T 1295/16 18-01-2022
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Bereitstellung einer Walzenanordnung zum Erzeugen von Dekoren auf einer Holzwerkstoffoberfläche
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (nein)
Erfinderische Tätigkeit - (Hauptantrag, Hilfsantrag 4: nein)
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (Hilfsanträge 1 bis 3: nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, dass das europäische Patent Nr. 2 036 741 (im Nachfolgenden als "das Patent" bezeichnet) auf der Grundlage des in der mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 2016 eingereichten Hilfsantrags IV den Erfordernissen des Europäischen Patentübereinkommens genüge.
II. Der Einspruch war gegen das Patent in vollem Umfang eingelegt und auf die Einspruchsgründe gemäß Artikel 100 a) EPÜ i.V.m. Artikel 54 EPÜ (fehlende Neuheit) und i.V.m. Artikel 56 EPÜ (mangelnde erfinderische Tätigkeit) gestützt worden.
III. In ihrer Entscheidung hat sich die Einspruchsabteilung unter anderem auf folgende Dokumente bezogen:
D1|WO 2006/002917 A2; |
D2|DE 10 2005 042 658 B3; |
D4|EP 1 454 763 A2; |
D6|DE 195 32 819 A1; |
D7|EP 1 645 339 A1; |
D8|"frank.stein - Material and ideas for future living - Interzum Nachlese", Ausgabe Relations 15, Seiten 32-34;|
D9|DE 44 21 559 A1. |
IV. Mit der Beschwerdebegründung hat die Beschwerdeführerin (Einsprechende) außerdem folgende Dokumente eingereicht:
D10|"Täuschend echt", Magazin für Oberflächentechnik, Jahrgang 69 (2015) 5, Seiten 12 bis 14;|
D11|DE 10 2005 003 954 A1; |
D12|EP 0 092 593 B1. |
V. Mit einer Ladung vom 4. Mai 2020 wurden die Beteiligten zu einer für den 12. Januar 2021 anberaumten mündlichen Verhandlung geladen, die im weiteren Verlauf auf den 18. Januar 2022 verlegt wurde.
VI. Mit Schreiben vom 25. Mai 2020 reichte die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) geänderte Ansprüche gemäß den Hilfsanträgen 1 bis 3 ein.
VII. In der am 17. August 2020 erlassenen Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) der Verfahrensordnung der Beschwerdekammern in der seit dem 1. Januar 2020 geltenden Fassung (VOBK 2020, ABl. EPA 2019, A63) brachte die Kammer ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage zum Ausdruck.
VIII. Mit Schreiben vom 8. Dezember 2020 reichte die Beschwerdegegnerin geänderte Ansprüche gemäß dem Hilfsantrag 4 ein.
IX. Am 18. Januar 2022 fand eine als Videokonferenz durchgeführte mündliche Verhandlung vor der Kammer statt. In der mündlichen Verhandlung wurde die Reihenfolge der Hilfsanträge 1 und 2 geändert.
X. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen (Hauptantrag), oder, hilfsweise, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent in geänderter Fassung auf der Grundlage eines mit Schreiben vom 25. Mai 2020 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3, weiter hilfsweise auf der Grundlage des mit Schreiben vom 8. Dezember 2020 eingereichten Hilfsantrags 4 aufrechtzuerhalten.
XI. Anspruch 1 gemäß dem vorliegenden Hauptantrag (entsprechend dem der angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Hilfsantrag IV) lautet wie folgt (die von der Kammer verwendete Merkmalsgliederung ist in eckigen Klammern eingefügt):
"1. [M1] Verfahren zur Bereitstellung einer Walzenanordnung zum Erzeugen von Dekoren auf einer Holzwerkstoffoberfläche, [M2] wobei die Walzenanordnung
- mindestens eine Farb-Dekorwalze, und [M3]
- mindestens eine strukturierte Lackauftragswalze umfasst, und
[M4] die strukturierte Lackauftragswalze und die Farb-Dekorwalze zur Erzeugung eines strukturierten Dekors aufeinander abgestimmt sind, [M5] indem zuerst die Farb-Dekorwalze und anschließend die strukturierte Lackauftragswalze auf die Holzwerkstoffoberfläche einwirkt, [M6] wobei mindestens zwei unterschiedliche Farb-Dekorwalzen zur Erzeugung von zwei unterschiedlichen Dekoren auf eine strukturierte Lackauftragswalze abgestimmt werden, dadurch gekennzeichnet, dass [M7] für den Umstellungsprozess von einem Dekor auf ein anderes die Farb-Dekorwalzen ausgewechselt werden, [M8] wobei die strukturierte Lackauftragswalze bei einer Umstellung auf ein anderes Dekor nicht ausgewechselt wird."
Der Hauptantrag umfasst auch einen unabhängigen Vorrichtungsanspruch 9.
XII. Die Hilfsanträge 1 und 4 umfassen jeweils den Anspruch 1 nach dem Hauptantrag. Der unabhängige Vorrichtungsanspruch 9 wurde geändert bzw. gestrichen.
XIII. Anspruch 1 nach den Hilfsanträgen 2 und 3 enthält das zusätzliche Merkmal, dass "an der Oberfläche der strukturierten Lackauftragswalze Strukturen erzeugt werden, die einem Porenmuster entsprechen, das auf verschiedene Holznachahmungen, die von den Farb-Dekorwalzen erzeugt werden, abgestimmt ist".
XIV. Der Vortrag der Beschwerdeführerin lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:
Zulassung der Dokumente D10, D11 und D12
In Reaktion auf die Ausführungen der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung und als Nachweis dafür, dass die Verwendung von Farb-Dekorwalzen bei der Beschichtung von Holzwerkstoffplatten mit bedrucktem Dekorpapier ebenso wie beim direkten Aufdrucken eines Holzdekors auf die Holzwerkstoffoberfläche dem zuständigen Fachmann geläufig gewesen sei, seien die Dokumente D10, D11 und D12 eingereicht worden. Sie seien kurz, seien unmittelbar mit der Beschwerdebegründung eingereicht worden und führten somit zu keiner Verfahrensverzögerung. Angesichts der vorläufigen Stellungnahme der Einspruchsabteilung vom 9. Juni 2015, wonach sowohl Druckwalzen als auch Prägewalzen als fachüblich anzusehen seien, habe es vor der mündlichen Verhandlung im erstinstanzlichen Verfahren keine Veranlassung gegeben, dieses Fachwissen anhand weiterer Dokumente zu belegen. Das Dokument D10, das von einem namhaften Unternehmen stamme, sei zwar nachveröffentlicht, verdeutliche aber den vor dem Anmeldetag des Patents bestehenden Wissensstand des Fachmanns, insbesondere die Weiterentwicklung von Tiefdruck-Dekorpapier bei der Schattdecor AG seit dem Jahr 1985. Es spreche auch den Dekordruck in Europa und Japan Ende der 1970er-Jahre an. Die Dokumente D10 bis D12 seien daher ins Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Anspruch 1 des Hauptantrags - erfinderische Tätigkeit
Die Druckschrift D7 stelle einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit in Bezug auf den Gegenstand von Anspruch 1 dar. Die Einspruchsabteilung habe zutreffend festgestellt, dass die Wirkung des Unterscheidungsmerkmals M8 darin bestehe, dass bei der Produktion Zeit gespart werde. Die technische Aufgabe habe die Einspruchsabteilung jedoch nicht bestimmt. Sie könne darin gesehen werden, ein Verfahren der aus der Druckschrift D7 bekannten Art in wirtschaftlicher Hinsicht zu verbessern. Dies wäre im Wesentlichen das Gleiche wie die Aufgabe, das Erzeugen von unterschiedlichen Dekoren weniger aufwändig zu gestalten.
Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin habe der zuständige Fachmann, der sich seit längerem mit der konstruktiven Gestaltung von Anlagen insbesondere zum Erzeugen von Holzdekoren auf Holzwerkstoffplatten beschäftigt habe, sowohl Kenntnisse der Laminattechnik als auch der Direktdrucktechnik. Es könne von ihm erwartet werden, dass er sich auf Nachbargebieten nach Anregungen umsehe, wenn sich dort die gleichen oder ähnliche Probleme stellten. Die Laminattechnik sei kein weit entferntes Gebiet, denn die Beschichtung von Holzwerkstoffplatten mit harzgetränktem Dekorpapier weise zahlreiche Gemeinsamkeiten mit der Beschichtung von Holzwerkstoffen durch Aufdrucken eines Holzdekors auf. Bei beiden Verfahren werde die Oberfläche der Beschichtung zum Schluss mit einer Struktur, beispielsweise einer Porenstruktur versehen, die auf das Holzdekor abgestimmt sei, um so dem Holzimitat ein natürliches Aussehen zu verleihen. Auf die Druckschriften D1, D2, D4, D6 und D9 werde diesbezüglich verwiesen. Die Dokumente D10, D11 und D12 belegten, dass mit Holzdekoren bedrucktes Dekorpapier ebenso wie direkt bedruckte Holzwerkstoffplatten typischerweise im Tiefdruckverfahren mittels Farb-Dekorwalzen hergestellt würden.
Daher sei festzustellen, dass der zuständige Fachmann, der versucht hätte, die genannte technische Aufgabe zu lösen, auch das Konzept "Synchro-wood", wie es auf der Messe Interzum 2007 von der Firma Lamigraf präsentiert und im Dokument D8 beschrieben worden sei, in Betracht gezogen hätte. Auf die linke Spalte von Seite 32 des Dokuments D8 sei der Hinweis erhalten, dass eine einzelne Oberflächenstruktur auf mehrere unterschiedliche Holzdekore abzustimmen sei. Außerdem werde in der linken Spalte auf Seite 33 auf das Konzept, unterschiedliche Holzoriginale zu modifizieren, indem sie einem einzigen Pressblech angepasst würden, hingewiesen, wobei als industrielle Vorteile die Minimierung der Investition für Pressbleche und die Reduzierung der Imprägnierungs- und Presszeiten erwähnt seien. Da die Firma Lamigraf ein Dekordrucker sei, der kein Interesse an Direktdruck habe, enthalte das Dokument D8 auch keinen Hinweis auf Farb-Dekorwalzen oder Lackauftragswalzen. Dem Dokument D8 lasse sich jedoch nicht entnehmen, dass das Konzept "Synchro-wood" nur bei Dekorpapieren und Pressblechen funktioniere.
Dabei sei zu berücksichtigen, dass es bereits vor dem Prioritätstag des Streitpatents für Hersteller von mit Holzdekoren versehenen Holzwerkstoffplatten gang und gäbe gewesen sei, diese auf einer hierzu verwendeten Direktdruck-Produktionsanlage, die mit hohen Investitionskosten verbunden sei, aus wirtschaftlichen Gründen je nach Bedarf mit unterschiedlichen Holzdekoren zu bedrucken. Dazu seien die in der Anlage eingesetzten Druckzylinder sowie eine darauf abgestimmte strukturierte Lackauftragswalze gegen andere Druckzylinder zum Auftragen des jeweils gewünschten Holzdekors und eine neue, darauf abgestimmte strukturierte Lackauftragswalze ausgetauscht worden.
Folglich hätte der Fachmann einen Anreiz gehabt, auch die dekorkonforme Oberflächenstruktur der Druckschrift D7 entsprechend des Konzepts "Synchro-wood" wirtschaftlich attraktiv und weniger aufwändig umzusetzen. Die aus der Druckschrift D7 bekannten Vorteile, insbesondere die Erzeugung einer qualitativ zufriedenstellenden Oberflächenstruktur mittels einer strukturierten Lackauftragswalze, hätte er jedoch nicht aufgegeben, zumal die Gravurwalze 14 dort bereits auf die Farb-Dekorwalzen abgestimmt sei. Der Fachmann hätte erkannt, dass das strukturierte Pressblech gemäß dem Dokument D8 das Äquivalent zu der in der Druckschrift D7 verwendeten Gravurwalze 14 sei. Dass die strukturierte Lackauftragswalze genauso wie das Pressblech des Konzepts "Synchro-wood" bei einer Umstellung von einem Holzdekor auf ein anderes Holzdekor nicht mehr ausgewechselt werden müsse, dafür die neuen Farb-Dekorwalzen auf die nicht ausgewechselte Lackauftragswalze abzustimmen wären, hätte der Fachmann als offensichtlich betrachtet.
Das Argument, dass der Fachmann durch die Lehre des Dokuments D8 dazu veranlasst gewesen wäre, die Bearbeitungsstationen 18 und 20 der Druckschrift D7 entsprechend der im Absatz [0082] erwähnten Ausführungsform durch eine Anlage zur Laminatbeschichtung zu ersetzen, sei nicht stichhaltig. Denn diese Variante sei in der Druckschrift D7 nicht als bevorzugt offenbart. Außerdem wäre aus der kontinuierlich arbeitende Anlage gemäß Figur 1 so eine diskontinuierlich arbeitende, relativ langsame Anlage zum Verpressen von relativ teurem Dekorpapier geworden, was zu erheblichen und unnötigen Kosten geführt hätte. Auch der Sichtweise, dass der Fachmann die weitere Alternative gemäß dem Absatz [0039] der Druckschrift D7 als Lösung berücksichtigt hätte, könne nicht gefolgt werden. Es hätte keinerlei Grund gegeben, die Lackauftragswalze der Figur 1 aufzugeben, die komplette Anlage umzubauen und eine langsamere digitale Auftragsvorrichtung vorzusehen.
Somit hätte sich der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags für den Fachmann ausgehend von der Druckschrift D7 angesichts des Konzepts "Synchro-wood" in naheliegender Weise ergeben.
Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 3
Die Hilfsanträge seien verspätet eingereicht worden, und zwar erst nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung. Stichhaltige Gründe dafür, dass außergewöhnliche Umstände vorlägen, die zu der späten Änderung des Beschwerdevorbringens geführt hätten, habe die Beschwerdegegnerin nicht aufgezeigt. Die Ausführungen der Beschwerdeführerin seien schon vor der ersten Instanz vorgebracht worden. Die Beschwerdegegnerin hätte mit der Beschwerdeerwiderung entsprechende Hilfsanträge einreichen können und auch müssen. Aufgrund der Bestimmungen von Artikel 13 (2) VOBK 2020 seien die Hilfsanträge 1 bis 3 daher unberücksichtigt zu bleiben.
XV. Die Beschwerdegegnerin hat im Wesentlichen Folgendes vorgetragen:
Zulassung der Dokumente D10, D11 und D12
Die Dokumente D10 bis D12 seien verspätet vorgebracht worden. Im Abschnitt 7.2 der vorläufigen Stellungnahme der Einspruchsabteilung vom 9. Juni 2015 sei bereits angemerkt worden, dass die Lehre des Dokuments D8 für den Fachmann nicht offensichtlich gewesen wäre. Deshalb hätte die Beschwerdeführerin Dokumente, die das Wissen des Fachmanns erläuterten, bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorlegen müssen. Zudem sei die Veröffentlichung D10 erst 2015 publiziert worden; sie sei nicht geeignet, das Fachwissen am Anmeldetag zu dokumentieren. Die Druckschriften D11 und D12 stellten einzelne Veröffentlichungen zu sehr unterschiedlichen technischen Gegenständen dar; sie vermittelten kein einheitliches Bild des Fachwissens.
Anspruch 1 des Hauptantrags - erfinderische Tätigkeit
Der Beurteilung der Einspruchsabteilung in der angefochtenen Entscheidung werde darin zugestimmt, dass der nächstkommende Stand der Technik gemäß der Druckschrift D7 ein Verfahren zum Strukturieren von Oberflächen vorschlage, bei dem für jedes einzelne Dekor die Lackauftragswalze ebenfalls getauscht werde. Bei der erfindungsgemäßen Lösung nach Anspruch 1 werde dagegen die Lackauftragswalze nicht ausgetauscht, wenn von einem Dekor auf ein anderes Dekor gewechselt werde. Die Aufgabenformulierung der Beschwerdeführerin enthalte Lösungshinweise, was sich unter anderem darin zeige, dass der Absatz [0016] des Streitpatents zur Definition der Aufgabe herangezogen worden sei. Stattdessen sei die dem Anspruchsgegenstand zugrunde gelegte technische Aufgabe darin zu sehen, dass beim Umstellen der Produktion von einem Holzdekor auf ein anderes Holzdekor Zeit gespart werde.
Beim Fachmann handle es sich um einen Maschinenbauingenieur mit Erfahrung im Bereich der Lacktechnologie. Er sei fokussiert auf das Fachgebiet der Optimierung von Produktionsanlagen. Dagegen sei die von der Beschwerdeführerin vorgeschlagene Definition des Fachmanns zu weit; sie basiere auf einer rückschauenden Betrachtungsweise.
Der Fachmann, der davon ausgegangen wäre, dass das Verfahren nach der Druckschrift D7 sehr aufwändig und kostenintensiv sei, hätte zur Lösung der technischen Aufgabe zuerst sämtliche Varianten herangezogen, die in der Druckschrift D7 offenbart seien. Diese führten allerdings von der Erfindung weg. In den Absätzen [0040], [0043] und [0044] sei zum Beispiel ausführlich eine optische Abtastvorrichtung zusammen mit einem Lackstrahldrucker als Alternative für die Lackauftragswalze beschrieben. Der Fachmann hätte einen Anreiz gehabt, die Kosten der Walze zu sparen und auf den Digitaldruck zu wechseln. Andererseits offenbare der Absatz [0082] der Druckschrift D7, dass das Farbdekor als eine Laminatbeschichtung oder eine Furnierbeschichtung erzeugt werden könne.
Bei dem im Dokument D8 offenbarten Beschichtungsverfahren handle es sich nicht um dasselbe technische Fachgebiet wie bei der Erfindung. Das Dokument D8 lehre weder die Herstellung einer Oberfläche durch das Auftragen von Lack, noch würden dort Walzen eingesetzt. Stattdessen werde die Oberflächenstruktur durch Prägung und das Farbdekor durch Dekorpapier erzeugt. Das Konzept "Synchro-wood" weiche daher sowohl hinsichtlich des Materials als auch hinsichtlich der Art der Herstellung der Struktur vom Verfahren gemäß der Druckschrift D7 ab. Neuerungen auf einem benachbarten Fachgebiet eigneten sich nicht zur zwangslosen Umsetzung auf dem eigenen Fachgebiet. Dies gelte vor allem dann, wenn grundlegende Unterschiede hinsichtlich maschineller Ausstattung, verwendeter Materialien und Verfahrensabläufe bestünden. Die Beurteilung des Dokuments D8 als relevanter Stand der Technik sei somit Ergebnis einer rückschauenden Betrachtungsweise. Die Dokumente D7 und D8 ließen sich daher nicht zu einer für den Fachmann sinnvollen Lehre kombinieren. Außerdem sei die Technik des Dokuments D8 laut der linken Spalte auf Seite 33 noch nicht für Möbel, bei denen die Ansprüche viel höher seien als bei Bodenelementen, einsetzbar; sie sei lediglich auf einfache Dekore beschränkt.
Selbst wenn der Fachmann die Offenbarungen der Dokumente D7 und D8 miteinander kombiniert hätte, wäre keine Strukturanpassung der auszuwechselnden Farb-Dekorwalzen an die Gravurwalze 14 erfolgt. Weder die Druckschrift D7 noch das Dokument D8 enthalte einen Hinweis, dass die Oberflächenstruktur auf die neuen Dekore abgestimmt sei. Dies sei aber wesentlich, damit es ausreiche, nur die Farb-Dekorwalzen der Druckschrift D7 auszuwechseln ohne die Gravurwalze zu ersetzen.
Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 3
Die mit Schreiben vom 25. Mai 2020 eingereichten Hilfsanträge 1 bis 3 würden in geänderter Reihenfolge, nämlich in der Reihenfolge der Hilfsanträge 2, 1 und 3, weiterverfolgt. Mit diesen wenigen Hilfsanträgen sei beabsichtigt, Einwände der Beschwerdeführerin auszuräumen, die sich aus dem letzten Vortrag der Gegenseite ergeben hätten. Konkret sei Anspruch 9 des Hilfsantrags 1 in Anpassung an die ursprüngliche Anmeldung neu formuliert worden. Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 sei zur besseren Abgrenzung gegenüber der Druckschrift D7 ein weiteres Merkmal hinzugefügt worden. Hilfsantrag 3 fasse die Änderungen der Hilfsanträge 1 und 2 zusammen. Die Hilfsanträge seien somit ins Verfahren zuzulassen, zumal sie zwar nach der Ladung, jedoch rechtzeitig vor der Zustellung der vorläufigen Einschätzung der Kammer eingereicht worden seien.
Hilfsantrag 4
Gegenüber dem Hauptantrag sei lediglich Anspruch 9 gestrichen worden. Dadurch sei kein neuer Streitstoff zu prüfen oder zu beurteilen. Hilfsantrag 4 werde für nicht verspätet gehalten, weil auf außergewöhnliche Umstände im Ablauf des Verfahrens hier nicht mit neuen Ansprüchen reagiert worden sei. Schon aus Gründen der Verfahrensökonomie solle Hilfsantrag 4 zugelassen werden.
Zulassung der Dokumente D10, D11 und D12
1. Die Dokumente D10, D11 und D12 wurden zum ersten Mal mit der Beschwerdebegründung eingereicht. Sie dienten als Nachweis für den Wissensstand des Fachmanns, nämlich dass die Verwendung von Farb-Dekorwalzen bei der Beschichtung von Holzwerkstoffplatten mit bedrucktem Dekorpapier ebenso wie beim direkten Aufdrucken eines Holzdekors auf die Holzwerkstoffoberfläche dem zuständigen Fachmann zum Zeitpunkt der Priorität des Streitpatents geläufig gewesen sei.
2. Nach Artikel 25 (2) VOBK 2020 sind weiterhin die Bestimmungen von Artikel 12 (4) VOBK 2007 anzuwenden, wenn, wie im vorliegenden Fall, die Beschwerdebegründung vor dem Inkrafttreten der revidierten Verfahrensordnung am 1. Januar 2020 eingereicht worden ist. Diese Vorschrift legt fest, dass die Kammer das gesamte Vorbringen der Beteiligten nach Artikel 12 (1) VOBK 2007 zu berücksichtigen hat, wenn und soweit es sich auf die Beschwerdesache bezieht und die Erfordernisse des Artikels 12 (2) VOBK 2007 erfüllt. Das Zulassen von Tatsachen, Beweismitteln oder Anträgen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätten vorgebracht werden können oder dort nicht zugelassen worden sind, wird jedoch ausdrücklich ins Ermessen der Kammer gestellt.
3. Die Kammer stimmt der Beschwerdegegnerin zu, dass sie bereits im erstinstanzlichen Verfahren Zweifel geäußert hat, über welche Fachkenntnisse der Fachmann verfüge. In der Erwiderung auf die Einspruchsschrift hat sie zum Beispiel geltend gemacht, dass "nicht davon auszugehen [ist], dass sich ein Fachmann für Lackieranlagen über Entwicklungen im Bereich der Laminatprodukte auf dem Laufenden hält" (s. Seite 6, Absatz 2).
Folglich hätte die Beschwerdeführerin die Dokumente D10 bis D12 bereits im Verfahren vor der Einspruchsabteilung einreichen können und sollen. Gemäß Artikel 12 (4) VOBK 2007 hat die Kammer deshalb die Befugnis, diese Dokumente nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
4. Das Dokument D10 entstammt einer Fachzeitschrift aus dem Jahr 2015. Wenngleich ein technischer Fachartikel durchaus Hinweise über das allgemeine Fachwissen vor dem Datum seiner Veröffentlichung enthalten könnte, hält die Kammer im vorliegenden Fall die Beschreibung der Technologieentwicklung in einem bestimmten Unternehmen acht Jahre nach dem Prioritätsdatum des Patents nicht für geeignet, den Wissenstand des Fachmanns vor dem Prioritätsdatum zu belegen.
5. Die Druckschriften D11 und D12 sind Patentdokumente. Nach ständiger Rechtsprechung gehört der Inhalt von Patentdokumenten in der Regel nicht zum allgemeinen Fachwissen (vgl. "Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts", 9. Auflage 2019, I.C.2.8.2).
6. In Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 12 (4) VOBK 2007 hat die Kammer daher entschieden, die Dokumente D10 bis D12 nicht in das Beschwerdeverfahren zuzulassen.
Anspruch 1 des Hauptantrags - erfinderische Tätigkeit
7. Von den Beteiligten ist unbestritten, dass die Druckschrift D7 einen geeigneten Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit darstellt. Unstrittig ist auch, dass sich der Gegenstand von Anspruch 1 von dem aus der Druckschrift D7 bekannten Verfahren durch die Merkmale M7 und M8 unterscheidet. Dem stimmt die Kammer zu. Denn die Druckschrift D7 enthält weder einen Hinweis auf eine Umstellung auf ein anderes Dekor noch auf ein Auswechseln von Walzen.
8. Die Beschwerdeführerin weist zurecht darauf hin, dass die Einspruchsabteilung in Punkt 14.4.1 der angefochtenen Entscheidung zwar die technische Wirkung, nämlich dass bei der Produktion Zeit gespart werde, nicht aber die objektive technische Aufgabe bestimmt hat. Nach Auffassung der Kammer geben die Absätze [0016] und [0017] des Streitpatents Aufschluss über die technische Wirkung der Unterscheidungsmerkmale M7 und M8: Der Aufwand für Entwicklung und Produktion einer für eine Gruppe von Dekoren geeigneten strukturierten Lackauftragswalze fällt nur einmal an, was Zeit und Kosten spart. Im Hinblick auf den letzten Satz von Absatz [0012] des Streitpatents ergibt sich für die Kammer die hiermit verbundene objektive technische Aufgabe, das Erzeugen von unterschiedlichen Dekoren weniger aufwändig zu gestalten.
9. Die Kammer stimmt mit der Beschwerdeführerin überein, dass der im Jahre 2007 auf dem einschlägigen Gebiet der Beschichtung von Holzwerkstoffoberflächen tätige Fachmann nicht nur Kenntnisse der Direktdrucktechnik, sondern auch der Laminattechnik hatte. Wie schon im Absatz [0003] des Streitpatents angedeutet, gehörte es vor dem Prioritätsdatum zum allgemeinen Fachwissen, Dekore auf einer Holzwerkstoffoberfläche entweder durch direktes Aufbringen mehrerer Farb- oder Lackschichten, oder durch Verpressen von mit Harz getränkten Dekorpapieren bereitzustellen.
10. Das Konzept "Synchro-wood", das laut der Entgegenhaltung D8 auf der Messe Interzum 2007 in Köln präsentiert wurde und dessen Zugänglichmachung vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents von der Beschwerdegegnerin nicht in Frage gestellt wurde, betrifft eine Entwicklung auf dem Gebiet der Laminatherstellung, die "eine wirtschaftlich attraktive Umsetzung der dekorkonformen Oberflächentextur" anstrebt (Seite 32, linke Spalte). Als Vorteile dieser Entwicklung werden unter anderem eine "Minimierung der Investition für Pressbleche" und eine "[b]is zu vierfacher [sic] Reduzierung der Imprägnierungs- und Presszeiten" genannt (Seite 33, linke Spalte, vierter Absatz). Es ist daher davon auszugehen, dass der Fachmann, der im Rahmen seiner normalen praktischen Tätigkeit veranlasst gewesen wäre, sich auch auf dem Nachbargebiet der Laminatherstellung nach Lösungen für die oben genannte Aufgabe umzuschauen, trotz möglicher grundlegender Unterschiede zu dem aus der Druckschrift D7 bekannten Verfahren die Lehre des Dokuments D8 in Betracht gezogen hätte.
11. Der Kern des Konzepts "Synchro-wood" wird gleich im ersten Satz auf Seite 32 des Dokuments D8 zum Ausdruck gebracht: "Vier verschiedene Holznachbildungen und nur eine Oberflächenstruktur". Zur technischen Umsetzung des Konzepts wird auf der nächsten Seite erläutert, dass "unterschiedliche Holz-, Stein oder Fantasieoriginale modifiziert werden indem sie einem einzigen Pressblech angepasst, aber der Charakter und die Besonderheiten des Ursprungsmaterials beibehalten werden" (Seite 33, linke Spalte, dritter Absatz). Aus der obigen Lehre leitet die Kammer ab, dass vier verschiedene Holzdekore im Vorfeld auf ein strukturiertes Pressblech abgestimmt werden, sodass ihnen durch das Pressblech dieselbe strukturgebende Prägung überlagert werden kann.
12. Nach Auffassung der Kammer hat die Beschwerdeführerin überzeugend argumentiert, dass der Fachmann durch das Konzept "Synchro-wood" dazu veranlasst gewesen wäre, die in den Bearbeitungsstationen 18 und 20 der Druckschrift D7 für verschiedene Holzdekore anzuwendenden Farb-Dekorwalzen auf die als das Äquivalent für das Pressblech geltende Gravurwalze 14 abzustimmen, so dass letztere bei einer Umstellung auf ein anderes Holzdekor nicht ausgewechselt werden muss. Dabei ist festzuhalten, dass es für den Fachmann vor dem Prioritätsdatum des Streitpatents auf der Hand gelegen hätte, die einzelnen Druckzylinder einer Direktdruck-Produktionsanlage auszuwechseln, wenn die Holzwerkstoffoberflächen je nach Bedarf mit unterschiedlichen Holzdekoren zu bedrucken gewesen wären. Das hat auch die Einspruchsabteilung so gesehen (s. Punkt II.10.3 der angefochtenen Entscheidung).
13. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin lassen sich die Dokumente D7 und D8 daher zu einer sinnvollen Lehre kombinieren, die in naheliegender Weise zum Gegenstand von Anspruch 1 führt. An dieser Schlussfolgerung ändert nichts, dass das Konzept "Synchro-wood" des Dokuments D8 hauptsächlich für Bodenbeläge offenbart ist und eine entsprechende Lösung für Möbeloberflächen noch entwickelt werde (s. Seite 33, linke Spalte, dritter Absatz). Denn diesbezüglich enthält Anspruch 1 keine konkreten Angaben. Auch in der Druckschrift D7 wird offen gelassen, ob die Plattenherstellung im Bereich der Fußbodenbeläge oder der Möbelteile Anwendung findet (s. Absatz [0002]).
14. Hinsichtlich des Naheliegens ausgehend von der Druckschrift D7 hat die Beschwerdegegnerin weiter ausgeführt, dass der Fachmann anstelle des Dokuments D8 eher die in der Druckschrift D7 beschriebenen Varianten herangezogen hätte. Dem Argument kann schon deshalb nicht beigetreten werden, weil es auf der Annahme beruht, dass diese Varianten eine Lösung zur vorliegenden technischen Aufgabe darstellten. Für diese Annahme liegt jedoch kein Beleg vor. Die Kammer schließt sich der Sichtweise der Beschwerdeführerin an, dass der Fachmann mit dem Ziel, die unterschiedlichen Dekore mit weniger Aufwand zu erzeugen, keinen Grund gehabt hätte, die Anlage gemäß Figur 1 der Druckschrift D7 derart umzubauen, dass die Gravurwalze 14 durch einen in den Absätzen [0039] bis [0044] beschriebenen und in der Figur 5 dargestellten digitalen Tintenstrahldrucker 30 ersetzt würde, welcher synchron zu den von einer optischen Abtastvorrichtung 34 erfassten Daten die strukturierte Lackschicht aufbringen würde. Auch hätte das komplette Ersetzen der Beschichtungsanlage in den Bearbeitungsstationen 18 und 20 zu einem unzweckmäßigen Mehraufwand geführt und für die Erzeugung von unterschiedlichen Dekoren keine konkreten Vorteile in Aussicht gestellt. Somit wäre der Fachmann davon abgehalten worden, die Walzenanordnung in Übereinstimmung mit der im Absatz [0082] der Druckschrift D7 vorgeschlagenen Alternativlösung, das Farbdekor in den Bearbeitungsstationen 18 und 20 als Laminatbeschichtung anzubringen, d.h. als ein mit einem Harz getränkten und unter Anwendung von erhöhter Temperatur zusammen mit dem Substrat und einem zusätzlichen Gegenzug verpresstes Papier, umzugestalten.
15. Folglich ist die Kammer zum Schluss gekommen, dass der Gegenstand von Anspruch 1 des Hauptantrags nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Anders als in der angefochtenen Entscheidung kann dem Hauptantrag daher von der Kammer nicht stattgegeben werden.
Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 3
16. Nach Artikel 13 (2) VOBK 2020, der gemäß Artikel 25 (1) und (3) VOBK 2020 vorliegend anzuwenden ist, bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
17. Die Zulassung der Hilfsanträge 1 bis 3, die nach Zustellung der Ladung eingereicht und in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer in der geänderten Reihenfolge 2, 1, 3 weiterverfolgt worden sind, hat die Beschwerdegegnerin in ihrem Schreiben vom 25. Mai 2020 damit gerechtfertigt, dass die darin vorgenommenen Änderungen die Einwände der Beschwerdeführerin, die sich "aus dem letzten Vortrag der Gegenseite" ergeben hätten, ausräumten. Damit bezog sich die Beschwerdegegnerin auf das Schreiben vom 22. Dezember 2017, in welchem die Beschwerdeführerin sowohl eine unzulässige Erweiterung hinsichtlich des Anspruchs 9 des Hauptantrags als auch die mangelnde erfinderische Tätigkeit des Gegenstands von Anspruch 1 des Hauptantrags geltend gemacht hatte.
18. Die Kammer erkennt in dieser Rechtfertigung aus folgenden Gründen keine stichhaltigen Gründe dafür, dass außergewöhnliche Umstände vorlagen:
18.1 Auf Seiten 1 und 2 des Schreibens vom 22. Dezember 2017 hat die Beschwerdeführerin zu dem bereits in der Beschwerdebegründung gerügten Verstoß gegen die Bestimmungen von Artikel 123 (2) EPÜ das Argument wiederholt, dass der Absatz [0010] der Offenlegungsschrift sich nicht auf einen Satz von Walzen gemäß Anspruch 9, insbesondere nicht mit einer auf die Farb-Dekorwalzen abgestimmten strukturierten Lackauftragswalze, beziehe. Der behauptete Widerspruch zwischen dem Gegenstand von Anspruch 9 und den in der Offenlegungsschrift enthaltenen Ausführungsbeispielen wird auf Seite 2 des Schreibens vom 22. Dezember 2017 "zur Vermeidung von Wiederholungen" mit einem expliziten Verweis auf die Beschwerdebegründung dargetan.
Auch die im Schreiben vom 22. Dezember 2017 vorgebrachten Argumente zur mangelnden erfinderischen Tätigkeit ausgehend von der Druckschrift D7 überschneiden sich zum großen Teil mit dem entsprechenden Vortrag in der Beschwerdebegründung (s. Abschnitt 3.1 auf Seiten 4 bis 7).
18.2 Folglich hat die Beschwerdegegnerin bereits mit der Erwiderung vom 16. Dezember 2016, in der sie zu den Änderungen des Anspruchs 9 und zur Frage der erfinderischen Tätigkeit des Anspruchs 1 ausgehend von der Druckschrift D7 ausführlich argumentiert hat, die Möglichkeit gehabt, Hilfsanträge einzureichen für den Fall, dass ihre Argumente bezüglich des Hauptantrags die Kammer nicht hätten überzeugen können. Spätestens jedoch zeitnah nach dem Schreiben vom 22. Dezember 2017 hätte sie die Hilfsanträge als mögliche Rückzugspositionen vorbringen können und müssen. Dies hat sie allerdings unterlassen. Erst nach Zustellung der Ladung, d. h. in Vorbereitung auf die mündliche Verhandlung, wurden die nun vorliegenden Hilfsanträge 1 bis 3 eingereicht. Es liegen nach Auffassung der Kammer keine durch den Ablauf des Beschwerdeverfahrens begründeten außergewöhnlichen Umstände vor, die diese späte Vorlage rechtfertigen würden.
18.3 Für die Anwendung der Bestimmungen von Artikel 13 (2) VOBK 2020 ist im vorliegenden Fall die Zustellung der Ladung maßgeblich. Es kommt nicht darauf an, ob die Änderung des Beschwerdevorbringens vor der Zustellung einer Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020, in der die Kammer ihre vorläufige Einschätzung des der Beschwerde zugrunde liegenden Sachverhalts mitteilt, eingegangen ist (siehe auch Dokument CA/3/19, Abschnitt VI, Erläuterungen zu Artikel 13 (2), 1. Absatz, Satz 3: "Eine Mitteilung nach dem vorgeschlagenen neuen Artikel 15 Absatz 1, die einen Beteiligten nicht ausdrücklich auffordert, innerhalb einer von der Kammer bestimmten Frist eine Stellungnahme einzureichen, ist keine Mitteilung im Sinne des vorgeschlagenen neuen Absatzes 2").
19. Die Hilfsanträge 1 bis 3 sind daher entsprechend dem Antrag der Beschwerdeführerin nach Artikel 13 (2) VOBK 2020 im Beschwerdeverfahren unberücksichtigt geblieben.
Hilfsantrag 4
20. Der Hilfsantrag 4 unterscheidet sich dadurch vom Hauptantrag, der der angefochtenen Entscheidung zugrunde lag, dass der Vorrichtungsanspruch 9 gestrichen worden ist. Damit werden in dem nun vorliegenden Hilfsantrag 4 nur die Verfahrensansprüche 1 bis 8 des Hauptantrags weiterverfolgt.
21. Die für Anspruch 1 des Hauptantrags hinsichtlich der Erfordernisse von Artikel 56 EPÜ gezogene Schlussfolgerung (s. Punkt 15. oben) gilt in gleicher Weise für Anspruch 1 des Hilfsantrags 4. Folglich kann auch dem Hilfsantrag 4 nicht stattgegeben werden.
22. Da der Hilfsantrag 4 nicht zum Erfolg führen kann, kann die Frage der Zulassung des nach der Zustellung der Ladung eingereichten Hilfsantrags 4 dahingestellt bleiben.
Ergebnis
23. Da kein gewährbarer Antrag der Beschwerdegegnerin vorliegt, ist die Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.