Aufgabe, eine Totmann-Funktion ergonomischer zu gestalten, ist es naheliegend, den Totmann-Alarm, gegebenenfalls in Kombination mit dem "Keine Bewegungsalarm", von E3 zu wählen, da diese erkennbar die Aufgabe lösen. Hingegen ist der Bewegungsalarm mit einer völlig anderen Aufgabe befasst.
Die Patentinhaberin vertrat die Ansicht, eine fachkundige Person werde durch E3 nur dazu veranlasst, das aktive Betätigen einer Taste durch ein Neigen des Geräts zu ersetzen, nicht jedoch durch eine Bewegung des Sicherheitspostens. Dieses Argument geht wiederum von einem eingeschränkten Verständnis des Begriffes "Bewegung" aus, der sich weder aus seinem Wortsinn, noch aus dem Gesamtkontext des Patents ergibt. Dieses Argument zeigt nur, dass die Patentinhaberin den Begriff "Bewegung" als sich ständig im Lichte des Standes der Technik wandelnde Worthülse verwenden möchte. Ein Neigen eines Gerätes durch den Sicherheitsposten ist jedoch unter objektiven Gesichtspunkten eine Bewegung des Sicherheitspostens.
Die Kammer war auch nicht vom Argument bezüglich des Zeitfaktors überzeugt. Die Patentinhaberin hat nicht überzeugend dargelegt, dass die Ergonomie der Betätigung eines Totmanntasters seit langem als problematisch angesehen wurde, jedoch keine Verbesserungen gefunden werden konnten. Die spät eingereichten und nicht zugelassen Dokumente behandeln allenfalls das Problem der Ablenkung durch das Quittieren eine Totmanntasters. Hierzu hatten die Kammer und die Einsprechende aber bereits ausgeführt, dass es sich um einen Bonuseffekt handelt. Das Vorhandensein einer erfinderischen Tätigkeit lässt sich nicht durch den Zeitfaktor eines Bonuseffektes begründen.
6. Schlussfolgerungen
Die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 sind nicht neu. Die Gegenstände der unabhängigen Ansprüche gemäß Hilfsantrag 2 beruhen nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Daher liegt kein gewährbarer Anspruchssatz vor. Folglich gibt die Kammer dem Antrag der Einsprechenden statt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.