T 0198/19 17-01-2022
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Windenergieanlagenrotorblatt mit variierender Blattiefe
I. Die Beschwerden der Einsprechenden und der Patentinhaberin richten sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der Fassung des Hilfsantrags 3 die Erfordernisse des EPÜ erfüllt.
In dieser hatte die Einspruchsabteilung u.a. festgestellt, dass
- der Gegenstand des unabhängigen Anspruchs gemäß Hauptantrag (wie erteilt) und Hilfsantrag 1 sowie des zweiten unabhängigen Anspruchs gemäß Hilfsantrag 2 nicht neu sei,
- der Gegenstand des ersten unabhängigen Anspruchs gemäß Hilfsantrag 2, der dem einzigen unabhängigen Anspruch des Hilfsantrags 3 entspricht, neu sei und auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
II. In einer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 stimmte die Kammer mit der Einspruchsabteilung darin überein, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag nicht neu sei. Zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsanträgen 1 - 3 hat sie die vorläufige Auffassung geäußert, dass er nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruhe.
III. Eine mündliche Verhandlung fand am 17. Januar 2022 in Form einer Videokonferenz unter Beteiligung beider Parteien statt.
IV. Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin beantragt
- die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs, d.h. Aufrechterhaltung des Europäischen Patents wie erteilt,
- hilfsweise die Aufrechterhaltung des Europäischen Patents im Umfang eines der Hilfsanträge 1 oder 2, gestellt mit der Beschwerdebegründung vom 9. April 2019 und auf früheren Anträgen vom 28 Juni 2018 und 5 September 2018 beruhend,
- sowie die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden als Hilfsantrag 3.
Die Beschwerdeführerin-Einsprechende beantragt die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und den Widerruf des Patents im vollen Umfang.
V. Der unabhängige Anspruch 1 des Hauptantrags hat folgenden Wortlaut:
"Windenergieanlagenrotorblatt (10) mit einer Blattwurzel (12), einer Blattspitze (14) und einer über die Länge des Rotorblatts variierenden Blatttiefe, die an einer Längsposition (16) zwischen der Blattwurzel (12) und der Blattspitze (14) eine maximale Blatttiefe (18) erreicht, dadurch gekennzeichnet, dass die Blatttiefe in einem äußeren Längsabschnitt (22), der sich über eine Länge von 20 % oder mehr der Blattlänge (20) erstreckt, im Bereich von 20 % bis 30 % der maximalen Blatttiefe (18) liegt und die relative Blattdicke im Bereich des äußeren Längsabschnitts (22) variiert und am blattwurzelseitigen Ende des äußeren Längsabschnitts (22) größer ist als am blattspitzenseitigen Ende des äußeren Längsabschnitts."
Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 hat gegenüber Anspruch 1 des Hauptantrags folgende zusätzliche Merkmale:
"wobei das Windenergieanlagenrotorblatt (10) an der Blattwurzel (12) einen kreisförmigen Querschnitt aufweist, der mit zunehmendem Abstand von der Blattwurzel (12) in ein aerodynamisches Profil übergeht,".
Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 hat gegenüber Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 folgende zusätzliche Merkmale:
"dass die Blatttiefe in einem inneren Längsabschnitt (26) des Rotorblatts (10), der sich über 20% oder mehr der Blattlänge (20) erstreckt, größer ist als 88% der maximalen Blatttiefe (18)."
VI. Nachfolgend wird auf folgende Dokumente Bezug genommen:
D1: EP 1 152 148 A1
D4: "Wind Energy Explained", Manwell et al., Jon Wiley & Sons Ltd., März 2008
D8: WO 2008/122545 A1.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin-Pateninhaberin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Da sich aus den Angaben und Darstellungen der D1 keine exakten Werte der relativen Blattlänge und der Blatttiefe in den beanspruchten Bereichen entnehmen ließen, sei der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) neu gegenüber der Offenbarung der D1. Diese Merkmale sollen zum Ausdruck bringen, dass das Blattende schlanker als bei üblicher Bauweise sei. Dieses Idee sei nicht vom Stand der Technik nahegelegt. In D1 sei auch nicht implizit eine zylindrische Blattwurzel, das zusätzliche Merkmal des Anspruchs 1 nach Hilfsantrag 1, offenbart.
Eine Kombination des Rotorblatts 1a der D1 mit der Lehre der D8 sei nicht naheliegend und führe jedenfalls nicht unmittelbar zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsanträgen 2 und 3.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin-Einsprechenden lässt sich wie folgt zusammenfassen:
Der Gegenstand des erteilten Anspruchs 1 (Hauptantrag) sei nicht neu gegenüber der Offenbarung der D1 oder beruhe ausgehend von diesem Dokument zumindest nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit.
Letzteres gelte auch für den Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 1, dessen zusätzliche Merkmale ebenfalls aus D1 bekannt seien.
Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 2 und des von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Hilfsantrags 3 beruhe ausgehend von D1 in Kombination mit D8 nicht auf erfinderischer Tätigkeit.
1. Die Beschwerden sind zulässig.
2. Das Patent und sein technischer Hintergrund
Das Patent befasst sich mit Rotorblättern, insbesondere mit den bei deren Gestaltung zu berücksichtigenden, oft gegensätzlichen Anforderungen von aerodynamischer Leistung und struktureller Stabilität, zwischen denen ein besserer Kompromiss gefunden werden soll, Absatz [0006].
Der Grundgedanke besteht darin, das blattspitzenseitige Ende aerodynamisch möglichst optimal zu gestalten, also relativ konstant schmal, dafür das blattwurzelseitige Ende zu verbreitern, siehe Fig. 1 der Patentschrift im Vergleich zum konventionellen Rotorblatt in Fig. 2 und die jeweils entsprechenden Kurven 34 und 32 in Fig. 3 (Absatz [0032]) sowie die aerodynamisch optimale Blatttiefe (chord) in Fig. 3.22 der D4. Dadurch ergibt sich auch eine günstige Massenverteilung im Hinblick auf mechanische Belastungen, Absatz [0011].
Entsprechend wird im erteilten Anspruch 1 zunächst ein äußerer Längsabschnitt mit relativ geringer und konstanter Blatttiefe und abnehmender relativer Blattdicke (absolute Dicke zu Tiefe) definiert, der sich über mindestens 20% der gesamten Blattlänge erstrecken soll. In Anspruch 1 der Hilfsanträge 2 und 3 wird dann ein innerer Längsabschnitt mit relativ großer Blatttiefe ergänzt, der sich ebenfalls über mindestens 20% der gesamten Blattlänge erstrecken soll.
3. Hauptantrag - Neuheit gegenüber D1
3.1 D1 offenbart in den Fig. 16 und 17 Verläufe von Blatttiefe (chord) bzw. Blattdicke (thickness) verschiedener Rotorblätter 1a, 1b, 2a, 2b, 3a und 3b von Windenergieanlagen. Am in den Figuren links gezeigten Beginn der Verläufe erkennt der Fachmann, ein auf Rotorblattdesign spezialisierter Ingenieur, jeweils eine Blattwurzel mit zunächst konstanter Blatttiefe und -dicke. Zwischen den Blattwurzeln und den jeweils am rechten Ende der Verläufe bei einem Radius von etwa 38,5 m gelegenen Blattspitzen erreicht die über die Länge der Rotorblätter variierende Blatttiefe einen maximalen Wert (zwischen 5 und 10 m des Blattradius in Fig. 16).
Beim Rotorblatt 1a beträgt dieser maximale Wert etwa 5 m, so dass 20% bis 30% der maximalen Blatttiefe etwa 1 m bis 1,5 m entsprechen. Ein durch diesen Blatttiefenbereich festgelegter äußerer Längsabschnitt erstreckt sich in Fig. 16 nach konservativer Schätzung der Kammer ungefähr zwischen einem Radius von 29 m und 36 m, also über mindestens 7 m. Bezüglich der Gesamtlänge von ca. 38,5 m ergibt dies einen Anteil von etwa 18% für den äußeren Längsabschnitt.
Obwohl dies zwar im Bereich des beanspruchten 20-prozentigen Mindestanteils liegt, kann dieser Mindestanteil von 20% der Blattlänge nicht als eindeutig und unmittelbar in D1 offenbarter prozentualer Wert angesehen werden.
3.2 Die Schätzung der Kammer ist wohl mit einer gewissen Unsicherheit behaftet, wie auch die von ihr abweichenden Messungen der Beschwerdeführerinnen in Fig. 16 zeigen. Beide messen jeweils unterschiedliche Längen des äußeren Längsabschnitts, die 19,2% bzw. 23,4% der Blattlänge entsprechen (siehe Annex 2 der Beschwerdeerwiderung der Einsprechenden und Seite 16 unten der Beschwerdebegründung der Patentinhaberin).
Dies bestätigt zum einen die Ansicht der Kammer, dass der Fig. 16 für das Profil 1a nicht unmittelbar und eindeutig ein Wert von mindestens 20% der Blattlänge entnommen werden kann, da unterschiedliche Messmethoden offensichtlich zu unterschiedlichen Ergebnissen führen.
Zum anderen gehen solche mithilfe von Vergrößerungen, zusätzlichen Skalierungen und digitalen Auswertungsprogrammen gewonnene Erkenntnisse über den ursprünglichen Offenbarungsgehalt der D1 hinaus, indem sie ihn willkürlich verfeinern. Denn ohne sie ist es nicht möglich, unmittelbar und eindeutig Werte mit Zehntel-Genauigkeit aus Fig. 16 abzulesen. Selbst für einen fachkundigen Betrachter sind Zahlenwerte nur relativ grob und mit verhältnismäßig großer Ablesetoleranz in Fig. 16 abzuschätzen, die in Originalgröße, -maßstab, -skalierung und -strichstärke einen eher grobgerasterten Verlauf der Blatttiefe des Rotorblatts 1a über dessen Radius zeigt.
Allerdings ist die Kammer andererseits auch nicht vom Argument der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin überzeugt, Fig. 16 zeige einen so realitätsfernen, Abknickungen aufweisenden Profilverlauf 1a, dass ein Fachmann ihn rein qualitativ betrachten, und sich gar nicht auf abgelesene Werte verlassen würde. Ungenauigkeiten wie vermeintliche Knicke im Verlauf sind eben auch der groben Rasterung geschuldet, die jedoch ansonsten durchaus grobe Anhaltswerte für den Fachmann liefern kann.
3.3 In Fig. 17 der D1 ist sogar in rein qualitativer Hinsicht gezeigt, dass die absolute Blattdicke des Rotorblatts 1a im Bereich des äußeren Längsabschnitts, der sich ungefähr zwischen 29 m und 36 m Blattradius erstreckt, variiert, nämlich annähernd linear abnimmt. Dies gilt nach Fig. 16 auch für die Blatttiefe in diesem Bereich. Da die jeweiligen Gradienten des annähernd linearen Abfalls jedoch kaum zuverlässig abzuschätzen sind, lässt sich aus einer Zusammenschau der Fig. 16 und 17 allein nicht unmittelbar und eindeutig schließen, dass die relative Blattdicke als Verhältnis zwischen Blattdicke und Blatttiefe (Absatz [0015] der Patentschrift) in diesem Bereich ebenfalls wie beansprucht variiert.
3.4 Dafür sind in Fig. 3 der D1 exakte Werte für die relative Blattdicke t/c für bestimmte Rotorblattsegmente angegeben, denen im Fall eines gesamten Rotorblatts sog. "Stationen" 1 - 4 entlang des relativen Blattradius entsprechen (siehe Absätze [0031], [0048]). Dabei liegt das blattwurzelseitige Ende des äußeren Längsabschnitts bei ca. 29 m Blattradius, also rund 75% des gesamten Blattradius von 38,5 m, bei der Station 3, und dessen blattspitzenseitiges Ende bei ca. 36 m Blattradius, also rund 94% des gesamten Blattradius, bei der Station 4. An der Station 3 beträgt die relative Blattdicke für das Rotorblatt 1a ausweislich der Tabelle der Fig. 3 16%, an der Station 4 nur noch 14%.
Aus den annähernd linearen Verläufen der Blatttiefe und der absoluten Blattdicke im Bereich des äußeren Längsabschnitts in Fig. 16 und 17 ergibt sich, dass auch die relative Blattdicke als deren Quotient zwischen den Stationen 3 und 4 annähernd kontinuierlich von 16% auf 14% fällt.
D.h., selbst wenn die Stationen 3 und 4 nicht exakt mit den Enden des äußeren Längsabschnitts zusammenfielen, wie die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin einwendet, sondern jeweils geringfügig außerhalb oder innerhalb dieser beiden Enden lägen, variiert nichtsdestotrotz die relative Blattdicke in diesem Längsabschnitt und ist insbesondere wie beansprucht an dessen blattwurzelseitigem Ende größer als an dessen blattspitzenseitigem Ende.
3.5 Der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hauptantrag ist demnach neu im Sinne von Artikel 54(1), (2) EPÜ gegenüber dem Rotorblatt 1a der D1, für dessen anspruchgemäß definierten äußeren Längsabschnitt nicht unmittelbar und eindeutig eine Mindestlänge von 20% der Blattlänge offenbart ist.
4. Hauptantrag - Erfinderische Tätigkeit
4.1 Bei der Umsetzung des Rotorblatts 1a der D1 in die Praxis muss der Fachmann ausgehend von Fig. 16 eine bestimmte Länge des äußeren Längsabschnitts festlegen. Es geht aber nicht darum, von einer eindeutig offenbarten Länge abzuweichen und diese aus bestimmten Gründen zu verändern, sondern bei der Verwirklichung des Rotorblatts 1a aus den groben Vorgaben der Fig. 16 eine geeignete Länge zu bestimmen. Im Hinblick auf die oben genannten unterschiedlichen Messergebnisse wird dem Fachmann eine Länge von um die 20% der gesamten Blattlänge als geeignet erscheinen. Dabei wird der Fachmann im Zuge "routinemäßiger Variation", wie die Beschwerdeführerin-Einsprechende es bezeichnet, Werte in einer Spanne um den geschätzten Wert von etwa 20% ohne weiteres in Erwägung ziehen. Somit sind Werte knapp unterhalb der 20%-Marke genauso naheliegend wie Werte knapp oberhalb dieser Grenze. Denn bei Überschreiten der 20%-Marke tritt nicht unmittelbar eine technische Wirkung ein, die bei deren Unterschreiten nicht vorhanden gewesen wäre.
Zumindest hat die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin keine solche technische Wirkung geltend gemacht. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf die in Absatz [0011] erwähnten geringeren, durch Böen hervorgerufenen mechanischen Belastungen im Fall von schmaleren Rotorblattabschnitten im äußeren Blattbereich. Die geringere Blatttiefe in diesem Bereich sei erfindungsgemäß wiederum durch die abnehmende relative Blattdicke ermöglicht, also eine im Verhältnis zur Blatttiefe weniger stark abnehmende absolute Blattdicke, die die nötige strukturelle Stabilität des schmaleren Rotorblattschnitts gewährleiste.
D1 offenbart aber bereits genau solche Verläufe von Blatttiefe und Blattdicke in einem äußeren Längsabschnitt des Rotorblatts 1a, das somit ebenfalls geringer durch Böen belastet wird als ein konventionelles Rotorblatt, unabhängig davon, ob die Länge des Abschnitts etwas unter oder über 20% der Blattlänge liegt.
4.2 Das Argument der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin, der Fachmann ließe die zahlenmäßigen Angaben der Fig. 16 und 17 außer Acht und sei allein aufgrund der qualitativen Verläufe sowie der exakten Werte für die relative Blattdicke in Fig. 3 in der Lage, das Rotorblatt 1a in die Praxis umzusetzen, setzt ein sehr umfangreiches "Vorwissen, wie man Rotorblätter auslegt und konstruiert" voraus.
Die Kammer ist zumindest überzeugt, dass der Fachmann grundlegende Prinzipien der Rotorblattauslegung kennt und routinemäßig beachtet, so insbesondere aerodynamische Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung von struktureller Stabilität zu optimieren (siehe Absätze [0002], [0007] der D1 und auch [0006] der Patentschrift) und dynamische Lasten durch radial äußere umlaufende Massen möglichst gering zu halten. Beide Kriterien lassen den Fachmann danach streben, den äußeren Längsabschnitt mit relativ geringer Blatttiefe und -dicke in Richtung 20% der gesamten Blattlänge und möglichst darüber hinaus auszudehnen, und so, wie bereits durch D1 angeregt, einem aerodynamisch optimalen Referenz-Profil (baseline) in den Fig. 16 und 17 möglichst nahe zu kommen, siehe Absätze [0048], [0059].
4.3 Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin argumentiert, eine Verringerung des Volumens eines Rotorblatts durch eine ausgedehnten flachen und dünnen Außenbereich führe wegen der dadurch nötigen strukturellen Verstärkung in paradoxer Weise zu größeren umlaufenden Massen. Deshalb würde der Fachmann zu deren Verminderung eher den gegenteiligen Weg einschlagen und ausgehend von D1 den äußeren Längsabschnitt nicht auch noch möglichst ausdehnen.
Die Kammer ist von einer solchen zwangsläufigen "paradoxen" Wirkung nicht überzeugt. Dem Fachmann ist geläufig, dass er größere Stabilität und Steifigkeit nicht allein durch mehr Masse, sondern auch durch steife, leichte Werkstoffe wie Karbonfasern erzielen kann. Auch in Absatz [0012] der Patentschrift wird darüber hinaus bestätigt, dass eine geringere Blatttiefe in einem äußeren Längsabschnitt nicht automatisch mit erhöhter Blattmasse einhergeht, sondern im Gegenteil zu deren Verringerung führen kann, weil aufgrund kleinerer Beulfelder Kernmaterial eingespart werden kann.
4.4 Da der Fachmann somit ausgehend vom Rotorblatt 1a der D1 durch routinemäßiges Vorgehen bei dessen Realisierung ohne weiteres den Gegenstand von Anspruch 1 erhalten würde, beruht dieser nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
5. Hilfsantrag 1 - Erfinderische Tätigkeit
5.1 Anspruch 1 enthält zusätzliche, die Blattwurzel einschränkende Merkmale. Diese hatte die Kammer in Abschnitt 4.1 ihrer Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK aus folgenden Gründen als für das Rotorblatt 1a der D1 offenbart angesehen:
"Da gemäß Fig. 16 und 17 der D1 sowohl Blatttiefe, als auch Blattdicke an der Blattwurzel über eine Länge von ca. 3 m denselben konstanten Wert von ca. 2 m haben, scheint ein Fachmann vernünftigerweise nur von einem üblichen kreisförmigen Querschnitt des Rotorblatts an der Blattwurzel ausgehen zu können, der in diesem Fall einen Durchmesser von 2 m hat. Dies scheint ferner durch die Erwähnung eines zylindrischen "hub" in den Absätzen [0031] und [0048] Bestätigung zu finden, was in Zusammenhang mit einem einzelnen Rotorblatt wohl die Form der Blattwurzelaufnahme in der Nabe bzw. die korrespondierende Form der Blattwurzel beschreiben soll. Insbesondere wird in Absatz [0060] ein "hub diameter" von 2 m offenbart, was den den Fig. 16 und 17 entnehmbaren Durchmessern entspricht.
Ein Übergang der Blattwurzel in ein aerodynamisches Profil mit zunehmendem Abstand von ca. 4 m bis zu einem insgesamten Radius von etwa 7 m geht ebenfalls aus den Fig. 16 und 17 für das Rotorblatt 1a hervor."
5.2 Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin hat zu dieser vorläufigen Ansicht der Kammer weder schriftlich, noch während der mündlichen Verhandlung Stellung genommen, in der sie lediglich auf ihr früheres diesbezügliches Vorbringen verwies. Daher sieht die Kammer keine Veranlassung, von ihrer oben wiedergegebnen vorläufigen Ansicht abzuweichen.
5.3 Da das Rotorblatt 1a aus D1 somit auch die zusätzlichen Merkmale des Anspruchs1 gemäß Hilfsantrag 1 aufweist, beruht dessen Gegenstand aus den oben unter Punkt 4. für den Hauptantrag angegebenen Gründen ebenfalls nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
6. Hilfsanträge 2 und 3 - Erfinderische Tätigkeit
6.1 Anspruch 1 beider Hilfsanträge 2 und 3 ist identisch und enthält zusätzliche Merkmale, die einen inneren Längsabschnitt von mindestens 20% Blattlänge des Rotorblatts in ähnlicher Weise wie den äußeren Längsabschnitt über einen dort vorliegenden Blatttiefenbereich definiert, nämlich über 88% der maximalen Blatttiefe.
Ein solcher innerer Längsabschnitt ist beim Rotorblatt 1a der D1 aufgrund dessen relativ tiefer und spitzer Schulter (siehe Fig. 16) eher kurz und erreicht nicht die beanspruchte Länge von mindestens 20% der gesamten Blattlänge.
6.2 Dieser Schulterverlauf wird in D1 selbst wegen der hohen damit verbundenen Herstellungskosten als nachteilig angesehen (Absatz [0059]), obwohl tiefe Schultern bekanntlich an sich insoweit vorteilhaft sind, als dass sie eine höhere Energieaufnahme des Rotorblatts erlauben. D1 lehrt, dass es in diesem Zusammenhang eine ökonomisch sinnvolle Option sein kann, die Herstellungskosten durch ein Abschneiden und dadurch Abflachen ("truncating") der Schulterspitze ("inboard chord length") zu senken. Da es sich in diesem Fall empfiehlt, auch das aerodynamische Profil an seiner Hinterkante abzuschneiden und abzuflachen ("truncating the airfoil"), müssen dafür aber nicht unerhebliche Ertragseinbußen aufgrund der verminderten Leistungsfähigkeit solcher Rotorblätter "Tc22Ta" in Kauf genommen werden, siehe Absatz [0060] und Fig. 20.
Vor diesem Hintergrund besteht die zu lösende Aufgabe darin, "einen besseren Kompromiss zwischen den im Betrieb auftretenden mechanischen Belastungen und der aus dem Wind aufgenommenen Leistung" (Absatz [0006] der Patentschrift) für das Rotorblatt 1a der D1 zu finden, insbesondere für dessen Schulterbereich.
6.3 In D8 soll der Blatttiefenverlauf hinsichtlich des Verhältnisses von Energieausbeute und mechanischen Belastungen optimiert, also die Aufgabe gelöst werden, siehe Seite 3, Zeilen 29-33. Ein zentraler Aspekt der in D8 vorgeschlagenen Lösung ist die Abkehr von konventionellen spitzen Rotorblattschultern, wie sie auch das Rotorblatt 1a der D1 aufweist, Seite 4, Zeilen 22-28 und Seite 5, Zeilen 2-9. Durch eine Abflachung der Schulter wird zunächst die strukturelle Schwäche einer spitzen Schulterform vermieden, Seite 7, Zeilen 2-5. Dieser Weg wird im Prinzip auch in D1 beschritten, um die daraus resultierenden hohen Herstellungskosten zu vermeiden, denn "auf das Rotorblatt wirkende Lasten sind der hauptsächliche Kostentreiber", wie D8 bestätigt (Seite 8, Zeile 13). Im Gegensatz zu D1 schlägt D8 zu diesem Zweck aber nicht vor, die maximale Blatttiefe an der Schulter abzuschneiden ("truncating" in D1), sondern beizubehalten und in radialer Richtung des Rotorblatts zu verlängern ("broadening", "increased maximum chord interval (7)" in D8, Seite 8, Zeile 10).
6.4 Für das konkrete Beispiel der Fig. 6 wird in D8 ein innerer Längsabschnitt des Rotorblatts angegeben, in dem die Blatttiefe größer als 95% der maximalen Blatttiefe ist, und der sich über 20% der gesamten Blattlänge erstreckt, Seite 7, Zeile 34 - Seite 8, Zeile 1.
Die zur Lösung der Aufgabe naheliegende Übertragung dieser Prozentangaben auf das Rotorblatt 1a der D1 führt zum Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsanträgen 2 und 3.
6.5 Nach Ansicht der Beschwerdeführerin-Patentinhaberin verlangt D8 zuallererst eine Verringerung der maximalen Blatttiefe. Dies ergäbe sich aus einem Vergleich der Fig. 2 und 4. In Fig. 2 betrage die aerodynamisch optimale maximale Ausgangsblatttiefe mehr als das Doppelte der Blattwurzeltiefe am linken Rand, während in Fig. 4 die gemäß der Lehre der D8 modifizierte, niedrigere maximale Blatttiefe nur noch weniger als das Doppelte der Blattwurzeltiefe am linken Rand betrage. Auch sei im letzten Absatz der Seite 6 von einem "cut" der Schulter die Rede, was gleichbedeutend sei mit der "truncation" in D1. Schließlich gebe es in D8 keinen einzigen expliziten Hinweis darauf, die ursprüngliche maximale Blatttiefe eines Rotorblatts beizubehalten.
Die Kammer vermisst in D8 eher einen expliziten Hinweis darauf, bei der Anwendung der Lehre der D8 auf ein bestimmtes Rotorblatt dessen ursprüngliche maximale Blatttiefe zu verringern. D8 spricht auf Seite 3, Zeilen 22 - 29 davon, dass sein Verfahren von einem Rotorblatt ausgeht, dessen maximale Blatttiefe vorgegeben ist ("imposed"). Hingegen ist durchgehend die Rede davon, die radiale Ausdehnung einer (bestimmten) maximalen Blatttiefe ("maximum chord interval") zu verändern, nämlich zu vergrößern (Seite 3, Zeile 38 - Seite 4, Zeile 4; Zeilen 8 - 11, Seite 6, Zeilen 33 - 36, Seite 7, Zeilen 5 - 7).
Der Ausdruck "cut" ist in Zeile 35 der Seite 6 nicht im Sinne eines tatsächlichen Abschneidens der Schulter ("truncation") wie in D1 verwendet, sondern beschreibt deren durch ihre radiale Ausdehnung bzw. Verbreiterung erhaltene Erscheinung: "a broad maximum chord interval (7), which gives the shoulder a somehow cut view compared to the pointed shape of the shoulder in the state of the art".
Schließlich entspricht Fig. 2 der D8 dem theoretischen Referenzprofil "baseline" für eine optimale aerodynamische Leistungsfähigkeit in Fig. 16 der D1 (siehe D8, Seite 6, Zeilen 5-7; D1, Absatz [0058]). In beiden Dokumenten wird von anderen, realitätsnäheren Rotorblattprofilen ausgegangen, die tatsächlich herstellbar sind, nämlich in D8 von den in Fig. 3 gezeigten und in D1 beispielsweise von 1a in Fig. 16 (siehe D8, Seite 6, Zeilen 14-24; D1, Absatz [0058]). Vergleicht man die maximale Blatttiefe der Ausgangsprofile in Fig. 3 mit der nach Fig. 4 der D8, stellt man fest, dass beide zur Blattwurzeltiefe am linken Rand im selben Verhältnis zu stehen scheinen, die maximale Ausgangsblatttiefe aus Fig. 3 demnach in Fig. 4 beibehalten worden ist.
Daher geht die Kammer davon aus, dass ein Fachmann bei der Anwendung der Lehre der D8 auf das Rotorblatt 1a der D1 in analoger Weise auch dessen maximale Blatttiefe von ca. 5 m beibehalten (Fig. 16) und über eine Länge von annähernd 20% der maximalen Blattlänge erstrecken würde.
6.6 Die Beschwerdeführerin-Patentinhaberin weist auf den zweiten Lösungsaspekt der D8 hin, der darin besteht, einen radial äußeren Bereich des Rotorblatts auf einen hyperbolischen Verlauf mit optimaler Energieausbeute hin zu optimieren, Seite 4, Zeilen 11-14, Zeilen 35-37. Dies würde von dem beanspruchten, weitgehend konstant flachen äußeren Längsabschnitt wegführen. Insbesondere würde der Fachmann deshalb durch D8 veranlasst, nicht vom Rotorblatt 1a, sondern vom Referenzprofil "baseline" der Fig. 16 in D1 auszugehen.
Die Kammer kann diesen zweiten Aspekt auch erkennen, jedoch nicht, dass er zu einer derartigen Änderung des Rotorblatts 1a nach D1 führen würde, dass dessen äußerer Längsabschnitt nicht mehr unter die Kriterien des Anspruchs 1 fiele.
Zunächst ist das Rotorblatt 1a der D1 bereits innerhalb struktureller Grenzen leistungsoptimiert (Absatz [0058]) und nähert sich in seinem radial äußeren Bereich zunehmend der theoretisch idealen Referenzlinie an, siehe Fig. 16. Deshalb würde der Fachmann in Betracht ziehen, diesen überwiegend leistungsoptimierten, hyperbolischen Profilverlauf des Rotorblatts 1a ebenso wie im Ausführungsbeispiel der Fig. 4 der D8 beizubehalten (siehe D8, Seite 6, Zeilen 37/38). Sollte er dennoch auch den radial äußeren Bereich im Rotorblatt 1a verändern wollen, wird er durch D8 angeregt, diesen über 50% - 80% der Blattlänge der idealen Referenzlinie anzunähern (Seite 4, Zeilen 14-20, Seite 8, Zeilen 1-4). Dies hätte eine Verlängerung des äußeren Längabschnitts über 20% der Blattlänge hinaus zur Folge, was nicht aus dem beanspruchten Bereich heraus, sondern in diesen "hinein" führen würde. Im übrigen schließt die Definition des äußeren Längsabschnitts in Anspruch 1 keinen hyperbolischen Verlauf der Blatttiefe aus, wie anhand des Rotorblatts 1a der D1 deutlich wurde.
Da, wie oben dargelegt, weder D1, noch D8 von einem theoretisch idealen Referenzprofil ausgehen, sieht die Kammer auch keine Motivation für den Fachmann, dies zu tun.
6.7 Aus den vorstehenden Gründen beruht der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsanträgen 2 und 3 ausgehend vom Rotorblatt 1a der D1 unter Berücksichtigung der Lehre der D8 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit im Sinne von Artikel 56 EPÜ.
7. Schlussfolgerung
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Einsprechende erfolgreich gegen die von der Einspruchsabteilung getroffene Feststellung, der Gegenstand des Anspruchs 1 gemäß Hilfsantrag 3 beruhe auf einer erfinderischen Tätigkeit. Die entsprechende Entscheidung der Einspruchsabteilung auf eingeschränkte Aufrechterhaltung des Patents im Umfang des Hilfsantrags 3 ist folglich aufzuheben.
Dass unter Berücksichtigung der von der ebenfalls beschwerdeführenden Patentinhaberin gemäß Haupt- und sämtlichen Hilfsanträgen 1 - 3 vorgenommenen Änderungen das Patent nicht dem Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) genügt, führt letztendlich zum Widerruf des Patents, Artikel 101(3)b), 111(1) EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.