T 1855/19 29-11-2022
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FOLIENHANDLINGANORDNUNG, VERPACKUNGSMASCHINE UND DEREN BETRIEB
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der eingereichten Fassung hinaus (ja)
Änderungen - Hauptantrag
Klarheit - Hauptantrag (nein) - Hilfsantrag (nein)
I. Die Patentanmelderin (Beschwerdeführerin) legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung ein, mit welcher die europäische Patentanmeldung Nr. 15 166 670.8 zurückgewiesen wurde.
II. Die Entscheidung der Prüfungsabteilung erging als eine "Entscheidung nach Lage der Akten", in dem zur Entscheidungsbegründung auf die folgende frühere Bescheide der Prüfungsabteilung verwiesen wurde:
- Ladung zur mündliche Verhandlung vom 7. Mai 2018;
- Prüfungsbescheid vom 18. August 2017, der sich sowohl auf einen Prüfungsbescheid vom 24. März 2017 als auch den Recherchenbericht vom 29. Juli 2015 bezieht.
III. Die Prüfungsabteilung war zu der Auffassung gelangt, dass der Gegenstand von Ansprüchen 1 und 9 gemäß den damaligen Hauptantrag nicht den Erfordernissen des Artikels 123 (2) EPÜ genügt und die Ansprüche 1 und 7 nicht klar sind.
IV. Mit der Beschwerdebegründung reichte die Beschwerdeführerin einen neuen Hauptantrag und einen neuen Hilfsantrag ein.
V. Die Beschwerdeführerin beantragte
die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und
die Erteilung eines Patents auf der Basis der Ansprüche gemäß dem Hauptantrag oder dem Hilfsantrag, beide eingereicht mit der Beschwerdebegründung am 17. Juni 2019,
hilfsweise,
die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung.
VI. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 22. April 2022 teilte die Beschwerdekammer der Beschwerdeführerin ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde zurückzuweisen wäre. Darauf wurde keine schriftliche Stellungnahme der Beschwerdeführerin eingereicht.
VII. Am 29. November 2022 fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. Wegen der Einzelheiten des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll verwiesen. Der Tenor der Entscheidung wurde am Schluss der Verhandlung verkündet.
VIII. Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet:
"Verfahren zum Betrieb einer Verpackungsmaschine mit einer Folienhandlinganordnung (1), insbesondere für Straffbanderoliermaschinen, mit einer Folienrolle (2) und einem Tänzersystem (7) als Vorratsspeicher und Kraftbegrenzer, wobei dem Tänzersystem (7) eine steuerbare Abzugseinrichtung (9) nachgeschaltet ist, wobei die Abzugseinrichtung (9) als angetriebene Abzugsrolle (10) ausgebildet ist, die mit einer Andruckrolle (11) zusammenwirken kann und wobei die Abzugseinrichtung (9) mit einem Schrittmotor, Servomotor oder dergleichen ausgerüstet ist und daß das Tänzersystem (7) eine Abfolge feststehender und beweglicher Umlenkrollen aufweist, die gesteuert, federbelastet oder trägheitswirksam sind, dadurch gekennzeichnet, daß ein Vorhang aus Unter- und Oberfolie, jeweils ausgehend von einer Folienrolle (2) mittels jeweils einer Abzugseinrichtung (9) aufgespannt wird, wobei die beiden Folien durch eine Schweißnaht (12) miteinander verbunden sind, die zu verpackenden Waren (13), meistens selbst Verpackungen, die zu einer Mehrstückverpackung zusammengefügt werden, in den aufgespannten Folienvorhang hineingeschoben werden und nach den Waren (13) Ober- und Unterfolie unter Spannung miteinander verschweißt, sowie die abgepackten Waren (13) von den Folienzuläufen abgetrennt werden und daß Ober- und/oder Unterfolie während die Waren (13) in den Folienvorhang hineingeschoben werden, mit der angetriebenen Abzugsrolle (10, 20) nachgeführt werden und daß Ober- und/oder Unterfolie vor dem Verschweißen über die Abzugsrolle (10, 20) straff gezogen werden und daß die Position der Naht (12) mittels der zwei Folienhandlinganordnungen (1) verschiebbar ist."
IX. Anspruch 7 gemäß Hauptantrag lautet:
"Folienhandlinganordnung (1) für Verpackungsmaschinen zur Durchführung eines Verfahrens nach einem der vorangehenden Ansprüche, insbesondere für Straffbanderoliermaschinen, mit einer Folienrolle (2) für die Ober- und die Unterfolie und einem Tänzersystem (7) als Vorratsspeicher und Kraftbegrenzer , dadurch gekennzeichnet, daß dem Tänzersystem (7) eine steuerbare Abzugseinrichtung (9) nachgeschaltet ist, wobei die Abzugseinrichtung (9) als angetriebene Abzugsrolle (10) ausgebildet ist, die mit einer Andruckrolle (11) zusammenwirken kann und daß die Abzugseinrichtung mit einem Schrittmotor, Servomotor oder dergleichen ausgerüstet ist und daß das Tänzersystem (7) eine Abfolge feststehender und beweglicher Umlenkrollen aufweist, die gesteuert, federbelastet oder trägheitswirksam sind, wobei für die Unterfolie keine Abzugseinrichtung vorgesehen ist, aber trotzdem mit dieser Anordnung die Position der Naht (12) verschiebbar ist."
X. Anspruch 9 gemäß Hauptantrag lautet:
"Folienhandlinganordnung nach Anspruch 7 oder 8, dadurch gekennzeichnet, daß zwei Folienhandlinganordnungen (1) vorgesehen sind, wobei die eine für eine Oberfolie, die andere für eine Unterfolie vorgesehen ist und Oberfolie und Unterfolie mit einer Naht (12) miteinander verbunden sind und die Position der Naht (12) mittels der zwei Folienhandlinganordnungen (1) verschiebbar ist."
XI. Anspruch 7 gemäß Hilfsantrag lautet:
"Folienhandlinganordnung (1) für Verpackungsmaschinen zur Durchführung eines Verfahrens nach einem der vorangehenden Ansprüche, insbesondere für Straffbanderoliermaschinen, mit einer Folienrolle (2, 22) für die Ober- und Unterfolie und einem Tänzersystem (5, 25) als Vorratsspeicher und Kraftbegrenzer, dadurch gekennzeichnet, daß dem Tänzersystem (5, 22) eine steuerbare Abzugseinrichtung (9) nachgeschaltet ist, wobei die Abzugseinrichtung (9) als angetriebene Abzugsrolle (10) ausgebildet ist, die mit einer Andruckrolle (11) zusammenwirken kann und daß die Abzugseinrichtung (9) mit einem Schrittmotor, Servomotor oder dergleichen ausgerüstet ist und daß das Tänzersystem (7) eine Abfolge feststehender und beweglicher Umlenkrollen aufweist, die gesteuert, federbelastet oder trägheitswirksam sind."
XII. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Beschwerdeführerin wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
1. Verfahrensaspekte
Das vorliegende Verfahren unterliegt der revidierten Fassung der Verfahrensanordnung der Beschwerdekammern, die am 1. Januar 2020 in Kraft trat (Artikel 24 und 25 (1) VOBK 2020), mit Ausnahme von Artikel 12 (4) bis (6) VOBK 2020, anstelle dessen Artikel 12 (4) VOBK 2007 weiterhin anwendbar ist (Artikel 25 (2) VOBK 2020).
2. Hauptantrag
2.1 In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 hat die Kammer dargelegt, warum sie sich nicht den Argumenten zur Unrichtigkeit der Feststellungen der Prüfungsabteilung hinsichtlich der mangelnde Erfüllung der Artikel 123 (2) und 84 EPÜ anzuschließen vermag (siehe dort Punkte 6.3 und 6.4).
2.2 Artikel 123 (2) EPÜ
2.2.1 In der Ladung zur mündliche Verhandlung war die Prüfungsabteilung der Ansicht, dass die Verwendung des Wortes "Folienhandlinganordnung" anstelle von "Abzugseinrichtung" im letzten Merkmal der Ansprüche 1 bzw. 9 führe zu einer unzulässigen Zwischenverallgemeinerung (siehe Punkt 1.1 sowie 1.2).
2.2.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte in ihrer Beschwerdebegründung, dass keine Zwischenverallgemeinerung vorliege. Die Abzugseinrichtungen seien Teil der Folienhandlinganordnung und innerhalb dieser dem Tänzersystem nachgeschaltet. Damit erfolge die Steuerung der Nahtposition durch die Folienhandlinganordnung (siehe Beschwerdebegründung, Seite 1, vierter Absatz).
2.2.3 Die Kammer folgt jedoch der Feststellung der Prüfungsabteilung.
Nach der ständigen Rechtsprechung ist es in der Regel nicht zulässig, bei der Änderung eines Anspruchs isolierte Merkmale aus eine Reihe von Merkmalen herauszugreifen, die ursprünglich nur in Kombination miteinander offenbart waren (vgl. Rechtsprechung der Beschwerdekammern (RdB), 10. Auflage 2022, Kapitel II.E.1.9.).
Die Prüfungsabteilung stellte fest, dass die einzigen Offenbarungen zum Nahtausrichten auf Seite 5, Zeilen 25 bis 27, und Seite 8, Zeilen 9 bis 12, der ursprünglichen Anmeldeunterlagen zu finden sind (Bescheid von 24. März 2017, Punkt 1.1). Eine andere Grundlage für die Änderung hat die Beschwerdeführerin nicht dargelegt. Sie ist für die Kammer auch nicht erkennbar.
Die entsprechenden Stellen lauten wie folgt:
"Ebenfalls sehr vorteilhaft ist es erfindungsgemäß, wenn die Naht zwischen Ober- und Unterfolie im Vorhang auf die zu verpackenden Waren ausgerichtet wird, indem die Abzugsrollen entsprechend gesteuert werden", und
"Durch einen entsprechenden Vorschub bzw. Zurückziehen der Abzugeinrichtung 9 bzw. der Abzugseinrichtungen kann die genaue Position der Naht 12 verschoben werden [...]."
Weder die Abzugseinrichtung noch die Abzugsrollen sind in Ansprüchen 1 oder 9 gemäß Hauptantrag enthalten, obwohl sie eindeutig untrennbar mit dem Merkmal, dass die Position der Naht verschiebbar ist, verbunden sind. Es gibt keine Offenbarung, dass andere Komponenten der Folienhandlinganordnung diese Funktion erfüllten. Aus diesem Grund verstößt die Aufnahme des Merkmals "die Position der Naht ist verschiebbar" in den Ansprüchen, ohne die Abzugseinrichtung ebenfalls einzubeziehen, gegen die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ.
2.3 Artikel 84 EPÜ
2.3.1 Die Kammer folgt ebenfalls der Entscheidung der Prüfungsabteilung, dass Anspruch 1 unklar ist (siehe Punkt 2. der Ladung zur mündlichen Verhandlung vom 7. Mai 2018).
Im Oberbegriff des Anspruchs 1 wird ein "Verfahren zum Betrieb einer Verpackungsmaschine mit einer Folienhandlinganordnung [...] mit einer Folienrolle (2)" beansprucht. Es ist aber nicht klar, dass der "Vorhang aus Unter- und Oberfolie", welcher im kennzeichnenden Teil beansprucht wird, zwangsläufig zu zwei Folienhandlinganordnungen führt.
Wie die Prüfungsabteilung begründete, ist nicht klar, ob die beiden im letzten Merkmal des Anspruchs beanspruchten Folienhandlinganordnungen jeweils alle im Oberbegriff des Anspruchs 1 genannten Merkmale aufweisen.
In ihrer Beschwerdebegründung (Seite 2) machte die Beschwerdeführerin geltend, dass die beiden Vorrichtungen im kennzeichnenden Teil lediglich eine Folienrolle und eine Abzugsvorrichtung aufwiesen. Es ist aber unklar, ob dies bedeutete, dass eine Folienhandlinganordnung mit allen Merkmalen des Oberbegriffs und eine zweite Folienhandlinganordnung mit lediglich einer Folienrolle und einer Abzugsvorrichtung vorgesehen sind. Die Beschwerdeführerin hat nicht dargelegt, wo eine solche Ausführungsform in der ursprünglich eingereichten Anmeldung ihre Grundlage hätte.
2.3.2 Die Kammer folgt ebenfalls der Feststellung der Prüfungsabteilung, dass Anspruch 7 nicht klar ist, da die Folienhandlinganordnung gemäß Anspruch 7 geeignet sein soll, das Verfahren gemäß Anspruch 1 auszuführen. Anspruch 1 benötigt jedoch zwei Abzugseinrichtungen ("dass ein Vorhang aus Unter- und Oberfolie, jeweils ausgehend von einer Folienrolle (2) mittels jeweils einer Abzugseinrichtung (9) aufgespannt wird"), aber Anspruch 7 gemäß Hauptantrag schließt ausdrücklich eine zweite Abzugseinrichtung aus ("wobei für die Unterfolie keine Abzugseinrichtung vorgesehen ist").
Die Beschwerdeführerin hat zu diesem Punkt keine Argumente in ihrer Beschwerdebegründung vorgebracht
2.4 Diese Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die Kammer wurde von der Beschwerdeführerin weder weiter kommentiert noch während des Beschwerdeverfahrens bestritten.
Unter diesen Umständen sieht die Kammer, nachdem sie erneut alle relevanten Aspekte in Bezug auf diese Einwände berücksichtigt und überprüft hat, keinen Grund, von ihrer oben genannten Feststellung abzuweichen, und bestätigt diese.
3. Hilfsantrag
3.1 In ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 hat die Kammer ebenfalls wie folgt dargelegt, warum Anspruch 7 gemäß Hilfsantrag nach Ansicht der Kammer die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ nicht erfüllt (siehe dort Punkt 7.2.1):
"Es ist weiter unklar, ob dieser Anspruch zwei Abzugseinrichtungen oder nur eine beansprucht.
Da in Anspruch 9 gemäß Hilfsantrag jeweils zwei Folienhandlinganordnungen gemäß Anspruch 7 gemäß Hilfsantrag beansprucht werden, führte dies, wenn Anspruch 7 gemäß Hilfsantrag bereits zwei Abzugseinrichtungen aufweist, nun zu einer Maschine nach Anspruch 9 gemäß Hilfsantrag mit vier Abzugseinrichtungen. Eine solche Ausführungsform mit vier Folienhandlinganordnungen scheint in der Anmeldung in der eingereichten Fassung nicht offenbart zu sein.
Wenn aber Anspruch 7 gemäß Hilfsantrag so verstanden wird, dass er nur eine Abzugseinrichtung hat, dann beseitigen die Änderungen nicht den unter Punkt 6.4.2 oben genannten Einwand."
3.2 Diese Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die Kammer wurde von der Beschwerdeführerin weder weiter kommentiert noch während des Beschwerdeverfahrens bestritten.
Unter diesen Umständen sieht die Kammer, nachdem sie erneut alle relevanten Aspekte in Bezug auf diese Einwände berücksichtigt und überprüft hat, keinen Grund, von ihrer oben genannten Feststellung abzuweichen, und bestätigt diese.
4. Folglich erfüllen die Ansprüche des Hauptantrags jedenfalls nicht die Erfordernisse der Artikel 84 und 123 (2) EPÜ und die Ansprüche des Hilfsantrags erfüllen jedenfalls nicht die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ.
Der Hauptantrag sowie der Hilfsantrag sind somit nicht gewährbar.
5. Soweit die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung hilfsweise einen Antrag auf Zurückverweisung der Sache an die Prüfungsabteilung gestellt hat, stellt die Kammer fest, dass die Beschwerdeführerin diesen Antrag nicht weiter begründet hat und für die Kammer angesichts ihrer oben dargestellten Schlussfolgerungen zur Nichtgewährbarkeit von Haupt- und Hilfsantrag nicht erkennbar ist, welche besonderen Gründe eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Prüfungsabteilung geboten erscheinen ließen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.