Jacek Jemielity, Joanna Kowalska, Edward Darżynkiewicz and team
Stabilisierte Messenger-RNS
Finalisten für den Europäischen Erfinderpreis 2018
Die Entdeckung stabilerer mRNA-Verbindungen durch polnische und amerikanische Forscher eröffnet neue Wege in der Krebstherapie und der Behandlung ererbter genetischer Defekte sowie für die Geweberegeneration. Jacek Jemielity, Joanna Kowalska, Edward Darżynkiewicz und ihr Team waren es, die die sogenannten beta-S-ARCA und beta-B-ARCA-Verbindungen erfanden, die nun Eingang in Impfstoffe und Krebsmedikamente finden.
Die "personalisierte Medizin" ist aktuell einer der ganz großen Trends in der Wissenschaft. Dabei werden Therapien und Medikamente auf molekularer Ebene ganz individuell an den einzelnen Patienten und seine spezifischen Gegebenheiten angepasst.
Dank engagierter Projektarbeit über vier Jahrzehnte hinweg haben die polnischen Wissenschaftler Jacek Jemielity, Joanna Kowalska, Edward Darżynkiewicz und ihr amerikanisch-polnisches Team mit ihren Verfahren zur Stabilisierung von Boten-Ribonukleinsäure (mRNA) das Gebiet der Proteinbiosynthese für die Herstellung personalisierter Medikamente um einen bedeutenden Schritt vorangebracht.
Die Erzeugung stabilerer mRNA ist ganz entscheidend, wenn es darum geht, die Produktion von Proteinen in Gang zu setzen, die direkt gegen Krebs und andere Erkrankungen wirken. Die patentierte Erfindung spannt das körpereigene Immunsystem des Patienten dazu ein, therapeutische Proteine zur Bekämpfung von Krankheiten herzustellen. Dieser Ansatz dürfte zu völlig neuartigen Vorgehensweisen bei der Behandlung von vielen Millionen Menschen führen, die an an Krebs erkrankt sind oder an genetischen Defekten leiden. Derzeit laufen klinische Studien zur Erprobung dieser neuen Generation von Impfstoffen und Therapeutika.
Gesellschaftlicher Nutzen
Die Überlebenschancen für Krebspatienten haben sich im Laufe der letzten Jahrzehnte immer weiter erhöht. Aber die Behandlung der Krankheit kann den Patienten noch immer sehr zusetzen, insbesondere aufgrund der Nebenwirkungen der Chemotherapie. Die personalisierte Medizin ist der Schlüssel für zielgerichtete Therapien mit nie dagewesener Wirksamkeit und bringt enorme Vorteile beispielsweise für Patienten, die positiv auf bestimmte genetische Marker getestet werden.
Dass das therapeutische Potenzial der mRNA so vielversprechend ist, liegt daran, dass es über sie möglich wird, das Immunsystem eines Menschen so zu "programmieren", dass es Proteine produziert, die bestimmte Krankheiten bekämpfen. Die Erfindungen des Teams könnten sich als leistungsstarke Werkzeuge erweisen, um die Möglichkeiten, die in der menschlichen DNA stecken, für medizinische Zwecke voll ausschöpfen zu können. Bislang wurden mehr als 1 800 Krankheitsgene identifiziert und es stehen schon mehr als 2 000 genetische Tests zur Verfügung, aber das menschliche Genom besteht aus insgesamt 20 000 Genen.
Wirtschaftlicher Nutzen
Die Wissenschaftler der Universität Warschau waren ihrer Zeit voraus, als sie in den 1980er-Jahren stabile mRNA-Formen als therapeutische Vehikel erforschten. Nach der Entdeckung vielversprechender mRNA-Komponenten wurden ihre Erkenntnisse von einem Team unter Leitung von Prof. Robert E. Rhoads und Dr. Ewa M. Grudzian-Nogalska am Louisiana State University Health Sciences Centre (USA) bestätigt, das die Erfindung noch weiterentwickelte. 2008 meldeten sie europäische Schlüsselpatente an und gingen eine Partnerschaft mit dem deutschen Biopharma-Unternehmen BioNTech ein, um ihr patentiertes mRNA-Stabilisierungsverfahren zu vermarkten.
Die klinischen Studien begannen 2010, und einige Jahre später fing BioNTech damit an, Lizenzen für die mRNA-Technologie an große Pharmaunternehmen wie das multinationale französische Unternehmen Sanofi S.A. oder das US-Unternehmen Genentech, das zum ebenfalls multinationalen Schweizer Pharmariesen F. Hoffmann-La Roche AG gehört, zu vergeben. In Zusammenarbeit mit Genentech testet BioNTech die Technologie sowohl als eigenständige Behandlung als auch in Kombination mit dem Krebsmedikament Tecentriq von Roche.
Experten bei Market Research Future gehen davon aus, dass der globale Markt für personalisierte Medizin sich im Jahr 2022 auf 72 Mrd. EUR belaufen wird. Das wäre dann mehr als doppelt so viel wie die 32 Mrd. EUR, auf die er 2015 beziffert wurde. Führend in diesem Markt ist Nordamerika, gefolgt von Europa. Wachstumstreiber sind die zunehmende Patientenbeteiligung an den Entwicklungen im Gesundheitswesen, die Zusammenführung von Daten aus einem viel breiteren Spektrum an Quellen sowie der Eingang drahtloser Technologien in tragbare medizinische Geräte, aber auch ein Anstieg genetisch bedingter Krankheiten.
Funktionsweise
Die DNA enthält die unzähligen Gene und Anleitungen zur Produktion der vielen verschiedenen Proteine, Enzyme und anderer Moleküle, die den menschlichen Körper bilden. Die Ribosomen in jeder einzelnen Zelle produzieren Proteine. Eine ungenügende oder fehlerhafte Proteinproduktion führt zu verschiedenen Erkrankungen.
Wissenschaftler und Pharmaunternehmer forschen seit einiger Zeit daran, wie man bestimmte Krebserkrankungen und Erbkrankheiten mithilfe der mRNA behandeln kann, indem man diese dazu bringt, den Zellen ganz gezielte Anweisungen zu liefern. So sollen die zelleigenen Mechanismen zur Proteinproduktion in den Ribosomen angeregt werden, genau die Proteine zu produzieren, die zur Bekämpfung der jeweiligen Krankheit benötigt werden. Die Krux besteht allerdings darin, dass die mRNA eine wenig stabile, lediglich temporäre Kopie eines Gens ist, die einen kurzlebigen Code für die Anleitung der Produktion von Proteinen durch die Ribosomen liefert.
Die Erfindung von beta-S-ARCA und beta-B-ARCA hat das Verständnis der Proteinbiosynthese in den Zellen vorangebracht und damit zu besseren mRNA-basierten Arzneimitteln geführt. Das Team hat entdeckt, dass die beta-S-ARCA und beta-B-ARCA-Verbindungen eine stabilere mRNA hervorbringen, die zur Anleitung der Produktion von Proteinen in den Zellen viel effektiver ist als ihr natürliches Pendant.
Die Erfinder
Edward Darżynkiewicz erwarb seinen Doktortitel 1976 an der Universität Warschau (UW) und ist dort seit 2009 ordentlicher Professor für Physik. Er leitet sowohl das Labor für Genexpression als auch das interdisziplinäre Labor für Molekularbiologie und Biophysik der Universität. 2015 wurde ihm die Leon-Marchlewski-Medaille für hervorragende Leistungen auf den Gebieten der Biochemie und der Biophysik verliehen. Er hat 208 wissenschaftliche Publikationen mitverfasst und ist als Erfinder in drei europäischen und einem US-amerikanischen Patent genannt.
Jacek Jemielity ist seit 2013 als Professor für bioorganische Chemie am Zentrum für neue Technologien der UW tätig und leitet dort mittlerweile das Labor für bioorganische Chemie. Er ist als Erfinder in drei europäischen Patenten genannt und hat fast 100 wissenschaftliche Publikationen verfasst. Er wurde mit dem Rektorenpreis der UW für seine wissenschaftlichen Leistungen sowie mit dem Preis der Fakultät für Physik der UW ausgezeichnet.
Joanna Kowalska lehrt seit 2011 an der UW am Fachbereich Biophysik der Fakultät für Physik. Aktuell fungiert sie außerdem als Projektleiterin. Sie hat über 50 wissenschaftliche Arbeiten publiziert und wird als Erfinderin in drei europäischen Patenten genannt. Auch sie hat den Rektorenpreis der UW als "Auszeichnung zweiten Grades" erhalten, den Preis der Fakultät für Physik sowie die Prof. Pieńkowski-Auszeichnung.
Für ihre Erfindungen bekamen Jemielity, Kowalska, Darżynkiewicz und ihr Team 2017 den Wirtschaftspreis des polnischen Präsidenten in der Kategorie "Forschung und Entwicklung" verliehen.
Wussten Sie das?
Die Erfindung der mRNA-Stabilisierung ist ein Paradebeispiel einer grenzüberschreitenden Innovationsentwicklung. Jemielity und sein polnisches Team konnten die Pionierarbeit für die neue Technologie mithilfe der von amerikanischen Partnern zur Verfügung gestellten Einrichtungen zur In-vitro-Untersuchung synthetisch hergestellter mRNA leisten.
Das Ergebnis dieser polnisch-US-amerikanischen Zusammenarbeit ist nicht die erste transatlantische oder transpazifische Kooperation, die beim Europäischen Erfinderpreis gewürdigt wird. So arbeitete beispielsweise der US-amerikanische Biochemiker Stephen Fodor bei der Entwicklung des DNA-Chips eng mit niederländischen Partnern zusammen (Gewinner in der Kategorie "KMU" 2006). Unter den Gewinnern war auch ein Team US-amerikanischer und indischer Wissenschaftler, das ein UV-Wasserentkeimungsgerät entwickelt hatte (Gewinner in der Kategorie "Nicht-EPO-Staaten" 2011).
Ein Südkoreaner und ein Österreicher haben in Zusammenarbeit ein kostengünstigeres, schnelleres und saubereres Verfahren zur Stahlverhüttung entwickelt und schafften es damit 2013 unter die Finalisten in der Kategorie "Nicht-EPO-Staaten". Und einer der Finalisten des Jahres 2017 in der Kategorie "Lebenswerk" erzielte einige seiner bahnbrechendsten Erfolge im Rahmen von Forschungsaufenthalten im Ausland: Der deutsche Molekularbiologe Axel Ullrich entwickelte revolutionäre gentechnische Verfahren an der University of California in San Franzisco (UCSF) und bei internationalen Unternehmen wie Genentech Inc. - auch an diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig offene Grenzen in der Wissenschaft sind.
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