T 0028/18 31-03-2021
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WÄLZMÜHLE
Gebr. Pfeiffer SE
Mitsubishi Power Europe GmbH
Erlöschen des Patents in allen benannten Vertragsstaaten - Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens (ja)
Einspruchsgrund - Hauptantrag - unzulässige Erweiterung (ja)
Änderungen - Hilfsantrag
Änderungen - Erweiterung über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus (ja)
I. Die Einsprechenden I und II haben gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung über die Zurückweisung der Einsprüche gegen das europäische Patent Nr. 2 411 150 form- und fristgerecht Beschwerde eingelegt.
II. Die Einsprüche richteten sich gegen das erteilte Patent im gesamten Umfang und stützten sich auf alle in Artikel 100 EPÜ angegebenen Einspruchsgründe.
Die Einsprüche wurden zurückgewiesen.
III. Die Einsprechenden I und II (Beschwerdeführerinnen I und II) beantragten jeweils die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Patentinhaberin (Beschwerdegegnerin) beantragte die Zurückweisung der Beschwerden, d.h. die Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung (Hauptantrag), oder hilfsweise bei Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Aufrechterhaltung des Patents in geändertem Umfang auf Basis von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag, eingereicht mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2014, und den Ansprüchen 2 bis 11 in der erteilten Fassung.
Die Parteien beantragten jeweils hilfsweise die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.
IV. Mit Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 vom 22. Oktober 2020 zur Vorbereitung der für den 22. April 2021 anberaumten mündlichen Verhandlung teilte die Kammer den Parteien ihre vorläufige Beurteilung der Sach-und Rechtslage mit, derzufolge die die Beschwerde der Einsprechenden II erfolgreich sein dürfte.
V. Die Patentinhaberin nahm hierzu in der Sache nicht Stellung, sondern teilte mit Schriftsatz vom 11. Dezember 2020 lediglich mit, nicht an der auch auf ihren Hilfsantrag hin anberaumten mündlichen Verhandlung teilnehmen zu wollen, da die letzten validierten nationalen Teile des Streitpatents erloschen seien.
VI. In Reaktion auf diesen Schriftsatz der Patentinhaberin beantragten beide Einsprechenden (Einsprechende I mit Schriftsatz vom 5. Februar 2021 und Einsprechende II mit Schriftsatz vom 12. Januar 2021) die Fortsetzung des Einspruchsbeschwerdeverfahrens nach Regeln 84 (1) und 100 (1) EPÜ.
VII. Der unabhängige Anspruch 1 des Patents in der erteilten Fassung gemäß Hauptantrag lautet in der Merkmalsgliederung entsprechend Punkt 2 der Gründe der angefochtenen Entscheidung:
M1: Wälzmühle
M2: mit einer um eine Mühlenachse (2) drehbaren Mahlschüssel (3),
M3: auf deren Mahlbahn (4) stationär angeordnete Mahlwalzen (5) abrollen
M4: und dabei mit ihren Mantelflächen (6) auf der Mahlbahn (4) denselben Laufkreis mit einem Innendurchmesser Dwi und einem Außendurchmesser Dwa beschreiben, und
M5: mit einem Mahlgutverteiler (7) für zu zerkleinerndes Mahlgut,
M6: welcher als eine Erhöhung im Zentrum der Mahlschüssel (3) koaxial zur Mühlenachse (2) angeordnet ist, dadurch gekennzeichnet,
M7: dass als Mahlgutverteiler (7) ein Streuteller (10)
M8: mit einer nahezu horizontal angeordneten Aufgabefläche (11) für das Mahlgut
M9: und mit einem Durchmesser DST in Höhe der Mahlbahn (4) gemäß der Beziehung 80 mm <= 1/2 (Dwi - DST) <= 400 mm ausgebildet ist.
VIII. Der unabhängige Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag unterscheidet sich von Anspruch 1 gemäß Hauptantrag dadurch, dass das folgende Merkmal angefügt ist
"bei einem Mahlschüsseldurchmesser von etwa 1,2 m bis 2,0 m oder von etwa 2,1 m bis über 6 m, ausgebildet ist."
IX. Das entscheidungserhebliche Vorbringen der Parteien wird im Detail in den Entscheidungsgründen diskutiert.
1. Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens
Gemäß der dem Europäischen Patentamt vorliegenden Information ist das europäische Patent Nr. 2 411 150 inzwischen in allen benannten Vertragsstaaten erloschen. Da sowohl Einsprechende I mit Schriftsatz vom 5. Februar 2021 als auch die Einsprechende II mit Schriftsatz vom 12. Januar 2021 die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens ausdrücklich beantragten, wird das Beschwerdeverfahren nach Regel 84 (1) EPÜ in Verbindung mit Regel 100 (1) EPÜ trotz des Erlöschens des Patents fortgesetzt.
2. Entscheidung im schriftlichen Verfahren
Die vorliegende Entscheidung ergeht im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung gemäß Artikel 12 (8) VOBK 2020 unter Wahrung der Verfahrensrechte der Verfahrensbeteiligten nach Artikel 113 und 116 EPÜ.
Der Grundsatz des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Artikel 113 (1) EPÜ ist uneingeschränkt gewahrt, da diese Vorschrift nur die Möglichkeit bietet, gehört zu werden. Durch die ausdrückliche Erklärung ihrer Absicht, an der mündlichen Verhandlung, zu der die Parteien ordnungsgemäß geladen waren, nicht teilzunehmen, gibt die Patentinhaberin diese Gelegenheit auf (siehe Rechtsprechung der Beschwerdekammern, 9. Auflage 2019, III.B.2.7.3 und V.A.4.5.3).
Da die Kammer dem Antrag der Einsprechenden auf Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Widerruf des Patents stattgibt, entfaltet deren dazu nachrangiger Hilfsantrag auf mündliche Verhandlung keine prozessuale Wirkung (Artikel 116 (1) EPÜ).
Die Beschwerdesache ist auf der Grundlage der zu überprüfenden angefochtenen Entscheidung und des wechselseitigen schriftsätzlichen Vorbringens der Parteien (Artikel 15 (3) VOBK 2020) im schriftlichen Verfahren entscheidungsreif, so dass der ursprünglich anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung aufgehoben wird.
3. Hauptantrag - Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ
3.1 Die Einsprechende II wandte sich mit ihrer Beschwerde gegen die Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass hinsichtlich des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1 der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ nicht greift.
3.2 Unter Punkt 5 ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien im Hinblick auf die Frage, ob hinsichtlich des Gegenstandes des erteilten Anspruchs 1 der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ greift, folgende vorläufige Meinung mit:
"5.1 Die Einsprechende II wendet sich gegen die Feststellung der angefochtenen Entscheidung, dass der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinausgeht und argumentiert, dass die Änderung des Merkmals M4 von ursprünglich "und dabei mit ihren Mantelflächen (6) auf der Mahlbahn (4) einen Laufkreis mit ... beschreiben" in "und dabei mit ihren Mantelflächen (6) auf der Mahlbahn (4) denselben Laufkreis mit ... beschreiben" (Hervorhebungen durch die Kammer hinzugefügt) in den ursprünglichen Anmeldungsunterlagen nicht offenbart sei.
5.2 Entsprechend Punkt 3.2 der Gründe der angefochtenen Entscheidung argumentiert die Patentinhaberin, dass durch die folgende Offenbarung
"Die auf der Mahlbahn 4 beziehungsweise einem darauf gebildeten Mahlbett (nicht dargestellt) abrollenden Mahlwalzen 5 beschreiben einen Laufkreis, welcher kreisringförmig ausgebildet ist und einen Innendurchmesser Dwi sowie einen Außendurchmesser DWa aufweist."
auf Seite 8, letzter Absatz, in Zusammenschau mit Figur 1 der ursprünglich eingereichten Anmeldungsunterlagen die Änderung von einen in denselben Laufkreis offenbart sei.
Die Patentinhaberin trägt vor, dass mit der Beschreibung zu Figur 1 auf Seite 8 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen, wonach Figur 1 eine Teildarstellung des linken Teils der Mahlschüssel und nur eine Mahlwalze zeige, der Fachmann mitlese, dass mindestens eine zweite Mahlwalze spiegelbildlich zur Mühlenachse vorhanden sei oder sogar drei oder mehrere Mahlwalzen, die "dieselbe Anordnung" wie die in Figur 1 gezeigte Mahlwalze 5 hätten. Die in Figur 1 gezeigten Abmessungen mit DST, Dwi, DWa, DMS gölten auch für die weiteren Mahlwalzen, die nicht in der Figur 1 mit dargestellt seien.
Weiterhin sei im Rahmen der Aufgabe und Vorteile auf Seite 4, letzter Absatz, der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen offenbart
"dass der Abstand der Mantelfläche des Streutellers zu den Stirnseiten der Mahlwalzen die Mahlgutverteilung außerordentlich verbessert".
Dadurch sei klar und eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass nur ein Abstand zwischen dem Innendurchmesser und der Mantelfläche des Streutellers zu den Stirnseiten der Mahlwalzen existiere.
Aus den genannten Offenbarungsstellen erhalte der Fachmann die eindeutige Information, dass der Aufbau einer Wälzmühle nach Figur 1 "gleiche" Mahlwalzen 5 betreffe, die "denselben" gleichen Abstand zwischen dem Innendurchmesser und dem Durchmesser des Streutellers hätten, und auch die Mahlwalzen 5 eine gleiche beziehungsweise identische Auslegung hätten.
5.3 Die Argumentation der Patentinhaberin überzeugt nicht. Vielmehr folgt die Kammer, entgegen der Auffassung der Einspruchsabteilung unter Punkt 3.2 der Gründe der angefochtenen Entscheidung, der Meinung der Einsprechenden II.
Der ursprünglich eingereichte Anspruch 1 gibt an, dass auf der Mahlbahn abrollende Mahlwalzen mit ihren Mantelflächen auf der Mahlbahn einen Laufkreis mit einem Innen- und einem Außendurchmesser beschreiben. Dadurch sind sowohl Ausführungsformen umfasst, bei denen die Mahlwalzen alle einen identischen und damit denselben Laufkreis beschreiben als auch solche, bei denen die auf der Mahlbahn abrollenden Mantelflächen jeweils unterschiedlich ausgebildet sind und damit jede Mahlwalze - beispielsweise indem sie mit einer zu den anderen Mahlwalzen unterschiedlichen Teilfläche ihrer Mantelfläche abrollt - einen eigenen Laufkreis auf der Mahlbahn beschreibt, alle Mahlwalzen zusammen gemeinsam jedoch einen Laufkreis ausbilden bzw. beschreiben.
Die in der angefochtenen Entscheidung zitierte Offenbarung im letzten Absatz auf Seite 8 der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen enthält keine Angabe, mit der die vorstehend erwähnten Möglichkeiten auf spezielle Ausführungsformen beschränkt oder präzisiert werden. Hingegen ist dort lediglich angegeben, dass die auf der Mahlbahn abrollenden Mahlwalzen einen kreisringförmigen Laufkreis beschreiben. Auch diese Formulierung umfasst sowohl die Ausgestaltung, dass alle Mahlwalzen identisch denselben Laufkreis beschreiben als auch die Ausgestaltung, wonach Mahlwalzen mit unterschiedlichen Wälzkreisen gemeinsam insgesamt einen resultierenden Laufkreis beschreiben.
Daher umfassen sowohl der ursprüngliche Anspruch 1 als auch die ursprünglich eingereichte Beschreibung auf Seite 8, letzter Absatz, die erwähnten verschiedenen Ausführungsformen, wobei sich allerdings keine explizite Offenbarung dahingehend ergibt, dass sich die Erfindung auf eine solche Ausführungsform beschränkt, bei welcher die abrollenden Mahlwalzen mit ihren Mantelflächen auf der Mahlbahn denselben Laufkreis beschreiben.
Figur 1 zeigt eine Teildarstellung einer Mahlbahn mit einer darauf abrollenden Mahlwalze. Dabei ist die Ausgestaltung und Breite der Mantelfläche der anderen Mahlwalzen der Wälzmühle in Figur 1 nicht gezeigt. Somit ist auch aus einer Zusammenschau der ursprünglichen Beschreibung mit Figur 1 das Merkmal M4 von Anspruch 1 nicht ursprungsoffenbart.
Auch aus der von der Patentinhaberin auf Seite 4, letzter Absatz, der ursprünglichen Anmeldungsunterlagen angegebenen Offenbarungsstellen geht nicht unmittelbar und eindeutig hervor, welche der möglichen Ausführungsformen hinsichtlich der Beschreibung eines Laufkreises durch die abrollenden Mahlwalzen gemeint ist, und dass alle Mahlwalzen denselben Laufkreis beschreiben.
Hierbei ist der Einsprechenden II zuzustimmen, dass insbesondere wenn die Bedeutung des Begriffs "derselbe" in Betracht gezogen wird, wonach "derselbe" bedeutet, dass es immer dieser eine Laufkreis ist, keine Offenbarung gegeben ist.
Entgegen der angefochtenen Entscheidung scheint somit der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegenzustehen."
3.3 Die Patentinhaberin hat die unter Punkt 3.2 oben genannte vorläufige Meinung der Kammer weder in Frage gestellt noch kommentiert, siehe Punkt V oben.
3.4 Die Kammer sieht - nach nochmaliger Bewertung der Rechts- und Sachlage - keinen Grund, von ihrer oben genannten vorläufigen Meinung abzurücken.
Der Einspruchsgrund nach Artikel 100 c) EPÜ steht daher der Aufrechterhaltung des Patents in der erteilten Fassung entgegen und der Hauptantrag ist nicht gewährbar.
4. Hilfsantrag - Änderungen - Artikel 123 (2) EPÜ
4.1 Unter Punkt 6 ihrer Mitteilung gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 teilte die Kammer den Parteien hinsichtlich des Gegenstandes von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag folgende vorläufige Meinung mit:
"Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag umfasst ebenfalls das hinzugefügte Merkmal "denselben Laufkreis", so dass der Gegenstand dieses Anspruchs entsprechend den oben genannten Gründen über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinauszugehen und die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ nicht zu erfüllen scheint."
4.2 Die Patentinhaberin hat die unter Punkt 4.1 oben genannte vorläufige Meinung der Kammer weder in Frage gestellt noch kommentiert, siehe Punkt V oben.
4.3 Die Kammer sieht - nach nochmaliger Bewertung der Rechts- und Sachlage - keinen Grund, von ihrer oben genannten vorläufigen Meinung abzurücken.
Der Gegenstand von Anspruch 1 gemäß Hilfsantrag geht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, so dass die Erfordernisse von Artikel 123 (2) EPÜ nicht erfüllt sind. Der Hilfsantrag ist daher nicht gewährbar.
5. Im Ergebnis liegt kein formal zulässiger Antrag der Patentinhaberin vor.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.