T 0928/93 23-01-1997
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Einbauelement für Stoff- oder Wärmeaustauschkolonnen
Neuheit - abweichendes technisches Merkmal (bejaht)
Erfinderische Tätigkeit - neuer Einspruchsgrund nicht zugelassen
I. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) hat gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung des Einspruchs gegen das Patent Nr. 0 158 917 (Anmeldenummer 85 103 936.2) Beschwerde eingelegt.
Mit dem Einspruch war das gesamte Patent im Hinblick auf mangelnde Neuheit (Artikel 100 a) EPÜ) angegriffen worden.
Die Einspruchsabteilung war der Auffassung, daß die vorgebrachten Einspruchsgründe der Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form nicht entgegenstünden.
Sie hat dabei folgende Dokumente berücksichtigt:
(D1) Reprint aus "Chemical Engineering", McGraw-Hill Publication, 5. März 1984, Titelseite und Seiten 40 - 51,
(D2) Raschig GmbH "Information Füllkörper, Kolonneneinbauten", Nr.5, "Ralu-Pak 250 YC", III/84,
(D3) EP-A-0 130 745 (Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ),
(D4) Affidavit von Herrn G. K. Chen vom 29. Mai 1992, "Beweismittel 4",
(D5) Affidavit von Herrn G. K. Chen vom 29. Mai 1992, "Beweismittel 5",
(D6) Affidavit von Herrn G. K. Chen vom 29. Mai 1992, "Beweismittel 6",
(D7) Anhang zu D6 "Exhibit A",
(D8) Anhang zu D6 "Exhibit B",
(D9) Anhang zu D6 "Exhibit C",
(D12) Affidavit von Herrn G. K. Chen vom 21. Mai 1993,
(D13) Anhang zu D12 "Exhibit A",
(D14) Anhang zu D12 "Exhibit B",
(D15) Anhang zu D12 "Exhibit C",
(D16) Prioritätsdokument zu D3: US 506417,
(D17) Prioritätsdokument zu D3: US 506534.
Im Beschwerdeverfahren wurden von der Beschwerdeführerin noch die Druckschrift
(D18) Japanisches Gebrauchsmuster No. 8837/65 (mit englischer Übersetzung) und
(D19) Affidavit von Herrn G. K. Chen vom 18. Dezember 1996
vorgelegt.
II. Es wurde mündlich verhandelt.
Am Ende der mündlichen Verhandlung beantragte die Beschwerdeführerin die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des europäischen Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen und das Patent in unveränderter Form aufrechtzuerhalten.
III. Die geltende (erteilte) Fassung des Anspruchs 1 lautet wie folgt:
"1. Einbauelement für Stoff- oder Wärmeaustauschkolonnen bei Gas- und/oder Flüssigkeitsströmen, insbesondere im Gegenstromverfahren, wobei die Einbauelemente aus in Strömungsrichtung aufrecht angeordneten Lamellen mit Wellungen oder Faltungen bestehen, welche Wellungen oder Faltungen winklig zur Strömungsrichtung liegen und bei gepackten Lamellen sich einander kreuzend berühren, wobei Schlitze in den Lamellen angebracht sind, dadurch gekennzeichnet, daß schmale Schlitze in regelmäßigen Abständen übereinander angeordnet sind, daß die Schlitze jeweils auf Flanken der Wellungen oder Faltungen liegen, während die Ränder der Wellen- oder Faltentäler und -Berge ungeschlitzt sind, daß auf der einen Seite der Schlitze die Schlitzwandungen aus der Lamellenebene herausgedrückt sind und zwar nur so weit, daß die Kapillarwirkung der Schlitze noch erhalten bleibt."
Die Ansprüche 2 und 3 sind von Anspruch 1 abhängig.
IV. Die Beschwerdeführerin trug im wesentlichen folgende Argumente vor:
Wie sich aus den Affidavits von Herrn Chen und den beigefügten Beweisstücken ergebe, seien schon vor dem Prioritätstag des Streitpatents die "GEMPAK" genannten Einbauelemente der Firma Glitsch, Inc. durch Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Die GEMPAK-Einbauelemente seien zu dieser Zeit ohne Geheimhaltungsverpflichtung der Firma Acres American, Inc. geliefert und dort im Beisein von Herrn Tilghman, einem Angestellten der Firma Acres American, in einen ebenfalls gelieferten Destillationsturm eingebaut worden. Außerdem seien die GEMPAK-Einbauelemente vor dem Prioritätstag auch an die Firmen Gas Conditioners und Bedoukian Research, Inc. geliefert worden, in diesen Fällen ohne Kolonnen.
Die benutzten GEMPAK-Elemente bildeten gefaltete Lamellen, die regelmäßig angeordnete schmale Schlitze vor allem auf den Flanken der Faltungen aufwiesen. Diese Schlitze seien aus der Lamellenebene so weit herausgedrückt, daß die Kapillarwirkung noch erhalten bleibe. Bei der Herstellung der Lamellen seien die Schlitze zwar zunächst überall verteilt, schlössen sich aber beim Biegen der Faltungen an den Biegungsstellen, d. h. an den Rändern der Faltentäler und -Berge. Damit verschwände zusammen mit der Öffnung der Schlitze auch ihre Kapillarwirkung, und die Wirkung der Einbauelemente bezüglich der Verteilung der Flüssigkeit sei die gleiche wie bei Einbauelementen, die am Ort der Biegungen von vornherein ungeschlitzt waren. Das Einbauelement gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 sei somit durch die vorbenutzten GEMPAK-Einbauelemente neuheitsschädlich vorweggenommen.
Die Einbauelemente nach dem Dokument D3 entsprächen dem GEMPAK-Einbauelement, sodaß auch ihnen gegenüber dem Gegenstand des Streitpatents die Neuheit fehle.
V. Die Beschwerdegegnerin argumentierte im wesentlichen wie folgt:
Obwohl die offenkundige Vorbenutzung der GEMPAK-Einbauelemente von der Beschwerdeführerin noch nicht vollständig nachgewiesen worden sei, könne dies derzeit dahingestellt bleiben, da sich jedenfalls der Gegenstand dieser Benutzung, so wie er sich aus den Affidavits von Herrn Chen und deren Anlagen ergebe, vom Gegenstand des vorliegenden Patents unterscheide. Vor allem sei bei den GEMPAK-Einbauelementen die ganze Fläche der Lamellen mit Schlitzen versehen, einschließlich der Ränder der Faltentäler und -Berge, während diese Bereiche gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 ungeschlitzt sein sollten. Daran ändere sich auch dann nichts, wenn - wie die Beschwerdeführerin anführe - die Schlitze der GEMPAK-Elemente in die ungefalteten Lamellen eingebracht worden seien und sich beim Falten an den Faltkanten geschlossen hätten. Es sei nicht denkbar, daß durch das Falten die Schlitze wieder vollständig verschwänden.
Auch bei den in D3 beschriebenen Einbauelementen seien die Schlitze über die Bereiche der Berge und Täler hinweg fortgesetzt. Außerdem seien bei den dort in den Figuren 18 und 19 dargestellten Einbauelementen die Schlitzwandungen nicht auf der einen Seite der Schlitze aus der Lamellenebene herausgedrückt, wie dies gemäß dem vorliegenden Anspruch 1 vorgesehen sei.
Die Druckschrift D3 beziehe sich ersichtlich nicht auf die gleiche Lamellenkonstruktion wie die angebliche Vorbenutzung und könne deshalb nicht als ergänzende Information zu den Merkmalen des GEMPAK-Elements aufgefaßt werden.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Neuheit
2.1. GEMPAK-Einbauelement
2.1.1. Die Beschwerdeführerin hat zur Stützung ihrer Behauptung, daß ein dem Gegenstand des Anspruchs 1 entsprechendes Einbauelement bereits vor dem Prioritätstag des Patents durch Benutzung der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, mehrere eidesstattliche Versicherungen (affidavits) von Herrn Gilbert K. Chen (Dokumente D4, D5, D6, D12 und D19) sowie darin zitierte Anlagen dazu (Dokumente D1, D7, D8, D9, D13, D14 und D15) mit Informationen zur Lieferung, Installation und Struktur des Einbauelements GEMPAK der Firma Glitsch, Inc. vorgelegt.
Die Beschwerdegegnerin hält die vorgelegten Beweise für nicht ausreichend, um zu belegen, daß das GEMPAK-Einbauelement im allgemeinen, und seine genaue Struktur im besonderen, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden.
Eine zweifelsfreie Klärung der Umstände der Vorbenutzung, die die von der Beschwerdeführerin angebotene Einvernahme von Herrn G. K. Chen als Zeuge erfordert hätte, ist nach Auffassung der Kammer entbehrlich, da sich auch bei voller Anerkennung der geltend gemachten Benutzung als Stand der Technik keine andere Beurteilung ihrer Bedeutung für die Neuheit des Gegenstandes des Streitpatents ergeben hätte. Die eidesstattlichen Versicherungen von Herrn G. K. Chen mit ihren Anlagen sind jedenfalls eindeutig genug, um einen Vergleich der Merkmale des GEMPAK-Einbauelements mit denen des Gegenstandes des vorliegenden Anspruchs 1 zu ermöglichen.
2.1.2. Wie insbesondere aus den Dokumenten D5, D12 und D15 ersichtlich ist, ist das GEMPAK-Einbauelement für Stoff- oder Wärmeaustauschkolonnen mit Gas- und Flüssigkeitsströmen bestimmt und besteht aus einer Lamelle mit Faltungen, welche winklig zur beabsichtigten Strömungsrichtung liegen. In der Lamelle sind schmale Schlitze in regelmäßigen Abständen übereinander angebracht, und die Schlitze sind nur so weit geöffnet, daß die Kapillarwirkung noch erhalten bleibt (D5, Absatz 4). Auf der einen Seite der Schlitze sind die Schlitzwandungen aus der Lamellenebene herausgedrückt ("louvers", D12, Absatz 8, und D15). 2.1.3. Im Gegensatz zu den Lamellen nach dem vorliegenden Anspruch 1 sind die Schlitze jedoch über die ganze Fläche der Lamelle verteilt. Dies gilt - was auch von der Beschwerdeführerin nicht bestritten wird - zunächst einmal für die im Zuge der Herstellung noch ungefalteten Lamellen, wo sich die Schlitze auch über jene Linien hinweg erstrecken, an denen das Material dann gefaltet werden soll.
Die Beschwerdeführerin argumentiert nun (gestützt z. B. auf die Aussagen von D5), daß sich die zunächst eingebrachten Schlitze bei der Faltung der Lamellen an den Rändern der Berge und Täler wieder schlössen, so daß dort das fertige Einbauelement als ungeschlitzt im Sinne von Anspruch 1 anzusehen sei.
Diesem Argument kann sich die Kammer nicht anschließen. Nach Auffassung der Kammer wird durch das Zudrücken eines in ein Material eingebrachten Schlitzes dieses Material nicht wieder ungeschlitzt. Der geschlitzte Zustand, bei dem die Festkörperbindungskräfte des Materials unterbrochen sind, ist - unabhängig von der Weite des Schlitzes - sachlich und physikalisch etwas anderes als der ungeschlitzte Zustand mit durchgängigen Festkörperbindungen.
Im Gegensatz zur Auffassung der Beschwerdeführerin besteht auch weder ein Anlaß, die Patentbeschreibung heranzuziehen, um Interpretationen für das in sich eindeutige Merkmal "ungeschlitzt" des Anspruchs 1 zu suchen, noch ließe sich aus der von der Beschwerdeführerin zitierten Textstelle in Spalte 2, Zeilen 26 - 30, gemäß der die (auf den Flanken der Faltungen vorgesehenen) Schlitze als Kapillaren wirken, umgekehrt folgern, alles, was nicht als Kapillare wirke, habe als ungeschlitzt zu gelten.
Da die Beschwerdeführerin ausführlich damit argumentierte, daß beim GEMPAK-Einbauelement die Berge und Täler der Faltungen mit ihren wieder zugedrückten Schlitzen für die Verteilung des Flüssigkeitsstroms die gleiche Wirkung wie die ungeschlitzten Berg- und Talränder des Patentgegenstandes hätten, sei noch darauf hingewiesen, daß für die im vorliegenden Fall zu behandelnde Frage der Neuheit des Patentgegenstandes erzielte Wirkungen des bekannten Gegenstandes ohne Belang sind. Nach gefestigter Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA (siehe z. B. T 167/84 (ABl. EPA 1987, 369)) umfaßt der für die Neuheitsprüfung maßgebende Offenbarungsgehalt einer Druckschrift oder eines anderweitig dokumentierten Standes der Technik nur den dort beschriebenen oder gezeigten Gegenstand und erstreckt sich nicht auf andere Ausführungsformen, die zwar die gleiche Wirkung, aber andere technische Merkmale haben (Äquivalente).
2.1.4. Das GEMPAK-Einbauelement weist somit nicht alle Merkmale des Gegenstandes des vorliegenden Anspruchs 1 auf.
2.2. D3 ist eine europäische Patentanmeldung, die erst nach dem Prioritätstag des Streitpatents veröffentlicht wurde, deren Priorität aber vor derjenigen des Streitpatents liegt, und die die gleichen Vertragsstaaten DE, FR, GB, IT benennt (Stand der Technik gemäß Artikel 54 (3) EPÜ). Die Richtigkeit der Prioritätsangaben der D3 wurde vom Beschwerdeführer durch Einreichung der Prioritätsdokumente D16 und D17 nachgewiesen.
D3 beschreibt ein Einbauelement für Stoff- oder Wärmeaustauschkolonnen. Gemäß der dem Streitpatent nächstkommenden Ausführungsform (siehe Seiten 38 und 39 sowie Figuren 18 und 19) besteht dieses Einbauelement aus einer Lamelle mit Faltungen, die winklig zur beabsichtigten Strömungsrichtung liegen. In der Lamelle sind in regelmäßigen Abständen übereinander Schlitze angebracht, die durch Prägen ("coining") hergestellt sein können.
Inwieweit hierbei dann die Schlitzwandungen auf der einen Seite der Schlitze aus der Lamellenebene herausgedrückt sind, und ob sich die erwähnten "verschiedenen vorteilhaften Kapillareffekte" auf die Weite der Schlitze beziehen, ist nicht eindeutig entnehmbar. Jedenfalls erstrecken sich die Schlitze über die Faltungen hinweg, sodaß zum Unterschied vom Gegenstand des vorliegenden Anspruchs 1 die Ränder der Faltentäler und -Berge nicht ungeschlitzt sind.
Auch D3 weist somit nicht alle Merkmale des im Streitpatent beanspruchten Gegenstands auf.
2.3. Der vorveröffentlichte Sonderdruck D1 bezieht sich zwar auf Einbauelemente für Stoff- oder Wärmeaustauschkolonnen bei Gas- und Flüssigkeitsströmen und ist von Herrn G. K. Chen, dem Autor der oben genannten eidesstattlichen Versicherungen, verfaßt worden. Er offenbart jedoch über die Tatsache der Faltung der Lamellen hinaus keine weiteren relevanten Konstruktionsmerkmale. Es ist der Beschwerdegegnerin darin rechtzugeben, daß nicht einmal eindeutig ersichtlich ist, ob die im Titelbild auf den Lamellen erkennbaren feinen Linien Schlitze oder eine andere Art von Strukturen darstellen, und daß erst recht nichts über Formgebung oder Anordnung von Schlitzen entnommen werden kann.
2.4. D2 ist eine Informationsschrift der Raschig GmbH. Wie die Beschwerdegegnerin glaubhaft und von der Beschwerdeführerin unwidersprochen ausgeführt hat, bedeutet der Druckvermerk III/84 ein Veröffentlichungsdatum im 3. Quartal 1984, also ein Datum nach dem Prioritätstag des Streitpatents.
D2 ist also keine Vorveröffentlichung.
2.5. D18 kommt dem Gegenstand des Streitpatents nicht näher als die oben diskutierten Teile des Standes der Technik.
2.6. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist somit neu im Sinne von Artikel 54 EPÜ.
3. Einwände wegen fehlender erfinderischer Tätigkeit wurden von der Beschwerdeführerin erstmals im Beschwerdeverfahren in ihrer Antwort auf die Ladung zur mündlichen Verhandlung vorgebracht. Im Hinblick auf die Entscheidungen G 10/91 (ABl. EPA 1993, 420) und G 7/95 (ABl. EPA 1996, 626) der Großen Beschwerdekammer war - da auch kein Einverständnis der Beschwerdegegnerin vorliegt - ein solcher neuer Einspruchsgrund unberücksichtigt zu lassen.
4. Der geltend gemachte Einspruchsgrund steht somit der Aufrechterhaltung des Patents in unveränderter Form nicht entgegen (Artikel 102 (2) EPÜ).
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.