T 0565/20 27-01-2023
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Form und Verfahren zur Herstellung eines Steges und Steg für ein Rotorblatt einer Windenergieanlage
Einspruchsgründe - mangelnde erfinderische Tätigkeit (nein)
Beschwerdebegründung - Gründe deutlich und knapp angegeben (nein)
Ermessen Vorbringen nicht zuzulassen - Vorbringen zugelassen (nein)
Mündliche Verhandlung - in Abwesenheit eines Beteiligten abgehalten
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 2 755 815 (im Folgenden das "Patent" genannt) zurückzuweisen.
II. Von den bereits im Einspruchsverfahren vorgelegten Druckschriften sind die Folgenden für diese Entscheidung von Relevanz:
D1:|US 2008/0072527 A1 |
D2:|Auszug aus Rosato, D. V. et al.: "Reinforced Plastics Handbook", Elsevier Ltd., 3. Auflage, 2004, ISBN: 1 8561 74506|
D3:|WO 2008/089765 A2 |
III. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 27. Januar 2023 in Abwesenheit der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) statt, die der Kammer mit Schreiben vom 23. Januar 2023 mitgeteilt hatte, dass sie ihren Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung zurücknehme und nicht an der mündlichen Verhandlung teilnehmen werde.
IV. Schlussanträge
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag). Hilfsweise beantragte sie die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Fassung auf der Grundlage der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1 oder auf der Grundlage der mit Schreiben vom 9. Januar 2023 eingereichten Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1A oder auf der Grundlage der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Ansprüche gemäß Hilfsantrag 2.
V. Anspruch 1 des erteilten Patents lautet wie folgt (die von der Kammer verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):
"[1.1] Form (40) zur Herstellung eines Stegs (50) für ein Rotorblatt (1) einer Windenergieanlage,
[1.2] die in Längsrichtung des herzustellenden Stegs (50) erstreckt ist,
[1.3] umfassend einen Stegtisch (40a), eine Stegstützfläche (45) und Seitenwände (41, 41'), dadurch gekennzeichnet, dass
[1.4] in einem blattwurzelseitigen Übergangsbereich (18) des Rotorblatts (1) wenigstens abschnittsweise an wenigstens einer Seite einer zentralen Stegstützfläche (45) eine Rinne (47, 47')
[1.5] mit einer gegenüber der zentralen Stegstützfläche (45) abgesenkten Seitenfläche (43, 43') ausgebildet ist,
[1.6] die auf der der zentralen Stegstützfläche (45) gegenüberliegenden Seite von einer Seitenwand (41, 41') der Form (40) begrenzt ist,
[1.7] wobei wenigstens ein in Längsrichtung des Stegs (50) erstrecktes Inlay (46, 46') umfasst ist,
[1.8] das im Wesentlichen als Negativ der Form der wenigstens einen Rinne (47, 47') ausgebildet ist,
[1.9] wobei das Inlay (46, 46') insbesondere an einer Oberseite eine periphere Stegstützfläche (45a, 45a') aufweist,
[1.10] die bei Einsatz des Inlays (46, 46') in die Rinne (47, 47') die zentrale Stegstützfläche (45) zu einer Seitenwand (41, 41') hin verlängert."
Anspruch 4 des erteilten Patents lautet wie folgt:
"[4.1] Verfahren zur Herstellung eines Stegs (50) für ein Rotorblatt (1) einer Windenergieanlage
[4.2] in einer Form (40) nach einem der Ansprüche 1 bis 3, mit den folgenden Schritten:
[4.3] - im blattwurzelseitigen Übergangsbereich (18) wird wenigstens eine erste Faserlage (54, 55) an eine Seitenwand (41, 41') der Form gelegt, die bis zum Boden der wenigstens einen Rinne (47, 47') reicht,
[4.4] - wenigstens eine zweite Faserlage (53) und/oder wenigstens eine zweite Faserlagenanordnung wird zusammen mit einem Inlay (46, 46') in die Rinne eingesetzt, wobei die zweite Faserlage (53) und/oder die zweite Faserlagenanordnung im Wesentlichen bis zum Boden der Rinne (47, 47') reicht und über eine Seitenwand des Inlays (46, 46') und die periphere Stegstützfläche (45a, 45a') des Inlays (46, 46') sowie über die zentrale Stegstützfläche (45) gelegt wird,
[4.5] - ein Kernmaterial (51) des Stegs (50) wird auf die zweite Faserlage (53) aufgelegt,
[4.6] - wenigstens eine dritte Faserlage (52) und/oder wenigstens eine dritte Faserlagenanordnung wird auf das Kernmaterial (51) des Stegs (50) aufgelegt, wobei wenigstens ein über das Kernmaterial (51) überstehender Teil der dritten Faserlage (52) und/oder der dritten Faserlagenanordnung nach oben hin an die erste Faserlage (54, 55) an der Seitenwand (41, 41') angelegt wird,
[4.7] - der Steg (50) wird durch Injizieren und/oder Aushärten eines Harzes oder eines Klebematerials in die und/oder in den Faserlagen (52 - 55) verbunden und ausgehärtet."
Anspruch 10 des erteilten Patents lautet wie folgt:
"[10.1] Steg (50) für ein Rotorblatt (1) einer Windenergieanlage,
[10.2] mit einer in einer Sandwichbauweise aus einem Kernmaterial (51), das von Faserlagen (52, 53) umgeben ist, gebildeten Stegfläche,
[10.3] mit wenigstens einem Stegfuß, der in einem blattwurzelseitigen Übergangsbereich (18) des Rotorblatts (1) wenigstens abschnittsweise im Wesentlichen 'T'-förmig ausgebildet ist
[10.4] und in einem blattspitzenseitigen Bereich (19) des Rotorblatts (1) wenigstens abschnittsweise zu wenigstens einer Seite hin 'L'-förmig ausgebildet ist, [10.5] herstellbar oder hergestellt in einer Form (40) nach einem der Ansprüche 1 bis 3, insbesondere in einem Verfahren nach einem der Ansprüche 5 bis 10."
VI. Die Beteiligten haben im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
a) Beschwerdeführerin
Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ stehe der Aufrechterhaltung des Patents entgegen.
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 beruhe angesichts einer Kombination der Druckschriften D1 und D2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 unterscheide sich vom Inhalt der Druckschrift D1 nur durch die Merkmale 1.7 bis 1.10. Die objektive technische Aufgabe bestehe darin, eine alternative Form bereitzustellen, bei der ein Bauteil mit einer Hinterschneidung aus der Form entnommen werden könne. Gemäß Seite 446 der Druckschrift D2 seien drei Möglichkeiten zur Herstellung eines Stegs mit Hinterschneidung bekannt, nämlich (a) "Inserts", (b) "split molding for removal of the part" und (c) "a flexible mold". Für den Einsatz in der Form gemäß der Lehre der Druckschrift D1 sei eine "flexible mold" nicht geeignet. Somit blieben lediglich die Alternativen (a) und (b) übrig. Eine Auswahl aus zwei gleichartigen Alternativen könne nicht als erfinderisch angesehen werden. Der Fachmann würde sich zunächst für eine Form mit Inlays entscheiden, um einen Steg mit einer Hinterschneidung zu realisieren, da das Vorsehen von Inlays eine einfachere Ausgestaltung der Form ermögliche. Die Variante mit Inlay sei vorteilhaft gegenüber einer geteilten Form ("split mold"), weil ein entsprechendes Inlay in eine bestehende Form eingelegt werden könne und die an sich bestehende Form nicht verändert werden müsse, um einen Steg mit einer Hinterschneidung herstellen zu können. Bei einer geteilten Form müssten hingegen mehrere Teile zusammengehalten werden. Ferner müssten die Teile mit entsprechenden Toleranzen gefertigt werden. Eine geteilte Form sei auch im Hinblick auf die Vakuumprozesse schwerer zu handhaben. Bei der Herstellung der Rotorblätter müssten sehr lange Formen verwendet werden. Eine Hinterschneidung werde aber nicht entlang der ganzen Länge benötigt. Daher sei die Verwendung von Inlays weniger aufwändig als eine Verwendung einer geteilten Form. Der Fachmann würde allerdings lediglich dort Inlays verwenden, wo dies nötig sei. Dies sei nur in den äußeren Bereichen vonnöten, wo eine Hinterschneidung benötigt werde. Somit würde ein Fachmann ausgehend von der Lehre der Druckschrift D1 und unter Berücksichtigung des anhand der Druckschrift D2 dargelegten allgemeinen Fachwissens die Form 7 der Druckschrift D1 so abwandeln, dass an den Endabschnitten Inlays vorgesehen seien, um eine Hinterschneidung zu erreichen. Dieser Weg sei für den Fachmann einfacher und produktionstechnisch gesehen sinnvoller. Wenn ein Fachmann das Element 7 derart verändern würde, dass es lediglich aus zwei Inlays bestehe, dann könnte dies Probleme hinsichtlich der Fertigungstoleranzen mit sich bringen. Insbesondere wäre dann die Frage, wie die beiden Inlays in Position gehalten würden. Wenn jedoch der Fachmann lediglich die Endabschnitte mit Inlays versehen würde, dann hätten die beiden Inlays ausreichend Anlagepunkte, um in Position zu bleiben, so dass sie nicht unabsichtlich verschoben werden könnten. Diese Argumentation gelte analog für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 4.
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 10 beruhe angesichts der Druckschrift D3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die Druckschrift D3 beschreibe ein Rotorblatt einer Windenergieanlage mit einem Steg zur Verbesserung der Steifigkeit des Rotorblattes. Der Steg weise am rotorblattwurzelseitigen Ende eine T-Form und am rotorblattspitzenseitigen Ende eine L-Form auf. Gemäß Druckschrift D3 werde der Steg durch eine Sandwichkonstruktion hergestellt. Der Übergang von einem T-förmigen zu einem L-förmigen Steg sei durch die räumliche Begrenzung des Rotorblattes bedingt. Im Bereich der Blattwurzel sei mehr Platz vorhanden, so dass der Steg T-förmig ausgestaltet sei, während im Bereich der Rotorblattspitze weniger Platz sei, so dass der Steg lediglich L-förmig ausgebildet sei. Dies sei dem Fachmann hinlänglich bekannt, so dass auch der Gegenstand des Anspruchs 10 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhen könne, sondern lediglich eine handwerkliche Ausgestaltung durch den Fachmann darstelle.
Auch der Gegenstand der abhängigen Ansprüche 2, 3, 5 bis 9 und 11 bis 14 beruhe nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
b) Beschwerdegegnerin
Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ stehe der Aufrechterhaltung des Patents nicht entgegen. Der Gegenstand der Ansprüche 1 bis 14 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hinsichtlich des Anspruchs 1 offenbare die Druckschrift D1 außer den Merkmalen 1.7 bis 1.10 auch nicht das Merkmal 1.1. Stege von Rotorblättern seien aufgrund der großen Belastungen infolge der aerodynamischen, wechselnden Lasten üblicherweise in Sandwichbauweise gefertigt, d.h. mit einem Kernmaterial, das in Faserlagen eingebettet sei (siehe Spalte 1, Zeilen 53 bis 58 des Patents). Für solche Stege sei die aus der Druckschrift D1 bekannte Form nicht geeignet. Die Druckschrift D1 sei mithin auch kein geeigneter Ausgangspunkt, um zur Erfindung des Streitpatents zu gelangen. Auch das Merkmal 1.4 sei nicht in der Druckschrift D1 offenbart, da die Form der Druckschrift D1 keine zentrale Stegstützfläche im blattwurzelseitigen Übergangsbereich eines Rotorblatts aufweise.
Die Druckschrift D1 betreffe keine Rotorblätter mit sehr langen Formen, bei denen eine Hinterschneidung nicht entlang der ganzen Länge notwendig sei, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen. Entsprechend hätte der Fachmann ausgehend von der Druckschrift D1 bereits keine Veranlassung gehabt, nach einer Lösung für Hinterschneidungen zu suchen. Doch selbst wenn man davon ausginge, dass der Fachmann in der Druckschrift D1 Hinterschneidungen vorsehen würde, lege die Kombination mit der Druckschrift D2 die Merkmale 1.7 bis 1.10 nicht nahe.
Die Druckschrift D2 beschreibe geteilte Formen und Inlays als Alternativen. Keine der Druckschriften D1 und D2 habe einen Hinweis darauf gegeben, zusätzlich zu einer geteilten Form Inlays vorzusehen. Der Fachmann hätte angesichts einer Kombination dieser Druckschriften allenfalls eine geteilte Form durch Inlays ersetzt. Insbesondere hätten diese Druckschriften keine Veranlassung gegeben, einen Stegtisch zusätzlich zu Inlays vorzusehen, wie dies im erteilten Anspruch 1 definiert sei. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin erfordere eine ausschließliche Verwendung von Inlays oder von geteilten Formen im Vergleich zu einer Kombination von Inlays mit einer geteilten Form weniger Bauteile. Es seien somit weniger Montagetoleranzen zu berücksichtigen. Der Vortrag der Beschwerdeführerin, dass eine Kombination einer geteilten Form mit Inlays produktionstechnische Vorteile biete, sei eine reine Behauptung, die ohne Belege vorgebracht worden sei. Außerdem wäre der Fachmann zu der von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Lösung erst nach mehreren nacheinander durchzuführenden, jeweils nicht naheliegenden Schritte gelangt.
Insbesondere habe die Beschwerdeführerin aber auch nicht aufgezeigt, wie die Kombination der Druckschriften D1 und D2 in naheliegender Weise zu dem Merkmal 1.8 führen sollte. Durch dieses Merkmal könnten die Inlays vorteilhaft formschlüssig positioniert werden. Ohne eine unzulässige Ex-post-facto-Analyse wäre es die naheliegende Wahl gewesen, in der Druckschrift D1 eine noch weiter geteilte Form vorzusehen, da die Druckschrift D1 ohnehin bereits zwei Formhälften 6, 7 sowie abnehmbare Seitenteile 8 (siehe Figur 13(a)), d.h. eine in der Ebene der Stegfüße zweifach geteilte und zudem senkrecht hierzu einmal geteilte Form, vorsehe. Bei einer Kombination der Druckschrift D1 mit Inlays hätte der Fachmann dann zudem noch eine weitere, nicht naheliegende Entscheidung treffen müssen, ob die Stege mit ^-Konfiguration oder v-Konfiguration ausgelegt werden sollten, wobei dann zudem Inlays in der oberen Formhälfte 6 zusätzlich gegen Herausfallen beim Abheben der oberen Formhälfte 6 gesichert werden müssten.
Aus den gleichen Gründen beruhe auch der Gegenstand des erteilten Anspruchs 4 und der abhängigen Ansprüche 2, 3 und 5 bis 9 auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Hinsichtlich der erteilten Ansprüche 10 bis 14 setze sich die Beschwerdeführerin nicht mit der Begründung der angefochtenen Entscheidung auseinander. Sie wiederhole vielmehr lediglich wörtlich ihre diesbezügliche Einspruchsbegründung. Die gegen diese Ansprüche gerichteten Einwände seien daher nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
1. Nichtteilnahme der Beschwerdeführerin an der mündlichen Verhandlung vor der Kammer
Nach Regel 115 (2) EPÜ kann das Verfahren ohne einen Beteiligten fortgesetzt werden, wenn ein zur mündlichen Verhandlung ordnungsgemäß geladener Beteiligter vor dem EPA nicht erscheint. Nach Artikel 15 (3) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (VOBK 2020, siehe ABl. EPA 2021, A35) ist die Kammer nicht verpflichtet, einen Verfahrensschritt einschließlich ihrer Entscheidung aufzuschieben, nur weil ein ordnungsgemäß geladener Beteiligter in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend ist; dieser kann dann so behandelt werden, als stütze er sich lediglich auf sein schriftliches Vorbringen.
Im vorliegenden Fall haben beide Beteiligte hilfsweise eine mündliche Verhandlung beantragt. Mit Schreiben vom 23. Januar 2023 nahm die Beschwerdeführerin ihren Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung zurück und teilte der Kammer mit, dass sie an der für den 27. Januar 2023 anberaumten mündlichen Verhandlung nicht teilnehmen werde. Die mündliche Verhandlung vor der Kammer fand in Abwesenheit der Beschwerdeführerin statt.
Indem die Beschwerdeführerin nicht an der mündlichen Verhandlung teilnahm, entschied sie sich, die Gelegenheit, ihre Anmerkungen und Gegenargumente mündlich vorzutragen, nicht wahrzunehmen und sich stattdessen auf ihre schriftlichen Ausführungen zu verlassen. Die Kammer war in der Lage, am Ende der mündlichen Verhandlung gemäß Artikel 15 (6) VOBK 2020 eine Entscheidung zu verkünden.
2. Hauptantrag: Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ
2.1 Anspruch 1
Es besteht Einigkeit zwischen den Beteiligten darüber, dass die Druckschrift D1 die Merkmale 1.7 bis 1.10 nicht offenbart.
Die Beschwerdegegnerin sieht auch das Merkmal 1.1 nicht in der Druckschrift D1 offenbart. Sie führt aus, dass Stege von Rotorblättern aufgrund der großen Belastungen infolge der aerodynamischen, wechselnden Lasten üblicherweise in Sandwichbauweise gefertigt seien. Für solche Stege sei die aus der Druckschrift D1 bekannte Form nicht geeignet.
Die Ausführungen der Beschwerdegegnerin lassen jedoch nicht erkennen, dass Stege von Rotorblättern zwingend in Sandwichbauweise gefertigt sein müssten. Zwar mag dies eine übliche Bauweise sein. Die in der Druckschrift D1 offenbarte Form ist allerdings nicht allein deshalb nicht zur Herstellung eines Stegs für ein Rotorblatt einer Windenergieanlage geeignet, weil sie keine Sandwichbauweise erlauben würde. Es ist kein technischer Grund erkennbar, warum die in der Druckschrift D1 offenbarte Form zur Herstellung eines Stegs für ein Rotorblatt einer Windenergieanlage ungeeignet wäre. Das Merkmal 1.1 ist daher in der Druckschrift D1 offenbart.
Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin offenbart die Druckschrift D1 auch das Merkmal 1.4 nicht, da die Form der Druckschrift D1 keine zentrale Stegstützfläche im blattwurzelseitigen Übergangsbereich eines Rotorblatts aufweise.
Die Kammer sieht auch hierin keinen Unterschied zum erteilten Anspruch 1. Dieser ist nicht auf ein Rotorblatt gerichtet, sondern auf eine Form zur Herstellung eines Stegs für ein Rotorblatt. Das von der Einspruchsabteilung in Punkt 1.1.1.2 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung als Stegstützfläche identifizierte obere Ende des Elementes 7 in Figur 17 der Druckschrift D1 erstreckt sich über die gesamte Länge der Form (siehe auch beispielsweise Figuren 13(a) bis (c) und Figur 15(c)) und somit auch über einen Bereich, der einem im Anspruch nicht näher definierten blattwurzelseitigen Übergangsbereich eines nicht näher definierten Rotorblatts entspricht. Das Merkmal 1.4 definiert keine zwingend erforderlichen technischen Merkmale der beanspruchten Form, die nicht in der Druckschrift D1 offenbart wären.
Die Beschwerdegegnerin führt ferner aus, dass die Druckschrift D1 kein geeigneter Ausgangspunkt sei, um zur Erfindung des Streitpatents zu gelangen, da sie das Merkmal 1.1 nicht offenbare.
Wie oben ausgeführt, teilt die Kammer die letztgenannte Auffassung nicht. Wenn dem Fachmann mehrere gangbare Wege zur Erfindung offenstehen, d.h. von mehreren unterschiedlichen Dokumenten ausgehende Wege, die zu der Erfindung führen könnten, erfordert es die Ratio des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes darüber hinaus, die Erfindung in Bezug auf alle diese Wege zu prüfen, bevor ihr die erfinderische Tätigkeit zugesprochen wird (siehe "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", Zehnte Auflage, Juli 2022, I.D.3.1).
Die Druckschrift D1 stellt somit einen geeigneten Ausgangspunkt im Rahmen des Aufgabe-Lösungs-Ansatzes dar. Vom Inhalt dieser Druckschrift unterscheidet sich der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 durch die Merkmale 1.7 bis 1.10.
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin liegt die objektive technische Aufgabe darin, eine alternative Form bereitzustellen, bei der ein Bauteil mit einer Hinterschneidung aus der Form entnommen werden kann. Die Kammer schließt sich dieser Ansicht an.
Die von der Beschwerdeführerin zitierte Druckschrift D2 beschreibt unter dem Stichwort "mold undercut" auf Seite 446, dass eine Hinterschneidung "inserts" oder eine mehrteilige Form erfordern würde, um das Bauteil zu entnehmen. Eine solche mehrteilige Form ist in der Druckschrift D1 im Hinblick auf die Formteile 6, 7 und 8 beschrieben. Die Druckschrift D2 schlägt Inlays als Alternative zu einer derartigen mehrteiligen Form vor, um ein Bauteil mit einer Hinterschneidung aus der Form entnehmen zu können. Der Fachmann hätte somit möglicherweise ausgehend von der Druckschrift D1 in Anbetracht der Druckschrift D2 erwogen, Inlays statt der in der Druckschrift D1 beschriebenen mehrteiligen Form zu verwenden. Allerdings wäre der Fachmann dadurch nicht in naheliegender Weise zum Anspruchsgegenstand gelangt. Wenn der Fachmann die Formelemente 6, 7 durch Inlays ersetzt hätte, würde kein Bereich der in der Druckschrift D1 offenbarten Form verbleiben, der die im Merkmal 1.4 definierte zentrale Stegstützfläche bilden würde, die gemäß den Merkmalen 1.9 und 1.10 durch die am Inlay vorgesehene periphere Stegfläche zur Seitenwand hin verlängert wird.
Die Beschwerdeführerin trägt hierzu vor, dass der Fachmann in Anbetracht der Kombination der Druckschriften D1 und D2 Inlays zusätzlich zu den bereits in der Druckschrift D1 beschriebenen Formteilen 6 und 7 vorgesehen hätte. Die Beschwerdeführerin ist der Ansicht, der Fachmann würde lediglich dort Inlays verwenden, wo dies nötig sei. Dies sei aber nur in den äußeren Bereichen oder Abschnitten vonnöten, wo eine Hinterschneidung benötigt werde. Dieser Weg sei für den Fachmann einfacher und produktionstechnisch gesehen sinnvoller. Wenn ein Fachmann das Element 7 derart verändern würde, dass es lediglich aus zwei Inlays bestehe, dann könnte dies Probleme hinsichtlich der Fertigungstoleranzen mit sich bringen. Insbesondere wäre dann die Frage, wie die beiden Inlays in Position gehalten würden.
Die Beschwerdeführerin hat jedoch keinen Beleg für die Behauptung vorgelegt, die von ihr vorgeschlagene Lösung sei produktionstechnisch gesehen sinnvoller und weniger anfällig hinsichtlich Fertigungstoleranzen. Weder die Druckschrift D1 noch die Druckschrift D2 schlagen darüber hinaus vor, zur Herstellung derselben Hinterschneidung einen Stegtisch und zusätzlich ein in eine seitlich zur Stegstützfläche angeordnete Rinne eingesetztes Inlay vorzusehen, wie dies im erteilten Anspruch 1 definiert ist. Vielmehr beschreibt die von der Beschwerdeführerin zitierte Stelle der Druckschrift D2 mehrteilige Formen und Inlays als Alternativen. Ferner würde der Fachmann bei dem von der Beschwerdeführerin beschriebenen Vorgehen ausgehend von der Druckschrift D1 zunächst zur Lösung der (ersten) objektiven technischen Aufgabe (siehe oben) die Druckschrift D2 zu Rate ziehen, sodann erkennen, dass sich eine weitere (d.h. zweite) technische Aufgabe stellt (nämlich die Vereinfachung des Produktionsverfahrens), die aus keiner dieser Druckschriften hervorgeht und offenbar auch erst durch die Kombination der Druckschriften D1 und D2 entsteht, und schließlich von der in der Druckschrift D2 gefundenen Lösung der (ersten) objektiven technischen Aufgabe abweichen und zu einer (zweiten) Lösung gelangen, auf die keine der Druckschriften D1 und D2 einen Hinweis gibt. Nach Ansicht der Kammer beruhen diese Überlegungen der Beschwerdeführerin auf einer unzulässigen rückschauenden Betrachtungsweise.
Die Beschwerdeführerin führt auch aus, dass bei mehrteiligen Formen mehrere Teile zusammengehalten und zuvor mit entsprechenden Toleranzen gefertigt werden müssten. Bei der Herstellung der Rotorblätter müssten sehr lange Formen verwendet werden. Eine Hinterschneidung werde aber nicht entlang der ganzen Länge benötigt. Daher sei die Verwendung von Inlays weniger aufwändig als eine Verwendung einer mehrteiligen Form.
Diese Ausführungen stehen der oben dargelegten Auffassung der Kammer nicht entgegen. Insbesondere erklären sie nicht, warum der Fachmann in naheliegender Weise zusätzlich zu den Formteilen 6, 7 der Druckschrift D1 Inlays vorgesehen hätte.
Darüber hinaus erfordert auch die Fertigung von Inlays und ihr Einsetzen in die Rinnen die Einhaltung gewisser Toleranzen. Wenn nun zusätzlich zu den Formteilen 6, 7 Inlays vorgesehen würden, wie von der Beschwerdeführerin vorgetragen, würde sich das von der Beschwerdeführerin dargelegte Problem der Fertigungs- bzw. Montagetoleranzen aus Sicht des Fachmanns somit voraussichtlich noch weiter vergrößern.
Auch betreffen die Druckschriften D1 und D2 nicht die Herstellung von Rotorblättern, bei denen eine Hinterschneidung nicht entlang der ganzen Länge benötigt wird. Vielmehr sieht die Druckschrift D1 als Anwendungsgebiete Flugzeugrümpfe und -flügel vor (siehe Absatz [0085]). Die Hinterschneidung erstreckt sich bei den beispielsweise in den Figuren 1 und 15(c) gezeigten Ausführungsformen ferner über die gesamte Länge der dargestellten Elemente. Die von der Beschwerdeführerin beschriebene Ausgangssituation, bei der eine Hinterschneidung bei einem Rotorblatt nicht entlang der ganzen Länge benötigt würde, liegt in der Druckschrift D1 daher nicht vor.
Der Fachmann wäre somit angesichts einer Kombination der Druckschriften D1 und D2 nicht in naheliegender Weise zum Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 gelangt. Dessen Gegenstand beruht daher auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.2 Anspruch 4
Der erteilte Anspruch 4 ist auf ein Verfahren zur Herstellung eines Stegs für ein Rotorblatt einer Windenergieanlage in einer Form nach einem der Ansprüche 1 bis 3 gerichtet. Da der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (siehe oben Punkt 2.1), gilt dies somit auch für den Gegenstand des erteilten Anspruchs 4.
2.3 Ansprüche 2, 3 und 5 bis 9
Da die erteilten abhängigen Ansprüche 2, 3 und 5 bis 9 alle Merkmale der unabhängigen Ansprüche 1 bzw. 4 aufweisen, beruht der Gegenstand dieser Ansprüche aus den gleichen Gründen wie die genannten unabhängigen Ansprüche auf einer erfinderischen Tätigkeit.
2.4 Ansprüche 10 bis 14
In Punkt 5.5 der Beschwerdebegründung trägt die Beschwerdeführerin vor, der Gegenstand des Anspruchs 10 beruhe angesichts der Druckschrift D3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit. Sie wiederholt dabei lediglich wörtlich ihren Vortrag in Punkt 4.5 der Einspruchsschrift vom 1. November 2017.
In Punkt 1.1.3 der Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung gelangte die Einspruchsabteilung zu der Auffassung, der Gegenstand des erteilten Anspruchs 10 sei gegenüber der Druckschrift D3 neu und erfinderisch. Sie führte unter anderem aus, die Einsprechende habe weder in der Argumentation vom 1. November 2017 noch in der mündlichen Verhandlung erklärt, welche Komponente in der Druckschrift D3 als Steg betrachtet werden könne, und wo die T- und L-Form zu sehen seien. Außerdem bedeute eine räumliche Begrenzung des Rotorblattes nicht unbedingt, dass der Fachmann abschnittsweise einen L-förmigen bzw. T-förmigen Steg verwenden würde.
Die Beschwerdeführerin hat sich hinsichtlich ihres Einwands gegen den erteilten Anspruch 10 nicht mit diesen Entscheidungsgründen der angefochtenen Entscheidung auseinander gesetzt. Somit lässt der Vortrag der Beschwerdeführerin auch nicht erkennen, warum die angefochtene Entscheidung in diesem Punkt fehlerhaft sein sollte und daher aufgehoben werden sollte.
Gemäß Artikel 12 (3) VOBK 2020 müssen die Beschwerdebegründung und die Erwiderung das vollständige Beschwerdevorbringen eines Beteiligten enthalten. Dementsprechend müssen sie deutlich und knapp angeben, aus welchen Gründen beantragt wird, die angefochtene Entscheidung aufzuheben, abzuändern oder zu bestätigen; sie sollen ausdrücklich alle geltend gemachten Anträge, Tatsachen, Einwände, Argumente und Beweismittel im Einzelnen anführen.
Diese Erfordernisse des Artikels 12 (3) VOBK 2020 sind hinsichtlich des Einwands der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegen den erteilten Anspruch 10 aus den oben dargelegten Gründen nicht erfüllt.
Gemäß Artikel 12 (5) VOBK 2020 steht es im Ermessen der Kammer, Vorbringen eines Beteiligten nicht zuzulassen, soweit es die Erfordernisse nach Artikel 12 (3) VOBK 2020 nicht erfüllt. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin sind auch nicht selbsterklärend, da sie nicht erkennen lassen, dass der erhobene Einwand gegen den erteilten Anspruch 10 zum Erfolg führen würde. Insbesondere sind die Bedenken der Einspruchsabteilung hinsichtlich dessen, welche Komponente in der Druckschrift D3 als Steg betrachtet werden könne und wo die T- und L-Form zu sehen seien, nicht ausgeräumt worden.
Die Kammer übt das ihr nach Artikel 12 (5) VOBK 2020 eingeräumte Ermessen daher dahingehend aus, dass sie den Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit gegen den erteilten Anspruch 10 nicht in das Beschwerdeverfahren zulässt. Dasselbe gilt aufgrund der gleichen Erwägungen auch für die in der Beschwerdebegründung erhobenen Einwände gegen die auf Anspruch 10 rückbezogenen abhängigen Ansprüche 11 bis 14.
3. Schlussfolgerung
Damit steht der einzige von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Einspruchsgrund nach Artikel 100 a) i.V.m. Artikel 56 EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung nicht entgegen. Die Beschwerde war daher zurückzuweisen.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.