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T 1368/20 13-01-2023
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VERFAHREN ZUM BETREIBEN EINES BEDIENSYSTEMS UND BEDIENSYSTEM FÜR EIN KRAFTFAHRZEUG
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
I. Die Beschwerde der Anmelderin richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die europäische Patentanmeldung Nr. 08773949.6 zurückzuweisen. Die Prüfungsabteilung hatte die Zurückweisung insbesondere damit begründet, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und gemäß der Hilfsanträge 1 bis 3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
II. Die Beschwerdeführerin beantragte mit der Beschwerdebegründung,
1) die angefochtene Entscheidung aufzuheben, und
2) ein Patent auf Basis der der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegenden Dokumente zu erteilen, insbesondere gemäß
a) Hauptantrag auf Basis der als Hauptantrag gekennzeichneten Unterlagen,
b) hilfsweise auf Basis der als Hilfsantrag 1 gekennzeichneten Unterlagen,
c) hilfsweise auf Basis der als Hilfsantrag 2 gekennzeichneten Unterlagen,
d) hilfsweise auf Basis der als Hilfsantrag 3 gekennzeichneten Unterlagen, und
3) für den Fall, dass eine Erteilung gemäß Hauptantrag nicht erfolgt, eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
Die den Anträgen zugrundeliegenden Ansprüche wurden mit der Beschwerdebegründung erneut eingereicht.
III. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK vertrat die Kammer die vorläufige Meinung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag und Hilfsantrag 1 bis 3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
IV. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2022 reichte die Beschwerdeführerin unter anderem Ansprüche gemäß Hilfsantrag 1, 2 und 4 bis 6 ein. In den Ansprüchen gemäß Hilfsantrag 1 und 2 waren lediglich Schreibfehler korrigiert worden. Die Hilfsanträge 4 bis 6 wurden erstmals eingereicht. Die Beschwerdeführerin machte zudem Ausführungen, warum sie die Ansprüche für gewährbar hielt.
V. Eine mündliche Verhandlung fand am 13. Januar 2023 statt.
Die Beschwerdeführerin beantragte gemäß ihren Schlussanträgen die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Erteilung eines Patents auf der Grundlage der Ansprüche gemäß dem Hauptantrag eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 29. Mai 2020, oder
hilfsweise auf der Grundlage der Ansprüche gemäß
- dem Hilfsantrag 1 oder 2 eingereicht mit dem Schreiben vom 13. Dezember 2022, oder
- dem Hilfsantrag 3 eingereicht mit der Beschwerdebegründung vom 29. Mai 2020, oder
- einen der Hilfsanträge 4 bis 6 eingereicht mit dem Schreiben vom 13. Dezember 2022.
VI. Folgende Dokumente sind für die vorliegenden Entscheidung von Bedeutung:
D1: EP 1 442 920 A
D3: US 2003/0216861 A1
D4: DE 103 60 657 A1
D5: US 2005/0177304 A1
VII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hauptantrag lautet wie folgt:
"Bediensystem (2) für ein Kraftfahrzeug zum Bedienen objektorientiert arbeitender fahrzeuginterner und/oder fahrzeugexterner Funktionssysteme, die von Objekten, die Objektattribute umfassen, ein oder mehrere der Objektattribute nutzen, um ihre Funktionalität bereitzustellen, umfassend
einen Speicher (7), in dem die Objekte mit ihren Objektattributen abgelegt sind,
eine Anzeigevorrichtung (8), mittels der für die Funktionssysteme Anzeigekontexte darstellbar sind,
eine Erfassungsvorrichtung (9) zum Erfassen von Nutzereingaben, und
eine Steuereinrichtung (6) zum Auswerten der Nutzereingaben, Ansteuern der Anzeigevorrichtung und Erzeugen und Austauschen von Signalen zum Steuern der Funktionssysteme,
dadurch gekennzeichnet, dass
mindestens einigen der Objektattribute eines der Funktionssysteme als primäres Funktionssystem zugeordnet ist, wobei ein Funktionssystem das Objektattribut, dem es als primäres Funktionssystem zugeordnet ist, zur Bereitstellung seiner Funktionalität verwendet, wobei die Steuereinrichtung (6) mit der Anzeigevorrichtung (8) und der Erfassungseinheit (9) so gekoppelt ist und ausgestaltet ist, dass ein erster Anzeigekontext (41) eines ersten der Funktionssysteme auf der Anzeigefläche (21) darstellbar ist, der eine mindestens eines der Objekte repräsentierende Darstellung (23-26) umfasst, und das Objekt oder die repräsentierende Darstellung (23-26) über eine Nutzereingabe auswählbar sind und nach einer Auswahl des Objekts oder der repräsentierenden Darstellung (23-26) mindestens ein Objektattribut oder eine Repräsentation des Objektattributs für eine Auswahl auf einer Anzeigefläche (21) der Anzeigevorrichtung (8) dargestellt wird, dem ein anderes der Funktionssysteme als primäres Funktionssystem zugeordnet ist, und bei einer Auswahl dieses Objektattributs oder dessen Repräsentation ein Anzeigekontext (49) des anderen Funktionssystems, das diesem ausgewählten Objektattribut als primäres Funktionssystem zugeordnet ist, zur Anzeige gebracht wird und nach einem Ausführen einer von dem ausgewählten Objektattribut abhängigen Aktion des anderen Funktionssystems automatisch wieder der ursprüngliche Anzeigekontext (41) des ersten Funktionssystems zur Anzeige gebracht wird."
Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass der Ausdruck "dadurch gekennzeichnet, dass" durch das Wort "wobei" ersetzt ist und dass vor dem Text am Ende des Anspruchs: "und nach einem Ausführen einer von dem ausgewählten Objektattribut abhängigen Aktion des anderen Funktionssystems automatisch wieder der ursprüngliche Anzeigekontext (41) des ersten Funktionssystems zur Anzeige gebracht wird." folgender Text eingefügt ist:
"dadurch gekennzeichnet, dass
der Anzeigekontext (41) des ersten Funktionssystems als Bild-im-Bild (61) in dem anderen Anzeigekontext (49) verkleinert dargestellt ist "
Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 dadurch, dass nach dem Ausdruck "dadurch gekennzeichnet, dass" der Text: "der Anzeigekontext (41) des ersten Funktionssystems als Bild-im-Bild (61) in dem anderen Anzeigekontext (49) verkleinert dargestellt ist" durch den Text "Statusinformationen (71, 72) des ersten Funktionssystems und/oder des anderen Funktionssystems in einer Statuszeile dargestellt sind, während ihr zugehöriger Anzeigekontext auf der Anzeigevorrichtung (4) nicht oder nicht als Hauptanzeigekontext zur Anzeige gebracht wird" ersetzt ist.
Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 3 unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass gegen Ende des Anspruchs nach dem Wort "automatisch" der Text "das Bediensystem dafür sorgt, dass" eingefügt ist.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Hauptantrag - Anspruch 1 - Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
2.1 Das Dokument D1 wurde von der Prüfungsabteilung als nächstliegender Stand der Technik angesehen. Die Beschwerdeführerin hielt die Ausführungen der Prüfungsabteilung bezüglich der Offenbarung in Dokument D1 für nicht klar und nachvollziehbar, bzw. wirr und nicht verständlich (vgl. Beschwerdebegründung, Ausführungen zur Offenbarung des Dokuments D1 auf den Seiten 3 bis 6). Den Ausführungen der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung ist jedoch nicht eindeutig zu entnehmen, welche Merkmale des beanspruchten Gegenstands sie nicht in D1 offenbart ansieht. Im Schreiben vom 13. Dezember 2022 führte die Beschwerdeführerin aus, dass dem Dokument D1, insbesondere dem Beispiel der Figur 3, nicht zu entnehmen sei, wohin eine automatische Rückkehr in den anderen Anzeigekontext erfolgen müsse. Außerdem sei aus diesem Dokument nicht ersichtlich, dass eine zeitgleiche Bedienung zweier Fahrzeugsysteme ausgelöst werden solle. Vielmehr sei es in der D1 nur sinnvoll bzw. nur angeregt, nach Abschluss einer Funktionalität, die in einem anderen System ausgeführt worden sei, wieder in eine andere Menüebene zurückzukehren. Ein automatischer Wechsel sei gerade nicht gezeigt und stehe auch im Widerspruch zu den für den Benutzer vorgesehenen Rücksprung-Bedienelementen "zurück", "Zielführung beenden", "Auflegen" oder "Abbrechen".
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer führte die Beschwerdeführerin aus, dass es sich bei dem in D1 offenbarten System nicht um eine objektorientierte Bedienung handele, sondern um eine menügebundene Bedienung. Der Begriff Objekt werde in Dokument D1 anders verwendet als der Fachmann es tun würde. Der beanspruchte Gegenstand weise den Vorteil auf, dass die über die Objekte ausgewählten Attribute in ihrem Funktionssystem ausgeführt würden und die Anzeige in den ersten Anzeigekontext zurückkehre, bevor die zweite Funktion beendet sei. Das System des Dokuments D1 erlaube es nicht während der Ausführung des zweiten Funktionssystems in eine andere Menüebene zurückzuspringen, wobei auch vollkommen unklar sei, in welche Menüebene das Bediensystem zurückspringen solle. Die Prüfungsabteilung habe es versäumt darzulegen, warum es für den Fachmann naheliegen solle in die Menüebene zurückzuspringen, aus der die andere Funktion über das Objekt ausgewählt wurde. D1 gebe dazu keinerlei Hinweise. Ausgehend von Dokument D1 habe das Unterscheidungsmerkmal die Wirkung, dass eine zeitgleiche Ausführung von Funktionssystemen möglich werde, und es stelle sich dem Fachmann die objektive Aufgabe eine verbesserte zeitgleiche Bedienbarkeit von zwei Funktionssystemen zu ermöglichen.
2.2 Die Kammer ist der Meinung, dass das Dokument D1 die folgenden Merkmale offenbart:
Bediensystem 1 (vgl. Figur 1) für ein Kraftfahrzeug zum Bedienen objektorientiert arbeitender fahrzeuginterner und/oder fahrzeugexterner Funktionssysteme (vgl. Absatz 0001), die von Objekten, die Objektattribute umfassen, ein oder mehrere der Objektattribute nutzen, um ihre Funktionalität bereitzustellen (vgl. Absatz 0017, auf Funktionen wird über eine objektorientierte Menüstruktur zugegriffen, dabei wird mindestens ein Objekt gebildet und dem Objekt mindestens eine Eigenschaft und/oder eine Funktion zugeordnet), umfassend
einen Speicher, in dem die Objekte mit ihren Objektattributen abgelegt sind (vgl. Absätze 0017 und 0022, die Objekte sind in einer Datenbank gespeichert),
eine Anzeigevorrichtung 11, mittels der für die Funktionssysteme Anzeigekontexte darstellbar sind (vgl. Absatz 0021),
eine Erfassungsvorrichtung 13 zum Erfassen von Nutzereingaben (vgl. Absatz 0021), und
eine Steuereinrichtung zum Auswerten der Nutzereingaben, Ansteuern der Anzeigevorrichtung und Erzeugen und Austauschen von Signalen zum Steuern der Funktionssysteme (implizit), wobei
mindestens einigen der Objektattribute eines der Funktionssysteme als primäres Funktionssystem zugeordnet ist (vgl. Absatz 0017, dem Objekt ist mindestens eine Eigenschaft und eine Funktion zugeordnet), wobei ein Funktionssystem das Objektattribut, dem es als primäres Funktionssystem zugeordnet ist, zur Bereitstellung seiner Funktionalität verwendet (vgl. Absatz 0030, die Daten zu einem Objekt "Claudia" sind teilweise mit Funktionen verknüpft. So ist beispielsweise die Telefonnummer als Information über "Adresse" abfragbar oder mit der Funktion "Anrufen" verknüpfbar), wobei die Steuereinrichtung mit der Anzeigevorrichtung und der Erfassungseinheit so gekoppelt ist und ausgestaltet ist, dass ein erster Anzeigekontext eines ersten der Funktionssysteme (vgl. Figur 3, "Adressbuch") auf der Anzeigefläche darstellbar ist, der eine mindestens eines der Objekte repräsentierende Darstellung (z.B. "Claudia") umfasst, und das Objekt oder die repräsentierende Darstellung "Claudia" über eine Nutzereingabe auswählbar sind und nach einer Auswahl des Objekts oder der repräsentierenden Darstellung mindestens ein Objektattribut oder eine Repräsentation des Objektattributs für eine Auswahl auf einer Anzeigefläche der Anzeigevorrichtung dargestellt wird (vgl. Figur 3, Absatz 0030, Info- und Aktionsebene, Anzeige "Claudia" mit den Attributen oder Daten z.B. Adresse, Telefonnummer, die mit den Funktionen "Zielführung" und "Anrufen" verknüpft sind), dem ein anderes der Funktionssysteme (z.B. Funktion "Zielführung") als primäres Funktionssystem zugeordnet ist, und bei einer Auswahl dieses Objektattributs oder dessen Repräsentation (z.B. Repräsentation "Zielführung" für das Attribut "Adresse") ein Anzeigekontext (z.B. "Zielführung") des anderen Funktionssystems, das diesem ausgewählten Objektattribut als primäres Funktionssystem zugeordnet ist, zur Anzeige gebracht wird (vgl. Figur 3, Ebene "Funktionen").
In Dokument D1 ist nicht offenbart, was mit der Anzeige passiert, wenn z.B. das Anrufen bzw. die Zielführung beendet ist.
Die Kammer stimmt daher der Ansicht der Prüfungsabteilung zu, dass sich der beanspruchte Gegenstand dadurch von der Offenbarung des Dokuments D1 unterscheidet, dass nach einem Ausführen einer von dem ausgewählten Objektattribut abhängigen Aktion des anderen Funktionssystems automatisch wieder der ursprüngliche Anzeigekontext des ersten Funktionssystems zur Anzeige gebracht wird.
Dieses Unterscheidungsmerkmal bewirkt, dass die Betätigungshandlungen durch den Bediener reduziert werden. Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht, dass durch das Unterscheidungsmerkmal eine zeitgleiche Ausführung und Bedienung der Funktionssysteme ermöglicht wird. Gemäß Anspruch 1 wird erst nach dem Ausführen einer von dem ausgewählten Objektattribut abhängigen Aktion des anderen Funktionssystems automatisch wieder der ursprüngliche Anzeigekontext des ersten Funktionssystems zur Anzeige gebracht. Dadurch ist eine automatische Anzeige des ursprüngliche Anzeigekontexts des ersten Funktionssystems während dem Ausführen der Aktion des anderen Funktionssystems ausgeschlossen und eine gleichzeitige Bedienung nicht möglich.
Die Kammer sieht die zu lösende objektive technische Aufgabe daher darin, die für die Bedienung von unterschiedlichen Funktionssystemen benötigte Anzahl von Betätigungshandlungen zu minimieren.
Ausgehend von D1 mit der Aufgabe Betätigungshandlungen zu minimieren war es für den Fachmann naheliegend möglichst viele Schritte der Bedienung zu automatisieren. Es stellt sich dabei die Frage, welche Bedienhandlungen in D1 automatisiert werden könnten. Das Starten einer Funktion über ein Objektattribut erforderte zwangsläufig irgendeine Art von Eingabe und Auswahl durch den Bediener. Nach dem Ausführen einer Funktion mit den Daten des Objektattributs, braucht der Anzeigekontext dieser Funktion jedoch nicht mehr primär dargestellt werden, denn er zeigt keine nützliche Information mehr und verhindert das Anzeigen eines anderen Anzeigekontexts. Die Beschwerdeführerin bestritt, dass es für den Fachmann naheliegend sei, in den Anzeigekontext zurückzukehren, aus der die ausgeführte Funktion aufgerufen wurde. Nach Ansicht der Kammer gibt es in Dokument D1 nur eine beschränkte Auswahl an Anzeigekontexten zu denen die Anzeige nach Ausführen der Funktion wechseln kann. Es war daher eine naheliegende Option automatisch zu dem Anzeigekontext zurückzukehren, aus der die ausgeführte Funktion aufgerufen wurde, also z.B. nach Erreichen des Ziels automatisch wieder die Adressbuchfunktion anzuzeigen, um ein anderes Objekt auswählen zu können.
2.3 Der Gegenstand des Anspruchs 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
3. Hilfsantrag 1 - Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
3.1 Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 hat gegenüber Anspruch 1 gemäß Hauptantrag das zusätzliche Merkmal, dass der Anzeigekontext des ersten Funktionssystems als Bild-im-Bild in dem anderen Anzeigenkontext verkleinert dargestellt ist.
3.2 Die Prüfungsabteilung war der Ansicht, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe, weil eine Bild-im-Bild Darstellung von unterschiedlichen Funktionssystemen im Stand der Technik wohl bekannt sei und verwies auf die Dokumente D3 und D5.
3.3 Die Beschwerdeführerin sah die Wirkung dieses zusätzlichen Merkmals darin, dass eine Ablenkung eines Fahrers reduziert werde, weil unnötige Betätigungshandlungen beim zeitgleichen Verwenden mehrerer Funktionssysteme minimiert würden. Als Aufgabe sah sie ein Bediensystem und ein Verfahren zum Betreiben eines Bediensystems zu schaffen, mit denen eine zeitgleiche Bedienung unterschiedlicher Funktionssysteme möglich sei, und eine hierfür benötigte Anzahl von Betätigungshandlungen minimiert werde, um so eine zügigere und zeitsparendere Auslösung von unterschiedlichen Funktionssystemen zu ermöglichen und eine Ablenkung eines Fahrers in einem Kraftfahrzeug vom Straßenverkehr möglichst minimal auszugestalten. Die Prüfungsabteilung habe nicht dargelegt, warum die Lösung naheliegend sein solle (vgl. Beschwerdebegründung, Abschnitt "Zur Patentfähigkeit des 1. Hilfsantrags").
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ergänzte die Beschwerdeführerin, dass durch die Bild-im-Bild Darstellung ein Synergieeffekt erreicht werde, indem die gleichzeitige Bedienbarkeit von zwei Funktionssystemen ermöglicht werde. In Dokument D5 sei es zwar bekannt den Bildschirm aufzuteilen und parallel zwei Ansichten zu ermöglichen. Dies seien jedoch zwei Ansichten desselben Funktionssystems. D5 offenbare es nicht ein anderes Funktionssystem gleichzeitig darzustellen. Die in Figur 8 gezeigten Darstellungen würden nur ein Navigationssystem zeigen, denn die gezeigte Liste von Restaurants sei nur eine Form von Adresseingabe für das Navigationssystem und kein eigenständiges Funktionssystem. Daher könne das Dokument D5 dem Fachmann nicht die Lehre vermitteln, die gleichzeitige Nutzbarkeit von zwei unterschiedlichen Funktionssystemen zu verbessern.
3.4 Die Kammer ist der Meinung, dass das zusätzliche Merkmal nicht die Betätigungshandlungen reduziert, weil durch die Einführung der Bild-im-Bild Darstellung keine Betätigungshandlungen wegfallen. Gemäß Beschreibung, Seite 5, zweiter Absatz hat das zusätzliche Merkmal die Wirkung, die von dem ersten Funktionssystem bereitgestellte Funktionalität bei Nutzung des weiteren Funktionssystems weiter eingeschränkt nutzen zu können. Gemäß diesem Absatz ist mit der Nutzung keine Betätigungshandlung verbunden, sondern die reduzierte Darstellung der Funktionalität (Teilfunktionalität).
Ausgehend von D1 kann also die Aufgabe darin gesehen werden, die Nutzbarkeit der Funktionssysteme zu verbessern.
Auf der Suche nach einer Lösung für diese Aufgabe, hätte der Fachmann auch das Dokument D5 zu Rate gezogen, dass diese Aufgabe, mehrere Anzeigekontexte ("display modes") gleichzeitig zu zeigen, behandelt (vgl. Absatz 0013). Als Lösung für die genannte Aufgabe schlägt Dokument D5 vor, den Anzeigekontext einer neuen Funktion auf der Anzeigevorrichtung zu zeigen und den Anzeigekontext der vorhergehenden Funktion in einem Bereich innerhalb des neuen Anzeigekontexts darzustellen (vgl. Absatz 0017). Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht, dass die in Figur 8 gezeigte Liste von Restaurants Teil des Navigationssystems ist. Die Liste ist das Ergebnis einer Suchfunktion eines ersten Funktionssystems und die Routenführung stellt ein weiteres, unabhängiges Funktionssystem dar. Ausgehend von D1 wäre der Fachmann in naheliegender Weise zur Darstellung des ersten Funktionssystems als Bild-im-Bild im anderen Anzeigekontext gelangt.
Die Kammer kann im Hinblick auf das Unterscheidungsmerkmal, dass nach Ausführen einer Aktion des anderen Funktionssystems automatisch wieder der ursprünglichen Anzeigekontext des ersten Funktionssystems angezeigt wird, auch keinen Synergieeffekt mit der Bild-im-Bild-Darstellung erkennen.
3.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 beruht daher nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
4. Hilfsantrag 2 - Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
4.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 hat im Vergleich zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag das zusätzliche Merkmal, wonach Statusinformationen (71, 72) des ersten Funktionssystems und/oder des anderen Funktionssystems in einer Statuszeile dargestellt sind, während ihr zugehöriger Anzeigekontext auf der Anzeigevorrichtung (4) nicht oder nicht als Hauptanzeigekontext zur Anzeige gebracht wird.
4.2 Die Prüfungsabteilung war der Ansicht, dass mit der Aufgabe, eine vereinfachte Bedienung von zeitgleich verwendeten Funktionssystemen zu erzielen, der Gegenstand ausgehend von D1 im Hinblick auf das allgemeine Fachwissen, wie es auch in D4 gezeigt werde, nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (vgl. Entscheidungsgründe, 18 und 19).
4.3 Die Beschwerdeführerin war der Ansicht, dass durch die Unterscheidungsmerkmale die Aufgabe gelöst werde, eine zeitgleiche Bedienung von mehreren Fahrzeugsystemen zu ermöglichen und zu vereinfachen. In D1 werde es nicht nahegelegt, vom Anzeigekontext des anderen Funktionssystems, z.B. des Telefons, während es noch weiterhin aktiv ist und bereits nach dem Aufbau des Telefongesprächs in den ursprünglichen Anzeigekontext zu wechseln, sodass z. B. ein Anzeigekontext eines Navigationssystems wieder vergrößert dargestellt wird. Einem Fahrer eines Kraftfahrzeugs werde also nicht nur eine vereinfachte Bedienung von zeitgleich verwendeten Funktionssystemen ermöglicht, sondern zugleich auch noch eine Darstellung der für ihn relevanteren Information, z. B. der Zielführung durch vergrößerte Darstellung gegeben (vgl. Beschwerdebegründung, Abschnitt III).
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer ergänzte die Beschwerdeführerin, dass die gleichzeitige Bedienung durch die Statusinformationen in Kombination mit der automatischen Rücksprungmöglichkeit verbessert werde. Dokument D4 würde diese Verbesserung nicht nahelegen.
4.4 Nach Ansicht der Kammer bewirkt das zusätzliche Merkmal, dem Nutzer eine Kontrolle des jeweils nicht "hauptsächlich" im Anzeigekontext dargestellten Funktionssystems zu ermöglichen (vgl. Beschreibung, Seite 5, dritter Absatz). Ausgehend von Dokument D1 besteht somit die zusätzlich zu lösende Aufgabe darin, dem Benutzer die Kontrolle des jeweils nicht hauptsächlich im Anzeigentext dargestellten Funktionssystems zu ermöglichen.
Die Kammer ist der Meinung, dass Statusanzeigen von ausgeführten Funktionen in Anzeigevorrichtungen auch für Anzeigevorrichtungen von Bedienvorrichtungen in Fahrzeugen bekannt waren (vgl. Dokument D4, Absatz 0055). Für einen Fachmann war es daher naheliegend, in einer Statuszeile die aktiven Funktionen anzuzeigen, um dem Benutzer die Kontrolle des jeweils nicht hauptsächlich im Anzeigentext dargestellten Funktionssystems zu ermöglichen.
Dem Argument, dass nach der vorliegenden Erfindung eine Aktion des Telefonsystems schon im Aufbau eines Telefonanrufs zu sehen sei und während das Telefon noch weiterhin aktiv sei, in den ursprünglichen Anzeigekontext gewechselt werde, beispielsweise in eine Kartenansicht einer Routennavigation, kann die Kammer nicht folgen. Ein derartiger Ablauf ist dem Gegenstand des Anspruchs 1 nicht zu entnehmen. Gemäß Anspruch 1 wird ein Anzeigekontext des anderen Funktionssystems, das diesem ausgewählten Objektattribut als primäres Funktionssystem zugeordnet ist, zur Anzeige gebracht, und erst nach einem Ausführen einer von dem ausgewählten Objektattribut abhängigen Aktion des anderen Funktionssystems wird automatisch wieder der ursprüngliche Anzeigekontext des ersten Funktionssystems zur Anzeige gebracht und nicht schon während einem Ausführen.
Die Kammer kann auch keinen Synergieeffekt erkennen zwischen dem Anzeigen von Statusinformationen der ausgeführten Funktionen und dem automatischen Anzeigen des ursprünglichen Anzeigenkontexts nach dem Ausführen der ausgewählten Aktion.
4.5 Daher beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
5. Hilfsantrag 3 - Anspruch 1 - erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
5.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich vom Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass nach dem Wort "automatisch" die Erläuterung "das Bediensystem dafür sorgt, dass" eingefügt wurde.
5.2 Die Prüfungsabteilung war der Meinung, dass diese Ergänzung den Umfang des Anspruchs nicht ändere und den Einwand der mangelnden erfinderischen Tätigkeit des Gegenstands des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht überwinde (vgl. Entscheidungsgründe, Abschnitt 20)
5.3 Die Beschwerdeführerin erläuterte, dass der Hilfsantrag 3 eingereicht und aufrechterhalten wurde, um der aus Sicht der Anmelderin sonderbaren und völlig falschen Definition von "automatisch" entgegenzutreten, welche ja nach Ansicht der Prüfungsabteilung auch eine menschliche Auslösehandlung umfasse. Die im Hilfsantrag 3 gewählte Formulierung solle ausschließen, dass der benutzerinitiierte Wechsel gemäß der Definition von "automatisch" der Prüfungsabteilung auf den Wortlaut des Anspruch 1 gelesen werden könne (vgl. Beschwerdebegründung, Abschnitt IV.). Da die Kammer die Auslegung des Begriffs "automatisch" durch die Beschwerdeführerin teile und somit inhaltlich kein Unterschied zu dem Hilfsantrag 1, wie von der Kammer festgestellt, bestehe, erscheine der Hilfsantrag 3 obsolet (vgl. Schreiben vom 13. Dezember 2022, Abschnitt "3. Hilfsantrag").
Die Kammer kann keinen wesentlichen Unterschied zum Wortlaut des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag erkennen. Das automatische Anzeigen des ursprünglichen Anzeigekontexts, um Betätigungshandlungen durch den Bediener zu reduzieren, kann nur durch das Bediensystem erfolgen. Die Schlussfolgerung bezüglich des Hauptantrags zur erfinderischen Tätigkeit behält daher auch für den Hilfsantrag 3 Gültigkeit.
5.4 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 beruht daher ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
6. Hilfsanträge 4 bis 6 - Zulassung (Artikel 13(2) VOBK 2020)
6.1 Die Ansprüche gemäß Hilfsanträgen 4 bis 6 wurden erstmals mit Schreiben vom 13. Dezember 2022 eingereicht und damit nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Deren Zulassung ist daher gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 zu beurteilen.
6.2 Im Schreiben vom 13. Dezember 2022 zeigte die Beschwerdeführerin keine stichhaltigen Gründe dafür auf, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen, die die Einreichung der geänderten Ansprüche in diesem Verfahrensstadium rechtfertigen.
In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer erläuterte die Beschwerdeführerin, dass in der Entscheidung der Prüfungsabteilung die Begrifflichkeiten nicht klar gewesen seien, die vorläufige Meinung der Kammer jedoch von anderem Niveau gewesen sei, sodass gut nachvollziehbar geworden sei, warum die Kammer den Gegenstand der im Verfahren befindlichen Ansprüche nicht für gewährbar erachte. Insbesondere die Ansicht der Prüfungsabteilung, dass automatisches Ausführen menschliches Handeln umfasse, sei nicht verständlich gewesen. Geänderte Ansprüche hätten daher erst mit Schreiben vom 13. Dezember 2022 eingereicht werden können.
6.3 Die Kammer hält die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Gründe für nicht stichhaltig und kann auch keine außergewöhnlichen Umstände erkennen, die eine Berücksichtigung der mit Schreiben vom 13. Dezember 2022 erstmals eingereichten Ansprüche rechtfertigen würde. Die Prüfungsabteilung erachtete die Ansprüche gemäß Hauptantrag und Hilfsanträgen 1 bis 3 nicht für gewährbar und die Kammer bestätigte in ihrer vorläufigen Meinung lediglich die Auffassung der Prüfungsabteilung. Die Prüfungsabteilung vertrat dabei die Auffassung, dass der Begriff "automatisch" sehr umfassend sei und generell als durch Selbststeuerung oder -regelung erfolgend definiert werde, was aber nicht ausschlösse, dass die Anzeige des ursprünglichen Anzeigekontexts zwar automatisch, aber erst nach einer Betätigungshandlung des Benutzers stattfände. Die Kammer teilte in ihrer vorläufigen Meinung die diesbezügliche Auffassung der Prüfungsabteilung zwar nicht, kann in ihrer vorläufigen Meinung aber keine außergewöhnlichen Umstände erkennen, die die Berücksichtigung der geänderten Ansprüche gemäß Hilfsanträgen 4 bis 6 rechtfertigen würden. In ihrer vorläufigen Meinung erhob die Kammer keinen neuen Einwand, der die Einreichung und Zulassung der geänderten Ansprüche gemäß Hilfsanträgen 4 bis 6 rechtfertigen würde. Die Auffassung der Kammer zum Begriff "automatisch", die der Auffassung der Beschwerdeführerin folgt, macht möglicherweise den Hilfsantrag 3 obsolet, kann aber die Beschwerdeführerin nicht überraschen und stellt keine außergewöhnlichen Umstände dar.
6.4 Die Kammer berücksichtigt daher die Hilfsanträge 4 bis 6 gemäß Artikel 13 (2) VOBK 2020 nicht.
7. Da keiner der zugelassenen Anträge gewährbar ist, ist die Beschwerde zurückzuweisen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.