T 0118/87 (Amylolytische Enzyme) 25-08-1989
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1. Regel 28 (1) EPÜ besagt, daß eine Kultur des Mikroorganismus spätestens am Anmeldetag bei einer anerkannten Hinterlegungsstelle hinterlegt worden sein muß.
2. Der Hinterleger eines Mikroorganismus und der Anmelder einer Erfindung, die sich auf diesen Mikroorganismus bezieht, müssen grundsätzlich identisch sein. In Ausnahmefällen können eine Mutter- und eine Tochtergesellschaft für die Zwecke der Regel 28 EPÜ als eine Person angesehen werden, wenn die Muttergesellschaft als Anmelderin die volle Verfügungsbefugnis über die Hinterlegung der Tochtergesellschaft besitzt.
Hinterlegung eines Mikroorganismus
Identität von Anmelder und Hinterleger
Mutter- und Tochtergesellschaft
I. Die am 12. Februar 1981 eingereichte europäische Patentanmeldung 81 300 578.2, die die Veröffentlichungsnummer 34 470 trägt, ist durch die Entscheidung der Prüfungsabteilung vom 11. November 1986 zurückgewiesen worden.
II. Die Anmeldung bezieht sich auf gentechnisch manipulierte Mikroorganismen, die amylolytische Enzyme produzieren, sowie auf Verfahren zu deren Herstellung. In den Ansprüchen 4, 7 und 11 sind Mikroorganismen erwähnt, die bei der Hinterlegungsstelle National Collection of Industrial Bacteria (NCIB) hinterlegt worden sind.
III. Die bei der NCIB hinterlegten Mikroorganismen wurden nicht von der Beschwerdeführerin, CPC International Inc., USA, sondern von der CPC Europe Ltd., Brüssel, hinterlegt.
IV. Durch den angefochtenen Beschluß vom 11. November 1986 wurde die Anmeldung zurückgewiesen, weil die Hinterlegungen bei der NCIB nicht den Erfordernissen der Regel 28 EPÜ entsprächen. Die Anmelderin habe nicht dargetan, daß die bei der NCIB hinterlegten Mikroorganismen der Öffentlichkeit gemäß der Regel 28 (3) bis (8) EPÜ zur Verfügung gestanden hätten, denn Anmelderin und Hinterlegerin seien verschiedene Rechtspersonen, so daß die Anmelderin nicht gewährleisten könne, daß die hinterlegten Kulturen gemäß Regel 28 (3) EPÜ jedermann auf Antrag zugänglich seien. Aus diesem Grund wies die Prüfungsabteilung die Anmeldung gemäß Artikel 97 EPÜ zurück.
V. Gegen diesen Beschluß richtet sich die Beschwerde der Anmelderin. Zur Begründung ihrer Beschwerde führt die Beschwerdeführerin aus, daß Regel 28 (1) EPÜ nicht fordere, daß die Hinterlegung vom Anmelder getätigt werden müsse, vielmehr könne jeder Dritte Hinterleger sein. Die Mitteilung der Angaben über die Hinterlegungsstelle und das Aktenzeichen der Hinterlegung gemäß Regel 28 (1) Buchstabe c) EPÜ habe nach Regel 28 (2) Satz 3 EPÜ die Folge, daß die Mitteilung dieser Angaben als vorbehaltlose und unwiderruflìche Zustimmung des Anmelders gelte, daß die hinterlegte Kultur der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werde. Mehr könne von einem Anmelder nicht verlangt werden; insbesondere könne nicht verlangt werden, daß der Anmelder weiteren Beweis erbringe, daß Proben der Hinterlegung öffentlich zugänglich seien.
Im übrigen handele es sich bei der Hinterlegerin, der CPC Europe Ltd., um eine Tochtergesellschaft der Anmelderin, die ausschließlich ihr gehöre. Daher habe die Hinterlegerin die Verpflichtung, allen Anweisungen der Anmelderin Folge zu leisten, insbesondere auch Anweisungen der Anmelderin über die Freigabe von hinterlegten Kulturen. Die Anmelderin sei befugt, über die Herausgabe von Proben, die die CPC Europe Ltd. hinterlegt habe, zu entscheiden. Zum Nachweis hierüber lege die Beschwerdeführerin eine eidesstattliche Versicherung von Ellen Trevors vom 5. März 1987 vor, aus dem sich ergebe, daß CPC Europe Ltd. in Europa als Koordinator für die Beschwerdeführerin tätig sei und insbesondere die Befugnis habe, für die Anmelderin bei der NCIB Mikroorganismen zu hinterlegen, die für die Patentanmeldungen bedeutsam seien, die von der Anmelderin eingereicht würden.
Dementsprechend seien in den Jahren 1982 und 1985 in vier Fällen Proben der hinterlegten Kulturen an die jeweiligen Antragsteller ausgehändigt worden.
1. Die Beschwerde entspricht den Artikeln 106 bis 108 und Regel 64 EPÜ; sie ist somit zulässig.
2. Mit der angefochtenen Entscheidung ist die Patentanmeldung gemäß Artikel 97 EPÜ zurückgewiesen worden, weil sie den Erfordernissen des Übereinkommens in Regel 28 nicht genüge. Nach Regel 28 EPÜ müsse die hinterlegte Kultur der Öffentlichkeit zugänglich sein. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, da Anmelder und Hinterleger verschiedene Personen seien.
Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der Auffassung, daß es auf die Identität von Anmelder und Hinterleger nicht ankomme. Ihr ist zuzugeben, daß Regel 28 EPÜ auf die Frage, ob Anmelder und Hinterleger identisch sein müssen, aufgrund ihres Wortlauts keine ausdrückliche Antwort gibt.
Regel 28 (1) EPÜ bestimmt lediglich, daß eine Kultur des Mikroorganismus spätestens am Anmeldetag bei einer anerkannten Hinterlegungsstelle hinterlegt worden sein muß. Diese Bestimmung läßt nach ihrem Wortlaut offen, ob der Hinterleger auch der Anmelder sein muß.
3. Immerhin bestimmt Regel 28 (1) EPÜ, daß eine Erfindung nur dann als gemäß Artikel 83 EPÜ offenbart gilt, wenn spätestens am Anmeldetag hinterlegt wurde. Daraus folgt, daß die Hinterlegung nichts anderes als eine besondere Form der Offenbarung ist. Die Offenbarung hat aber nach Artikel 83 EPÜ in der europäischen Patentanmeldung zu erfolgen, deren verantwortlicher Verfasser naturgemäß nur der Anmelder ist. Aus der Tatsache, daß die Hinterlegung nur ein Surrogat der sonst nicht möglichen Beschreibung der Erfindung ist, könnte man somit folgern, daß die Hinterlegung, die an die Stelle der unmöglichen Beschreibung tritt, auch vom Anmelder vorgenommen sein muß. Dieser Schluß ist jedoch nicht zwingend, da ein Anmelder sich zum Zwecke der Offenbarung auch auf einen Mikroorganismus beziehen kann, der von dritter Seite hinterlegt wurde und der vor dem Anmeldetag bereits öffentlich zugänglich war. In einem solchen Fall bedarf es nicht der erneuten Hinterlegung des Mikroorganismus durch den Anmelder.
4. Die Beschwerdeführerin stützt sich für ihre Auffassung vornehmlich auf die Bestimmung der Regel 28 (2) Satz 3 EPÜ.
Nach dieser Bestimmung gilt die Mitteilung der Angaben gemäß Regel 28 (1) c) EPÜ, also die Mitteilung des Namens der Hinterlegungsstelle und des Aktenzeichens der Hinterlegung, als vorbehaltlose und unwiderrufliche Zustimmung des Anmelders, daß die hinterlegte Kultur entsprechend den Bestimmungen der Regel 28 EPÜ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Regel 28 (2) Satz 3 EPÜ stellt somit eine rechtliche Fiktion dar. Mit ihr soll sichergestellt werden, daß eine hinterlegte Kultur, die für die Offenbarung einer mikrobiologischen Erfindung notwendig ist, der Öffentlichkeit zugänglich ist. Diese Regelung war erforderlich, damit mikrobiologische Erfindungen hinsichtlich der öffentlichen Zugänglichkeit ebenso behandelt werden wie jede andere zum Patent angemeldete Erfindung, die allein mit Worten so beschrieben werden kann, daß ein Fachmann sie ausführen kann. Regel 28 (2) Satz 3 EPÜ bezweckt also ersichtlich, Dritte in die Lage zu versetzen, mikrobiologische Erfindungen nacharbeiten zu können, bei denen ein nicht beschreibbarer Mikroorganismus verwendet wird. Das geschieht durch ein näher geregeltes Verfahren, nach dem Dritte auf Antrag eine Probe des Mikroorganismus erhalten. Notwendige Voraussetzung für die Abgabe von Proben an Dritte ist die Zustimmung desjenigen, der die Kultur bei der Hinterlegungsstelle hinterlegt hat. Diese notwendige Zustimmung schafft im Wege der gesetzlichen Fiktion die Regel 28 (2) Satz 3 EPÜ, so daß es im Normalfall einer besonderen Erklärung des Anmelders, daß er der Abgabe zustimme, nicht bedarf.
5. Die gesetzliche Fiktion der Regel 28 (2) Satz 3 EPÜ vermag ihren gesetzlichen Zweck nur zu erfüllen, wenn Anmelder und Hinterleger eine Person sind. Hat ein Dritter, der nicht der Anmelder ist, die Kultur hinterlegt, geht die Fiktion der Regel 28 (2) Satz 3 EPÜ ins Leere, denn eine vom Anmelder erklärte oder kraft der Fiktion der Regel 28 (2) Satz 3 EPÜ fingierte Zustimmung vermag den Hinterleger, der nicht mit dem Anmelder identisch ist, nicht zu verpflichten, daß die hinterlegte Kultur der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Die Verfügungsbefugnis über eine hinterlegte Kultur steht im Verhältnis zur Hinterlegungsstelle immer nur dem Hinterleger zu. Daher wirkt die Fiktion der Regel 28 (2) Satz 3 EPÜ nur dann, wenn Anmelder und Hinterleger identisch sind. Die sich daraus ergebende logische Notwendigkeit der Identität von Anmelder und Hinterleger im Sinne der Regel 28 (2) Satz 3 EPÜ kommt besonders deutlich im deutschen Text der Regel 28 (2) Satz 3 EPÜ zum Ausdruck. Im deutschen Text heißt es ausdrücklich, daß die Mitteilung der Angaben als Zustimmung des Anmelders gilt, daß die "von ihm" hinterlegte Kultur der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird.
6. Grundsätzlich müssen daher Anmelder und Hinterleger identisch sein. Ist das nicht der Fall, so muß durch geeignete Maßnahmen sichergestellt sein, daß die hinterlegte Kultur gleichwohl am Anmeldetag der Öffentlichkeit entsprechend der Regelung der Regel 28 EPÜ zugänglich war. Diese Voraussetzung hat das Europäische Patentamt, wie die Prüfungsabteilung zu Recht festgestellt hat, zu prüfen; denn wenn diese Voraussetzung nicht erfüllt ist, so fehlt es schon an einer ausreichenden Offenbarung der angemeldeten Erfindung im Sinne des Artikels 83 EPÜ, weil dann kein Fachmann die angemeldete Erfindung allein anhand der Beschreibung mit Worten ausführen kann. Die Anmeldung muß dann zurückgewiesen werden.
7. Es fragt sich jedoch, ob im vorliegenden Fall das grundsätzliche Erfordernis der Identität von Anmelder und Hinterleger für die Zwecke der Regel 28 EPÜ nicht gleichwohl erfüllt ist, obwohl Hinterleger und Anmelder zwei rechtlich selbständige Handelsgesellschaften sind. Dabei kommt nach Auffassung der Kammer dem Umstand besondere Bedeutung zu, daß die beiden Gesellschaften im Verhältnis von Mutter- und Tochtergesellschaft stehen, wobei die Hinterlegerin 100%ige Tochtergesellschaft der Anmelderin ist. Die Beschwerdeführerin und Anmelderin hat zur Überzeugung der Kammer vorgetragen, daß die Hinterlegerin als ihre Tochtergesellschaft verpflichtet sei, allen ihren Anweisungen zu folgen. Das gelte insbesondere für Hinterlegungen und die Freigabe von Proben der hinterlegten Kulturen. Hinzu kommt, daß die Tochtergesellschaft - wie sich aus der überreichten eidesstattlichen Versicherung ergibt - von der Muttergesellschaft ermächtigt war, die Mikroorganismen in ihrem Interesse für Patentanmeldungen zu hinterlegen, die die Muttergesellschaft einzureichen beabsichtigte. Aus diesen Umständen ergibt sich daher, daß die Tochtergesellschaft zwar formell Hinterlegerin ist, daß aber die Muttergesellschaft die alleinige Entscheidungsbefugnis über die Hinterlegungen besitzt. Diese besonderen Umstände des Falles lassen es daher ausnahmsweise als gerechtfertigt erscheinen, Mutter- und Tochtergesellschaft für die Zwecke der Regel 28 EPÜ als eine Person anzusehen, da die Anmelderin über die Hinterlegungen die volle Verfügungsbefugnis besitzt und die eigentliche Hinterlegerin nur als ausführendes Organ im Auftrag der Anmelderin tätig geworden ist.
8. Ist aber die Anmelderin allein berechtigt, über die hinterlegten Kulturen zu verfügen, so ist deren öffentliche Zugänglichkeit gegeben. Es ist richtig, daß die Mikroorganismen zunächst bei der NCIB unter der Bedingung hinterlegt wurden, daß Proben der hinterlegten Kulturen an Dritte nur mit Zustimmung der Hinterlegerin abgegeben werden dürfen. Diese Hinterlegung wurde jedoch noch vor dem Anmeldetag vom 12. Februar 1981 in eine Hinterlegung in Übereinstimmung mit Regel 28 EPÜ umgewandelt. Mit Schreiben vom 17. November 1980 teilte die Hinterlegungsstelle der Hinterlegerin nämlich mit, daß sie aus Gründen der Gleichbehandlung und zur Vermeidung von Mißverständnissen für bereits bestehende Hinterlegungen Empfangsbescheinigungen entsprechend dem zwischen ihr und dem Europäischen Patentamt abgeschlossenen Abkommen ausstelle. Dementsprechend erhielt die Hinterlegerin Empfangsbescheinigungen über die Mikroorganismen, die Gegenstand der vorliegenden Patentanmeldung sind. Damit war klargestellt, daß es sich seit diesem Zeitpunkt um eine Hinterlegung entsprechend dem Abkommen zwischen der Europäischen Patentorganisation und den Sammelstellen für Mikroorganismen handelte (vgl. ABl. EPA 1978, 301 und 1980, 4). Nach Nr. 18 dieses Abkommens erklärt sich die Sammelstelle bereit, Proben der hinterlegten Mikroorganismen den Personen zu liefern, die nach Anhang III dieses Abkommens einen Rechtsanspruch darauf haben. Nach Anhang III Nr. 2 hat die Sammelstelle an jedermann auf Antrag eine Probe von einer Kultur eines hinterlegten Mìkroorganismus abzugeben, sofern das Amt auf dem Antragsformblatt bestätigt hat, daß die Bedingungen der Regel 28 EPÜ erfüllt sind und der Antragsteller berechtigt ist, die Probe zu erhalten. Damit ist sichergestellt, daß Dritte eine Probe der hinterlegten Mikroorganismen erhalten können. Somit ist die Voraussetzung erfüllt, daß die hinterlegte Kultur nach Maßgabe der Regel 28 EPÜ der Öffentlichkeit zugänglich ist.
9. Aus diesen Grunden war der angefochtene Beschluß aufzuheben, weil die öffentliche Zugänglichkeit der 15 NCIB-Hinterlegungen gegeben ist. Die Sache war daher zur Fortsetzung des Verfahrens an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Der Beschluß der Prüfungsabteilung vom 11. November 1986 wird aufgehoben.
2. Die Sache wird zur Fortsetzung des Verfahrens an die Prüfungsabteilung zurückverwiesen.