T 0665/90 (Dünnsäuren/BAYER) 23-09-1992
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Verfahren zur Aufarbeitung von Dünnsäuren
Ausführbarkeit der Erfindung (ja)
Nacharbeitung des beanspruchten Verfahrens (nicht ausschlaggebend)
Erfinderische Tätigkeit (ja)
I. Auf die europäische Patentanmeldung 84 108 666.3 wurde das Patent 0 133 505 aufgrund von neuen Ansprüchen erteilt.
II. Gegen die Patenterteilung legten die Beschwerdeführerin (Einsprechende II) und die Einsprechende I wegen fehlender Neuheit und erfinderischer Tätigeit Einspruch ein. Zur Stütze ihrer Vorbringen haben die Parteien auf eine Vielzahl von Dokumenten verwiesen, von denen im Beschwerdeverfahren nur die folgenden eine Rolle spielten:
(1) Materialen 2/76 des Umweltbundesamtes Berlin, 1982, Bericht des Arbeitskreises "Rückstände aus der TiO2- Produktion", Stand Dezember 1981, S. 114 - 118.
(2) DE-A-2 618 121
(5) DE-C-2 648 695
(10) US-A-3 210 156
(16) DE-B-1 242 431.
Am 19. Januar 1990 hat die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) geänderte Ansprüche eingereicht, die der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegen. Der geänderte Anspruch 1 hat folgenden Wortlaut:
"Verfahren zur Aufarbeitung von bei der TiO2-Produktion nach dem Sulfat-Verfahren anfallender Dünnsäure, dadurch gekennzeichnet, daß
a) die Dünnsäure einer Schwefelsäurekonzentration von 22 bis 28% durch Ausnutzung von Prozeßwärme auf einen H2SO4-Gehalt von maximal 32 % vorkonzentriert,
b) durch weitere Eindampfung mit einer mehrstufigen Vakuumzwangsumlaufverdampferanlage eine Suspension mit einem H2SO4-Gehalt (salzfrei) von 62 bis 70 % hergestellt,
c) diese Suspension in einer mehrstufigen Rührkaskade zur Auskristallisation der Sulfate während 10 bis 40 Stunden auf Temperaturen zwischen 40 bis 70°C, vorzugsweise 50 bis 65°C, abgekühlt wird und anschließend die Sulfate durch Filtration abgetrennt werden,
d) die abgetrennten Sulfate zusammen mit der anhaftenden Säure thermisch gespalten und
e) das dabei entstandene Schwefeldioxid bei der Herstellung von Schwefelsäure oder Oleum eingestzt wird und
f) die zurückgewonnene Schwefelsäure, gegebenenfalls nach einer weiteren Eindampfung auf eine H2SO4- Konzentration von 75 bis 85%, in den TiO2-Prozeß zurückgeführt wird."
Mit ihrem Schreiben vom 7. März 1990 hat die Einsprechende I ihren Einspruch gegen das Streitpatent zurückgezogen.
III. In ihrer Zwischenentscheidung hat die Einspruchsabteilung festgestellt, daß das Patent in geändertem Umfang aufgrund der am 19. Januar 1990 eingereichten Unterlagen aufrechterhalten werden konnte.
In der Entscheidung wird ausgeführt, daß das Verfahren gemäß Anspruch 1 sich von dem nächstliegenden Stand der Technik, Dokument (1), durch die Stufe (c) unterscheide. Die Patentinhaberin habe glaubhaft gemacht, daß die Verwendung einer Rührkaskade zusammen mit den Temperaturen und Verweilzeiten entsprechend Stufe (c) eine derart effiziente Abtrennung von Metallsalzen, insbesondere von Chrom- und Vanadiumsalzen, ermögliche, daß die aus dieser Stufe erhaltene Schwefelsäure, direkt in die Aufschlußstufe rückführbar sei. Der Stand der Technik enthalte keine Anregungen, das Verfahren nach Dokument (1) so zu ändern, wie es die Patentinhaberin getan habe.
IV. Gegen diese Entscheidung hat die Beschwerdeführerin Beschwerde erhoben und mit ihrer Beschwerdebegründung eine "Beschreibung der Nacharbeitung des beanspruchten Verfahrens" eingereicht. Am 23. September 1992 hat eine mündliche Verhandlung stattgefunden.
Die Beschwerdeführerin hat im wesentlichen folgendes vorgetragen:
Das Streitpatent offenbare das Verfahren nicht so deutlich und vollständig, daß ein Fachmann es ausführen könne (Art. 100 b) EPÜ). Die bei der Nacharbeitung des beanspruchten Verfahrens ermittelten Chrom- und Vanadingehalte lägen gravierend höher als die sich aus den Beispielen des Streitpatents ergebenden Gehalte. Anspruch 1 enthalte somit nicht alle Merkmale, die notwendig seien, um die niedrigen Chrom- und Vanadingehalte zu erreichen. Dieser Einspruchsgrund sei nicht verspätet vorgebracht worden sondern gleich nach Vorlegung eines Anspruchs, der angeblich das für die niedrigen Vanadin-und Chromgehalte ursächlich jetzige Merkmale (c) enthalte.
Das beanspruchte Verfahren unterscheide sich vom Verfahren gemäß (1) nur dadurch, daß in (1) keine mehrstufige Rührkaskade genannt werde und daß die Temperatur und Verweilzeit nicht beziffert seien. Dokument (1) gebe jedoch dem Fachmann einen allgemeinen Weg an, wie die Abkühlung durchgeführt werden solle, nämlich so daß die Suspension sich über ein Drehfilter gut filtrieren lasse. Ferner finde eine Reifung vor dem Filtrieren statt, was eine lange Verweilzeit impliziere. Dokument (10) offenbare bei einem gattungsgemäßen Verfahren die Abkühlung der Suspension in den hintereinander geschalteten Behältern 6 und 7, d. h. in einer zweistufigen Rührkaskade, während mindestens 10 Stunden. Selbst wenn die Abkühlung auf 90°C nicht im Gefäß 6, sondern in einem zwischen den Behältern 6 und 7 angeordneten Vakuum-Verdampfer erfolgen sollte, entspräche diese Abkühlungsart immer noch derjenigen gemäß Stufe (c) des Anspruchs 1, denn es werde in diesem Falle im Gefäß 6 von 150°C auf 135°C, dann im Vakuum-Verdampfer auf 90°C und anschließend im Behälter 7 auf 60 - 70°C abgekühlt. Die Anwendung dieser bekannten Abkühlungsart böte sich bei dem Verfahren von (1) an, da sie gemäß (10) eine gut filtrierbare Säure ergebe, was in (1) angestrebt werde. Die in (10) beschriebene Rückführung des Dickschlammes ändert an der Rührkaskade nichts.
Der im Streitpatent erreichte niedrige Vanadingehalt könne nicht als überraschender Effekt betrachtet werden. Gemäß (10) müsse wegen Korrosionsproblemen eine besondere Maßnahme ergriffen werden, um den Vanadinsulfatgehalt in der verbleibenden Säure nicht unter 4 ppm absinken zu lassen. Im übrigen könne die Beschwerdegegnerin sich nicht auf den Wert von 19 ppm Vanadium im Beispiel 1 des Streitpatents stützen, da dieses Beispiel wegen der Verwendung einer 20 %igen Dünnsäure rein formell nicht unter Anspruch 1 falle. Im Beispiel 2 sei ein Vanadingehalt von 50 ppm erhalten worden. Ein ähnlicher Gehalt werde in (10) auch erreicht, da nach Aussgage der Beschwerdegegnerin der Vanadiumgehalt der etwa 70 %igen Säure über 20 ppm betrage. Darüber hinaus offenbare Beispiel 4 des Dokuments (16) eine in einem Tauchbrennerverdampfer auf 66 % H2SO4 eingeengte Säure mit einem V-Gehalt von nur 50 ppm. Der im Beispiel 2 des Streitpatents erhaltene Chromgehalt sei im Hinblick auf Dokument (2), Beispiel 3 und 5, ebenfalls nicht überraschend.
V. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin kann wie folgt zusammengefaßt werden:
Der Einspruchsgrund nach Art. 100 b) müsse unberücksichtigt bleiben, da er verspätet vorgebracht würde. Insbesondere seien die überraschend geringen Chrom- und Vanadiumgehalte in den Ausführungsbeispielen des Streitpatents angegeben.
Die zu lösende Aufgabe bestehe darin, ein Verfahren bereitzustellen bei dem eine rückführbare Säure anfalle, d. h. eine Säure, die bei der Wiederverwendung in den TiO2-Prozeß nicht zu einer Schädigung der Pigmentqualität bzw. des Pigmentfarbtons führe. Ferner müsse der Kostenaufwand für die Aufkonzentrierung der Säure so niedrig wie möglich gehalten werden. Die in (1) erwähnte Abkühlung betreffe eine in Tauchbrenner-Verdampfern aufkonzentrierte Säure mit der Folge, daß die Temperatur der Suspension viel höher als im beanspruchten Verfahren läge. Eine Rührkaskade bestehe aus einer Serie hintereinandergeschalteter, gleichartiger Rührbehälter. In (10) sei von einer Abkühlung von 135°C auf 90°C im Gefäß 6 nicht die Rede. Bei einem kontinuierlichen Verfahren könne die Vakuum-Verdampfung nicht im Gefäß 6, sondern müsse in einem zwischen den Behältern 6 und 7 angeordneten Vakuum- Verdampfer durchgeführt werden. Somit handele es sich in (10) nicht um eine Abkühlung in einer Rührkaskade. Darüber hinaus stelle die Rückführung des Dickschlammes aus der Hochkonzentrierungsstufe ein wesentliches Merkmal des Verfahrens gemäß (10) dar. Im erfindungsgemäßen Verfahren erfolge im Gegensatz zu (10) keine Änderung der Säurekonzentration durch Wasserverdampfung oder Zugabe konzentrierter Schwefelsäure während des Kühl- und Kristallisationsprozesses.
Die Angabe bezüglich des Vanadiumgehaltes in (10) würden die hochkonzentrierte - d. h. die 93,5 - 95 %ige Säure betreffen. Die auf ca. 70 % H2SO4 gebrachte Säure enthalte generell mehr als 20 ppm Vanadium und sei infolge der Zugabe des abgetrennten Schlammes nicht vergleichbar mit der nach dem Streitpatent erhaltenen Säure. Der wirkliche Vanadiumgehalt der 70 %igen Säure sei in (10) nicht angegeben. In (2) werden niedrige Chromgehalte nur bei hohen Eisen-II-Gehalten erreicht und die Vanadiumgehalte seien deutlich schlechter.
In der mündlichen Verhandlung hat die Beschwerdegegnerin einen geänderten Anspruchssatz überreicht, in dem die Ansprüche 1 und 3 - 9 identisch mit den am 19. Februar 1990 eingereichten Ansprüchen 1 und 3 - 9 sind und im Anspruch 2 "TiO2-Konzentrates" durch "TiO2- Hydrolysates" ersetzt wurde.
VI. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents. Die Beschwerdegegnerin beantragte die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüche 1 bis 9 aufrecht- zuerhalten.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Die geänderten Ansprüche erfüllen die Vorschriften des Artikels 123 (2) und (3) EPÜ. Anspruch 1 stützt sich auf die ursprünglich eingereichten Ansprüche 1, 6 und 8 und die abhängigen Ansprüche 2 bis 9 entsprechen den ursprünglichen Ansprüchen 2 bis 5, 7, 9 bis 11. Der Ersatz des Wortes "TiO2-Konzentrats" durch "TiO2-Hydrolysates" im Anspruch 2 stellt eine Berichtigung eines offensichtlichen Fehlers im Sinne der Regel 88 dar. Es geht aus der ursprünglichen Beschreibung, Seite 8, Zeilen 9 - 14 umittelbar hervor welche Berichtigung vorzunehmen war. Der Schutzbereich des geänderten Anspruchs 1 ist gegenüber dem des erteilten Anspruchs 1 eindeutig eingeschränkt.
3. Es kann insofern anheimgestellt bleiben, ob der Einspruchsgrund unter Art. 100 b) verspätet vorgebracht wurde, als die Kammer der Auffassung der Beschwerdeführerin, daß das Verfahren nach dem geänderten Anspruch 1 nicht ausführbar sei aus folgenden Gründen nicht folgen kann. Hinsichtlich der Ausführbarkeit der Erfindung wird im Artikel 100 b) EPÜ auf das europäische Patent Bezug genommen. Daher müssen nicht nur die Ansprüche, sondern auch die gesamte Beschreibung in Betracht gezogen werden, um das Vorliegen einer mangelnden Ausführbarkeit im Sinne von Artikel 100 b) EPÜ darzutun (vgl. T 14/83, ABl. EPA 1984, 105). Da einerseits die vorliegende Patentschrift Beispiele enthält, in denen das beanspruchte Verfahren ausführlich beschrieben ist, und andererseits die Beschwerdeführerin die Ausführbarkeit dieser Beispiele nicht in Frage gestellt hat, liegen keine Gründe vor, die Ausführbarkeit des Gegenstandes des Streitpatents zu bezweifeln. In diesem Zusammenhang ist anzumerken, daß die von der Beschwerdeführerin vorgelegte "Nacharbeitung des beanspruchten Verfahrens" unter Bedingungen durchgeführt wurde, die zwar unter dem Anspruch 1 fallen, sich jedoch in vieler Hinsicht von den in den Beispielen des Streitpatents angewandten Bedingungen unterscheiden. Insbesondere wurde die Säure in der Stufe (a) der "Nacharbeitung" in direktem Kontakt mit Abgasen aus Kalzinieröfen vorkonzentriert während in den Beispielen die Prozeßwärme im indirekten Wärmeaustausch ausgenutzt wurde. Ferner wurden die Vorkonzentrierung auf etwa 30 % H2SO4 und die anschließende Eindampfung nicht entsprechend den in den Beispielen angegebenen Parametern bezüglich der Apparaturen und des Druckes durchgeführt. Die eingereichte "Nacharbeitung" kann daher nicht als eine Nacharbeitung der Beispiele des Streitpatents betrachtet werden.
4. Dokument (1) wird in Übereinstimmung mit den Parteien als nächstliegender Stand der Technik angesehen. Es betrifft ein Verfahren zur Aufarbeitung von bei der TiO2-Produktion nach dem Sulfat-Verfahren anfallender Dünnsäure. Die Dünnsäure wird zuerst von 20 - 25 % auf 28 - 30 % H2SO4 durch Ausnutzung von z. B. Abfallwärme aus der Schwefelsäureproduktion aufgestärkt und dann durch Eindampfung in Tauchbrenner-Verdampfern oder in einer mehrstufigen Vakuumzwangsumlaufverdampferanlage auf 65 % weiterkonzentriert. Die aus dem Tauchbrenner-Verdampfer ausgetragene Suspension wird anschließend zur Auskristallisation der Sulfate abgekühlt und filtriert. Die abgetrennten Metallsulfate werden zusammen mit der anhaftenden Säure einer thermischen Spaltung unterworfen und das dabei entstandene Schwefeldioxid wird bei der Herstellung von Schwefelsäure oder Oleum eingesetzt. Die zurückgewonnene 65 %ige Schwefelsäure kann zusammen mit Oleum beim Titanerzaufschluß eingesetzt werden, soweit dies aufgrund der Säure- und Wasserbilanz möglich ist, oder sie wird auf 95 % H2SO4 in Plinke-Pauling-Kesseln hochkonzentriert (vgl. Seite 114, die fünf letzten Zeilen, S. 115, Z. 1 -4, und 16 - 25; S. 116, Absätze 2 und 3 und die zwei letzten Zeilen; S. 117, Z. 1 - 2). Dieses Dokument offenbart daher die Stufen (a), (b), (d), (e) und (f) des beanspruchten Verfahrens mit einer Abkühlung der Suspension und Abtrennung der Sulfate zwischen Stufe (b) und Stufe (c).
Nach der Alternative dieses Verfahrens, bei der die 65 %ige Säure ohne Hochkonzentrierung beim Titanerzaufschluß wieder eingesetzt wird, gelangen die in der Säure noch enthaltenden Metallsulfate, insbesondere die unerwünschten Chrom- und Vanadiumionen wieder in den Prozeß. Durch die Säurerückführung reichern sich diese Ionen im Laufe des Prozesses an und müssen beseitigt werden. Es ist auf diesem Gebiet allgemein bekannt, daß sonst diese farbgebenden Chrom- und Vanadiumionen die Pigmentqualität bzw. den Pigmentfarbton beeinträchtigen.
4.1. Demgegenüber kann die dem Streitpatent zugrundeliegende Aufgabe darin gesehen werden, ein ökologisches und ökonomisches Verfahren zur Aufarbeitung von Dünnsäuren aus dem TiO2-Sulfat-Prozeß bereitzustellen, bei dem die aufkonzentrierte Säure ohne störende Anreicherung der unerwünschten Kationen wie Cr- und V-Kationen, d. h. ohne Beeinträchtigung der Pigmentqualität, vollständig in den TiO2-Prozeß zurückgeführt werden kann.
Zur Lösung dieser Aufgabe wird gemäß Anspruch 1 vorgeschlagen, daß die durch Eindampfung in einer mehrstufigen Vakuumzwangsumlaufverdampferanlage anfallende Suspension in einer mehrstufigen Rührkaskade während 10 bis 40 Stunden auf Temperaturen zwischen 40 bis 70°C abgekühlt wird.
4.2. Es ist glaubhaft aufgrund des Hinweises auf Seite 3, Zeilen 27 - 28, der Patentschrift und im Hinblick auf die sich aus den Beispielen ergebenden Chrom- und Vanadiumgehalte in der zurückgewonnenen Säure, nämlich ca. 265 ppm Chrom und 50 ppm Vanadium (Beispiel 2) oder ca. 186 ppm Cr und 19 ppm V (Beispiel 1), daß diese Säure ohne Beeinträchtigung der Pigmentqualität beim TiO2- Rohstoffaufschluß wieder eingesetzt werden kann. Dies wurde von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten. Der Einwand der Beschwerdeführerin, daß im Beispiel 1 die in der Stufe (a) eingesetzte Ausgangsdünnsäure eine H2SO4- Konzentration von 20 % anstatt 23 % aufweise, wurde von der Beschwerdeführerin selbst als rein formell bezeichnet und wird von der Kammer auch so angesehen. Ferner wurde im Beispiel 2 eine Dünnsäure entsprechend der im Anspruch 1 angegebenen Definition behandelt, so daß dieser formelle Einwand keinen Beweis dafür erbringt, daß die Aufgabe nicht gelöst worden ist.
Es mag sein, daß die von der Beschwerdeführerin eingereichte "Nacharbeitung des beanspruchten Verfahrens" in einer Pilotanlage unter den im Anspruch 1 angegebenen Temperaturen und Verweilzeiten nicht zu den erwünschten niedrigen Cr- und V-Gehalten führen; jedoch hat die Beschwerdegegnerin ihrerseits gezeigt, daß im Falle einer großtechnischen Anlage (30 -40 t/h in den Beispielen des Streitpatents) die erwähnten niedrigen Gehalte unter diesen Bedingungen erreicht werden können. Unter diesen Umständen und unter Berücksichtigung dessen, daß bekanntlich die Übertragung eines Verfahrens von einer Pilotanlage zu einer großtechnischen Anlage meistens mit Änderungen vieler Parameter verbunden ist, vermögen die eingereichten Versuche der Beschwerdeführerin die Kammer nicht zu überzeugen, daß die bestehende Aufgabe durch die beanspruchten Maßnahmen nicht gelöst worden ist.
5. Wie dies aus Punkt 4 hervorgeht, unterscheidet sich das beanspruchte Verfahren vom Verfahren gemäß (1) durch die Abkühlung in einer mehrstufigen Rührkaskade unter den in Anspruch 1 erwähnten Bedingungen. Keines der anderen Dokumente offenbart ein Verfahren zur Aufarbeitung von Dünnsäure, das alle Merkmale des Anspruchs 1 aufweist. Somit ist das beanspruchte Verfahren neu.
6. Es bleibt zu untersuchen, ob die beanspruchte Lösung im Hinblick auf den zitierten Stand der Technik nahegelegen hat.
6.1. Aus Dokument (1) selbst erfährt der Fachmann, daß im Falle einer Eindampfung in Tauchbrenner-Verdampfern die anfallende Suspension so abgekühlt wird, daß eine gute Filtration der auskristallisierten Salze über ein Drehfilter gewährleistet ist, wobei gemäß Seite 117 die Suspension vor dem Filtrieren einer Reifung unterworfen wird. Die Reifung impliziert zwar lange Verweilzeiten, jedoch sind in (1) keine präziseren Angaben über diese Reifung oder über die Abkühlung zu finden, noch daß die Abkühlungsbedingungen die Chrom- und Vanadiumgehalte der abgetrennnten Säure stark beeinflussen können. Von einer Abkühlung der Suspension in einer Rührkaskade ist in (1) nicht die Rede.
6.2. Dokument (10) betrifft ebenfalls die Aufarbeitung von bei der TiO2-Produktion nach dem Sulfat-Verfahren anfallender Dünnsäure. Im Gegensatz zu den Verfahren gemäß (1) und Streitpatent wird dort die Hochkonzentrierungsstufe als erforderlich betrachtet und die 66 - 69 %ige Säure wird entsprechend bis zu einem H2SO4-Gehalt von 93.4 - 95 % eingedampft. Nach Auffassung der Beschwerdeführerin erfolgt die im Beispiel 1 beschriebene Abkühlung der Suspension in einer mehrstufigen Rührkaskade, was von der Beschwerdegegnerin bestritten worden ist.
Gemäß Beispiel 1 fließt die Suspension mit einem H2SO4- Gehalt von 60,6 % und einer Temperatur von 150°C kontinuierlich vom Tauchbrenner-Verdampfer in das mit einem Rührer ausgerüsteten Krisallisiergefäß 6, wo sie bei 135°C durchschnittlich 2 Stunden verweilt. Dann erfolgt durch Vakuum-Verdampfung eine Abkühlung auf 90°C und eine weitere Salzausscheidung. Anschließend wird die Suspension unter Rühren im Behälter 7 weiter auf 60 - 70°C während 10 Stunden abgekühlt, wobei Dickschlamm aus der Hockkonzentrierungsstufe der Suspension in Behälter 7 zugegeben wird (vgl. Spalte 6, Zeilen 1 - 6). Dokument (10) enthält keinen Hinweis darüber, in welchem Gefäß die Abkühlung der Suspension von 135°C auf 90°C durchgeführt wird. Wie von der Beschwerdegegnerin ausgeführt und von der Beschwerdeführerin nicht bestritten, kann sie nicht im Gefäß 6 erfolgen, da sie durch Vakuum-Verdampfung verursacht wird. Es liegt daher nahe, wie die Beschwerdegegnerin vorgetragen hat, daß die Suspension in einem zwischen dem Kristallisiergefäß 6 und dem Behälter 7 angeordneten Vakuum-Verdampfer auf 90°C abgekühlt wird. In Anbetracht dessen, daß eine Rührkaskade aus einer Serie hintereinandergeschalteter gleichartiger Rührbehälter besteht, ist die Kammer nicht überzeugt, daß die dreistufige Abkühlung gemäß (10) als eine Abkühlung in einer mehrstufigen Rührkaskade betrachtet werden kann. Selbst wenn zugunsten der Beschwerdeführerin unterstellt werden sollte, daß die Hintereinanderreihung des ersten Rührbehälters, des Vakuum-Verdampfers und des zweiten Rührbehälters eine Rührkaskade bilden würden, käme die Kammer aus folgenden Gründen zu dem gleichen Entscheidungsergebnis.
6.2.1. Im Beispiel 1 von (10) wird in der letzten Stufe der Abkühlung Dickschlamm aus der Hochkonzentrierungsstufe der Suspension zugegeben mit der Folge einer Konzentrationserhöhung durch die im Dickschlamm enthaltende 93,5 -95 %ige Säure. Gemäß (10) stellt diese Rückführung des Dickschlammes ein wesentliches Merkmal des Verfahrens dar und ist von entscheidender Bedeutung für eine technisch und wirtschaftlich befriedigende Durchführung des Gesamtverfahrens (vgl. Spalte 2, letzter Absatz). Ferner geht aus (10) hervor, daß das Rückführen des Dickschlammes sich aufgrund der Imfpwirkung der im Dickschlamm vorhandenen Kristalle auf die Filtrierbarkeit der Suspension vorteilhaft auswirkt (vgl. Spalte 3, erster Absatz). Somit entnimmt der Fachmann diesem Dokument, daß die gute Filtrierbarkeit der abgekühlten Suspension nicht allein der langen Verweilzeit im Behälter 7, sondern vielmehr der Kombination der Rückführung des Schlammes und der angegebenen Verweilzeit zuzurechnen ist. Unter diesen Umständen kann die Kammer die Auffassung der Beschwerdeführerin nicht teilen, daß die Anwendung der aus (10) bekannten Abkühlungsart bis auf die Rückführung des Dickschlammes sich beim Verfahren gemäß (1) anböte, um eine gute Filtrierbarkeit der Suspension zu erzielen.
6.2.2. In Anbetracht der im Punkt 4.1 formulierten Aufgabe sind Hinweise über den Reinheitsgrad der 65 - 70 %igen zurückgewonnenen Schwefelsäure, insbesondere über deren Chrom- und Vanadingehalte, von besonderer Bedeutung. Dokument (10) offenbart Vanadinsulfatgehalte im Rahmen der Erörterungen über die Korrosionsgefahr in der Hochkonzentrierungsanlage: siehe Spalte 4, Z. 47 - 58. Dort wird erklärt, daß der Vanadinsulfatgehalt der hochkonzentrierten Säure unter 4 ppm liegt, wenn keine besonderen Maßnahmen ergriffen werden, um diese Absenkung zu verhindern. Dieser Wert betrifft jedoch eindeutig die hochkonzentrierte Säure, d. h. eine Säure mit einem H2SO4- Gehalt von etwa 93 % oder darüber, die bei der Hochkonzentrierungsstufe anfällt. Bezüglich des V-Gehalts der 65 - 70 %igen Säure enthält (10) überhaupt keine Angaben. Aus dem Wert von 4 ppm in der hochkonzentrierten Säure läßt sich auch nicht herleiten, daß die 65 - 70 %ige Säure einen Vanadiumgehalt von 50 ppm oder niedriger als 50 ppm aufweist, denn bekanntlich fällt während der Hochkonzentrierungsstufe in Abwesenheit von Oxidierungsmitteln wie Salpetersäure mit dem anfallenden Eisen-II-Sulfat praktisch auch das gesamte Vanadiumsulfat mit aus: siehe in diesem Zusammenhang Dokument (16), Beispiel 3 und 4. Ferner ist in (10) von dem Chromgehalt der 65 - 70 %igen Säure überhaupt nicht die Rede.
Aus alledem ergibt sich, daß der Fachmann aus (10) weder entnehmen konnte, daß die im Beispiel 1 zurückgewonnene 66 %ige Schwefelsäure ausreichend niedrige Chrom- und Vanadingehalte aufweist, um deren unmittelbare Rückführung in den TiO2-Prozeß ohne Beeinträchtigung der Pigmentqualität zu ermöglichen, noch daß die beschriebene Abkühlung für das Erzielen niedriger Cr- und V-Gehalte eine entscheidende Rolle spielt. Unter diesen Umständen konnte die Lehre aus (10) den Fachmann nicht dazu anregen, die in (10) beschriebene Abkühlungsart in dem Verfahren gemäß (1) anzuwenden, um die bestehende Aufgabe zu lösen. Es ist im übrigen anzumerken, daß die Übertragung dieser Abkühlungsart auf das Verfahren gemäß (1) nicht ohne weiteres zu dem beanspruchten Verfahren geführt hätte, da die in (10) offenbarte Abkühlungsart die Rückführung des Dickschlammes erfordert.
6.3. Dokument (2) betrifft ein Verfahren zur weitgehenden Entfernung unerwünschter Metallionen, insbesondere Chromionen bei der Aufkonzentrierung verdünnter Schwefelsäurelösungen. Durch das Verfahren gemäß (2) wird die Säure so weitgehend von Chrom und Nebenbestandteilen befreit, daß die gesamte aufkonzentrierte 60 - 70 %ige Schwefelsäure ohne weitere Hochkonzentrierung direkt in den TiO2-Prozeß zurückgeführt werden kann, dies ohne störende Anreicherung des Chroms und anderer Nebenbestandteile (vgl. S. 9, Absatz 2). Jedoch wird dieses Ziel nicht durch eine Abkühlung in einer Rührkaskade erreicht, sondern durch ganz andere Maßnahmen. Daher konnten von (2) keine Impulse in Richtung auf die patentgemäße Lösung ausgehen, selbst wenn in einem der Beispiele (Beispiel 5) der gesamte Gehalt an Cr- und V-Ionen niedriger als im Beispiel 2 des Streitpatents liegt.
6.4. Dokument (16) zeigt auf, daß eine bei der TiO2-Herstellung anfallende Abfallsäure, die in einem Tauchbrennerverdampfer auf 66 % H2SO4-Gehalt eingeengt wurde nur 50 ppm Vanadin enthalten kann. Wie die Suspension vor dem Filtrieren abgekühlt wurde oder welcher Vanadiumgehalt die Dünnsäure vor der Behandlung im Tauchbrennerverdampfer aufwies, ist in (16) nicht offenbart. Daher konnte dieses Dokument auch in Verbindung mit der Lehre aus (1), (10) und (2) nicht auf die beanspruchte Lösung hindeuten.
6.5. Dokument (5) befaßt sich mit der Ausfällung eines bestimmten Aluminiumsulfats aus Lösungen, deren Zusammensetzungen mit der Zusammensetzung der im Streitpatent zu behandelnden Dünnsäure nicht vergleichbar sind (siehe z. B. das Verhältnis Al2O3/Fe2O3). Dieses Dokument ist insofern nicht relevant, als es weder auf die Aufarbeitung von bei der TiO2-Produktion anfallenden Dünnsäuren oder ähnlichen Säurelösungen gerichtet ist noch Chrom und Vanadium als Verunreinigung erwähnt.
7. Aus alledem folgt, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 des Streitpatents und damit auch die der abhängigen Ansprüche 2 bis 9 die Voraussetzungen für die Patentfähigkeit gemäß Artikel 52 (1) EPÜ erfüllen.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
2. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
3. Die Sache wird an die erste Instanz mit der Auflage zurückverwiesen, das europäische Patent mit den in der mündlichen Verhandlung überreichten Ansprüchen 1 - 9, Beschreibungsseiten 2 und 3, eingegangen am 19.1.1990, und 4 und 5 der Patentschrift sowie der Zeichnung der Patentschrift aufrechtzuerhalten.