T 0091/19 02-03-2023
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Verfahren zum Herstellen von Zahnersatzteilen, Verfahren zum Erstellen eines Datensatzes und computerlesbares Medium
Dentsply IH AB
Renishaw plc
BEGO Bremer Goldschlägerei Wilh.-Herbst GmbH & Co KG
I. Die Patentinhaberin (Beschwerdeführerin) legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Streitpatent zu widerrufen.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass das Streitpatent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
III. Es fand eine mündliche Verhandlung vor der Kammer statt.
Da die Beschwerdegegnerin 2 (Einsprechende 3) trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung erschien, wurde das Verfahren gemäß Regel 115 (2) EPÜ ohne sie fortgesetzt. Gemäß Artikel 15 (3) VOBK 2020 wurde sie so behandelt, als stützte sie sich ausschließlich auf ihr schriftliches Vorbringen.
IV. Die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) beantragte
- die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs, also die Aufrechterhaltung des Streitpatents in der erteilten Fassung (Hauptantrag),
- hilfsweise die Aufrechterhaltung gemäß einem der Hilfsanträge I bis VI, eingereicht mit der Beschwerdebegründung, sowie
- die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung, sofern über Artikel 100 a) und c) EPÜ zu entscheiden sein wird.
Die Beschwerdegegnerinnen beantragten die Zurückweisung der Beschwerde und die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung, sofern über Artikel 100 a) und c) EPÜ zu entscheiden sein wird.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt (Merkmalsgliederung in eckigen Klammern hinzugefügt):
[1] Verfahren zum Erstellen eines Datensatzes, der für ein Rapid-Prototyping-Verfahren zum Herstellen eines Zahnersatzteils (29) verwendet werden kann,
[1.1] bei dem aus einem Ausgangsdatensatz (15) ein Enddatensatz erhalten wird,
[1.2] so dass in wenigstens einem Bereich eines mit dem Enddatensatz hergestellten Zahnersatzteils ein Materialüberschuss (18) vorhanden ist im Vergleich zu einem mit dem Ausgangsdatensatz hergestellten Zahnersatzteil,
[1.3] wobei mehrere Ausgangsdatensätze von verschiedenen Zahnersatzteilen zu Enddatensätzen verändert werden,
[1.4] und die mehreren Enddatensätze zu einem Produktionsdatensatz zusammengefasst werden,
[1.5] bei dem Verbinder wie etwa Stege (28), ein oder mehrere Rahmen (27) oder ein oder mehrere Gerüste vorgesehen werden, die die verschiedenen Zahnersatzteile (29) miteinander verbinden und
[1.6] wobei eine Referenzierung (32) ausgebildet wird, mit der die Position der Zahnersatzteile (29) für ein abtragendes Verfahren bestimmbar ist und
[1.7] wobei aus dem Datensatz, mit dem das Rapid-Prototyping-Verfahren durchgeführt wird, eine geometrische Beziehung zwischen den Zahnersatzteilen (29) und der Referenzierung (32) bekannt ist.
Anspruch 8 des Hauptantrags betrifft ein
[8] Computerlesbares Medium mit Instruktionen, die in einen Computer geladen ein Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 7 ausführen.
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Das Streitpatent offenbare die Erfindung so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin, soweit für die Entscheidung relevant, lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Das Streitpatent offenbare die Erfindung nicht so deutlich und vollständig, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
1. Anspruch 1 - Ausführbarkeit
1.1 Die in Anspruch 1 beanspruchte Erfindung betrifft ein Verfahren zum Erstellen eines Datensatzes, der dazu verwendet werden kann, in einem Rapid-Prototyping-Verfahren Zahnersatzteile herzustellen (Merkmal [1]).
1.2 Ein Datensatz nach Anspruch 1 kann dergestalt sein, dass in mehreren Tabellen oder Matrizen angegeben wird, bei welchen X- und Y-Positionen und in welchen Z-Ebenen in dem Rapid-Prototyping-Verfahren Material aufgebracht werden soll, wie im Folgenden für eine Z-Ebene beispielhaft dargestellt:
FORMEL/TABELLE/GRAPHIK
1.3 Der besagte Datensatz wird gemäß dem beanspruchten Verfahren im Wesentlichen wie folgt erstellt:
a) Zunächst wird ein Ausgangsdatensatz, der ein Zahnersatzteil (Z) beschreibt, zu einem Enddatensatz verändert, bei dem in bestimmten Bereichen ein Materialüberschuss (O) vorhanden ist (Merkmale [1.1] und [1.2]).
b) Dieser Vorgang wird für mehrere Zahnersatzteile wiederholt (Merkmal [1.3]).
c) Die mehreren Enddatensätze werden zu einem Produktionsdatensatz zusammengefasst (Merkmal [1.4]).
d) Bei dem Produktionsdatensatz werden Stege (S), Rahmen (R), etc. ergänzt, die die mehreren Zahnersatzteile verbinden (Merkmal [1.5]).
e) Bei dem Produktionsdatensatz wird noch eine Referenzierung (M), also eine Art Markierung, ergänzt (Merkmal [1.6]). Die Position der Referenzierung in Bezug auf die Zahnersatzteile ist bekannt, sodass die Referenzierung in einem späteren abtragenden Verfahren dafür verwendet werden kann, die Position der Zahnersatzteile zu bestimmen (Merkmale [1.6] und [1.7]).
1.4 Der Fachmann, der für die Beurteilung der Ausführbarkeit der in Anspruch 1 beanspruchten Erfindung heranzuziehen ist, ist unstreitig ein Zahntechniker.
1.5 Die Beschwerdegegnerinnen machten sinngemäß geltend, ein Zahntechniker sei nicht in der Lage, die im Anspruch vorgesehenen Programmierungen der einzelnen Datensätze vorzunehmen, da ihm die Programmierkenntnisse fehlten.
Tatsächlich benötigt der Fachmann aber für die nach Anspruch 1 durchzuführende Bearbeitung der Daten keinerlei Programmierkenntnisse. Es genügt, dass er die Daten in den entsprechenden Tabellen oder Matrizen mittels eines Texteditors anspruchsgemäß ändern oder ergänzen kann. Zur Bedienung eines Texteditors war der Fachmann im Jahr 2007, also zum Zeitrang des Streitpatents, aufgrund seines allgemeinen Fachwissens in der Lage. Darüber hinaus war zu diesem Zeitpunkt nach Überzeugung der Kammer auch die Verwendung von grafischen Benutzeroberflächen, wie beispielsweise ein CAD-Programm, üblich, sodass es dem Fachmann aufgrund seines allgemeinen Fachwissens ebenso gut möglich war, die Daten hierüber zu bearbeiten.
1.6 Die Beschwerdegegnerinnen beanstandeten, die Beschreibung des Streitpatents, und dabei insbesondere Absatz [0051], enthalte bezüglich der Referenzierung nur Informationen zum letztendlichen (physischen) Produkt des Rapid-Prototyping-Verfahrens, nicht aber zur anspruchsgemäßen Ausbildung derselben im Datensatz. Das Streitpatent enthalte auch kein Ausführungsbeispiel für das Verfahren gemäß Anspruch 1. Der Fachmann wisse daher nicht, wie er die Referenzierung in den Datensatz eingeben könne.
Wie oben festgestellt, erhält der Fachmann bereits aus dem Anspruch selbst und seinem allgemeinen Fachwissen ausreichend Informationen, wie die Daten zu bearbeiten sind. Dabei unterscheidet sich das Hinzufügen der anspruchsgemäßen Referenzierung zum Produktionsdatensatz nicht vom Hinzufügen der Stege und Rahmen zum Produktionsdatensatz. Der Fachmann muss lediglich über den Texteditor oder die grafische Benutzeroberfläche eingeben, an welchen X- und Y-Positionen und in welchen Z-Ebenen sich die Referenzierung befinden soll, wo also beim Rapid-Prototyping-Verfahren Material aufgebracht (oder weggelassen) werden soll.
Daher ist es für die Frage der Ausführbarkeit auch unschädlich, dass die Beschreibung des Streitpatents kein Ausführungsbeispiel enthält, das die anspruchsgemäße Bearbeitung der Daten zusätzlich erläutert.
1.7 Die Beschwerdegegnerinnen argumentierten ferner, der Fachmann wisse nicht, wann er die Referenzierung in den Datensatz eingeben soll.
Der genaue Zeitpunkt, wann die Referenzierung in den Datensatz eingegeben wird, spielt für die Ausführbarkeit der beanspruchten Erfindung keine Rolle. Entscheidend ist lediglich, dass im finalen Datensatz, der für das Rapid-Prototyping-Verfahren verwendet wird, die Referenzierung enthalten ist.
1.8 Die Beschwerdegegnerinnen beanstandeten auch, der Fachmann wisse nicht, in welchen Datensatz er die Referenzierung eintragen müsse. Es sei insbesondere nicht klar, ob der Produktionsdatensatz die Herstellungsdaten enthalte.
Dies ist ein Klarheitseinwand, der die Ausführbarkeit der vorliegenden Erfindung nicht berührt. Im Übrigen ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des Anspruchs selbst, dass die Referenzierung letztlich in dem Datensatz enthalten sein muss, der für das Rapid-Prototyping-Verfahren verwendet wird. Nicht anderes ergibt sich aus den Absätzen [0048] und [0050], die von den Beschwerdegegnerinnen in Bezug genommen wurden.
1.9 Die Beschwerdegegnerinnen machten noch geltend, der Fachmann könne mit der Referenzierung nicht die dreidimensionale Position der Zahnersatzteile ermitteln.
Dies ist jedoch für die Beurteilung der Ausführbarkeit nicht relevant, da vom Anspruch nicht gefordert wird, dass die relative Position der Zahnersatzteile zur Referenzierung in drei Dimensionen ermittelt werden kann. Im Übrigen könnte der Fachmann ohne erfinderisches Zutun die Referenzierung derart ausgestalten, dass die geometrische Beziehung zwischen den Zahnersatzteilen und der Referenzierung im dreidimensionalen Raum ermittelt werden kann, denn beim Einfügen der Referenzierung in den Datensatz ist nicht nur bekannt, an welchen X- und Y-Positionen sie sich befindet, sondern auch in welchen Z-Ebenen.
1.10 Die Beschwerdegegnerinnen beanstandeten auch, die in Figur 4 des Streitpatents gezeigte Referenzierung 32 sei lediglich ein Loch. Daher seien viele verschiedene Orientierungen möglich, in denen eine Fräsmaschine für ein anschließendes abtragendes Verfahren gemäß den Ansprüchen 5 bis 7 angebracht werden kann.
Auch dieser Einwand geht über den anspruchsgemäß geschuldeten Erfolg hinaus, wonach mit der Referenzierung lediglich die Position der Zahnersatzteile für das abtragende Verfahren bestimmbar bzw. die geometrische Beziehung zwischen den Zahnersatzteilen und der Referenzierung bekannt sein muss. Auch die Ansprüche 5 bis 7 fordern diesbezüglich nichts darüber hinausgehendes, sondern bestimmen nur, dass die so hergestellten Zahnersatzteile anschließend mit einem abtragenden Verfahren bearbeitet werden. Die Ansprüche fordern insbesondere nicht, dass die in diesem anschließenden Verfahren verwendeten Gerätschaften nur in einer einzigen Orientierung angebracht werden können. Im Übrigen wurde von den Beschwerdegegnerinnen nicht dargelegt, dass es die Routinefähigkeiten des Fachmanns übersteigen würde, die Referenzierung so auszugestalten, dass nur eine einzige Orientierung für die Fräsmaschine möglich ist.
1.11 Die Beschwerdegegnerinnen argumentierten noch, der Anspruch 1 sei so formuliert, dass ein Computerprogramm die beanspruchten Änderungen und Ergänzungen an den Daten vornimmt. Jedenfalls sei Anspruch 1 so breit, dass er eine solche automatisierte bzw. computerimplementierte Manipulation der Daten umfasst. Ein Zahntechniker könne aber ein entsprechendes Computerprogramm nicht programmieren, sodass der Anspruch zumindest nicht über die gesamte Breite ausführbar sei.
In der Tat umfasst Anspruch 1 prinzipiell auch eine automatisierte oder computerimplementierte Manipulation der Daten durch ein Computerprogramm. Er ist jedoch nicht hierauf beschränkt, sondern umfasst ebenso die Manipulation der Daten durch einen (menschlichen) Bediener.
Für die Frage der Ausführbarkeit des in Anspruch 1 beanspruchten Verfahrens genügt es, dass dem Fachmann ein Weg zur Verfügung steht, den anspruchsgemäß geschuldeten Erfolg zu erzielen, also einen Datensatz zu erhalten, der dazu verwendet werden kann, in einem Rapid-Prototyping-Verfahren Zahnersatzteile herzustellen. Die Darlegung eines Weges reicht dabei insbesondere für die Ausführbarkeit der Erfindung über die gesamte Breite des Anspruchs aus, da es sich im vorliegenden Fall nicht um eine Erfindung handelt, die einen Bereich oder (chemische) Zusammensetzungen umfasst, sondern vielmehr um eine Erfindung, die auf ein weit gefasstes Konzept gerichtet ist, das in Form allgemeiner struktureller oder funktioneller Merkmale einer Vorrichtung oder eines Verfahrens ausgedrückt wird (siehe auch T 500/20, Punkt 3.6 der Entscheidungsgründe). Ein solcher Weg liegt jedenfalls darin, wie oben festgestellt, dass ein Bediener die Daten mittels eines Texteditors oder einer grafischen Benutzeroberfläche bearbeiten kann.
1.12 Die in Anspruch 1 beanspruchte Erfindung ist daher so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
2. Anspruch 8 - Ausführbarkeit
2.1 Die Erfindung gemäß Anspruch 8 ist auf ein computerlesbares Medium gerichtet, das Instruktionen enthält, die in einen Computer geladen ein Verfahren nach einem der Ansprüche 1 bis 7 ausführen. Bei diesen Instruktionen handelt sich also im Wesentlichen um ein Computerprogramm.
2.2 Der zugrunde zu legende Fachmann ist folglich ein Programmierer.
2.3 Die Beschwerdegegnerinnen machten geltend, das Streitpatent enthalte keine Hinweise, wie ein entsprechendes Computerprogramm programmiert werden kann.
Die Beschwerdegegnerinnen haben jedoch nicht dargelegt, inwiefern es die Fähigkeiten eines Programmierers im Lichte seines allgemeinen Fachwissens übersteigen würde, ein Programm zu entwerfen, das eine Manipulation von Daten gemäß Anspruch 1 automatisch vornimmt.
2.4 Auch die in Anspruch 8 beanspruchte Erfindung ist daher so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann.
3. Im Ergebnis steht damit der Einspruchsgrund des Artikels 100 b) EPÜ der Aufrechterhaltung des Streitpatents nicht entgegen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.