T 1409/22 16-10-2023
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KRANSTEUERUNG
I Hyva Holding B.V.
II Hiab AB
III ROTZLER HOLDING GMBH + CO. KG
Ausreichende Offenbarung - Hauptantrag (ja)
Neuheit - Hauptantrag und Hilfsantrag 2 (nein)
Patentansprüche - Klarheit, Änderungen aus Beschreibung
Patentansprüche - Hilfsantrag 1 (nein)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (nein)
I. Die Einsprechende II legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, den Einspruch gegen das europäische Patent Nr. 3099618 aufgrund des Artikels 101(2) EPÜ zurückzuweisen.
II. In ihrer Entscheidung ist die Einspruchsabteilung u.a. zu der Auffassung gelangt, dass die von den Einsprechenden I, II und III unter Artikel 100(a) und (b) EPÜ vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents wie erteilt nicht entgegenstehen.
III. Die angefochtene Entscheidung nimmt unter anderem Bezug auf die folgenden Entgegenhaltungen, die auch in der vorliegenden Entscheidung genannt werden:
D1: EP 2 388 228 A1
D11: "Human-Computer Interaction", Third Edition, von Alan Dix at al
D13: "Basic Principles of Human-Computer Interface Design" von Philip Barker
D14: "User Interface Design for Computer Systems" von Tony Rubin
D28: Operator's Manual, Hiab 222 ATF-1, AHSVS Recovery Crane, Sep. 07.v.1.0.
IV. Am 16. Oktober 2023 fand eine als Videokonferenz durchgeführte mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer des Europäischen Patentamts statt.
Für die weitere Verfahrensbeteiligte (Einsprechende III) war, wie mit Schreiben vom 13. September 2023 angekündigt, niemand anwesend. Für die weitere Verfahrensbeteiligte (Einsprechende I) war ebenfalls niemand anwesend.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende II) beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerde (Hauptantrag), hilfsweise die Aufrechterhaltung des Patents auf der Basis einer der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 5.
Die weiteren Verfahrensbeteiligten (Einsprechende I und
III) haben sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.
V. Anspruch 1 wie erteilt lautet wie folgt (Gliederung gemäß der angefochtenen Entscheidung):
Ml Kransteuerung für einen Kran, insbesondere Ladekran,
M2 mit einem ersten Betriebsmodus, in welchem der Kran durch einen Benutzer mittels Steuerbefehlen frei bedienbar ist
M3 mit einem zweiten, durch den Benutzer aktivierbaren Betriebsmodus, in welchem die Krangeometrie in einer vorbestimmten Abfolge von Bewegungen durch die Kransteuerung veränderbar ist,
dadurch gekennzeichnet, dass
M4 die Kransteuerung eine menügeführte Benutzerschnittstelle aufweist
M5 wobei die menügeführte Benutzerschnittstelle eine durch den Benutzer wählbare Funktion aufweist, durch welche die Kransteuerung vom ersten in den zweiten Betriebsmodus wechselt.
In Hilfsantrag 1 wurde Merkmal M3 wie folgt geändert:
M3* mit einem zweiten, durch den Benutzer aktivierbaren Betriebsmodus, in welchem die Krangeometrie d.h. die relative Stellung der Kranarme (101, 102, 111) zueinander in einer Ebene bzw. relativ zu einer Kransäule (106) und die Schwenkstellunq der Kranarme (101, 102, 111) samt Kransäule (106) relativ zu einem Kransockel (206), in einer vorbestimmten Abfolge von Bewegungen durch die Kransteuerung (10) veränderbar ist, wobei der zweite Betriebsmodus dazu dient, den Kran in vorbestimmter Weise aus einer Parkierposition in eine Arbeitsposition zu bringen bzw. den Kran in vorbestimmter Weise aus einer Arbeitsposition in die Parkierposition zu bringen,
Hilfsantrag 2 basiert auf dem Hauptantrag, wobei die Merkmale des erteilten Anspruchs 4 ergänzt wurden:
M6 und dass die Kransteuerunq (10) im zweiten Betriebsmodus einen Bedienhebel (11) eines Steuerpults (6) aktiviert und durch Betätigung dieses einen Bedienhebels (11) die Krangeometrie in der vorbestimmten Abfolge von Bewegungen durch die Kransteuerung (10) veränderbar ist, wobei vorzugsweise die Kransteuerung (10) eine Geschwindigkeit mit der vorbestimmten Abfolge von Bewegungen der Krangeometrie in Abhängigkeit zu einer Auslenkunq des einen Bedienhebels (11) des Steuerpults (6) steuert.
Hilfsantrag 3 basiert auf dem Hauptantrag, wobei die Merkmale des erteilten Anspruchs 16 ergänzt wurden:
M6* und dass die Kransteuerung (10) ein automatisches hydraulisches Vorspannen wenigstens eines Schubsystems (107, 108) sowie von Hubzylindern für die Verschwenkung der Kranarme (101, 102) ausführt.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechende II) - soweit es für die Entscheidung wesentlich war - lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Artikel 100(b) EPÜ - Anspruch 4
Anspruch 4 fordere, dass die Kransteuerung im zweiten Betriebsmodus einen Bedienhebel (11) eines Steuerpults (6) aktiviere. Dieses Merkmal sei nicht durch die Beschreibung gestützt. Stattdessen lehre Absatz [0029] des Streitpatents das Gegenteil, nämlich dass im Vergleich zum ersten Betriebsmodus alle Bedienhebel 31 bis auf einen Hebel (11) deaktiviert würden. Dieser Widerspruch stelle den Fachmann vor eine unlösbare Aufgabe bei der Umsetzung des Anspruchs 4.
Hauptantrag - Neuheit gegenüber D1
Das Verständnis der Einspruchsabteilung hinsichtlich der Merkmale M2 und M3 sei falsch (angefochtene Entscheidung, Punkte 2.5.1.3 bis 2.5.1.5). D1 offenbare eine Kransteuerung 40 mit einem ersten Betriebsmodus ("individual telescoping control section 42") und einem automatischen, zweiten Betriebsmodus ("automatic telescoping control section 41"), siehe Absätze [0025] bis [0028]. Im ersten Betriebsmodus erfolge die Bedienung manuell, wodurch der Kran frei bedienbar sei. Anspruch 1 definiere weder den Zweck der Betriebsmodi noch was "frei bedienbar" bedeute.
Auch habe die Einspruchsabteilung die Merkmale M4 und M5 zu eng ausgelegt. "Menügeführt" bedeute lediglich, dass eine Auswahl zur Verfügung stehe. Dies gehe auch aus D13, Seite 94, Absatz 4.4.2 hervor. Weiterhin sei eine "Benutzerschnittstelle" lediglich ein Mittel zur Kommunikation zwischen einem Computer und einem Nutzer. Auch der "control selector switch 32" der D1 stelle daher eine Benutzerschnittstelle dar, mit der der Bediener aus fünf Möglichkeiten wählen könne (D1, Absatz [0036]).
Hilfsantrag 1 - Artikel 84 EPÜ
Das geänderte Merkmal M3* enthalte Merkmale aus der Beschreibung, die sich nicht auf die Kransteuerung, sondern auf Merkmale des nicht beanspruchten Krans richteten. Dadurch werde Anspruch 1 unklar.
Hilfsantrag 2 - Artikel 54 EPÜ
Sollten die dem Anspruch 1 hinzugefügten Merkmale des erteilten Anspruchs 4 im Sinn der Beschreibung als ausreichend offenbart angesehen werden, seien diese Merkmale nicht neu gegenüber D1. Werde der Auslegung der Beschwerdegegnerin gefolgt, dass ein Aktivieren des Hebels gleichzusetzen sei mit der Belegung des Hebels mit einer gewünschten Funktion, dann falle auch der in Absatz [0034] der D1 offenbarte "control lever" unter den Anspruchswortlaut.
Hilfsantrag 3
Ausgehend von D28 sei der Gegenstand des Anspruch 1 naheliegend.
Der mit Schreiben vom 26. Juni 2023 nach Erhalt der Ladung vorgebrachte Einwand zur mangelnden Neuheit gegenüber D1 sei ins Verfahren zuzulassen. Als außergewöhnlicher Umstand werde die hohe prima-facie Relevanz der D1 angesehen.
Auch der weitere, in diesem Schreiben vorgebrachte Einwand zu Artikel 56 EPÜ mit D26 sei relevant.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) - soweit es für die Entscheidung wesentlich war - lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Artikel 100(b) EPÜ - Anspruch 4
Anspruch 4 werde vom Fachmann anhand seines Fachwissens und der Gesamtoffenbarung so verstanden, dass im zweiten Betriebsmodus der Bedienhebel mit einer Funktion belegt und somit aktiviert werde, so dass bei Betätigung des Hebels die Krangeometrie in der vorbestimmten Abfolge von Bewegungen veränderbar sei. Der Einwand, dass Anspruch 4 nicht durch die Beschreibung gestützt sei, falle unter Artikel 84 EPÜ.
Hauptantrag - Neuheit gegenüber D1
Das Streitpatent definiere "frei bedienbar" aus Merkmal M2 in Absatz [0002]. Demnach erlaube der erste Betriebsmodus eine freie und beliebige Veränderung der Krangeometrie. Dies sei bei der "individual telescoping control" der D1 nicht möglich, da in diesem Modus nur jeweils ein einzelner, manuell ausgewählter Teleskoparm bewegt werden könne. Tatsächlich entspräche die "automatic control" dem Normalbetrieb, d.h. dem Modus der freien Bewegbarkeit, und der "individual control"-Modus einem Wartungsbetrieb (Dl, Absatz [0057]).
Auch erfolge laut D1, Absatz [0030], bei Auswahl des "automatic telescoping" gar kein Wechsel in den zweiten Betriebsmodus. Die "switching-prohibition section 43" verhindere dies, wenn der Teleskopkran nicht in vollständig ein- oder ausgefahrener Position sei.
D1 offenbare die Merkmale M4 und M5 nicht. Der Begriff "menügeführt" habe die Bedeutung, dass ein Bediener interaktiv durch mehrere Ansichten mit mehreren Auswahlmöglichkeiten geführt werde. Merkmal M4 impliziere eine grafische Darstellung und erfordere eine spezielle Software als "Menü Manager". Dies werde belegt durch die D11, Seite 137, Punkt 3.5.2 ("the set of options available to the user is displayed on the screen", "Often menues are hierarchically ordered..."), die D13, Seite 94, Punkt 4.4.2, erster Absatz ("In order to control the presentation of menus (and end-user interaction with them) a special item of software known as a 'menu manager' is needed.") und die D14, Seite 53 ("A computer menu is essentially the presentation of a list of 'things' to the user which can be selectet at that point in the user-computer dialogue.").
Ein Wahlschalter ("control selector switch 32") mit mehreren Schaltstellungen wie in Dl, Absatz [0036], offenbart, sei keine menügeführte Benutzerschnittstelle im Sinne des Streitpatents.
Hilfsantrag 1 - Artikel 84 EPÜ
Merkmal M3* definiere die Art von Kran näher, für den die Kransteuerung geeignet sein müsse. Eine Kransteuerung für beispielsweise einen Container- oder Brückenkran ohne schwenkbare Kranarme, Kransäule und Kransockel sei damit ausgeschlossen. Ein Klarheitsproblem ergebe sich daraus nicht.
Hilfsantrag 2 - Artikel 54 EPÜ
D1 zeige schon keine menügeführte Benutzerschnittstelle (Merkmale M4 und M5). Auch sei keine Aktivierung eines Bedienhebels durch die Kransteuerung (M6) offenbart.
Hilfsantrag 3
Die Beschwerdeführerin hätte sich bereits in der Beschwerdebegründung zu dem aus der ersten Instanz bekannten Hilfsantrag 3 äußern müssen. Die erst mit Schreiben vom 26. Juli 2023 vorgebrachten Einwände gegen Hilfsantrag 3 seien unter Artikel 13(2) VOBK 2020 nicht ins Verfahren zuzulassen.
1. Hauptantrag - Artikel 100(b) EPÜ
1.1 Die Kammer bestätigt die Entscheidung der Einspruchsabteilung, dass der Fachmann aus der Gesamtoffenbarung ausreichend Informationen erhält, wie der Wortlaut des Anspruchs 4 zu verstehen ist.
1.2 Laut Beschwerdeführerin sei Anspruch 4 nicht ausführbar, da er im Widerspruch zu Absatz [0029] des Streitpatents stehe. Anspruch 4 fordere, dass die Kransteuerung im zweiten Betriebsmodus einen Bedienhebel (11) eines Steuerpults (6) aktiviere, wohingegen Absatz [0029] des Streitpatents das Gegenteil lehre, nämlich dass alle Bedienhebel 31 bis auf einen Hebel (11) deaktiviert würden.
1.3 Die Kammer ist nicht überzeugt. Anspruch 4 muss nicht unbedingt so verstanden werden, dass eine "Aktivierung" in dem Sinne erforderlich ist, dass der Hebel von einem "nicht aktiven" in einen "aktiven" Zustand umgeschaltet wird. Wie von der Beschwerdegegnerin vorgetragen, kann die Aktivierung des Bedienhebels auch die Belegung mit einer Funktion beinhalten, so dass bei Betätigung der zweite Betriebsmodus ausgeführt wird. Diese Funktion kann von diesem Hebel im ersten Betriebsmodus eindeutig nicht ausgeführt werden.
1.4 Eine derartige Aktivierung ist unabhängig davon, ob der von der Kransteuerung zu aktivierende Bedienhebel vorher deaktiviert oder bereits aktiviert war, da der Bedienhebel in jedem Fall neu aktiviert wird, sodass in weiterer Folge durch Betätigung dieses Bedienhebels die Krangeometrie in der vorbestimmten Abfolge von Bewegungen durch die Kransteuerung veränderbar ist.
1.5 Diese Auslegung wird durch die Beschreibung, Absatz [0029] gestützt, worin es heißt: "Dieser eine nicht gesperrte Bedienhebel 11 dient nach Aktivierung des zweiten Betriebsmodus dazu, dass der Benutzer ... aus der Nullstellung die Geschwindigkeit wählen kann". Demnach muss der Hebel für den zweiten Betriebsmodus, in dem er zur Steuerung der Geschwindigkeit des automatischen Ablaufs dienen soll, entsprechend aktiviert werden, um eine Funktion auszuführen, die er im ersten Betriebsmodus nicht hat.
1.6 Ein unlösbarer Widerspruch zwischen Anspruch 4 und der Beschreibung ist daher nicht ersichtlich.
2. Hauptantrag - Artikel 100(a) EPÜ mit Artikel 54 EPÜ
2.1 Anspruch 1 ist nicht neu gegenüber D1. Die Kammer stimmt der Argumentation der Beschwerdeführerin (Einsprechende II) zu, dass der Anspruchswortlaut breit gefasst ist und nicht auf die von der Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) vorgetragene Leseweise zu beschränken ist.
2.2 D1 offenbart in den Absätzen [0025] bis [0028] eine Kransteuerung 40 mit einem ersten Betriebsmodus ("individual telescoping control section 42") und einem automatischen, zweiten Betriebsmodus ("automatic telescoping control section 41"). Zur Umschaltung zwischen den Betriebsmodi dient der "control selector switch 32", wobei der Bediener aus einem Menü zwischen fünf Punkten auswählen kann. D1, Absatz [0036], offenbart hierzu: "The control selector switch 32 is operated by an operator for manually selecting one from five items: "automatic telescoping", "2nd boom member", "3rd boom member", "4th boom member" and "5th boom member"".
2.3 Umstritten sind die Merkmale M2, M4 und M5.
2.4 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, dass der "individual telescoping control" keine freie Bedienbarkeit im Sinne des Merkmals M2 gewährleiste, da gemäß D1, Absatz [0007], nur ein einzelner Teleskoparm bewegt werden könne.
2.5 Die Kammer ist nicht überzeugt. Der erste Betriebsmodus ("individual telescoping control") umfasst die freie Bedienbarkeit der Teleskoparme durch Auswahl des jeweils zu bewegenden Abschnitts (zweiter, dritter, vierter oder fünfter Teleskoparmabschnitt, siehe Absatz [0036]). Jeder Arm kann einzeln bewegt werden und in eine beliebige Stellung gebracht werden. Auf diese Art ist der Kran "frei bedienbar".
2.6 Weiterhin wird im zweiten Betriebsmodus, der vom Bediener durch Auswahl der Position "automatic telescoping" aktivierbar ist, die Krangeometrie durch die Kransteuerung in einer vorbestimmten Abfolge verändert (Absatz [0027]: "to perform an automatic telescoping control for sequentially making the boom members 12b to 12e of the movable boom member assembly 12 be moved, in a telescoping direction of the telescopic boom 10, according to a predetermined regulär boom-telescoping sequence").
2.7 Da im Anspruch nicht definiert ist, wozu die beiden Betriebsmodi dienen, kann entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin die "individual telescoping control" als erster Betriebsmodus und die "automatic telescoping control" als zweiter Betriebsmodus entsprechend den Merkmalen M2 und M3 angesehen werden.
2.8 Auch die von der Beschwerdegegnerin genannte "switching prohibition section 43" (D1, Absatz [0030]) widerlegt diese Auslegung nicht, da diese lediglich als eine Sicherheitsabfrage anzusehen ist, wie sie auch im Streitpatent vor Inbetriebnahme des zweiten Betriebsmodus erfolgt, siehe Absatz [0027] im Streitpatent: "Zum Beispiel überprüft die Kransteuerung 10, ob sich die vorhanden Krangeometrie sicherheitstechnisch überhaupt als Ausgangspunkt für die vorbestimmte Abfolge der Veränderungen der Krangeometrie [...] eignet.".
2.9 Weiterhin stellt der "control selector switch 32" eine Benutzerschnittstelle dar. Die Benutzerschnittstelle dient der Kommunikation des Bedieners mit der Kransteuerung. Dies ist über den "control selector switch 32" möglich. Weiterhin kann der Bediener mit dem "control selector switch" aus den zur Verfügung stehenden Funktionen wählen. Diese verschiedenen, zur Auswahl stehenden Funktionen stellen eine Menü dar. Eine der wählbaren Funktionen ist "automatic telescoping", durch die die Kransteuerung 40 vom ersten in den zweiten Betriebsmodus wechselt.
2.10 Diese breite Auslegung des Anspruchswortlaut steht nicht im Widerspruch zu den von der Beschwerdeführerin zitierten Computerfachbüchern D11, D13 und D14, die sich allgemein mit Schnittstellen und Menüs zum Dialog zwischen Mensch und Computer beschäftigen. D11 nennt unterschiedliche Benutzerschnittstellen, wie z.B. ein Joystick, eine Tastatur oder eine Mouse (Seite 75, Zeile 1 und Kapitel 2.3.4, Titel). Weiterhin beschreibt z.B. die von der Beschwerdegegnerin genannten Textstelle in der D13 (Seite 94, Punkt 4.4.2, zweiter Absatz), dass bereits eine 1-aus-N-Auswahl ein Menü darstellt ("the simplest type of menu provides a 1-out-of-N selection (where N is the number of options available).").
2.11 Dass eine menügeführte Benutzerschnittstelle auf grafisch dargestellte Auswahlmöglichkeiten mit verschiedenen Hierarchien auf einem Bildschirm, z.B. einem Touchscreen beschränkt ist, mag in den Ausführungsbeispielen des Streitpatents der Fall sein, Anspruch 1 ist darauf jedenfalls nicht beschränkt.
3. Hilfsantrag 1 - mangelnde Klarheit
3.1 Die Kammer erachtet in Anlehnung an T0464/18 (Punkt 3) und T0263/05 (Punkt 7.15) die Prüfung von Artikel 84 EPÜ und 123(2) EPÜ von Amts wegen (Artikel 114(1) EPÜ) als angebracht, da im vorliegenden Fall die Einspruchsabteilung nicht über Hilfsantrag 1 entschieden hat (Einspruch wurde zurückgewiesen) und Anspruch 1 durch die Aufnahme von Merkmalen aus der Beschreibung geändert wurde.
3.2 Die Erfordernisse des Artikels 84 EPÜ sind nicht erfüllt.
3.3 Die Kammer teilt nicht die Ansicht der Beschwerdegegnerin, dass die Änderung in Merkmal M3* "die Krangeometrie d.h. die relative Stellung der Kranarme (101, 102, 111) zueinander in einer Ebene bzw. relativ zu einer Kransäule (106) und die Schwenkstellunq der Kranarme (101, 102, 111) samt Kransäule (106) relativ zu einem Kransockel (206)" lediglich den Krantyp spezifiziere, für den die Kransteuerung geeignet sei.
3.4 Der Anspruch definiert vorab keinen Kran mit Kranarmen samt Kransäule und Kransockel, so dass nicht klar ist, welche Einschränkungen sich für die Kransteuerung ergeben sollen. Die Änderung beschreibt lediglich, was unter dem Begriff "Krangeometrie" fallen kann. Allerdings bleibt unklar, ob die Kransteuerung im zweiten Betriebsmodus speziell einen Kran mit dieser Geometrie automatisch bewegt oder ob die Kransteuerung gemäß Merkmal 1 weiterhin für Kräne allgemein geeignet sein soll, d.h. auch für Kräne geeignet ist, in denen z.B. nur die relative Stellung von Kranarmen automatisch veränderbar ist.
3.5 Hilfsantrag 1 ist daher nicht gewährbar.
4. Hilfsantrag 2 - mangelnde Neuheit gegenüber D1
4.1 Anspruch 1 kombiniert die Merkmale der erteilen Ansprüche 1 und 4, so dass Klarheit gegeben und Artikel 123(2) EPÜ erfüllt ist. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist jedoch nicht neu gegenüber D1.
4.2 Entsprechend obigem Punkt 1 wird das Merkmal M6, wonach die Kransteuerung im zweiten Betriebsmodus einen Bedienhebel eines Steuerpults aktiviert, derart verstanden, dass im zweiten Betriebsmodus der Bedienhebel mit einer Funktion belegt wird, die der Hebel im ersten Bedienmodus nicht hat, nämlich die Krangeometrie in der vorbestimmten Abfolge von Bewegungen durch die Kransteuerung zu verändern.
4.3 Dies wird auch in D1 offenbart. Die D1 beschreibt unstrittig nur einen einzigen Bedienhebel ("control lever", Absatz [0034]) sowohl für den manuellen Betrieb ("individual telescoping control") als auch für den automatischen Betriebsmodus ("automatic telecoping control").
Über den "control selector switch 32" wird in den zweiten Betriebsmodus ("automatic telescoping") gewechselt (D1, Absatz [0036]). Dadurch wird der Bedienhebel ("control lever") mit der Funktion für den zweiten Betriebsmodus belegt. Durch die Betätigung des Bedienhebels wird dann die Krangeometrie in der vorbestimmten Abfolge von Bewegungen durch die Kransteuerung verändert.
Dabei ist es unerheblich, dass im Streitpatent gemäß Anspruch 5 oder Absatz [0029] andere Bedienhebel deaktiviert werden, da dieses Merkmal nicht im Anspruch enthalten ist.
4.4 Die Erfordernisse des Artikels 54 EPÜ sind somit nicht erfüllt.
5. Hilfsantrag 3
5.1 Anspruch 1 kombiniert die Merkmale der erteilen Ansprüche 1 und 16, so dass Klarheit gegeben und Artikel 123(2) EPÜ erfüllt ist. Zu Hilfsantrag 3 liegen in der Beschwerde keine Einwände vor, über die die Kammer entscheiden könnte.
5.2 Einwände aus der Beschwerdebegründung
5.2.1 In der Beschwerdebegründung wurde nicht zu den aus der ersten Instanz bekannten Hilfsanträgen vorgetragen. Unter Punkt 7.10 der Beschwerdebegründung wurde jedoch gegen den erteilten Anspruch 16 ein Einwand zur fehlenden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D28 vorgebracht. Dabei wurde lediglich argumentiert, dass es sich bei den Merkmalen des Anspruchs 16 um konstruktive Merkmale handle, die für den Fachmann gegenüber D28 naheliegend seien.
5.2.2 Dieser Einwand ist jedoch nicht substantiiert und wird folglich nicht berücksichtigt. Es wird weder erläutert warum die Merkmale an sich naheliegend sein sollen, noch warum der Fachmann diese Merkmale auf naheliegender Weise ausgehend von D28 verwirklichen würde.
5.3 Einwände im Schreiben vom 26. Juli 2023
5.3.1 Mit Schreiben vom 26. Juli 2023 wurden gegen Hilfsantrag 3 Einwände unter Artikel 84 EPÜ, Artikel 54 EPÜ und Artikel 56 EPÜ erhoben. Da diese Einwände erstmals nach Zustellung der Ladung vorgebracht wurden, fallen diese unter die Regelung des Artikels 13(2) VOBK 2020 und bleiben grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, es liegen außergewöhnliche Umstände vor.
5.3.2 Ungeachtet dessen, dass Artikel 84 EPÜ für Hilfsantrag 3 nicht zu prüfen ist, da Anspruch 1 lediglich erteilte Ansprüche kombiniert (G3/14), ließ die Kammer diese neu erhobenen Einwände - wie von der Beschwerdegegnerin beantragt - nicht ins Beschwerdeverfahren zu.
5.3.3 Bzgl. des neuen Einwands der fehlenden Neuheit des Anspruchs 1 gegenüber D1 wurde von der Beschwerdeführerin als außergewöhnlicher Umstand eine hohe prima-facie Relevanz der D1 vorgebracht. Eine hohe prima-facie Relevanz fällt jedoch nicht - wie auch in der T 0187/18 (Gründe, Punkt 1) festgestellt - unter außergewöhnlicher Umstände im Sinne des Artikels 13(2) VOBK 2020.
5.3.4 Zum neu vorgebrachten Einwand unter Artikel 56 EPÜ fehlt jegliche Begründung, warum außergewöhnliche Umstände vorliegen sollten.
5.3.5 Tatsächlich ist im Beschwerdeverfahren auch kein Umstand ersichtlich, der als außergewöhnlich angesehen werden könnte. Hilfsantrag 3 lag bereits erstinstanzlich vor, wobei in Anspruch 1 nur erteilte Ansprüche kombiniert wurden (Ansprüche 1 und 16). Weiterhin wurde D1 in der Beschwerdebegründung bereits als neuheitsschädlich für Anspruch 1 wie erteilt sowie für die erteilten Ansprüche 2, 3, 4, 6 bis 8, 11, 13, 15 und 17 vorgebracht, jedoch trotz angeblich hoher prima-facie Relevanz nicht für den erteilten Anspruch 16.
5.4 Folglich ist Hilfsantrag 3 als Grundlage für die Aufrechterhaltung des Patents in geänderter Form anzusehen.
6. Anpassung der Beschreibung
Die von der Beschwerdegegnerin mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Änderungen der Beschreibung werden zur Anpassung an den Wortlaut des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 3 als sachdienlich angesehen. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende II) hatte hierzu keine Einwände.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz zurückverwiesen mit der Anordnung, das Patent gemäß
- den Ansprüchen 1 bis 17 des Hilfsantrags 3,
- der Beschreibung wie in der Patentschrift mit Ausnahme von Absatz [0007] eingereicht mit Schreiben vom 7. Dezember 2022 (geänderte Beschreibung zu Hilfsantrag 3), und
- den Figuren wie in der Patentschrift
aufrechtzuerhalten.