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T 1548/17 12-01-2023
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GEWEBEBAND FÜR EINE MASCHINE ZUR HERSTELLUNG VON BAHNMATERIAL, INSBESONDERE PAPIER ODER KARTON
Entscheidung im schriftlichen verfahren
Rechtliches Gehör - Gelegenheit zum Stellungnahme (ja)
Neuheit - Hautantrag (ja)
Erfinderische Tätigkeit - Hauptantrag (nein)
Erfinderische Tätigkeit - Hilfsanträge (nein)
I. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) legte form- und fristgerecht Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, mit welcher das europäische Patent Nr. 2 106 477 in geänderter Fassung aufrechterhalten wurde.
II. Mit dem Einspruch griff die Einsprechende das Patent in vollem Umfang an, unter Geltendmachung der Einspruchsgründe nach Artikel 100 a) EPÜ (mangelnde Neuheit und erfinderische Tätigkeit). Die Einspruchsabteilung entschied, dass das gemäß dem Hilfsantrag 1 geänderte Streitpatent die Erfordernisse des EPÜ erfüllte.
III. Mit Mitteilung gemäß Regel 100 (2) VOBK 2020 vom 8. März 2022 teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach- und Rechtslage mit, derzufolge die Beschwerde bezogen auf den auf die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden gerichteten Hauptantrag der Patentinhaberin und den zusammen mit der Beschwerdeerwiderung geltend gemachten Hilfsantrag erfolgreich sein dürfte.
IV. Die Patentinhaberin nahm mit Schriftsatz datiert auf den 8. Juli 2022 zur Mitteilung der Kammer inhaltlich Stellung und reichte einen weiteren Hilfsantrag als Hilfsantrag 2 ein.
Die Einsprechende erwiderte darauf mit einem am 4. August 2022 eingegangenen Schriftsatz.
V. Mit Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 26. Oktober 2022 teilte die Kammer den Parteien mit, dass die mit der Mitteilung von 8. März 2022 angegebene Stellungsnahme vorläufig unverändert bliebe.
VI. Mit Schriftsatz vom 9. November 2022 nahm die Patentinhaberin ihren Antrag zur hilfsweise Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurück und erklärte dass, falls eine mündliche Verhandlung stattfände, sie daran nicht teilnehmen werde.
VII. Der Termin für die mündliche Verhandlung wird zusammen mit der vorliegenden Entscheidung aufgehoben und die Entscheidung im schriftlichen Verfahren getroffen.
VIII. Die Einsprechende (Beschwerdeführerin) beantragte zuletzt
die angefochtene Entscheidung aufzuheben und
das Patent zu widerrufen,
oder hilfsweise,
eine mündliche Verhandlung anzuberaumen.
IX. Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte zuletzt
die Beschwerde zurückzuweisen, d.h. das Patent in geänderter Fassung gemäß dem Hilfsantrag 1 des Einspruchsverfahrens aufrechtzuerhalten (Hauptantrag),
oder hilfsweise,
das Patent in geänderter Fassung gemäß dem mit Schriftsatz vom 5. Januar 2017 im Einspruchsverfahren vorgelegten Hilfsantrag 2 aufrechtzuerhalten (Hilfsantrag 1),
oder weiter hilfsweise,
das Patent in geänderter Fassung gemäß dem mit Schriftsatz vom 8. Juli 2022 vorgelegten Hilfsantrag 2 aufrechtzuerhalten.
X. In dieser Entscheidung wird auf das folgende Dokument Bezug genommen:
D2: WO2005/0011797 A1.
XI. Der unabhängige Anspruchs 1 des Patents in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung (Hauptantrag) lautet:
"Gewebeband (100) für eine Maschine zur Herstellung von Bahnmaterial, insbesondere Papier oder Karton, umfassend eine Bahnmaterialkontaktseite bereitstellende, durch Verweben von Kettfäden (103) mit Schussfäden (OS1-OS10) gebildete erste Gewebelage (101) und eine unter der ersten Gewebelage (101) liegende, durch Verweben von Kettfäden (104) mit Schussfäden (US1-US10) gebildete zweite Gewebelage (102), wobei das Verhältnis der Anzahl an Kettfäden (103) der ersten Gewebelage (101) zur Anzahl an Kettfäden (104) der zweiten Gewebelage (102) großer als 1 ist, die Kettfäden (103, OK) in der Längsrichtung des Gewebebands (100, 200) verlaufen und die Schussfäden (OS1-OS10, US1-US10, B1-B20) in der Querrichtung des Gewebebands (100, 200) verlaufen und, in Richtung des Verlaufs der Schussfäden (OS1-OS10, US1-US10) betrachtet, die Kettfäden (103) der ersten Gewebelage (101) relativ zu den Kettfäden (104) der zweiten Gewebelage (102) versetzt angeordnet sind, dadurch gekennzeichnet, dass das Verhältnis der Anzahl an Kettfäden (103) der ersten Gewebelage (101) zur Anzahl an Kettfäden (104) der zweiten Gewebelage (102) keine ganze Zahl ist".
XII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 1 entspricht dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag mit der zusätzlichen Merkmalskombination, dass das Verhältnis der Anzahl an Kettfäden der ersten Gewebelage zur Anzahl an Kettfäden der zweiten Gewebelage
"größer als oder gleich 1,5 ist, und dass die Querschnittfläche der zweiten Schussfäden (US1-US10) größer als 0,1256 mm**(2) ist"
XIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag 2 entspricht dem Anspruch 1 gemäß Hauptantrag mit der zusätzlichen Merkmalskombination, dass das Verhältnis der Anzahl an Kettfäden der ersten Gewebelage zur Anzahl an Kettfäden der zweiten Gewebelage
"gleich 1,5 ist, und dass die Querschnittfläche der zweiten Schussfäden (US1-US10) größer als 0,1256 mm**(2) ist"
XIV. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
1. Verfahrensaspekte
Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020 unter Wahrung der Verfahrensrechte beider Verfahrensbeteiligten nach Artikel 113 und 116 EPÜ.
Die Beschwerdesache ist entscheidungsreif. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs nach Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt beachtet, da beide Parteien umfangreich zur Sache vorgetragen haben und die Kammer deren schriftsätzliches Vorbringen der vorliegenden Entscheidung zugrunde gelegt hat.
Die Patentinhaberin hat ihren Antrag zur hilfsweise Durchführung einer mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
Der von der Einsprechenden hilfsweise gestellte Antrag auf mündliche Verhandlung gemäß Artikel 116 (1) EPÜ steht unter der Bedingung, dass die Kammer nicht schon ihrem Hauptantrag auf Widerruf des Streitpatents stattgibt. Somit wird der vorgenannte Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung verfahrensrechtlich nicht wirksam.
2. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung (Artikel 56 EPÜ)
2.1 Die erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 wird von der Beschwerdeführerin ausgehend von D2 bestritten.
Dokument D2 wird im Absatz [0007] des Streitpatents erwähnt, in dem angegeben wird, dass dieses Dokument die Merkmale des Oberbegriffes des Anspruchs 1 offenbart.
2.2 Es ist unstreitig, dass sich der Gegenstand des Anspruchs 1 von dem Ausführungsbeispiel der Figur 4c in D2 durch das Merkmal unterscheidet, dass:
"das Verhältnis der Anzahl an Kettfäden (103) der ersten Gewebelage (101) zur Anzahl an Kettfäden (104) der zweiten Gewebelage (102) keine ganze Zahl ist".
2.3 Die Kammer teilt die Auffassung der Beschwerdeführerin (siehe Punkt 13 bis 19 und 51 bis 54 der Beschwerdebegründung), dass, obwohl in der Begründung der Entscheidung angegeben wird, dass das obige unterscheidende Merkmal gegenüber D2 die Markierungsneigung des Gewebes "beeinflusst" (siehe Seite 12, vierter Absatz, der angefochtenen Entscheidung), die Art und Weise eines solchen Einflusses nicht weiter erläutert wird und dass jegliche Veränderung in der Anordnung der Fäden die Markierungen beeinflusst. Eine technische Wirkung für das unterscheidende Merkmal ist aus den ursprünglichen Offenbarung nicht zu entnehmen.
2.4 Die Kammer schließt sich der Einspruchsabteilung an (siehe Seite 12, vierter Absatz, der Entscheidungsgründe), dass im Rahmen des Aufgabe-Lösung-Ansatzes die objektive Aufgabe im Lichte des aufgefundenen Standes der Technik neu formuliert werden muss und dass in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen das Vermeiden von Markierungen durch eine Vergleichmäßigung der Entwässerungseigenschaften im Zusammenhang mit einer versetzen Anordnung der Kettfäden offenbart wird (siehe Seite 3, vierter Absatz, der ursprünglichen Anmeldung, WO 2008/068317 A).
2.5 Allerdings wird in den Entscheidungsgründen nicht weiter erläutert, und es ist den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen auch nicht eindeutig zu entnehmen, welche technische Wirkung sich durch das Merkmal, dass das Kettenverhältnis keine ganze Zahl ist, ergibt und in welcher Art und Weise dies die Entwässerungseigenschaften und Markierungsneigung beeinflusst.
2.6 Der Argumentation der Patentinhaberin (siehe Seite 2, letzter Absatz - Seite 3 zweiter Absatz der Beschwerdeerwiderung), das Merkmal, dass das Kettenverhältnis keine ganze Zahl ist, gewährleiste eine deutlich weniger sprunghafte Variation in der Durchlässigkeit, da eine größere Anzahl an verschiedenen von der Bahnmaterialkontaktseite zur Rückseite des Gewebebands führenden Strömungswegen erzwungen wird, mit der Folge einer geringeren Neigung zum Entstehen hydraulischer Markierungen, kann nicht gefolgt werden, dies zumindest deshalb, weil aus den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen, und insbesondere aus den von den Patentinhaberin erwähnten Figuren 1 und 2, weder die geltend gemachte technische Wirkung, noch zu entnehmen ist, dass diese auf das Unterscheidungsmerkmal zurückgeführt werden kann.
Das weitere Argument der Patentinhaberin (siehe Seite 2, zweiter Absatz, - Seite 3, dritter Absatz, des Schriftsatzes vom 8. Juli 2022), dass die geltend gemachte technische Wirkung unter Berücksichtigung des allgemeinen Fachwissens durch einen Vergleich von Figur 1 des Streitpatent mit Figur 4c von D2 für den Fachmann nachvollziehbar ist, bleibt unsubstantiiert und ohne faktische Unterstützung.
Die Argumentation der Patentinhaberin kann daher nur als eine unbewiesene Behauptung betrachtet werden und ist nicht überzeugend.
2.7 Die Kammer schließt sich deshalb der Einsprechenden an (siehe Punkt 19 und 53 der Beschwerdebegründung), dass das obige unterscheidende Merkmal des Anspruchs 1 eine willkürliche Auswahl darstellt, die die erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 gegenüber der Lehre von D2 nicht begründen kann.
2.8 Die Einsprechende hat daher die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung bezüglich der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Patents in der von der Einspruchabteilung aufrechterhaltenen Fassung überzeugend dargelegt.
3. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 (Artikel 56 EPÜ)
3.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 enthält das zusätzliche Merkmal, dass das Verhältnis der Anzahl an Kettfäden der ersten Gewebelage zur Anzahl an Kettfäden der zweiten Gewebelage
"größer als oder gleich 1,5 ist, und dass die Querschnittfläche der zweiten Schussfäden (US1-US10) größer als 0,1256 mm**(2) ist".
3.2 Die Patentinhaberin argumentiert, dass die für den Hauptantrag vorgetragenen Überlegungen auch für den Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 gelten (siehe Seite 3, vierter Absatz, des Schriftsatzes vom 8. Juli 2022). Diese Argumentation ist daher aus den für den Hauptantrag angegeben Gründen ebenfalls nicht überzeugend.
3.3 Wie in der Mitteilung der Kammer gemäß Regel 100 (2) EPÜ angegeben (siehe Punkt 10.3), können das geforderte Verhältnis für die Anzahl der Kettfäden und die geforderte untere Grenze der Querschnittfläche der zweiten Schussfäden nur als Entwurfsvorgaben angesehen werden, die keine besondere Wirkungen haben, sondern nur solche die von einem Fachmann vorhersehbar sind (siehe z.B. Absatz [0033] der Patentschrift). Dass groß dimensionierte Schussfäden zur Verschleißfestigkeit beitrügen (siehe Seite 3, vierter Absatz, des Schriftsatzes vom 8. Juli 2022), ist für einen Fachmann wohl ohne weiteres ersichtlich und kann eine erfinderische Tätigkeit nicht unterstützen.
3.4 Da die Patentinhaberin keine weiteren bzw. überzeugenden Argumente bezüglich der in der Mitteilung der Kammer gemäß Regel 100 (2) EPÜ mitgeteilten vorläufig Beurteilung vorgetragen hat, sieht die Kammer, nach erneuter Prüfung aller rechtlichen und faktischen Aspekte des Falles, keinen Grund, von dieser abzuweichen und bestätigt diese.
3.5 Die Kammer schließt sich daher der Einsprechenden an, dass die beanspruchten Bereiche nur eine willkürliche Auswahl bzw. Abgrenzung gegenüber dem Stand der Technik darstellen (siehe die Beschwerdebegründung, Punkt 74 bis 77 und Seite 6, letzter Absatz, des Schriftsatzes vom 2. Mai 2018) und ist hingegen nicht von der Argumentation der Patentinhaberin überzeugt, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 1 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe (siehe Punkt V der Beschwerdeerwiderung und Seite 3, vierter Absatz, des Schriftsatzes vom 8. Juli 2022).
4. Erfinderische Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 (Artikel 56 EPÜ)
4.1 Im Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 wurde im Vergleich zum Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 die Angabe zum Verhältnis der Anzahl an Kettfäden der ersten Gewebelage zur Anzahl an Kettfäden der zweiten Gewebelage auf den Wert 1,5 eingeschränkt.
Die zur Unterstützung einer erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 vorgebrachten Argumenten (siehe Seite 3, fünfter Absatz bis Seite 5, zweiter Absatz des Schriftsatzes vom 8. Juli 2022) sind im Wesentlichen die gleichen wie für den Hauptantrag und den Hilfsantrag 1 vorgelegt.
4.2 Dass das Verhältnis der Anzahl an Kettfäden der ersten Gewebelage zur Anzahl an Kettfäden der zweiten Gewebelage gleich 1,5 ist, statt "größer als oder gleich 1,5", bietet keine Grundlage, um zu einer positiven Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit zu gelangen. Auch wenn der Wert 1,5 als Ausführungsbeispiel in Figur 1 des Streitpatents gezeigt wird (siehe Seite 4, dritter und vierter Absatz des Schriftsatzes vom 8. Juli 2022), bedeutet dies nicht, dass dieses Merkmal eine gleichmäßigere Entwässerung und eine reduzierter Markierungsneigung bewirkt.
4.3 Die Kammer ist daher nicht von der Argumentation der Patentinhaberin überzeugt, dass die Änderungen des Anspruchs 1 des Hilfsantrags 2 zur Darlegung einer erfinderischen Tätigkeit des beanspruchten Gegenstandes führen. Die Einwände der Einsprechenden bezüglich der Zulassung ins Verfahren des Hilfsantrags 2 (siehe auch den die Seiten 6 und 7 des Schriftsatzes vom 4. August 2022 überbrückenden Absatz) brauchen folglich nicht weiter betrachtet zu werden.
5. Schlussfolgerung
Die Einsprechende hat im Ergebnis die Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung bezüglich der erfinderischen Tätigkeit des Gegenstandes des Anspruchs 1 der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung des Streitpatents dargelegt.
Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben.
Da die Patentinhaberin nicht überzeugend dargetan hat, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß den Hilfsanträgen 1 oder 2 auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, ist das Streitpatent zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.