T 1829/19 26-01-2021
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Verbundgebilde mit einer Polyurethanschicht, Verfahren zu deren Herstellung und Verwendung
CVQ - Distribuição e Comércio de Bebidas, Lda
TMG Automotive
Änderungen - Kombination von Unteransprüchen
Änderungen - unzulässige Erweiterung (nein)
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Neuheit - Hauptantrag (nein)
Neuheit - offenkundige Vorbenutzung
Neuheit - Hilfsantrag (ja)
Zurückverweisung - besondere Gründe für Zurückverweisung
Zurückverweisung - (ja)
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Patent EP 1 927 466 unter Artikel 101(2) und 101(3)(b) EPÜ zu widerrufen.
II. Gegen die Erteilung des Patents hatte die Beschwerdegegnerin 1 (Einsprechende 1) eingesprochen und Einspruchsgründe unter Artikeln 100(a), 100(b) und 100(c) EPÜ vorgebracht. Die Beschwerdegegnerin 2 (Einsprechende 2) trat im weiteren Verlauf gemäß Artikel 105 EPÜ dem Einspruchsverfahren bei, da sie von der Beschwerdeführerin auf Verletzung des Patents verklagt worden war. Die Zulässigkeit des Beitritts war unstrittig.
III. Auf folgende für die vorliegende Entscheidung relevante Dokumente wurden von den Parteien im Einspruchs- oder Beschwerdeverfahren Bezug genommen:
a) Druckschriften
D16 |DE 3702615 |
D27 |US 2001/0031363 |
D29 |WO 01/32451 |
D38 |EP-A-1 582 542 |
D39 |EP-A-0 814 102 |
D40 |WO 98/38340 |
D41 |WO 01/90229 |
D42 |WO 2004/092240 |
D73 |"Glattleder"; Auszug aus https://www.leder-info.de |
D74 |Narbenbild verschiedener Leder; Auszug aus https://www.leder-info.de |
D75 |skai® Design Lab: Kunstleder mit eigenem Design bedrucken lassen; Auzug aus https://www.skai.com|
D76 |Basket Weave Grained Artificial Leathers for Car Seats |
D110|DIN 53351, Version aus 1983 |
D111|DIN 53351, Version aus 2003 |
b) Vorbenutzungen
Vorbenutzung (a); Benecke-Kaliko AG / BMW Group; Material "7 114 220"
D104-1 |Schreiben der BMW Group an Becker&McKenzie vom 4. April 2018 |
D104-1-1|Bestellübersicht Schaltbalg |
D104-1-2|BMW Zeichnungen 7 525 748 F |
D104-1-3|BMW technische Liefervorschrift TL 7 069 016 |
D104-1-4|BMW/Benecke-Kaliko Deckblatt Urmuster mit Sachnummer 51.92 - 7 114 220.9|
D104-2 |Untersuchungsbericht 180201497 vom 8. März 2018 der BMW Group |
D104-3 |Untersuchungsbericht 180967-1 des FILK-Instituts vom 3. April 2018 |
D104-4 |Materialprobe |
D104-5 |Schreiben der BMW Group an Becker&McKenzie vom 28. Januar 2019 |
Vorbenutzung (b); Konrad Hornschuch AG / Daimler; Material "7F90"
D105-1 |Erklärung der Daimler AG vom 21. Juni 2018 |
D105-1a |Schreiben der Daimler AG an Becker&McKenzie vom 23. Juli .2018 |
D105-2 |Fotografie des Deckblatts des Daimler-Grundmusters F790 |
D105-3 |Daimler "Ausstattungseinteilung BR209 C/A Serie" |
D105-4 |Daimler Technische Liefervorschrift DBL 5384 |
D105-5 |Untersuchungsbericht Nr IWTN/WO000008092RLM001 "FTIR Analysis of Layers in Polyurethane Laminate '7F90'" von Intertek Wilton vom 28.März 2018|
D105-6 |Untersuchungsbericht Nr IWTN/WO000008092ARL001 "Pyrolysis Gas Chromatography Mass Spectrometry Analysis of Layers in Polyurethane Laminate '7F90'" von Intertek Wilson vom 18. April 2018|
D105-7 |Untersuchungsbericht Nr 182615-1 des FILK-Instituts vom 12. Juni 2018|
D105-8 |Materialproben aus dem Grundmuster 7F90 |
D105-9 |Internet-Ausdruck der Presseerklärung "Vereinbarung über Kauf der Hornschuch-Gruppe" der Benecke-Kaliko AG von Oktober 2016|
D105-10 |Internet-Ausdruck "Hornschuch and Benecke-Kaliko become the Benecke-Hornschuch-Surface Group"|
D105-11-13|Eidesstattliche Versicherungen |
Vorbenutzungen (c) Daimler "7D86"; (d) Hornschuch/Daimler "1A55":
D106-6 |Untersuchungsbericht IWTN/W000008726RL001 "FTIR Analysis of Layers in Polyurethane Laminates: 1A55 Java and 7D86 Orion Grau" von Intertek Wilson vom 3. Juli 2018|
Vorbenutzung (e); TMG Automotive / Volkswagen "Teppel 91":
D108-8 |Untersuchungsbericht der TMG Automotive vom 4. Juli 2018|
IV. In ihrer Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, dass die im erteilten Patent und die im ihr vorliegenden ersten Hilfsantrag beanspruchten Gegenstände nicht neu gegenüber D42 seien. Die im Anspruch 10 definierte Erfindung sei nicht ausführbar (Artikel 83 EPÜ). Die weiteren Einwände unter Artikel 83 EPÜ wurden verworfen, ebenso die weiteren druckschriftlichen Neuheitseinwände (D16, D27, D29 und D38-41).
Alle weiteren Hilfsanträge (2-31) enthielten ursprünglich nicht offenbarte Merkmale und seien daher unter Artikel 123(2) EPÜ nicht gewährbar.
Die von den Einsprechenden geltend gemachten insgesamt fünf öffentlichen Vorbenutzungen wurden in der Entscheidung nicht behandelt, ebenso wenig die Frage der erfinderischen Tätigkeit.
V. Mit der vorliegenden Beschwerde verfolgt die Beschwerdeführerin das erteilte Patent sowie den der Entscheidung zugrundeliegenden ersten Hilfsantrag nicht weiter.
Sie brachte im Beschwerdeverfahren vor, die Ansprüche ihres neuen Hauptantrags, der im wesentlichen dem zweiten Hilfsantrag aus dem Einspruchsverfahren entspricht, seien nicht unerlaubt geändert worden (Artikel 123(2) EPÜ). Außerdem entspräche dieser geänderte Anspruchssatz auch den Erfordernissen des EPÜ in Bezug auf Artikel 123(3) EPÜ und Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ). Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) gegenüber sowohl dem druckschriftlichen Stand der Technik als auch den öffentlichen Vorbenutzungen sei ebenfalls gegeben.
Zur hilfsweisen Aufrechterhaltung reichte die Beschwerdeführerin im Lauf des Beschwerdeverfahrens mehrere Sätze an Hilfsanträgen ein, die später teilweise wieder zurückgezogen wurden. Die finale Antragslage am Ende der mündlichen Verhandlung ist weiter unten wiedergegeben.
VI. Die Beschwerdegegnerinnen verteidigten die Entscheidung der Einspruchsabteilung und erhoben Einwände gegen die Aufrechterhaltung des Patents in den von der Patentinhaberin beantragten Fassungen. Insbesondere seien die Ansprüche unerlaubt geändert (Artikel 123(2) EPÜ) und deren Schutzbereich gegenüber der erteilten Fassung erweitert worden (Artikel 123(3) EPÜ). Die beanspruchten Verbundgebilde seien nicht ausreichend offenbart (Artikel 83 EPÜ). Neuheit und erfinderische Tätigkeit (Artikel 54/56 EPÜ) sei weder gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik noch gegenüber den geltend gemachten Vorbenutzungen gegeben. Außerdem seien verschiedene Hilfsanträge verspätet ins Beschwerdeverfahren eingebracht worden und daher unter Artikel 13(2) VOBK 2020 nicht zuzulassen.
VII. Beide Parteien beantragten im Hinblick auf das laufende, zwischenzeitlich unterbrochene Verletzungsverfahren beschleunigte Behandlung der Beschwerde.
VIII. Mit Ladung vom 22. April 2020 wurden die Parteien für den 25. und 26. Januar 2021 zu einer mündlichen Verhandlung geladen.
IX. Mit Bescheiden vom 6. August 2020 und 2. Dezember 2020 wurden die Parteien gemäß Artikel 15(1) VOBK 2020 über die während der beantragten mündlichen Verhandlung zu behandelnden Punkte sowie die vorläufige Meinung der Kammer informiert.
X. Am 25. und 26. Januar 2021 fand in Anwesenheit aller Parteien die mündliche Verhandlung statt. Zu deren Ablauf wird auf die Niederschrift Bezug genommen. Die Beschwerdeführerin zog eine Reihe von Hilfsanträgen zurück, ebenso einen mit der Beschwerdebegründung gestellten Antrag auf Rückerstattung der Beschwerdegebühr wegen eines vermeintlichen Verfahrensfehlers im Einspruchverfahren, sowie den Antrag die Angelegenheit an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen falls Themen zu behandeln wären worüber die Einspruchsabteilung nicht entschieden hatte.
XI. Die Schlussanträge der Parteien waren:
Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Basis ihres Hauptantrags, eingereicht mit der Beschwerdegründung, oder hilfsweise, auf Basis eines der Hilfsanträge 1-19 wie in der mündlichen Verhandlung definiert (vgl. die Tabelle im Anhang des Protokolls der mündlichen Verhandlung). Hilfsanträge 1-4, 6, 8, 10, 12 und 14 wurden mit der Beschwerdebegründung eingereicht, Hilfsanträge 5, 7, 9, 11, 13 und 15 mit Schreiben vom 5. August 2020, Hilfsanträge 16-19 mit Schreiben vom 9. November 2020.
Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde. Sie beantragten, Hilfsanträge 3, 6 und 10 unter Artikel 12(4) VOBK 2007 sowie Hilfsanträge 5, 7, 9, 11, 13 und 15-19 unter Artikel 13(2) VOBK 2020 nicht ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Alle Parteien beantragten gemäß Artikel 111(1) EPÜ und Artikel 11 VOBK 2020 eine abschließende Entscheidung in der Sache durch die Beschwerdekammer.
XII. Anspruch 1 des dieser Entscheidung zugrundeliegenden Hauptantrags lautet:
"Verbundgebilde mit einer oder mehreren Polyurethanschichten, einer Trägerschicht, insbesondere einer textilen Trägerschicht oder einer Trägerschicht aus PVC, Polyolefin oder einem Polyurethanschaum, einer genarbten Deckschicht sowie einer gegebenenfalls zwischen diesen Schichten angeordneten Klebstoffschicht, dadurch gekennzeichnet, dass die genarbte Deckschicht ein Polyurethan der Formel (I)
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
enthält, worin bedeuten:
-O-(CH2)m-R**(1)-(CH2)m-O- den Rest eines bifunktionellen Polymers mit endständiger primärer Hydroxyfunktionalität, R**(1) und R**(2), unabhängig voneinander, einen organischen aliphatischen, cycloaliphatischen und/oder heterocyclischen Rest, n eine ganze Zahl von 10 bis 20.000 und m eine ganze Zahl von mindestens 2, seine Flexibilität (gemessen nach DIN 53 351) 1.000 bis 1.000.000 (Faltbeanspruchungen) beträgt und auf der genarbten Deckschicht eine Lackschicht angeordnet ist."
Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags unterscheidet sich davon dadurch, dass anstatt des Merkmals "n eine ganze Zahl von 10 bis 20.000" wie im erteilten Patent nur "n eine ganze Zahl von 1 bis 50.000" verlangt wird. Am Ende des Anspruchs ist zusätzlich das Merkmal "und die genarbte Polyurethan-Deckschicht eine mittlere Stärke von 0,05 bis 1 mm aufweist" eingefügt.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Dem Beschleunigungsantrag der Parteien ist die Kammer durch die schnellstmögliche Ansetzung der beantragten mündlichen Verhandlung nachgekommen.
Hauptantrag
3. Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
3.1 Anspruch 1
3.1.1 Anspruch 1 des Hauptantrags besteht aus einer Kombination der ursprünglichen Ansprüche 1 bis 3 sowie 14. Aus Anspruch 2 wurde dabei die Definition für n übernommen, die Definition von m nicht. Aus Anspruch 14 wurde der Begriff "etwa" gestrichen.
Dies ist unstrittig.
Die Einspruchsabteilung sah diese Kombination von Merkmalen als ursprünglich nicht offenbart an und entschied daher, der Anspruch verstieße gegen Artikel 123(2) EPÜ.
3.1.2 Die Beschwerdegegnerinnen brachten vor, es seien ausgehend von ursprünglichem Anspruch 1 drei weitere Ansprüche mit diesem kombiniert worden. Zusätzlich sei in zweien davon, nämlich in ursprünglichen Ansprüchen 2 und 14, je eine weitere Auswahl getroffen worden. Die Auswahl von n als 10 bis 20.000 entspreche der Auswahl des mittleren von drei offenbarten Bereichen, die Streichung des Wortes "etwa" aus dem ursprünglichen Anspruch 14 einer Auswahl eines scharf begrenzten Gegenstands aus dem ursprünglichen Bereich.
Auf eine derartige Auswahl ursprünglich für sich offenbarter Merkmale sei in den ursprünglichen Unterlagen kein Hinweis zu finden, zumal auch, zumindest wegen der nun verlangten Lackschicht, kein Ausführungsbeispiel unter den geänderten Anspruch falle. Ebenso wenig sei ein Verbundgebilde ursprünglich offenbart, das sich sowohl durch eine Lackschicht als auch die im ursprünglichen Anspruch 14 definierte Faltzahl auszeichne. Die Ansprüche enthielten ein großes Reservoir an Merkmalen, die in willkürlicher Weise zu einer neuen Offenbarung kombiniert worden seien.
3.1.3 Die Beschwerdeführerin brachte im Wesentlichen vor, es handle sich bei den gemachten Änderungen lediglich um Kombinationen des ursprünglichen Hauptanspruchs mit abhängigen Ansprüchen, die bevorzugte Merkmale definierten. Die Ausführungsbeispiele fielen wegen der fehlenden Lackschicht zugegebenermaßen nicht unter den geänderten Anspruch, dies sei jedoch unerheblich, zumal die Lackschicht nicht mit den anderen Anspruchsmerkmalen in Verbindung stehe.
3.1.4 Die Kammer ist aus den folgenden Gründen mit der Beschwerdeführerin der Ansicht, dass die Änderungen in Anspruch 1 des Hauptantrags nicht über die ursprüngliche Offenbarung hinausgehen und daher unter Artikel 123(2) EPÜ nicht zu beanstanden sind.
Eine Kombination der ursprünglich eingereichten Ansprüche 1-3 kann der ursprünglichen Offenbarung nichts hinzufügen; diese Ansprüche sind ja direkt aufeinander bezogen. Dabei ist es auch unerheblich, dass nur eine der beiden Alternativen in Anspruch 2 übernommen wurde; die Beschränkungen von m und n sind ausdrücklich unabhängig voneinander offenbart und hätten ursprünglich auch in zwei verschiedenen abhängigen Ansprüchen definiert werden können. Das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 14 (Flexibilität) ist in der ursprünglichen Beschreibung als bevorzugtes Merkmal offenbart (Absatz [0030] der veröffentlichten Anmeldung). Die Kammer sieht nicht, dass das nun beanspruchte Verbundgebilde in der ursprünglichen Anmeldung nicht offenbart war.
Die Kammer hält die von den Beschwerdegegnerinnen vorgebrachten Argumente in Bezug auf Auswahlerfindungen für nicht relevant. Es handelt sich hier nicht um eine Auswahl aus alternativen Möglichkeiten, sondern um die Kombination des ursprünglichen Hauptanspruchs mit ursprünglich als bevorzugt bezeichneten und in Unteransprüchen definierten Merkmalen. Daher kann auch nicht von einem großen Reservoir gesprochen werden, aus dem in willkürlicher Weise eine neue Ausführungsform erzeugt worden wäre.
Die Kammer sieht es auch nicht als Hindernis, dass die Ausführungsbeispiele wegen des Fehlens einer Lackschicht nicht unter die Ansprüche fallen. Die Lackschicht ist in Absatz [0019] als vorteilhaft beschrieben, die Flexibilität in Absatz [0030]. Es wurde zwar vorgebracht, insbesondere die Kombination der Lackschicht und der Faltzahl sei ursprünglich nicht offenbart worden. Es ist aber andererseits auch den ursprünglichen Unterlagen nicht zu entnehmen, dass diese beiden als vorteilhaft beschriebenen Merkmale nicht miteinander kombiniert werden könnten. Das Resultat einer Kombination von als bevorzugt beschriebenen Merkmalen führt nicht dazu, dass ein Fachmann mit einem ursprünglich nicht offenbarten Sachverhalt konfrontiert wird.
3.2 Anspruch 10
Der unabhängige Verfahrensanspruch 10 wird in der Einspruchsentscheidung nicht diskutiert. Er basiert auf dem ursprünglichen Ansprüchen 15, 17, 21 und 23.
Die Beschwerdegegnerin 1 hat mehrere Einwände gegen diesen Anspruch vorgebracht, nämlich:
a) die Streichung des Präpolymers entspreche einer weiteren Auswahl
b) die Streichung von "oder" in der Definition der reaktionsverzögernden Substanzen aus dem ursprünglichen Anspruch 21 entspreche einer weiteren Auswahl
c) das Merkmal, dass die Katalysatoren und reaktionsverzögernden Substanzen "in der Streichmasse" vorliegen, sei ursprünglich nicht offenbart
d) Der zusätzliche Schritt des Aufbringens der Lackschicht sei nicht an der beanspruchten Stelle im Verfahren offenbart.
Die Kammer hält diese Einwände für nicht überzeugend. Bei a) und b) handelt es sich um einfache Streichung von ursprünglich offenbarten Alternativen.
Das Vorhandensein von Katalysator und reaktionsverzögernder Substanz in der Streichmasse wird in Absatz [0027] der ursprünglichen Beschreibung offenbart.
Die Aufbringung der Lackschicht auf die genarbte Oberfläche nach dem Verfahren ist in Absatz [0019] beschrieben. Dabei muss nach Ansicht der Kammer "nach dem erfindungsgemäßen Verfahren" so gelesen werden, dass damit jedes erfindungsgemäße Verfahren gemeint ist, unabhängig davon, ob es noch zusätzliche Schritte der Schichtbildung enthält oder nicht. Die Kammer kann daher nicht erkennen, dass das Anhängen dieses Verfahrensschritts am Ende des Anspruchs 10 des Hauptantrags irgendwelche Sachverhalte einbringt, die ursprünglich nicht offenbart waren.
3.3 Abhängige Ansprüche
Die Beschwerdegegnerinnen haben verschiedene abhängige Ansprüche unter Artikel 123(2) EPÜ angegriffen. Die Kammer hält diese Einwände nicht für überzeugend, aus den folgenden Gründen:
3.3.1 In Anspruch 3 wurde die Untergrenze des Molekulargewichts von 90 auf 250 angehoben. Diese Grenze ist im ursprünglichen Anspruch 6 als Untergrenze eines engeren Bereichs offenbart. Die Kombination von Bereichsgrenzen in dieser Weise ist nicht zu beanstanden. Gleiches gilt für den in Anspruch 16 definierten Viskositätsbereich, der aus den Grenzen des in ursprünglichem Anspruch 23 offenbarten Bereichs kombiniert wurde.
Auch in der Kombination mit dem geänderten Anspruch 1, wie von den Beschwerdegegnerinnen moniert, wird dadurch kein ursprünglich nicht offenbarter Sachverhalt eingebracht. Die Kombination mit dem jetzigen Anspruch 1 entspricht ja nur einer weiteren Einschränkung durch ursprünglich als bevorzugt offenbarte Merkmale.
3.3.2 Anspruch 11 bezieht sich auf das zusätzliche Aufbringen einer weiteren PU-Schicht auf die der Deckschicht entgegengesetzten Seite. Ursprünglicher Anspruch 16 definiert hingegen nur eine zusätzlichen Schicht auf der PU-Deckschicht. In Absatz [0022] ist offenbart, dass eine zusätzliche Schicht als Innenschicht aufgebracht werden kann, was dem nun in Anspruch 11 beanspruchten Verfahren entspricht.
Die Beschwerdegegnerinnen brachten vor, die ursprüngliche Offenbarung beschreibe nicht in eindeutiger Weise, dass eine zusätzliche PU-Schicht auf die der Deckschicht entgegengesetzte Seite aufgebracht wird.
Die Kammer stimmt dem nicht zu. Das Aufbringen einer zusätzlichen Schicht, wie in Absatz [0022] beschrieben, führt automatisch dazu, dass sich diese auf der der Deckschicht entgegengesetzten Seite befindet, da das Verfahren als Umkehrbeschichtung durchgeführt wird, siehe [0021]. Anspruch 11 enthält daher keinen ursprünglich nicht offenbarten Sachverhalt.
3.4 Beschreibung
Die Kammer stellt zunächst fest, dass der Hauptantrag der Beschwerdeführerin keine Beschreibung enthält, so dass die Einwände der Beschwerdegegnerinnen strenggenommen ins Leere gehen. Die Kammer nimmt aber im Interesse der Verfahrensökonomie trotzdem zu den Einwänden Stellung und bezieht sie auf die Beschreibung des erteilten Patents.
3.4.1 Die Beschwerdegegnerinnen haben vorgebracht, die Streichung der Mengenangaben möglicherweise als Monomer verwendeter Triole in Absatz [0012] bringe ursprünglich nicht offenbarte Sachverhalte ein, da sie die Lesart von Anspruch 1 ändere. Triole als Bestandteile der Formel (I) seien jetzt nicht mehr ausgeschlossen.
Die Kammer teilt diese Ansicht nicht. Die Streichung dieser Information, die den ursprünglich abhängigen Ansprüchen 4 und 5 entspricht, in der Beschreibung führt nicht dazu, dass der Inhalt der Beschreibung oder der Ansprüche über die ursprüngliche Offenbarung hinausgeht.
Absatz [0012] definiert ja immer noch, dass geringe Mengen an Triolen vorliegen können. Es scheint, dass die Beschwerdegegnerinnen hier eher der Meinung sind, der Schutzbereichs des Anspruchs habe sich diesbezüglich möglicherweise verbreitert, was unter Artikel 123(3) EPÜ relevant wäre. Dies ist aber vorliegend schon deshalb nicht der Fall, weil die Streichung dieses Satzes nicht nach der Erteilung des Patents, sondern während des Prüfungsverfahrens durchgeführt wurde.
3.4.2 Es wurde ebenfalls vorgebracht, dass die Aufnahme der Lackschicht in den unabhängigen Anspruch bedeute, in den Ausführungsbeispielen müsste nun ebenfalls eine Lackschicht implizit hineingelesen werden. Da die Beispiele ursprünglich keine Lackschicht aufwiesen, sei daher ursprünglich nicht offenbarte Information hinzugefügt worden.
Die Kammer kann sich dem nicht anschließen. Die Beispiele der ursprünglichen Anmeldung enthielten keine Lackschicht, und dies hat sich nicht geändert. Die Tatsache, dass diese Beispiele nicht unter die geänderten Ansprüche fallen, ändert daran nichts. Diese hätten im Prüfungsverfahren möglicherweise unter Artikel 84 EPÜ als nicht erfindungsgemäß bezeichnet werden müssen. Im Einspruch ist diese Frage jedoch gemäß G 03/14 nicht Gegenstand der Verfahrens.
3.5 Der Hauptantrag erfüllt daher die Erfordernisse des Artikels 123(2) EPÜ.
4. Erweiterung des Schutzbereichs (Artikel 123(3) EPÜ)
4.1 Im Vergleich zum erteilten Patent wurde im vorliegenden Hauptantrag die Variable n beschränkt. Die Kammer sieht nicht, wie diese Änderung eine Erweiterung des Schutzbereichs verursachen soll, ebenso wenig wie die Änderung des Molekulargewichts im abhängigen Anspruch 3.
Die Beschwerdegegnerin 1 hat vorgebracht, der Einwand beziehe sich auf eine von der Einspruchsabteilung verfolgte Interpretation des Anspruchs 1. Diese sei zu dem Schluss gekommen, dass R**(1) auch eine Bindung darstellen können müsse, da sonst die Untergrenze des Molekulargewichts im erteilten Anspruch 3 nicht erreichbar sei. Dem kann sich die Kammer nicht anschließen. R**(1) steht für die im Anspruch aufgelisteten Gruppen, eine chemische Bindung ist nicht darunter. Diese Gruppen sind im Vergleich zum erteilten Patent unverändert. Die gemachte Änderung im abhängigen Anspruch 3 ändert daran nichts.
4.2 Im Vergleich zum erteilten Verfahrensanspruch 11 wurden im vorliegenden Anspruch 10 die Präpolymere gestrichen.
Die Beschwerdegegnerin 1 hat vorgebracht, dadurch sei die Einschränkung von 20.000 Einheiten für dieses Monomer weggefallen. Dies überzeugt die Kammer nicht, denn die beanspruchten Produkte, auf die sich auch das Verfahren des Anspruchs 10 bezieht, werden unverändert durch die Bestimmungen des Anspruchs 1 definiert. Da sich der Schutzbereich des Anspruchs 1 nicht verbreitert hat, gilt entsprechendes für Anspruch 10.
4.3 Durch die im Vergleich zum erteilten Patent gemachten Änderungen hat sich der Schutzbereich daher nicht erweitert.
5. Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ)
5.1 Dieser Einspruchsgrund wurde für den vorliegenden Hauptantrag in der Einspruchsentscheidung nicht explizit behandelt. Allerdings treffen die für das erteilte Patent diskutierten Aspekte analog zu. Der in der Entscheidung als nicht ausführbar beanstandete Unteranspruch ist im vorliegenden Hauptantrag nicht mehr enthalten.
In der angefochtenen Entscheidung wurde die Ausführbarkeit bejaht (siehe Entscheidungsgründe, H-3). Die Kammer schließt sich der Beurteilung der Einspruchsabteilung an. Die beanspruchte Erfindung ist so deutlich offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann. Zu den von den Beschwerdegegnerinnen angeführten Punkten nimmt die Kammer folgendermaßen Stellung:
5.2 Flexibilität
5.2.1 Anspruch 1 definiert, dass das Verbundgebilde eine "Flexibilität (gemessen nach DIN 53 351) 1.000 bis 1.000.000 (Faltbeanspruchungen)" besitzt.
Von den Beschwerdegegnerinnen wurden zwei Gründe angeführt, aus denen ihrer Ansicht nach ein Fachmann anspruchsgemäße Verbundgebilde mit diesem Merkmal nicht herstellen kann.
a) Es handle sich um ein funktionelles Merkmal, für das in der Beschreibung nicht angegeben sei, wie es erreicht werden könne. Die Ausführungsbeispiele enthielten keine Lackschicht und könnten daher dem Fachmann keine Anleitung in die Hand geben.
b) Es sei nicht klar, welche DIN-Norm gemeint sei. Die DIN 53 351 existiere in mehreren Fassungen. In Tabelle 4 der Beschreibung werde zudem noch auf eine andere DIN-Norm Bezug genommen, DIN 16992, die aber im Gegensatz zu der in der Tabelle genannten Skala keine Benotung vorsehe.
5.2.2 Die Beschwerdeführerin bringt im wesentlichen vor, es sei kein Nachweis geführt worden, dass die Lackierung die Faltzahl verfälsche. Bei den im Anspruch definierten Faltbeanspruchungen handle es sich um das Dauerfaltverhalten nach DIN 53 351, und zwar in der zum Anmeldezeitpunkt gültigen Fassung.
5.2.3 Die Kammer schließt sich der Ansicht der Beschwerdeführerin an.
a) Es ist korrekt, dass die Ausführungsbeispiele nicht gelackt sind. Das heißt aber nicht, dass ein Fachmann nicht in der Lage wäre, anspruchsgemäße Verbundgebilde herzustellen. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Lackschicht die Eigenschaften der Verbundgebilde derart verändert, dass die im Anspruch definierten Faltzahlen nicht zu erreichen wären. Weder wurden von den Beschwerdegegnerinnen derartige Versuche durchgeführt, noch wurde ein solches Vorbringen auf andere Weise substantiiert.
b) Der Fachmann versteht, dass sich der Verweis auf die zum Anmeldezeitpunkt gültige Version der Norm DIN 53351 bezieht, d. h. auf D111 (2003) und nicht auf D110 (1983). Diese neuere Version der Norm war zum Zeitpunkt der Anmeldung bereits seit vier Jahren in Kraft und daher dem Fachmann geläufig. Die Notenskala in Tabelle 2 von D111 entspricht der im Patent verwendeten Skala. Diese Tabelle bezieht sich auf "Kunstleder und Flächengebilde nach DIN 16922", was den Verweis auf diese Norm in Tabelle 4 des Patents erklärt.
5.3 Die Beschwerdegegnerinnen bemängeln, dass die Ansprüche keine vernünftigen Obergrenzen für die Indizes m und n enthalten. Es sei aber klar, dass hohe Werte dieser Indizes zu nicht existierenden Strukturen führten.
Die Kammer hält dies nicht für einen Grund, dem Anspruch die Ausführbarkeit zu abzusprechen. Polyurethane sind eine bekannte Stoffklasse. Die gewählte Darstellung der Polymere als Markush-Struktur ist allgemein üblich, und ein Fachmann weiß, dass möglicherweise nicht alle theoretisch unter den Anspruch fallenden Verbindungen existieren. Dies trifft ja nicht nur auf die Indizes n und m zu, sondern auch auf die Definitionen der Reste R.
5.4 Der Einwand der Beschwerdegegnerin 1, es sei nicht offenbart, wie eine Narbung auf der Innenseite der Deckschicht erzeugt werden soll, ist ebenso unbegründet. Aus der Beschreibung des Patents (Absatz [0021]) ist klar, dass die Narbung auf der Außenseite der Deckschicht ausgeformt wird.
5.5 Die Beschwerdegegnerin 1 hat vorgebracht, bei Verwendung von 2-Ethylhexansäure oder Acetylaceton gemäß Anspruch 15 sei der Prozess aus Ansprüchen 19 und 20 undurchführbar. Die Kammer merkt zunächst an, dass nicht gezeigt wurde, dass bei Verwendung dieser Substanzen ein anspruchsgemäßes Verbundgebilde nicht zu erhalten ist. Im übrigen wären einzelne Fehlschläge unter Artikel 83 EPÜ nicht schädlich, solange ein Fachmann weiß, wie er vorzugehen hat, um anspruchsgemäße Verbundgebilde zu erhalten. Fachmännische Variationen von im Patent beschriebenen Verfahrensbedingungen sind ihm dabei zuzumuten.
5.6 Die Beschwerdegegnerin 2 hat eingewandt, die in Anspruch 10 definierten Viskositäten seien temperaturabhängig und auch abhängig von der Scherrate. Dies ist zwar richtig, führt aber nicht dazu, dass der Fachmann die beanspruchte Erfindung nicht ausführen kann. Die Einstellung der Viskosität ist in Absatz [0023] des Patents beschrieben. Viskosität ist eine dem Fachmann gebräuchliche Größe. Ein Fachmann ist durchaus in der Lage, die Viskosität der Streichmasse entsprechend einzustellen.
5.7 Die beanspruchte Erfindung ist daher für den Fachmann ausführbar beschrieben (Artikel 83 EPÜ).
6. Neuheit gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik (Artikel 54 EPÜ)
6.1 D42
6.1.1 In Beispiel 6 der D42 wird ein Kunstleder hergestellt, dessen schematischer Aufbau in Abbildungen 2 und 3 dargestellt ist. Dabei wird auf einen "release film" durch zweimaliges Auftragen einer Polyurethanschicht eine "top skin layer 500" erzeugt. Darauf wird ebenfalls zweimal eine weitere Polyurethanschicht aufgetragen, die als poröse Schicht bezeichnet wird ("porous layer 300"), gefolgt von einer Klebstoffschicht und einer textilen Trägerschicht. Der "release film" wird danach entfernt, so dass die top- skin-Schicht die Oberfläche bildet. Ein Querschnittsfoto dieser Struktur findet sich in Abbildungen 4 und 5.
In der beanspruchten Schichtenfolge entspräche die "top skin layer" 500 der Lackschicht und die "porous layer" 300 der Deckschicht.
Die Frage ist, ob letztere Schicht genarbt ist, wie im Anspruch verlangt.
6.1.2 Die Einspruchsabteilung hatte eine Narbung der porösen Schicht der D42 mit der Begründung bejaht (Punkt H-4.1 der Entscheidung), die in der Abbildung 5 sichtbare Narbung der top-skin-Schicht setze sich erkennbar auch in der porösen Schicht fort. Sie verwies auch auf Seite 10, Zeilen 10-15 der D42, wo eine bevorzugte Narbung des Trägerfilms ("release film") erwähnt ist und auf die Tatsache, dass Beispiel 6 als Kunstleder "synthetic leather" bezeichnet wird.
Die Beschwerdegegnerinnen schlossen sich dieser Einschätzung an und verwiesen des weiteren auf die im vorliegenden Anspruch 6 definierten Dimensionen der genarbten Deckschicht, deren Untergrenze nur 50 mym beträgt; eine anspruchsgemäße Narbung dieser Schicht sei daher sogar von entsprechend geringerer Dimension. Eine bestimmte Dimension der Narbung sei in Anspruch 1 nicht verlangt. Eine wie auch immer geartete Unebenheit der Schichtoberfläche müsse daher als Narbung im Sinne des Anspruchs verstanden werden. Aus D73-D76 werde klar, dass verschiedene Ledertypen mit stärkerer bis zu sehr schwacher Narbung existierten. Eine Nivellierung der in der "top skin layer" eindeutig gegebenen Narbung finde auf deren Rückseite, d. h. auf der Oberfläche der porösen Schicht, nicht statt.
Es wurde auch vorgebracht, die poröse Schicht in D42 müsse alleine schon aufgrund ihrer offensichtlichen Blasenstruktur als genarbt angesehen werden.
6.1.3 Die Beschwerdeführerin brachte hingegen vor, D42 offenbare keine Narbung der dortigen porösen Schicht, weder explizit noch implizit.
Der Begriff "Kunstleder" impliziere keine Narbung, und es sei nicht klar offenbart, ob die auf Seite 10 der D42 genannte Narbung des Trägerfilms bei der Herstellung des Beispiels 6 angewandt worden sei. Auch aus den Dokumenten D73-D76 ergebe sich nicht, dass eine beliebige Oberflächenrauheit als Narbung angesehen werden müsse.
Eine eventuelle Narbung in der obersten Schicht des Beispiels 6 sei in der darunterliegenden Schicht nicht mehr sichtbar, diese würde durch den zweimaligen Auftrag der Polyurethanstreichmasse nivelliert.
Aus Abbildung 5 selbst sei eine Narbung der porösen Schicht nicht eindeutig ableitbar, da ein Querschnitt eine von oben sichtbare Narbung der Oberfläche nicht darstellen könne. Geringfügige Niveauunterschiede entsprächen nicht zwangsläufig einer Narbung.
6.1.4 Die Kammer ist der Auffassung, dass Beispiel 6 aus D42 eine Narbung der anspruchsgemäß genarbten Schicht nicht direkt und eindeutig offenbart.
Als Narbung wird im allgemeinen Sprachgebrauch eine visuell oder haptisch erfassbare Oberflächenstrukturierung bezeichnet. Die von den Beschwerdegegnerinnen eingereichten Dokumente D73-D76 zeigen verschiedene derartige Strukturen, die in unterschiedlicher Weise feiner oder gröber genarbt sind; bei Naturleder hängt dies naturgemäß von der Art der verwendeten Tierhaut ab. Die Kammer kann sich der Ansicht der Beschwerdegegnerinnen, jede beliebige Unebenheit müsse als Narbung im Sinne des Anspruchs interpretiert werden, insoweit nicht anschließen, denn eine solche Narbung müsste zumindest visuell oder haptisch erkennbar sein.
Die Oberflächenbeschaffenheit der porösen Schicht, die der vorliegend im Anspruch definierten Deckschicht entspricht, ist in D42 nicht explizit beschrieben. Es gibt dort höchstens eine Beschreibung der Oberflächenbeschaffenheit der "top skin layer" genannten obersten Schicht, die bei dem in Beispiel 6 beschriebenen Herstellungsverfahren als erstes auf den Trägerfilm aufgestrichen wird. Dieser wird auf Seite 10, Zeilen 15 als vorzugsweise geprägt ("embossed") bezeichnet, wobei aus dem Beispiel 6 nicht ganz klar wird, ob auch dort ein geprägter Trägerfilm verwendet wird. Ob sich eine eventuell auf der Oberfläche des Kunstleders vorhandene Narbung in der darunterliegenden Schicht wiederfindet oder nicht, ist in D42 nicht beschrieben.
Informationen über eine eventuelle Narbung der porösen Schicht der in D42 hergestellten Struktur können daher nur der Abbildung 4, bzw. deren Vergrößerung in Abbildung 5, entnommen werden. Bei diesen Abbildungen handelt es sich um rasterelektronenmikroskopische Aufnahmen an einem Querschnitt des in Beispiel 6 hergestellten Kunstleders. Die Grenzfläche zwischen der "top skin layer" und der porösen Schicht ist darauf nur eindimensional, d. h. als Linie zu erkennen, dreidimensionale Informationen sind dieser Abbildung in Bezug auf diese Grenzfläche nicht zu entnehmen.
Ob die leichten Unebenheiten der Grenzfläche zwischen der porösen Schicht und der top-skin-Schicht in der Draufsicht für sich genommen, d. h. ohne die darüberliegende top-skin-Schicht, als Narbung dieser hypothetischen Oberfläche wahrnehmbar wären oder nicht, bleibt daher der Spekulation überlassen. Dies ist möglich, aber nicht zwingend. Ebenfalls Spekulation ist, ob, wie vorgebracht, eine solche Narbung allein aufgrund der Porosität der Schichtstruktur wahrnehmbar wäre oder nicht. Tatsache ist, dass den Abbildungen 4 und 5 keine eindeutigen Informationen über die dreidimensionale Struktur dieser Grenzfläche zu entnehmen sind. Eine direkte und eindeutige Offenbarung einer genarbten Deckschicht gemäß dem vorliegenden Anspruch liegt daher nicht vor.
Da somit für das in Beispiel 6 der D42 beschriebene Kunstleder keine genarbte Deckschicht im Sinne des vorliegenden Anspruchs offenbart ist, braucht auf andere potentiell unterscheidende Merkmale nicht weiter eingegangen zu werden.
6.2 D16, D38-D40
Gegenüber diesen Dokumenten wurde Neuheit von der Einspruchsabteilung anerkannt, da dort nur angegeben ist, nach 100.000 Knickungen seien keine Beschädigungen zu erkennen. Die genaue Faltzahl sei nicht angegeben und könne daher auch höher als 1.000.000 liegen. Der vorliegende Anspruch verlange dagegen eine Faltzahl zwischen 1.000 und 1.000.000. Dem schließt sich die Kammer an.
Die Beschwerdegegnerin 1 hat vorgebracht, der Parameter im Anspruch definiere nicht die Faltzahl, sondern sei undefiniert und daher bedeutungslos. Die Kammer folgt dieser Auffassung nicht. Die Angabe "Flexibilität (gemessen nach DIN 53 351) 1.000 bis 1.000.000 (Faltbeanspruchungen)" definiert eindeutig die Faltzahl.
6.3 D27, D29 und D41
Gegenüber diesen Dokumenten wurde Neuheit von der Einspruchsabteilung anerkannt, da sie der Ansicht war, dort sei keine genarbte Deckschicht offenbart.
6.3.1 Mit Bezug auf D27 wurde von der Beschwerdegegnerin 1 vorgebracht, auch die dort beschriebenen Spaltleder fielen unter die Definition "genarbt". Die Beschwerdeführerin bestreitet dies und argumentiert weiterhin, die in den betreffenden Beispielen 1a/1b und 6 verwendeten Isocyanate fielen nicht unter die anspruchsgemäße Formel.
Die Kammer hält zumindest das letztere Argument für überzeugend. In Beispiel 1 wird ein "Präpolymer 3" verwendet, das ausweislich Absatz [0085] aus TDI, d. h. aromatischen Monomeren hergestellt wird. Anspruchsgemäß ist R2 allerdings nicht aromatisch. Gleiches gilt für Beispiel 6. Die "Dispersion 1", die von der Beschwerdegegnerin 1 als ein anspruchsgemäßes Polyurethan enthaltend zitiert wurde, ist gemäß der Tabelle auf Seite 6 nicht in einer unter einer Lackschicht liegenden, der vorliegenden Deckschicht entsprechenden Schicht eingebaut.
6.3.2 Auch gegenüber D29 ist Neuheit gegeben. Wie sowohl von der Beschwerdeführerin als auch von der Beschwerdegegnerin 1 ausgeführt, entspricht die Schichtfolge in Beispiel 30 im wesentlichen der Schichtfolge von Beispiel 6 der D42. Eine fotographische Abbildung existiert nicht. Die Frage, ob die der beanspruchten Deckschicht entsprechende poröse Schicht, die sich unter der der Lackschicht entsprechenden "skin coat layer" befindet, als genarbt angesehen werden kann, oder nicht, muss daher analog zu D42 verneint werden.
6.3.3 Bei D41 handelt es sich um Spaltleder. Unabhängig von der Frage, ob diese Materialien die beanspruchte Narbung aufweisen, hat die Beschwerdeführerin vorgebracht, dass das beanspruchte Merkmal der Faltzahl nicht offenbart ist. Die Kammer schließt sich dem an. Da in Tabelle 7 nur ein Wert gemessen wurde, ist bei einem beschädigten Material nicht klar, ob die beanspruchten Untergrenze eingehalten wird, während bei einem unbeschädigten Material nicht klar ist, ob die beanspruchte Obergrenze erfüllt ist.
6.4 Die Gegenstände gemäß den Ansprüchen des Hauptantrags sind daher neu gegenüber dem druckschriftlichen Stand der Technik.
7. Neuheit gegenüber den öffentlichen Vorbenutzungen (Artikel 54 EPÜ)
Die Beschwerdegegnerinnen haben insgesamt fünf öffentliche Vorbenutzungen geltend gemacht, die im Folgenden mit (a) bis (e) bezeichnet werden. Neuheit gegenüber den Vorbenutzungen wurde in der Einspruchsentscheidung nicht behandelt.
Die Kammer kommt zu dem Schluss, dass die Vorbenutzungen (a) und (b) Anspruch 1 des Hauptantrags neuheitsschädlich entgegenstehen. Die Gründe dafür sind im folgenden ausgeführt.
7.1 Vorbenutzung (a) "7 114 220", Benecke-Kaliko / BMW
D104-1 bis D104-5
7.1.1 Es handelt sich hier um eine Vorbenutzung der Beschwerdeführerin selbst, die im Jahr 2003 ein Urmuster eines Kunstleders der BMW Group zur Verfügung gestellt hat, das im weiteren Verlauf in die Baureihe E60 als Schalthebelbalg eingebaut wurde. Diese Baureihe wurde ab 2003, also drei Jahre vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents, gefertigt und als "BMW 5er" verkauft. Dieser Sachverhalt ist in den Schreiben der BMW Group beschrieben, die sich als D104-1 und D-104-5 im Verfahren befinden.
Die Offenkundigkeit der Vorbenutzung ergibt sich daraus, dass die BMW Group nicht zur Geheimhaltung verpflichtet war und weiterhin daraus, dass entsprechende Fahrzeuge, die das Material enthielten, vor dem Prioritätszeitpunkt kommerziell erhältlich waren. Die Öffentlichkeit konnte daher dieses Material analysieren.
7.1.2 Die Eigenschaften des Materials sind in den Untersuchungsberichten D104-2 der BMW Group und D104-3 des Labors FILK beschrieben. Sie wurden an dem von der Beschwerdeführerin selbst gelieferten Urmuster durchgeführt. Das Material "7 114 220" wird dort auch als "beige 3" bezeichnet.
Es handelt sich demnach um ein genarbtes und lackiertes mehrschichtiges Kunstleder auf einem textilen Träger (Seite 5 der D104-2).
Die gemäß DIN 53 351 gemessene Flexibilität liegt zwischen 1.000 und 1.000.000, siehe Seite 4 der D104-2 und Tabelle der D-104-3.
Die der vorliegend beanspruchten Deckschicht entsprechende Schicht (Schicht Nr. 2) wurde isoliert und mit Infrarotspektroskopie (IR)und Pyrolyse-GCMS untersucht. Aus dem IR-Spektrum ergibt sich, dass es sich um ein Polyurethan handelt (siehe Seite 8 der D104-2). Die durch Pyrolyse-GCMS identifizierten Monomere sind in der Tabelle auf Seite 3 dargestellt. Dabei handelt es sich um aliphatische Isocyanate, nämlich Isophorondiisocyanat und Hexamethylendiisocyanat und ein aliphatisches Diol, nämlich Hexandiol. Ein aus diesen Monomeren gebildetes Polyurethan entspricht der Formel (I) des vorliegenden Anspruchs. Dabei entsprechen die Reste der Isocyanate der Gruppe R**(2) und der Hexanrest des Diols der Gruppe (CH2)m-R**(1)-(CH2)m mit m=2. Dass ein Polyurethan Einheiten mit n>10 enthält, ist schon aus statistischen Gründen unvermeidlich.
Untersuchungsmethoden wie IR-Spektroskopie und Pyrolyse-GCMS standen der Öffentlichkeit bereits vor dem Prioritätsdatum 2006 zur Verfügung, auch wenn die in D-104-2/3 dokumentierten Untersuchungen naturgemäß nach diesem Datum durchgeführt wurden.
7.1.3 Die Beschwerdeführerin hat die Offenkundigkeit der Vorbenutzung in der mündlichen Verhandlung mit dem Argument bestritten, die BMW Group stelle keine Öffentlichkeit dar, da die Urmuster unter einer Geheimhaltungsverpflichtung geliefert worden seien. Andere in der Beschwerdebegründung vorgebrachte Argumente zur Frage der Offenkundigkeit der Vorbenutzung wurden nicht aufrechterhalten.
Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin ist nicht überzeugend. Die BMW Group bestreitet ausdrücklich das Vorliegen einer Geheimhaltungsvereinbarung (D104-5, Frage 2) und hat auch Proben des Urmusters vor dem Prioritätszeitpunkt anderen Lieferanten zur Verfügung gestellt (D104-5, Frage 6). Im übrigen sind ja auch vor dem Prioritätszeitpunkt Fahrzeuge in Umlauf gebracht worden, die dieses Material enthielten; diese Verkäufe unterlagen jedenfalls keiner Geheimhaltung.
7.1.4 Die Beschwerdeführerin hat weiterhin bestritten, dass aus den durchgeführten Analysen, insbesondere aus den Ergebnissen der Pyrolyse-GCMS, auf das Vorliegen eines anspruchsgemäßen Polyurethans geschlossen werden kann.
Sie hat vorgebracht, es seien in geringerer Menge Verbindungen gefunden worden, die der beanspruchten Struktur nicht zugeordnet werden könnten. Nicht pyrolysierbares Material, etwa trimerisierte Isocyanate, die auf ein vernetztes Polyurethan hindeuteten, sei der Untersuchung zudem nicht zugänglich. Insgesamt sei die Pyrolyse-GCMS eine unübliche Methode, die höchstens als Fingerprint-Methode unter Verwendung von Referenzspektren vergleichende Aussagen erlaube.
Dieses Vorbringen hält die Kammer auch nicht für überzeugend.
Das Argument, die verwendete Pyrolyse-GCMS sei für die Strukturermittlung des Polymers prinzipiell ungeeignet, weil nichtflüchtige Substanzen wie etwa Trimere nicht detektiert würden, hat die Beschwerdeführerin nicht durch Daten oder allgemeines Fachwissen substantiiert. Gleiches gilt für die Behauptung, diese Methode wäre nur als Fingerprint-Methode unter Verwendung von Referenzspektren sinnvoll. Das Analyselabor der BMW Group, das die Analyse durchgeführt hat, hält die Methode offenbar zur Strukturermittlung für geeignet, wie aus dem Absatz über der Tabelle auf Seite 3 der D104-2 hervorgeht. Ohne Daten oder dokumentarischen Nachweis des Gegenteils kann diese Auffassung nicht erschüttert werden. Es ist auch lebensfremd anzunehmen, dass ein Labor eines Automobilherstellers Materialproben von Zulieferern mittels dafür ungeeigneter Methoden analysiert.
Die gefundenen aliphatischen Isocyanate und das 1,6-Hexandiol lassen sich nur derart zu einem Polyurethan zusammensetzen, dass Polymere entstehen, die unter Formel (I) des Anspruchs 1 fallen. Dass es sich bei den in der Deckschicht gefundenen Polymeren um Polyurethane handelt, ist aus dem IR-Spektrum ersichtlich. Selbst das Vorhandensein geringer Mengen an Neopentylglycol, das ebenfalls als Monomer vorhanden sein könnte, hält die Kammer für unschädlich. Wie von den Beschwerdegegnerinnen vorgebracht, ergeben die gefundenen Hauptkomponenten ein anspruchsgemäßes Polymer; eventuell in geringen Mengen vorhandene zusätzliche Polymere sind vom Anspruch nicht ausgeschlossen.
7.1.5 Die Beschwerdeführerin hat ebenso bestritten, dass die im Anspruch definierte Faltzahl korrekt bestimmt worden sei. Insbesondere verlange die Norm eine Durchführung bei 23°C (Punkt 8 von D111), wohingegen in der Messung in D104-2 keine Temperatur angegeben sei.
Die Beschwerdegegnerin 2 hat dagegen argumentiert, die Messungen seien gemäß der Norm durchgeführt worden. Die Kammer schließt sich dem an. D104-3 verweist direkt auf DIN 53351 und gibt überdies die verwendete Temperatur mit 23°C an. D104-2 verweist auf die inhaltsgleiche spätere DIN EN ISO 32100. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die entsprechenden Versuchsbedingungen eingehalten wurden.
7.1.6 Die Vorbenutzung (a) "7 114 220", Benecke-Kaliko / BMW nimmt daher zumindest Anspruch 1 des Hauptantrags neuheitsschädlich vorweg.
7.2 Vorbenutzung (b) 7F90 Konrad Hornschuch AG / Daimler
D105-1 bis D105-13
7.2.1 Es handelt sich hier um eine Vorbenutzung der Konrad Hornschuch AG (die mittlerweile zum Unternehmen der Beschwerdeführerin gehört, siehe D105-9 und D105-10), die im Jahr 2003 ein Grundmuster eines Kunstleders der Daimler AG zur Verfügung gestellt hat. Dieser Sachverhalt ist in den Schreiben der Daimler AG beschrieben, die sich als D105-1 und D-105-1a im Verfahren befinden. Das Deckblatt des Archivmusters ist in D105-2 abgebildet. Dieses Kunstleder wurde im weiteren Verlauf in die Baureihe BR-209 als "Mantelrohrjalousie", d. h. Verkleidung der Lenkrad-Höhenverstellung, eingebaut. Diese Baureihe wurde als "Mercedes CLK" verkauft.
Die Offenkundigkeit der Vorbenutzung ergibt sich zumindest daraus, dass die Daimler AG nicht zur Geheimhaltung verpflichtet war. Die Öffentlichkeit konnte daher dieses Material analysieren.
7.2.2 Die Eigenschaften des Kunstleders sind in den Untersuchungsberichten D105-5 und D105-6 des Labors Intertek und D105-7 des Labors FILK beschrieben. Sie wurden an einem Teil des bei der Daimler AG aufbewahrten Grundmusters durchgeführt.
Es handelt sich demnach um ein genarbtes und lackiertes mehrschichtiges Kunstleder auf einem textilen Träger(Seiten 3 und 4 der D105-5).
Die gemäß DIN 53 351 gemessene Flexibilität liegt zwischen 1.000 und 1.000.000, siehe Tabelle der D-105-7.
Die der vorliegend beanspruchten Deckschicht entsprechende Schicht (Schicht Nr. 2) wurde isoliert und mit Infrarotspektroskopie (IR)und Pyrolyse-GCMS untersucht. Aus den IR-Spektrem ergibt sich, dass es sich im wesentlichen um ein aliphatisches Polyurethan handelt (siehe Seite 7 der D105-5, "conclusion"). Als wahrscheinliche Monomere werden Hexandiol und Isophorondiisocyanat oder Hexamethylendiisocyanat vermutet. Die dann durch Pyrolyse-GCMS identifizierten Monomere sind Isophorondiisocyanat und Hexandiol (D105-6, Seite 4). Ein aus diesen Monomeren gebildetes Polyurethan entspricht der Formel (I) des vorliegenden Anspruchs. Dabei entspricht der Rest des Isophorondiisocyanats der Gruppe R**(2) und der Hexanrest des Diols der Gruppe (CH2)m-R**(1)-(CH2)m mit m=2. Dass ein Polyurethan Einheiten mit n>10 enthält, ist schon aus statistischen Gründen unvermeidlich.
7.2.3 Untersuchungsmethoden wie IR-Spektroskopie und Pyrolyse-GCMS standen der Öffentlichkeit bereits vor dem Prioritätsdatum 2006 zur Verfügung, auch wenn die in D-105-5/6 dokumentierten Untersuchungen naturgemäß nach diesem Datum durchgeführt wurden.
7.2.4 Die Beschwerdeführerin hat die Offenkundigkeit der Vorbenutzung in der mündlichen Verhandlung mit dem Argument bestritten, die Daimler AG stelle keine Öffentlichkeit dar, da die Grundmuster unter einer stillschweigenden Geheimhaltungsverpflichtung geliefert worden seien. Solche Archivmuster seien nicht öffentlich. Des weiteren sei nicht klar, ob das in den Fahrzeugen letztendlich verbaute Material identisch zu dem gelieferten Grundmuster gewesen sei.
Dieses Vorbringen der Beschwerdeführerin ist nicht überzeugend. Die Daimler AG bestreitet ausdrücklich das Vorliegen einer Geheimhaltungsvereinbarung (D105-1) und hat auch Proben des Grundmusters vor dem Prioritätszeitpunkt an andere Lieferanten verteilt (D105-1; D105-1a, Frage 4). Alleine aus diesem Grund schon war das Material der Öffentlichkeit zugänglich. Ob ein dem Grundmuster identisches Material in die zum Verkauf bestimmten Fahrzeuge eingebaut wurde oder nicht, braucht daher nicht weiter diskutiert zu werden.
7.2.5 Die Beschwerdeführerin hat analog zu den Argumenten bezüglich der Vorbenutzung (a) vorgebracht, dass aus den durchgeführten Analysen, insbesondere aus den Ergebnissen der Pyrolyse-GCMS, nicht auf das Vorliegen eines anspruchsgemäßen Polyurethans geschlossen werden kann.
Die Kammer hält diese Argumente nicht für stichhaltig; es wird auf die obigen Ausführungen bezüglich der Vorbenutzung (a) verwiesen.
7.2.6 Die Vorbenutzung (b) "7F90", Konrad Hornschuch AG / Daimler nimmt daher zumindest Anspruch 1 des Hauptantrags neuheitsschädlich vorweg.
7.3 Da die Ansprüche bereits durch die Vorbenutzungen (a) und (b) neuheitsschädlich getroffen sind, braucht über die anderen vorgebrachten Vorbenutzungen nicht im Detail entschieden zu werden.
Hilfsantrag 1
8. Änderungen (Artikel 123(2) EPÜ)
Anspruch 1 des Hilfsantrags entspricht einer Kombination des ursprünglichen Anspruchs 1 mit Ansprüchen 3 (Lackschicht), 9 (mittlere Stärke der Deckschicht) und 14 (Flexibilität). Aus dem ursprünglichen Anspruch 14 wurde dabei der Begriff "etwa" entfernt.
Im Vergleich zu Anspruch 1 des Hauptantrags ist also der Parameter n wieder auf den ursprünglichen Wert zurückgesetzt, während jetzt die Dicke der Deckschicht definiert ist.
Die Beschwerdegegnerin 1 hat dazu vorgebracht, die Auswahl der Schichtdicke aus den beiden im ursprünglichen Anspruch 9 offenbarten Bereichen entspreche einer Auswahl aus drei Möglichkeiten, nämlich den beiden dort offenbarten Bereichen und einer beliebigen Schichtdicke wie in ursprünglichem Anspruch 1. Diese Auswahl sei in Kombination mit den anderen Anspruchsmerkmalen ursprünglich nicht offenbart.
Die Beschwerdeführerin verwies darauf, dass es sich lediglich um eine Kombination des ursprünglichen unabhängigen Anspruchs mit abhängigen Ansprüchen handle.
Die Kammer pflichtet der Beschwerdeführerin bei. Analog zu der für den Hauptantrag gegebenen Begründung geht Anspruch 1 des ersten Hilfsantrags nicht über die ursprüngliche Offenbarung hinaus. Es handelt sich nicht um eine Auswahl von Bereichen, sondern um die Kombination von ursprünglich als bevorzugt offenbarten Merkmalen des Verbundgebildes. Die beanspruchte Schichtdicke ist in ursprünglichem Anspruch 9 und in Absatz [0017] der Beschreibung als vorteilhaft beschrieben. Es gibt keinen Anhaltspunkt in der ursprünglichen Offenbarung, dass diese Schichtdicke nicht mit anderen bevorzugten Merkmalen, in diesem Fall mit dem Vorhandensein einer Lackschicht und der definierten Flexibilität der ursprünglich offenbarten Verbundgebilde kombiniert werden könnte.
Für den Verfahrensanspruch und die die abhängigen Ansprüche wird auf die Begründung bezüglich des Hauptantrags verwiesen.
9. Neuheit (Artikel 54 EPÜ)
9.1 Gegenüber den druckschriftlichen Dokumenten wurde Neuheit bereits für die Ansprüche des Hauptantrags anerkannt. Das nun aus dem Anspruch entfernte Merkmal (die eingeschränkte Definition des Parameters n) spielte dabei keine Rolle. Daher sind auch die Ansprüche des vorliegenden Hilfsantrags 1 neu gegenüber dem druckschriftlich gegen die Ansprüche des Hauptantrags zitierten Stand der Technik. Weitere Einwände wurden nicht vorgebracht.
9.2 Die für den Hauptantrag neuheitsschädlichen öffentlichen Vorbenutzungen (a) und (b) offenbaren Kunstleder mit einer Dicke der Deckschicht von 25-40 mym in (a) (siehe D104-2, Seite 2) und 25 mym in (b)(siehe D105-5, Seite 3).
Beansprucht wird eine mittlere Stärke der Deckschicht von 0,05 bis 1 mm, d. h. 50 mym bis 1 mm.
Die Beschwerdegegnerin 2 hat vorgebracht, bei einer in (a) beschriebenen Schichtdicke von bis zu 40 mym sei es bei Berücksichtigung von Fehlertoleranzen bei der Schichtdickenbestimmung durchaus möglich, dass die dort verwendeten Kunstleder unter den Anspruch fallen.
Die Beschwerdeführerin hat demgegenüber argumentiert, es sei im Anspruch eine mittlere Schichtdicke verlangt. Die mittlere Schichtdicke in (a) betrage 32,5 mym, wie sich aus den beiden angegebenen Werten von 25 und 40 mym ergebe. Toleranzen seien keine angegeben.
Die Kammer gibt der Beschwerdeführerin recht. Der in (a) offenbarte Bereich überlappt nicht mit dem Anspruch. Eine mittlere Stärke der Deckschicht von mehr als 0,05 mm ist dort nicht zu erkennen. Über eventuelle Fehlerbereiche oder Messtoleranzen sagt der Untersuchungsbericht D104-2 nichts aus.
Die Ansprüche sind daher neu gegenüber den beiden Vorbenutzungen (a) und (b). Im Übrigen weisen die anderen angeführten Vorbenutzungen ebenfalls Schichtdicken außerhalb des beanspruchten Bereichs auf; (c) und (d) 20 mym, siehe D106-6, Seite 3; (e) 20 mym, siehe D108-8, Seite 1.
10. Zurückverweisung (Artikel 111(1) EPÜ und Artikel 11 VOBK 2020)
10.1 Die Parteien beantragten, die Angelegenheit nicht an die Einspruchsabteilung zurückzuverweisen, sondern im laufenden Beschwerdeverfahren endgültig zu entscheiden. Als Begründung wurde das schwebende und zur Zeit ausgesetzte Verletzungsverfahren genannt, das die Beschwerdeführerin vor dem Landgericht Düsseldorf gegen die Beschwerdegegnerin 2 angestrengt hat.
10.2 Die Kammer gibt diesen Anträgen nicht statt.
Das Beschwerdeverfahren dient in erster Linie dazu, die angefochtene Entscheidung gerichtlich zu überprüfen, Artikel 12(2) VOBK 2020.
Der nun in Frage stehende Punkt, nämlich erfinderische Tätigkeit, wurde von der Einspruchsabteilung nicht entschieden, und zwar weder bezüglich des nun vorliegenden ersten Hilfsantrags noch bezüglich irgendeines anderen damals oder jetzt vorliegenden Antrags. Es liegen daher besondere Gründe im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020 vor, die eine Zurückverweisung an die Vorinstanz rechtfertigen.
Dem Beschleunigungsersuchen der Parteien aufgrund des schwebenden Verletzungsverfahrens ist die Kammer durch die zeitnahe Ansetzung einer mündlichen Verhandlung und die Behandlung der Neuheitsfrage auch gegenüber den im Einspruchsverfahren befindlichen aber in der Entscheidung nicht berücksichtigten öffentlichen Vorbenutzungen nachgekommen.
10.3 Daher wird die Angelegenheit unter Artikel 111 EPÜ und Artikel 11 VOBK 2020 zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
Die Angelegenheit wird zur weiteren Entscheidung an die Einspruchsabteilung zurückverwiesen.