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T 2466/18 08-11-2021
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Staubsaugerfilterbeutel
Erfinderische Tätigkeit - Fachmann
Antrag auf schriftliche Fortsetzung - nicht gewährbar
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, den Einspruch gegen das Streitpatent zurückzuweisen.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass der Gegenstand der erteilten Ansprüche auf erfinderischer Tätigkeit beruht.
II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 hat die Kammer die vorläufige Auffassung vertreten, der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag sei neu und beruhe unter Berücksichtigung der bislang von der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) zur erteilten Fassung vorgetragenen Argumenten auf erfinderischer Tätigkeit.
III. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand in Anwesenheit aller Parteien statt.
IV. Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Aufrechterhaltung des Patents im Umfange des Hauptantrages, hilfsweise der Hilfsanträge 1 oder 2, sämtlich eingereicht mit der Erwiderung zur Beschwerdebegründung vom 19. Februar 2019, bzw. des Hilfsantrages 3, eingereicht mit Schreiben vom 6. Oktober 2021. Weiter hilfsweise beantragt sie während der mündlichen Verhandlung die schriftliche Fortsetzung des Verfahrens.
V. Der unabhängige Anspruch des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Staubsaugerfilterbeutel (101; 201) mit einer Beutelwand (104), wobei die Beutelwand (104) wenigstens eine biologisch abbaubare Vliesstofflage umfasst, wobei der biologisch abbaubare Vliesstoff ein Extrusionsvliesstoff ist, dadurch gekennzeichnet, dass die wenigstens eine biologisch abbaubare Vliesstofflage Polylactid, PLA, umfasst und elektrostatisch aufgeladen ist."
Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 unterscheidet sich von dem des Hauptantrags dadurch, dass sein kennzeichnender Teil lautet:
"dass [deleted: die wenigstens eine] der biologisch abbaubare Vliesstoff[deleted: lage] aus Polylactid, PLA, [deleted: umfasst] besteht und elektrostatisch aufgeladen ist."
Der unabhängige Anspruch des Hilfsantrags 2 enthält gegenüber dem des Hilfsantrags 2 folgendes zusätzliche Merkmal am Ende seines kennzeichnenden Teils:
"wobei der biologisch abbaubare Vliesstoff eine Höchstzugkraft in Maschinenrichtung von mehr als 40 N, insbesondere von mehr als 60 N, und/oder in Querrichtung von mehr als 30 N, insbesondere mehr als 50 N, aufweist."
Der unabhängige Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 unterscheidet sich von dem des Hilfsantrags 2 dadurch, dass folgendes Merkmal in seinem kennzeichnenden Teil gestrichen ist:
"[deleted: und elektrostatisch aufgeladen ist]".
In der vorliegenden Entscheidung wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D2: WO 2007/124522 A1
D13: "Vliesstoffe", Hrsg. Wilhelm Albrecht u.a.,WILEY-VCH Verlag, 2000
D15: EP 2 301 403.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin (Einsprechenden) lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Aus der D2 ist bereits ein Staubsaugerfilterbeutel mit PLA Extrusionsvliesstofflage bekannt. Elektrostatische Aufladung ist instabil und stellt kein dauerhaftes Unterscheidungskriterium dar. Im übrigen bezieht die Patentschrift selbst in Absatz [0046] bekannte Verfahren zur elektrostatischen Aufladung mit ein, die keine erfinderische Tätigkeit begründen können.
Jede Staubsaugerbeutelwand muss eine gewisse Mindestzugfestigkeit erreichen, dies geht auch aus D2 für eine Extrusionsvliesstofflage hervor.
Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin-Patentinhaberin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
D2 offenbart eine Extrusionsvliesstofflage aus Lyocell, nicht aus PLA. Die beiden Unterschiedsmerkmale lösen in Kombination die Aufgabe, einen umweltfreundlichen und zugleich verbesserten Staubsaugerbeutel bereitzustellen, da PLA sowohl biologisch abbaubar, als auch im Gegensatz zu Lyocell elektrostatisch aufladbar ist.
Aus den Merkmalen der Zugfestigkeit geht hervor, dass die PLA Vliesstofflage die tragende Hauptlage des beanspruchten Staubsaugerbeutels ist, nicht nur eine zusätzliche Vlieslage wie in D2.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Das Patent und sein technischer Hintergrund
Das Patent will Staubsaugerbeutel bereitstellen, deren Beutelwand einen biologisch abbaubaren Extrusionsvliesstoff umfasst. Ein Vliesstoff (nonwoven web) ist gegenüber einem Vlies (web), seinem Vorprodukt, durch einen Vliesbindeschritt verfestigt worden, siehe auch die entsprechenden Definitionen in Absatz [0018] der Patentschrift. Extrudiert werden Vliese für gewöhnlich aus Polymergranulaten bzw. Polymerschmelzen, die dann z.B. als Meltblown-Vliese oder Spinnvliese (spunlaid) vorliegen, Absatz [0019] der Patentschrift.
Die beanspruchte biologisch abbaubare Vliesstofflage umfasst Polylactid, PLA,und ist elektrostatisch aufgeladen. Polylactid ist ein sog. stärkebasiertes Polymer, das aus der Fermentierung von Zucker und Stärke mithilfe von Milchsäuren gewonnen wird. Elektrostatische Aufladung ist ein an sich bekanntes Verfahren zur Verbesserung der Filtereigenschaften von konventionellen, nicht biologisch abbaubaren Kunststoffen.
3. Dokument D2
3.1 D2 befasst sich mit einem "nonwoven melt-blown product", insbesondere einem Filterprodukt, das einen in einem Schmelzblas-Verfahren ausgehend von einer Zellulose-Lösung hergestellten und somit biologisch abbaubaren Extrusionsvliestoff aufweist (siehe Titel, Zusammenfassung).
Das Filterprodukt kann ein Staubsaugerfilterbeutel sein (Seite 7, dritter Absatz).
3.2 Vor seiner Umwandlung in ein Filterprodukt in einem Herstellungsschritt (d) wird ein extrudiertes sog. "Lyocell"-Vliesprodukt bevorzugt bereits in Vliesform (web) abgelegt (Schritt (e)) und dann zu einem Vliesstoff wasserstrahlverfestigt (Schritt (f), Seite 3, fünfter Absatz - Seite 4, dritter Absatz, drittletzter Absatz - Seite 5, erster Absatz). Als alternative Verfestigungsmethoden für ein Lyocell Vlies (web) werden chemische Verfestigung, thermische Verfestigung und Vernadelung vorgeschlagen (Seite 5, dritter Absatz). In D2 wird ein Lyocell-Vliesstoff ("nonwoven web") vereinfacht und generisch auch als Vlies ("web") bezeichnet (Seite 1, fünfter Absatz).
3.3 Bei der Verarbeitung zu einem Filterprodukt (Schritt (d)) wird ein Lyocell-Vliesprodukt, bevorzugt eine durch die Schritte (a) bis (c), (e) und (f) erhaltene Lyocell-Extrusionsvliesstofflage, mit weiteren Lagen (layers) aus unterschiedlichen Materialien in verschiedenster Form versehen. Diese können dem Filterprodukt zusätzliche Eigenschaften wie Hitzebeständigkeit, veränderte mechanische Eigenschaften oder großes Volumen verleihen. Als biologisch abbaubares Material wird eine Lage aus Polylactidsäure, auch PLA genannt, in Form von "films, fibres or webs" vorgeschlagen (Seite 5, vierter und fünfter Absatz).
3.4 Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin geht für die Kammer aus der Bezeichnung "web" als Ausführungsform der PLA Lage auf Seite 5, 5. Absatz, nicht unmittelbar und eindeutig hervor, dass damit eine Vliesstofflage und nicht eine Vlieslage gemeint ist. Der Begriff "web" bezeichnet normalerweise Vlies, siehe oben, auch wenn an anderer Stelle, Seite 1, 5. Absatz, D2 dies in Bezug auf Lyocell nicht konsequent zu handhaben scheint. Die Kammer schließt hieraus, dass aus D2 nicht unmittelbar und eindeutig hervorgeht, dass die PLA Lage als Vliesstofflage ausgebildet ist.
Zudem geht aus D2 nicht hervor, dass die PLA Lage durch Extrusion hergestellt ist.
3.5 Die Beschwerdegegnerin sieht auch die PLA Lage an sich als nicht unmittelbar eindeutig in D2 offenbart an, da sie dort aus einer Vielzahl von in dem selben Absatz aufgezählten Lagen ausgewählt werden müsste.
Das kann im Ergebnis dahingestellt bleiben, denn ein Fachmann würde zur Bereitstellung eines umweltfreundlichen Staubsaugerfilterbeutels, wie in Absatz [0008] der Patentschrift verlangt, jedenfalls die PLA Lage auswählen, der als einziger der Lagen explizit die Materialeigenschaft "biologisch abbaubar" zugeschrieben wird.
3.6 Zusammenfassend offenbart D2 also einen Staubsaugerfilterbeutel nach dem Oberbegriff des Anspruchs 1 mit einer biologisch abbaubaren Lyocell-Extrusionsvliesstofflage und einer Lage aus PLA. Dass es sich bei letzterer auch um eine Extrusionsvliesstofflage ("non-woven web") handelt, kann entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin nicht unmittelbar und eindeutig der D2 entnommen werden.
4. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
4.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 unterscheidet sich somit von dem in D2 offenbarten Staubsaugerfilterbeutel dadurch, dass eine biologisch abbaubare PLA Lage der Beutelwand als Extrusionsvliesstofflage ausgebildet und elektrostatisch aufgeladen ist.
4.2 Da der Filterbeutel nach D2 mit zweilagiger Beutelwand aus Lyocell und PLA bereits biologisch abbaubar, mithin umweltfreundlich ist, ist dieser Teil der in Absatz [0008] der Patentschrift definierten Aufgabe bereits gelöst. Der weitere Aspekt einer Verbesserung dieses Filterbeutels ist sehr breit und wird nachfolgend konkretisiert.
4.2.1 Das Patent schreibt der elektrostatischen Aufladung der Lage keine besondere Wirkung zu. Es ist aber unstrittig bekannt, dass dadurch die Abscheideleistung eines Filtermaterials verbessert wird. Dass diese Wirkung besonders bei Extrusionsvliesstoff auftritt, ist weder aus der Patentschrift ableitbar, noch anderweitig belegt worden, noch für die Kammer plausibel. Eine andere Wechselwirkung zwischen den beiden Unterschiedsmerkmalen vermag die Kammer nicht zu erkennen. Daher betrachtet die Kammer die beiden Merkmale gesondert bei der Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit. Dabei löst die elektrostatische Aufladung die Teilaufgabe, die Filtereigenschaften zu verbessern.
4.2.2 Die Beschwerdegegnerin äußert in ihrer Beschwerdeerwiderung lediglich pauschal, die Verwendung eines Extrusionsvliesstoffes mit PLA hätte sich "als besonders vorteilhaft in Bezug auf die Anforderungen an einen Staubsaugerfilterbeutel erwiesen" (Seite 4, letzter Absatz). Aus der Darstellung des technischen Hintergrunds in Absatz [0018] der Patentschrift geht hervor, dass ein Vlies aus lockeren, noch ungebundenen Filamenten durch die Verfestigung zu einem Vliesstoff selbsttragend ausgebildet wird. Daraus schließt die Kammer, dass eine Vliesstofflage im Vergleich zu einer Vlieslage grundsätzlich zu einer höheren Steifigkeit oder Festigkeit einer Beutelwand beitragen könnte. Die Teilaufgabe für dieses Merkmal ist dementsprechend, die Stabilität der Filterbeutelwand zu verbessern.
4.3 PLA Lage als Extrusionsvliesstofflage ausgebildet
4.3.1 Dass Vliesstofflagen gegenüber Vlieslagen eine höhere Festigkeit haben, ist an sich bekannt: dazu wird eben aus einem Vlies als Vorprodukt Vliesstoff als Endprodukt gebildet, wie auch aus Absatz [0018] der Patentschrift hervorgeht. Im Anbetracht dieser Tatsache liegt es für den Fachmann bereits auf der Hand, die PLA Lage der D2 als Vliesstofflage auszuführen. Dies um so mehr, da es ihm aus seinem Fachwissen (siehe das in Absatz [0018] der Patentschrift zitierte Fachbuch D13, Abschnitt 4.2, Seite 189 oben) bereits bekannt ist, PLA als Vliesstoff auszubilden. Abschnitt 4.2 der D13 lehrt auch, dass Extrusion für Vliese aus Kunststoff bzw. Polymeren ein fachübliches Herstellungsverfahren mit ständig wachsendem Marktanteil ist. In D2 wird bereits das Lyocell Vlies in einem Extrusionsverfahren hergestellt (Seite 1, dritter Absatz). Deshalb wäre es für den Fachmann naheliegend, auch ein Vlies aus PLA als Polymer durch Extrusion herzustellen. Als Fachmann sieht die Kammer im übrigen einen Ingenieur und/oder Materialwisssenschaftler mit besonderen Kenntnissen in der Luftfiltertechnik an.
4.3.2 Nach Ansicht der Beschwerdegegnerin empfiehlt D13 PLA Vliesstoffe im dritten Absatz auf Seite 189 lediglich für Agraranwendungen, weswegen der Fachmann nicht durch D13 angeregt wäre, sie auch in Staubsaugerbeuteln einzusetzen.
Zunächst offenbart bereits D2 diesen Einsatz oder regt ihn zumindest an, siehe oben.
Sodann versteht die Kammer die Aussage von D13 so, dass zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung im Jahr 2000 bereits ein Spinnvliesstoff auf der Basis von PLA angeboten wurde, "z.B. für Agraranwendungen", obwohl die Herstellung damals noch relativ teuer war. Sobald die Herstellungskosten gesunken sein werden, wovon neun Jahre später im Prioritätsjahr des Patents auszugehen ist, werden vor allem Polylactid-Produkten (PLA) auf Grund ihrer Verarbeitungseigenschaften allgemein Chancen als Ersatz für synthetische Hochpolymere wie PET oder PP eingeräumt. Mit anderen Worten empfiehlt D13 also, vorrangig PLA Vliesstoffe in Betracht zu ziehen, wenn auch in anderen Einsatzgebieten konventionelle Hochpolymer-Vliesstoffe "künftig" durch biologisch abbaubare ersetzt werden sollen.
4.3.3 Die Beschwerdegegnerin trug in der mündlichen Verhandlung weiterhin vor, eine Vlieslage erfülle aufgrund ihrer Flauschigkeit die Funktion einer Ablagerungs- und Speicherschicht, wozu eine festere Vliesstofflage nicht dienen könne. Deshalb halte die Lehre der D2 den Fachmann eher davon ab, die dort offenbarte PLA Vlieslage als Vliesstofflage auszuführen.
Die Kammer ist nicht überzeugt von einer solchen inhärenten Funktion der PLA Vlieslage in D2. Denn erstens ist nichts über die Dicke dieser Lage bekannt, zweitens wird in dem fünften Absatz auf Seite 5 der D2 als großvolumiges, zu Speicherzwecken geeignetes Material nicht PLA, sondern anderes "high bulk material" wie Polyacrylnitril vorgeschlagen.
4.4 Elektrostatische Aufladung
4.4.1 Dieses Merkmal wurde aus der Beschreibung in Anspruch 1 des jetzigen Hauptantrags aufgenommen, um die Neuheit gegenüber dem erst mit der Beschwerde als Stand der Technik nach Artikel 54(3) EPÜ eingereichten Dokument D15 herzustellen. Dem Fachmann ist elektrostatische Aufladung von Staubsaugerbeuteln aber als Maßnahme zur Erhöhung der Abscheideleistung bereits bekannt, wie auch von der Beschwerdegegnerin in der mündlichen Verhandlung bestätigt. Aus der Patentschrift, Absätze [0038] - [0040], geht zum Beispiel hervor, dass ihm mehrere Verfahren bekannt sind, um Beutellagen aus Vlies oder Vliesstoff elektrostatisch aufzuladen, z.B. ein Koronarverfahren oder ein in US 5 401 446 offenbartes Verfahren. Im übrigen versteht die Kammer unter elektrostatischer Aufladung die dem Fachmann bekannte, gezielte und längerfristig bestehende elektrostatische Aufladung.
4.4.2 Das eben dargelegte fachmännische Verständnis und Wissen führt aber nicht nur zu einer sinnvoll eingeschränkten und ausführbaren Lesart des Anspruchsgegenstandes, sondern auch zu dessen Offensichtlichkeit. Denn der Fachmann wird eine elektrostatische Aufladung einer Beutelwandlage als Teil seines fachüblichen "Instrumentariums" immer dann in Betracht ziehen, wenn eine Verbesserung der Filtereigenschaften eines Staubsaugerbeutels erwünscht ist, und als hierzu geeignete Maßnahme ansehen, wenn das Material der Beutelwand eine elektrostatische Aufladung zulässt. Beides ist vorliegend offensichtlich der Fall.
4.5 Nach der Beschwerdegegnerin vereine eine PLA Extrusionsvliesstofflage in sich aber in nicht naheliegend aus dem Stand der Technik herleitbarer Weise die Vorteile von Umweltfreundlichkeit und Verbesserungspotential durch elektrostatische Aufladung. Es möge vielleicht offensichtlich sein, zum Zwecke der Umweltfreundlichkeit ein biologisch abbaubares, aber nicht elektrostatisch aufladbares Material wie Lyocell zu wählen, und zum Zwecke der Verbesserung ein elektrostatisch aufladbares, aber nicht biologisch abbaubares Material wie synthetischen Kunststoff. Das beanspruchte Vorsehen einer PLA Extrusionsvliesstofflage in einem Staubsaugerfilterbeutel beruhe aber auf erfinderischer Tätigkeit, weil sie sowohl biologisch abbaubar, als auch elektrostatisch aufgeladen sei.
Zum einen bemerkt die Kammer, dass auch bei dieser Argumentation das Merkmal "Extrusionsvliesstofflage" keine Rolle zu spielen scheint.
Zum anderen ist eine PLA Lage mit den beiden inhärenten Eigenschaften biologisch abbaubar (aus D2 und D13) und elektrostatisch aufladbar (als Kunststoff, aus Fachwissen) für einen Staubsaugerbeutel ja aus D2 bekannt. Dass der letzte Schritt der tatsächlichen Ausschöpfung dieses Potentials durch elektrostatische Aufladung weder in D2, noch in D13 angesprochen wird, kann vor dem Hintergrund des Fachwissens um dieses Potential keine erfinderische Tätigkeit begründen - ähnlich wie bei der Realisierung der notorischen Möglichkeit der Verfestigung eines Vlieses zu einem Vliesstoff.
4.6 Weil es somit naheliegend für den Fachmann ist, die aus D2 bekannte PLA Lage eines Staubsaugerbeutels als Extrusionsvliesstoff auszubilden sowie elektrostatisch aufzuladen, beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht auf erfinderischer Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
5. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit
Die Zusatzlage des Staubsaugerfilterbeutels aus D2 besteht wie beansprucht aus PLA ("webs from polylactic acid", Seite 5, fünfter Absatz).
Da D2 also auch das entsprechende, gegenüber dem Hauptantrag modifizierte Merkmal des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1 offenbart, beruht dessen Gegenstand aus den oben angegebenen Gründen ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.
6. Hilfsantrag 2 - Erfinderische Tätigkeit
6.1 Anspruch 1 enthält eine Untergrenze für eine mindestens zu erreichende Höchstzugkraft des Vliesstoffes in wenigstens einer Richtung, Maschinenrichtung (> 40N) oder Querrichtung (> 30N).
6.2 Die Beschwerdegegnerin argumentiert, die Angabe dieser Höchstzugkraft impliziere, dass es sich bei der beanspruchten PLA Extrusionsvliesstofflage um eine Haupt- oder Trägerlage einer Beutelwand handele. Diese Rolle nehme in D2 eindeutig die Lyocell Extrusionsvliesstofflage ein, weswegen auch nur für diese Zugkraftwerte angegeben seien. Die PLA Lage sei in D2 hingegen lediglich eine optionale zusätzliche Lage, die zudem als unverfestigtes Vlies gar nicht zur Zugfestigkeit einer Beutelwand beitragen könne.
6.3 Die Kammer kann dieser Argumentationslinie nicht folgen, wenn sie bereits deren Prämisse nicht teilt.
Die Angabe eines Mindestwerts für die Höchstzugkraft bewirkt allein keine Einschränkung der beanspruchten PLA Extrusionsvliesstofflage auf eine wie auch immer geartete Haupt- oder Trägerlage. Das Patent stützt eine derartige Einschränkung auch nicht. Entweder ist die PLA Filterlage dort eine von mehreren "gleichberechtigten" Filterlagen, zu denen gleichartige PLA Lagen und andere Filterlagen gehören können, Absätze [0014] - [0016], oder aber die einzige Filterlage der Beutelwand, Absätze [0022], [0023]. Im ersten Fall wird keine Unterscheidung getroffen zwischen Haupt- und Nebenlagen. Nur im zweiten Fall können neben der einzigen Filterlage als Hauptlage noch weitere, nicht filteraktive "Nebenlagen" vorhanden sein, wie insbesondere Stütz- und Verstärkungslagen, z.B. ein Netz "zur Verbesserung der Stabilität". Der Anspruch ist aber nicht auf eine einzige Filterlage beschränkt, sondern auf bestimmte Höchstzugkräfte, die die PLA Extrusionsvliesstofflage unabhängig vom Vorhandensein weiterer Lagen aufweisen soll.
6.4 Die Kammer geht davon aus, dass eine Höchstzugkraft zu den für eine Beutelwand üblicherweise vorgegebenen Spezifikationen zählt. Da im Patent (Anspruch 2) wie in D2 die Beutelwand nur genau eine Extrusionsvliesstofflage aufweisen kann, muss die für eine solche Einzellage angegebene Höchstzugkraft bzw. Mindestzugfestigkeit auf jeden Fall auch mit einer mehrlagigen Beutelwand erreicht werden.
D2 nennt auf Seite 2, dritter Absatz einen Zugkraftbereich von 5 bis 300 N, bevorzugt von 10 bis 120 N für die Lyocell Extrusionsvliesstofflage. Also soll auch eine zweilagige Beutelwand aus einer Lyocell Lage und einer PLA Lage eine Zugfestigkeit in diesen Bereichen erreichen.
Wie ein Fachmann nun vorgegebene, höhere Zugfestigkeitswerte realisiert, ob durch die Lyocell Lage allein oder durch naheliegende Ausbildung der PLA Lage als stabilere Extrusionsvliesstofflage (siehe oben Punkt 4.3), also als Stütz- und Verstärkungslage für die Lyocell Lage mit entsprechend hohen eigenen Höchstzugkraftwerten, fällt in den Bereich üblicher fachmännische Produktauslegung. Dabei ist eine zusätzliche Verstärkung mit einer entsprechend eigenstabilen PLA Extrusionsvliesstofflage umso naheliegender, je höher die zu erreichenden Zugfestigkeitswerte für die Beutelwand sind.
Zwar werden die Werte in D2 mittels eines anderen Verfahrens (WSP 110.4(05) als im Patent (DIN EN 29073-2: 1992-08, Absatz [0052]) bestimmt, so dass sie nicht unmittelbar miteinander vergleichbar scheinen. Angesichts der in D2 angegebenen Größenordnung der oberen Grenzwerte von 100 bis 300 N, kommt eine Höchstzugkraft einer stützenden PLA Extrusionsvliesstofflage im beanspruchten Bereich von größer als 40 bzw. 30 N jedoch durchaus in Betracht, selbst wenn sie auf andere Weise gemessen wird.
6.5 Da somit die beanspruchte Mindest-Höchstzugkraft einer PLA Extrusionsvliesstofflage bei der Beutelwand nach D2 in den Rahmen fachüblicher Auslegung fällt, beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
7. Hilfsantrag 3 - Erfinderische Tätigkeit
In Anspruch 1 des Hilfsantrags 3 ist gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags 2 lediglich das Merkmal der elektrostatischen Aufladung gestrichen.
Deshalb folgt aus den oben unter Punkt 6 für den Hilfsantrag 2 angegebene Gründen mutatis mutandis, dass auch der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht, Artikel 56 EPÜ.
8. Hilfsantrag 4 - Fortsetzung des Verfahrens in schriftlicher Form
8.1 Mit ihrem vierten Hilfsantrag bezwecken die Vertreter der Beschwerdegegnerin gemäß ihren Einlassungen während der mündlichen Verhandlung, nach Konsultation der Patentinhaberin gegebenenfalls einen weiteren Hilfsantrag auf Aufrechterhaltung des Patents in eingeschränktem Umfang im schriftlichen Verfahren einzureichen. Dessen Zulassung zum Verfahren könne dann ebenfalls erst im schriftlichen Verfahren geprüft werden.
Nach Ansicht der Kammer müssten aber die Voraussetzungen für die Zulassung eines solchen weiteren Hilfsantrags nach Artikel 13(1), (2) VOBK bereits gegeben und überprüfbar sein. Eine Patentinhaberin, die die spätere Einreichung eines Hilfsantrags ankündigt und dafür um eine Schriftsatzfrist bittet, kann nicht besser gestellt werden als eine Patentinhaberin, die einen Hilfsantrag gegen Ende der mündlichen Verhandlung tatsächlich einreicht.
8.2 Die Beschwerdegegnerin erklärt hierzu, sie sei von der Änderung der ursprünglichen positiven Meinung der Kammer zur erfinderischen Tätigkeit in der mündlichen Verhandlung überrascht worden. Weder die Beschwerdeführerin, noch die Kammer hätten zuvor Gründe für das Naheliegen eines PLA Extrusionsvliesstoffes, elektrostatischer Aufladung und der beanspruchten Höchstzugkräfte benannt. Insbesondere die Beschwerdeführerin habe PLA Vliesstoff schlichtweg gleichgesetzt mit dem in D2 offenbarten PLA Vlies, elektrostatische Aufladung als unvermeidliches Ergebnis jedes Herstellungsprozesses eines PLA Vliesstoffs dargestellt und in D2 für die Lyocell Lage offenbarte Zugfestigkeits-Werte einfach für die PLA Lage übernommen. Die Kammer hätte dann erst in der mündlichen Verhandlung eigene Gründe für mangelnde erfinderische Tätigkeit trotz des Bestehens dieser von der Beschwerdeführerin in Abrede gestellten Unterschiede entwickelt. Obwohl sie diese Gründe akzeptiere, sehe sich die Beschwerdegegnerin durch den Verlauf der mündlichen Verhandlung überrascht und benachteiligt an. Sie hätte weder davon ausgehen können, dass Haupt- und Hilfsanträge abgelehnt werden, noch hätte sie vor der mündlichen Verhandlung einen vierten Hilfsantrag vorbereiten können, der den ihr damals noch unbekannten Gründen Rechnung getragen hätte. Dazu seien die Vertreter der Beschwerdegegnerin auch am Ende der mündlichen Verhandlung ohne Rücksprache mit der Patentinhaberin nicht in der Lage. Der Grundsatz der prozeduralen Fairness gebiete es deshalb, der Beschwerdegegnerin diese Möglichkeit im schriftlichen Verfahren einzuräumen.
8.3 Die Kammer merkt an, dass das Verhalten beider Parteien, insbesondere die Nachreichung der D15 im Beschwerdeverfahren, die Änderung des Hauptantrags, die verzögerte Reaktion auf die neuen Haupt- und Hilfsanträge, im vorliegenden Fall dazu beigetragen hat, dass viele Argumente zur erfinderischen Tätigkeit erst nach Erhalt der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK und vor allem während der mündlichen Verhandlung erstmals ausgetauscht wurden. Zum Beispiel hatte keine Partei zu den Vorteilen oder technischen Wirkungen einer Vliesstoff-Filterlage gegenüber einer Vlies-Filterlage schriftlich Stellung genommen.
Dessen ungeachtet ist in der mündlichen Verhandlung lediglich ein von der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung sowie in ihrem Schreiben vom 11. Mai 2021 für Haupt- und Hilfsanträge 1, 2 vorgebrachter Widerrufsgrund diskutiert worden, nämlich erfinderische Tätigkeit ausgehend von D2 unter Berücksichtigung des Fachwissens, wie u.a. in D13 und der Patentschrift dargestellt. Neue Argumentationslinien oder gar neue Fragen im Sinne von Artikel 13(1), vierter Satz VOBK wurden weder von der Beschwerdeführerin, noch von der Kammer in der mündlichen Verhandlung aufgeworfen.
Die Kammer kann hierin keinen ungewöhnlichen Verfahrensverlauf erkennen. Auch eine Änderung einer vorläufigen Meinung zugunsten einer und zuungunsten einer anderen Partei ist kein außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Artikel 13(2) VOBK, der eine Änderung des Vorbringens durch Einreichung eines neuen Anspruchssatzes als weiteren Hilfsantrag gegen Ende der mündlichen Verhandlung gerechtfertigt hätte.
8.4 Ob die Kammer einen solchen weiteren Hilfsantrag zum Verfahren zugelassen hätte, kann letztendlich dahingestellt bleiben, denn die Beschwerdegegnerin hat stattdessen hilfsweise die Rückkehr in das schriftliche Verfahren beantragt.
Die dafür angegebenen Gründe liegen überwiegend in der Sphäre der Beschwerdegegnerin selbst. Für den nun eingetretenen Fall der Ablehnung des zweiten (und dritten) Hilfsantrags sei nicht vorab geklärt worden, ob und in welcher Form eine weitere explizite Einschränkung in Richtung Haupt-, Träger- oder einzige Filterlage erfolgen könne, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Doppelpatentierungsproblematik. Desgleichen müsse noch eruiert werden, ob und wenn ja, welche andere(n) Rückzugspositionen von Interesse für die Patentinhaberin wären.
Derartige "parteiinternen und verfahrensexternen" Gründe können nicht die durch eine Rückkehr ins schriftliche Verfahren verursachte erhebliche Verfahrensverzögerung rechtfertigen. Denn dies stünde im Widerspruch zu den höherrangigen Grundsätzen der Verfahrensökonomie und der durch eine möglichst zeitnahe Entscheidung herzustellenden Rechtssicherheit, an der nicht nur die Beschwerdeführerin, sondern auch die Öffentlichkeit ein berechtigtes Interesse hat.
8.5 Aus den vorstehenden Erwägungen hat die Kammer den als Hilfsantrag 4 gestellten Antrag der Beschwerdegegnerin auf Fortsetzung des Beschwerdeverfahrens in schriftlicher Form zurückgewiesen.
9. Schlussfolgerung
Unter Berücksichtigung der im Haupt- und in den Hilfsanträgen 1 bis 3 vorgenommenen Änderungen genügen das Patent und die Erfindung, die es zum Gegenstand hat, im Lichte des angezogenen Stands der Technik nicht dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit, Artikel 56 EPÜ.
Nach Zurückweisung des vierten Hilfsantrags auf Fortsetzung des Verfahrens in schriftlicher Form führt dies zum Widerruf des Patents, Artikel 101(3)b), 111(1) EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.