T 2032/20 21-03-2023
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NATURKOSMETIK-KONFORME-ZUBEREITUNGEN
Ausreichende Offenbarung - (ja)
Ausreichende Offenbarung - Verhältnis von Art. 83 zu Art. 84 EPÜ
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, ihren Einspruch unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. Die Einspruchsabteilung sah die unter Artikel 100(a)(b) EPÜ vorgebrachten Einspruchsgründe der mangelnden Neuheit (Artikel 54 EPÜ), mangelnden erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) und mangelnden Ausführbarkeit (Artikel 83 EPÜ) nicht als Hindernis zur Aufrechterhaltung des Patents an.
III. Auf folgende Dokumente wird in der vorliegenden Entscheidung Bezug genommen:
D2: |Produktbroschüre zu dermosoft® GMCY, Multifunctional Additives, drstraetmans, 2009, Seiten 1/11 bis 11/11 |
D3: |Auszug aus dem Handbuch der Konservierungsmittel, Deutsche Gesellschaft für wissenschaftliche und angewandte Kosmetik e.V., 1995, Verlag für chemische Industrie, H. Ziolkowsky GmbH, Augsburg, Seiten 42 und 43 (ISBN 3 87846 171 2)|
IV. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents lautet wie folgt:
"Kosmetische oder dermatologische Zubereitung umfassend Glycerylcaprylat und Dehydracetsäure und/oder Natriumdehydroacetat dadurch gekennzeichnet, dass die Zubereitung frei ist von Parabenen, Benzylalkohol, Formaldehyd, Phenoxyethanol, Ethylenglycolmonophenylether, Phenylglycol, Benzethoniumchlorid, Lauroylethylarginat, Octopirox und Methylisothiazolinon, weniger als 0,1 Gew.% Ethanol umfasst und einen pH-Wert im Bereich von 5,5 bis 7,5 aufweist."
Der abhängige Anspruch 4 hat folgenden Wortlaut:
"Zubereitung nach einem der vorstehenden Ansprüche, umfassend neben Glycerylcaprylat und Dehydracetsäure und/oder Natriumdehydroacetat nur Naturstoffe, natürliche, naturnahe und/oder naturidentische Rohstoffe."
V. In ihrer Beschwerdebegründung, und im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens brachte die Beschwerdeführerin im wesentlichen folgendes vor:
Die beanspruchten kosmetischen oder dermatologischen Zubereitungen seien nicht ausreichend offenbart, Artikel 100(b) und 83 EPÜ. Insbesondere die in Anspruch 4 definierten naturnahen Rohstoffe seien dem Fachmann nicht zugänglich.
Die beanspruchten Zusammensetzungen seien nicht neu gegenüber D1, wie bereits im Einspruchsverfahren vorgetragen, Artikel 100(a) und 54 EPÜ.
Die beanspruchten Zusammensetzungen seien dem Fachmann ausgehend von D2 in Kombination mit D3 nahegelegt, Artikel 100(a) und 56 EPÜ. Die in den Patentansprüchen definierten Zusammensetzungen unterschieden sich von denen der D2 nur in der Anwesenheit von Dehydracetsäure. Die mangelhafte Konservierung der in D2 offenbarten Zusammensetzungen gegenüber einem Befall von Hefen und Schimmelpilzen sei aus den Abbildungen offensichtlich. Es sei daher für den Fachmann naheliegend gewesen, zur Verbesserung der Konservierung ein gegen diese Mikroben wirksames Konservierungsmittel, insbesondere Dehydracetsäure, zuzusetzen.
VI. In ihrer Beschwerdeerwiderung, und im weiteren Verlauf des Beschwerdeverfahrens brachte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) im wesentlichen folgendes vor:
Die beanspruchten Zusammensetzungen seien in für den Fachmann nachvollziehbarer Weise beschrieben. Naturnahe Rohstoffe seien dem Fachmann bekannt.
Die beanspruchten Zusammensetzungen seien dem Fachmann ausgehend von D2 keineswegs nahegelegt gewesen. Es sei nicht klar, welche der in D2 offenbarten Zusammensetzungen mangelhaft gegen den Befall mit Hefen und Schimmelpilzen konserviert sei. Zusätzlich seien die beanspruchten Zusammensetzungen auch hautfreundlich, insbesondere bei der Verwendung am Auge. Bezüglich dieses Aspekts jedenfalls sei dem Fachmann aus dem Stand der Technik die Verwendung von Dehydracetsäure nicht nahegelegt.
VII. Mit Ladung vom 26. April 2022 wurde für den 21. März 2023 eine mündliche Verhandlung angesetzt. In einem verfahrensleitenden Bescheid unter Artikel 15(1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien mit, dass sie die Einspruchsgründe der mangelnden Ausführbarkeit sowie der mangelnden Neuheit als nicht durchgreifend ansähe. Erfinderische Tätigkeit müsste in der Verhandlung diskutiert werden.
VIII. Am 21. März 2023 fand die mündliche Verhandlung statt.
IX. Die Schlussanträge der Parteien waren die folgenden:
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde, hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form auf der Basis eines der Hilfsanträge 1 bis 4, eingereicht im Einspruchsverfahren.
X. Am Ende der Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Ausführbarkeit, Artikel 100(c) und Artikel 83 EPÜ
2.1 Der Einwand der Beschwerdeführerin richtet sich gegen den Begriff "naturnahe Rohstoffe" in Anspruch 4. Ein Fachmann könne weder dem Patent, noch dem allgemeinen Fachwissen entnehmen, was für Verbindungen damit gemeint seien. Gemäß Absatz [0049] des Patents seien solche Stoffe gegenüber den natürlichen Ausgangsstoffen in undefinierter Weise chemisch verändert. Es gebe auch kein Ausführungsbeispiel, das solche Rohstoffe verwende.
2.2 Dieser Einwand ist nicht überzeugend.
Eine Definition dieses Merkmals findet sich etwa in Absatz [0002] des Patents als chemisch veränderter natürlicher Rohstoff, wobei die chemischen Veränderungen ein Vorbild in der Natur haben, etwa Verseifung oder Veresterung. Solche Stoffe sind bekannt oder können durch Standardreaktionen erhalten werden. Dazu gehört beispielsweise das auch in den Beispielen des Patents verwendete Glycerin, das bekanntlich in natürlichen Fetten verestert vorkommt. Im übrigen enthält, wie von der Beschwerdegegnerin betont, die Beispielzubereitung A in Absatz [0044] ebenfalls solche Stoffe, etwa Cetylstearylalkohol oder Glycerylstearat. Ein Fachmann ist daher durchaus in der Lage, solche Verbindungen zu identifizieren.
Überdies betreffen die Argumente der Beschwerdeführerin, selbst sollten sie zutreffen, die Klarheit der Ansprüche unter Artikel 84 EPÜ und können gegen das erteilte Patent unter Artikel 100 EPÜ nicht vorgebracht werden. Es mag sein, dass im Einzelfall möglicherweise nicht klar ist, ob ein bestimmter Inhaltsstoff, den ein Fachmann zur Herstellung anspruchsgemäßer Zusammensetzungen einsetzen könnte, als "naturnaher Rohstoff" angesehen werden kann oder nicht. Dies führt aber nicht dazu, dass ein Fachmann nicht in der Lage ist, möglicherweise unter Heranziehung anderer Ausgangsstoffe die beanspruchten Zusammensetzungen herstellen zu können.
3. Neuheit Artikel 100(a) und 54 EPÜ
Die Beschwerdeführerin verwies hierzu lediglich auf ihre Eingaben im Einspruchsverfahren. Diese Eingaben wurden allerdings in der angefochtenen Entscheidung schon berücksichtigt. Die Beschwerdeführerin hat im Beschwerdeverfahren keine Argumente vorgebracht, weshalb die Entscheidung der Einspruchsabteilung in Bezug auf Neuheit fehlerhaft sein soll. Die Kammer sieht daher keinen Anlass, die Entscheidung der Einspruchsabteilung in diesem Punkt in Frage zu stellen.
4. Erfinderische Tätigkeit, Artikel 100(a) und 56 EPÜ
4.1 Das Patent beschäftigt sich mit Naturkosmetika. Insbesondere beschäftigt es sich mit der Frage der ausreichenden Konservierung derselben, da der Einsatz klassischer Konservierungsmittel vermieden werden soll.
4.2 Nächster Stand der Technik
D2 repräsentiert unbestritten den nächsten Stand der Technik. Bei D2 handelt es sich um eine Produktinformation der Zusammensetzung "dermosoft® GMCY", die insbesondere Glycerylcaprylat enthält. Die antimikrobielle Aktivität von Glycerylcaprylat wird hervorgehoben. Auf Seite 2 wird angegeben, dass in Kombination mit anderen dermosoft®-Produkten oft keine weitere Konservierung notwendig ist. Auf Seite 3 wird ebenfalls beschrieben, dass in den meisten Fällen auf konventionelle Konservierungsstoffe verzichtet werden kann.
Von der Beschwerdeführerin wurde insbesondere das "Natural Body Spray" auf Seite 6 der D2 angeführt.
4.3 Unterschied der Ansprüche zum nächsten Stand der Technik
Die vorliegenden Ansprüche unterscheiden sich von D2 dadurch, dass zusätzlich Dehydracetsäure oder deren Natriumsalz als Inhaltsstoff verlangt wird. Die anderen Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 des Patents, die sich auf die Abwesenheit gängiger Konservierungsmittel und auf den einzuhaltenden pH-Wert beziehen, sind in D2 erfüllt.
Dies war ebenfalls unstrittig.
4.4 Aufgabe und Lösung
4.4.1 Die Kombination von Glycerylcaprylat und Dehydracetsäure in den beanspruchten Produkten führt zu Zusammensetzungen mit guter Hautverträglichkeit, insbesondere bei Anwendung am Auge, und zu einer ausreichenden Konservierung. Dies ist in den Absätzen [0035] und [0043] des Patents ausgeführt und in den Tests in Absatz [0044] belegt.
Die Beschwerdeführerin argumentierte, die Testresultate des Patents zeigten keine Verbesserung der Hautverträglichkeit gegenüber D2. Des weiteren sei das Auftreten von Unverträglichkeiten bei 5% der Probanden, wie bei Zubereitung B in Absatz [0044], kein Beleg für die Aussage, das Produkt sei hautverträglich.
Die Kammer stimmt zu, dass gegenüber D2 keine Verbesserung der Hautverträglichkeit gezeigt wurde. Es wurde aber zumindest die Hautverträglichkeit anspruchsgemäßer Produkte nachgewiesen, und zwar insbesondere bei der Anwendung am Auge, siehe Absatz [0044], Zusammensetzung A. Dass eine Unverträglichkeitsrate von 5% im Stinging-Test der Zusammensetzung B gemäß Absatz [0044] allgemein als nicht tolerierbar angesehen würde, wurde von der Beschwerdeführerin nicht belegt.
Die Kammer kommt also zu dem Schluss, dass die im Anspruch definierten Zusammensetzungen hautverträglich sind, insbesondere bei Anwendung am Auge, und eine ausreichende Konservierung aufweisen.
4.4.2 Ausgehend von D2 bestand die zu lösende technische Aufgabe daher darin, Zusammensetzungen bereitzustellen, die eine ausreichende Konservierung aufweisen und insbesondere bei Anwendung am Auge verträglich sind.
Diese Aufgabenstellung ist bereits im Patent selbst erwähnt, siehe Absätze [0008] und [0022].
4.4.3 Diese Aufgabe wird durch die beanspruchten Zusammensetzungen, die sich gegenüber D2 durch die Anwesenheit von Dehydracetsäure oder deren Salzen auszeichnen, gelöst, wie oben ausgeführt.
4.4.4 Die Beschwerdeführerin hat eingewandt, ein Nachweis über die Konservierung sei im Patent nicht erbracht, und auch die Hautverträglichkeit der beanspruchten Produkte sei nicht über die gesamte Breite des Anspruchs nachgewiesen.
Dieses Vorbringen ist nicht überzeugend. Dass der Zusatz des bekannten (siehe D3) Konservierungsmittels Dehydracetsäure zu den Zusammensetzungen der D2 zu Produkten führen soll, die im Vergleich zu denen der D2 keine ausreichende Konservierung aufweisen, ist technisch unglaubhaft. Im übrigen hat die Beschwerdeführerin selbst mit dem von ihr mit der Beschwerdebegründung eingereichten Vergleichsversuch gezeigt, dass die konservierende Wirkung bei Zugabe von Dehydracetsäure im Vergleich zu den Zubereitungen der D2 verbessert wird, und zwar insbesondere in Bezug auf Befall mit Schimmelpilze und Hefen.
In Bezug auf die Hautverträglichkeit sieht die Kammer in Abwesenheit von Gegenbeispielen keinen Grund, an den im Patent in Absätzen [0035], [0043] und [0044] gemachten Feststellungen zu zweifeln. Das bloße Vorbringen, die Ansprüche könnten auch Zusammensetzungen umfassen, für die die gemachten Aussagen nicht zuträfen, ist nicht ausreichend.
4.5 Naheliegen der Lösung
Strittig zwischen den Parteien war insbesondere die Frage, ob die oben definierte technische Aufgabe auf eine für den Fachmann naheliegende Weise gelöst wurde.
In der angefochtenen Entscheidung wurde diese Frage verneint, siehe Punkt 11 der Entscheidungsbegründung.
Dieser Einschätzung ist im Ergebnis zuzustimmen, wie im folgenden begründet wird.
4.5.1 Die Beschwerdeführerin argumentierte, ein Fachmann hätte der D2 entnommen, dass insbesondere die auf Seite 6 beschriebene Zusammensetzung "Natural Body Spray" gegen Befall mit Schimmelpilzen und Hefen anfällig sei. Dies sei aus Abbildung 2 ersichtlich. Die Zugabe von Dehydracetsäure, einer für solche Zwecke aus D3, einem Handbuch für Konservierungsmittel, bekannten Verbindung, sei daher naheliegend gewesen. Für die bekannten Eigenschaften der Dehydracetsäure verwies die Beschwerdeführerin insbesondere auf den Punkt "Wirkung" auf Seite 43 der D3. Der Fachmann würde auch durch die Aussage der D3, Dehydracetsäure sei unverträglich mit nichtionischen Tensiden, nicht von deren Zugabe abgehalten, da die Ansprüche nicht auf solche Tenside enthaltende Mittel beschränkt seien. Dehydracetsäure sei im übrigen im Streitpatent in Tabelle 1 als Naturkosmetikrohstoff ausgewiesen, was zusätzlich für deren Verwendung spräche.
4.5.2 Die Kammer hält dieses Vorbringen für nicht überzeugend.
Zunächst hat die Beschwerdegegnerin vorgebracht, und die Kammer stimmt dem zu, dass aus D2 gar nicht klar wird, ob die von der Beschwerdeführerin herangezogene Abbildung 2 zu dem auf Seite 6 beschriebenen "natural body spray" gehört. Die D2 beschreibt auf Seiten 6-9 vier verschiedene Zusammensetzungen. Ebenfalls sind auf Seiten 4 und 5 vier verschiedene Abbildungen gezeigt. Allerdings entsprechen die in Abbildungen 1, 3 und 4 genannten Produkte "Deo Roll On liquid", "W/O lotion" und "O/W cream" keiner der auf Seiten 6-9 beschriebenen Zusammensetzungen. Es kann daher nicht unbedingt davon ausgegangen werden, dass Abbildung 2 das Verhalten des "natural body spray" auf Seite 6 oder überhaupt einer bis auf die Anwesenheit der Dehydracetsäure den Patentansprüchen entsprechenden Zusammensetzung beschreibt. Die Beschwerdegegnerin hat darauf hingewiesen, dass etwa die auf Seite 9 beschriebene Hautcreme einen nicht anspruchsgemäßen pH-Wert aufweist und auch das "natural body spray" selbst einen undefinierten Anteil Alkohol enthält.
Doch selbst, wenn man im Sinne der Beschwerdeführerin annähme, der Fachmann hätte aus D2 den Hinweis entnommen, Glycerylcaprylat alleine sei für die Konservierung der Zusammensetzungen gegenüber Hefen und Schimmelpilzen unzureichend, so wäre dem Fachmann die Verwendung von Dehydracetsäure zur Lösung der gestellten Aufgabe aus D3 nicht nahegelegt gewesen.
Der Fachmann erhält nämlich aus D3 keinerlei Hinweis auf die in der zu lösenden technischen Aufgabe ebenfalls verlangte und im Patent nachgewiesene Hautverträglichkeit der Zusammensetzungen, insbesondere derjenigen zur Anwendung am Auge.
Der Fachmann hätte daher keinen Anreiz gehabt, aus der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Konservierungsmittel gerade Dehydracetsäure auszuwählen, sollte er die Konservierung der in D2 beschriebenen Produkte als unzureichend ansehen. Dass Dehydracetsäure an sich als Konservierungsmittel bekannt war, ist hierzu nicht ausreichend.
4.6 Daher beruhen die beanspruchten Zusammensetzungen gegenüber den angeführten Dokumente auf einer erfinderischen Tätigkeit.
5. Die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch unter Artikel 101(2) EPÜ zurückzuweisen, da keiner der angeführten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents entgegensteht, ist daher nicht zu beanstanden.
Entscheidungsformel
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.