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T 1888/19 (Granulat für die Stahlherstellung/Rheinkalk GmbH) 04-02-2022
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Granulat enthaltend agglomeriertes Schüttgut
Änderung nach Ladung - außergewöhnliche Umstände (ja)
Spät eingereichte Beweismittel - zugelassen (ja)
Ausreichende Offenbarung - unzumutbarer Aufwand (nein)
Neuheit - (ja)
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
I. Die Beschwerden der Beschwerdeführerin 1 (Einsprechende) und der Beschwerdeführerin 2 (Patentinhaberin) betreffen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent EP 2 573 058 B1 auf Grundlage des Hilfsantrags 1, eingereicht während der mündlichen Verhandlung im Einspruchsverfahren, aufrecht zu erhalten.
II. Im Laufe des Beschwerdeverfahrens reichte die Beschwerdeführerin 1 zusätzliche Entgegenhaltungen (D43-D45, siehe Punkt IV.) und die Beschwerdeführerin 2 mehrere Anspruchssätze ein. Hilfsantrag 1b, der nach der Mitteilung der Kammer gemäß Artikel 15 (1) VOBK 2020 eingereicht wurde, wurde in der mündlichen Verhandlung zum Hauptantrag.
III. Die unabhängigen Ansprüche des Hauptantrags lauten wie folgt:
"1. Granulat zur Verwendung als Zusatzstoff in der Stahlherstellung und Feuerfest enthaltend mindestens ein agglomeriertes reaktives Schüttgut sowie eine Bindemittelmatrix, wobei das Schüttgewicht im Bereich von 0,7 bis 1,2 liegt, wobei die Bindemittelmatrix aus mindestens einem organischen oder anorganischen Salz als Bindemittel besteht, wobei der Schmelzpunkt des Bindemittels im Bereich von 100°C bis 600°C liegt, wobei der Anteil an Schüttgut im Granulat im Bereich von 85 bis 99 % liegt und wobei das reaktive Schüttgut gebrannter Kalk CaO, gebrannter Dolomit MgO·CaO oder gebrannter Magnesit MgO oder Mischungen dieser Stoffe oder Mischungen mit den jeweiligen Karbonaten ist, herstellbar durch ein Verfahren umfassend folgende Schritte:
- Vermengen von reaktivem Schüttgut, Bindemittel sowie gegebenenfalls weiteren Hilfstoffen,
- Erhitzen des Gemenges auf eine Temperatur von mindestens der Schmelztemperatur des Bindemittels, so dass das Bindemittel zumindest teilweise schmilzt,
- Abkühlen des Gemenges unter Ausbildung des Granulats;
oder umfassend folgende Schritte:
- Erhitzen des Bindemittels auf eine Temperatur von mindestens der Schmelztemperatur des Bindemittels,
- Vermengen des zumindest teilweise geschmolzenem Bindemittel [sic] mit dem reaktivem Schüttgut, sowie gegebenenfalls weiteren Hilfstoffen,
- Abkühlen des Gemenges unter Ausbildung des Granulats."
"8. Verwendung eines Granulats nach einem der Ansprüche 1 bis 7 als Zusatzstoff in der Stahlherstellunq und Feuerfest."
"9. Verfahren zur Herstellung eines Granulats zur Verwendung als Zusatzstoff in der Stahlherstellung und Feuerfest enthaltend mindestens ein agglomeriertes reaktives Schüttgut sowie eine Bindemittelmatrix, wobei das Schüttgewicht im Bereich von 0,7 bis 1,2 liegt, wobei die Bindemittelmatrix aus mindestens einem organischen oder anorganischen Salz als Bindemittel besteht, wobei der Schmelzpunkt des Bindemittels im Bereich von 100°C bis 600°C liegt, wobei der Anteil an Schüttgut im Granulat im Bereich von 85 bis 99 % liegt und wobei das reaktive Schüttgut gebrannter Kalk CaO, gebrannter Dolomit MgO·CaO oder gebrannter Magnesit MgO oder Mischungen dieser Stoffe oder Mischungen mit den jeweiligen Karbonaten ist, umfassend folgende Schritte:
- Vermengen von reaktivem Schüttgut, Bindemittel sowie gegebenenfalls weiteren Hilfstoffen,
- Erhitzen des Gemenges auf eine Temperatur von mindestens der Schmelztemperatur des Bindemittels, so dass das Bindemittel zumindest teilweise schmilzt,
- Abkühlen des Gemenges unter Ausbildung des Granulats;
oder umfassend folgende Schritte:
- Erhitzen des Bindemittels auf eine Temperatur von mindestens der Schmelztemperatur des Bindemittels,
- Vermengen des zumindest teilweise geschmolzenem Bindemittel [sic] mit dem reaktivem Schüttgut, sowie gegebenenfalls weiteren Hilfstoffen,
- Abkühlen des Gemenges unter Ausbildung des Granulats."
Die abhängigen Ansprüche 2 bis 7 beschreiben bevorzugte Ausführungsformen des Granulats nach Anspruch 1.
IV. Die für die Entscheidung relevanten Dokumente sind:
D2 |Pauli, A., "Herstellung von Retardmatrixpellets durch Schmelzagglomerierung in der Wirbelschicht", Inauguraldissertation,Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, 2005 |
D3 |Parikh, D. M., "Handbook of Pharmaceutical Granulation Technology", Informa Healthcare USA, Ine., 2010 |
D6 |EP 1 540 023 B1 |
D7 |GB 1 450 385 A |
D13 |DE 1 955 869 A1 |
D15 |Sivrikaya, O. und Arol, A. I., "Use of Organic Binders and Borates in Pelletizing of Iron Oxides", in: IV. International Boron Symposium, 15. - 17. Oktober 2009, Eskisehir / Türkei, S. 251-256 |
D16 |Obst, K.-H. and Stradtmann, J., "The influence of lime and synthetic lime products on Steel production", Journal of the South African Institute of Mining and Metallurgy, Januar 1972, S. 158-164|
D18 |Heinze, G., "Handbuch der Agglomerationstechnik", WILEY-VCH Verlag GmbH, 2000, S. 31 |
D19 |Pietsch, W., "Agglomeration Processes", WILEY-VCH Verlag GmbH, 2002, S. 45 |
D26 |DE 2 213 605 B1 |
D43 |Carlson, E. T., "The System: CaO-B2O3", Bureau of Standards Journal of Research, Vol. 9, 10 Oktober 1932, S. 825-832 |
D44 |Maly¨eva T.A. et al., "Effect of boron on the quality of iron ore pellets", Russian Metallurgy (Metally), 1996, Nr. 1, pp. 3-7 |
D44a|Deutsche Übersetzung von D44 aus der russischen Sprache |
D45 |Sivrikya, O. and Arol, A. I. "Use of Boron Compounds as Binders in Iron Ore Pelletization", The Open Mineral ProcessingJournal, 2010, 3, 25-35 |
V. Die Argumente der Beschwerdeführerin 1 können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Zulässigkeit der D2
Zur Zulässigkeit der D2 hat die Einspruchsabteilung keine Entscheidung gefällt. Die Tatsachen und Argumente bezüglich der D2 seien bereits im Einspruchsschriftsatz ausführlich dargelegt worden. Lediglich die elektronische Übertragung des Dokuments schlug fehl. Dieser Mangel sei aber von der Beschwerdeführerin 1 von sich aus kurz nach Ablauf der Beschwerdefrist behoben worden. Das sei im Sinne der Mitteilung des EPA über das Einspruchsverfahren (Amtsblatt 2016, A42) zulässig. Im vorliegenden Fall erfolgte die Nachreichung sogar vor der Aufforderung.
b) Zulässigkeit der D43, D44/D44a, D45
Die erst im Beschwerdeverfahren eingereichten Dokumente D43, D44/D44a, D45 seien eine Reaktion auf die Änderung des Vorbringens der Patentinhaberin in der mündliche Verhandlung vor der Einspruchsabteilung.
c) Zulässigkeit des Hilfsantrags 1b
Der Hilfsantrag 1b wurde erst am 10. Januar 2022 und somit nach der Mitteilung der Kammer nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 eingereicht. Die Beschwerdeführerin 2 begründete das späte Vorbringen lediglich mit der in der Mitteilung geäußerten vorläufigen Meinung, was nicht ausreichend sei.
d) Regel 80 EPÜ
Die Streichung des Anspruchs 4 sei eine Änderung wegen des Mangels an Klarheit. Klarheit sei aber kein Einspruchsgrund. Deshalb verstoße diese Änderung gegen Regel 80 EPÜ.
e) Artikel 83 EPÜ
Es sei im gesamten Patent nicht angegeben, wie die Fachperson feststellen könne, ob eine Bindemittelmatrix entstanden sei, noch sei beschrieben, wie eine solche hergestellt werden könne. Das Patent offenbare nur eine einzige Ausführungsform mit einem Salz, nämlich Natriumzitrat. Anspruch 1 sei aber sehr viel breiter und erstrecke sich auf eine Unzahl von Salzen. Zur Herstellung der beanspruchten Schüttdichte werde die Wahl von vielen Parametern vorausgesetzt. Die Fachperson müsse ein Forschungsprogramm starten um die erfindungsgemäßen Granulate herstellen zu können.
f) Artikel 54 (1) und (2) EPÜ
In Absatz [0044] des Streitpatents werde das Schüttgewicht von kalkstämmigen Materialien angegeben. Das beanspruchte Schüttgewicht ergebe sich automatisch, wenn man dieses einsetze.
In D7, Anspruch 15, werde das Verhältnis von gebranntem Kalk zu borathältigem Zuschlagstoff mit 10:1 bis 15:1 angegeben.
Daher ergebe das in D7 offenbarte Granulat die beanspruchte Schüttdichte, denn es bestehe fast ausschließlich aus Kalk.
Analoges gelte für D13, in dem auf Seite 2, vorletzter Absatz, ein Gehalt von bis zu 85% Kalziumoxid sowie Boroxid als Bestandteil des Granulats angegeben seien.
g) Artikel 56 EPÜ
Die D13 betreffe einen Schlackenbildner für die Stahlherstellung in Form eines Granulats. Es unterscheide sich von jenem des Streitpatents dadurch, dass das Bindemittel kein Salz sei, dass die Schmelztemperatur höher sei und dass kein Schüttgewicht angegeben sei.
Die D13 enthalte Boroxid zum Herabsetzen der Schmelztemperatur des Bindemittels. Die Fachperson würde daher diese Idee weiterverfolgen und sich Anregungen aus einem der Dokumente D2, D3, D7, D43, D44/D44a oder D45 holen und unmittelbar zum beanspruchten Gegenstand kommen.
VI. Die Argumente der Beschwerdeführerin 2 können wie folgt zusammengefasst werden:
a) Zulässigkeit der D2
Die D2 sei nach Ablauf der Einspruchsfrist eingereicht worden. Die Einspruchsabteilung habe über die Zulässigkeit keine Entscheidung gefällt. Die D2 betreffe pharmazeutische Produkte und sei deshalb im Hinblick auf den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht mehr einschlägig. Sie solle daher nicht zugelassenen werden. Sollte die D2 jedoch trotzdem zugelassen werden, so werde die Zurückverweisung an die erste Instanz beantragt.
b) Zulässigkeit der D43, D44/D44a, D45
Die Dokumente D43, D44/D44a, D45 seien zu spät eingereicht worden und für den Gegenstand des Anspruchs 1 nicht relevant.
c) Zulässigkeit des Hilfsantrags 1b
Der pauschale Verweis der Beschwerdeführerin 1, dass die Ansprüche 1 bis 10 aus den gleichen Gründen wie unter Artikel 83 EPÜ angegeben, auch gegen Artikel 84 EPÜ verstießen, sei kein hinreichend begründeter Einwand. Der Einwand der mangelnden Klarheit sei erst durch die Beschwerdekammer in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 hinreichend dargelegt worden. Die Streichung des Anspruchs 4 räume die Unklarheit aus.
d) Regel 80 EPÜ
Der Mangel an Klarheit sei erst durch die Änderung entstanden. Daher sei es zulässig, diesen zu beheben.
e) Artikel 83 EPÜ
Die Beweislast liege bei der Beschwerdeführerin 1, die jedoch keine Beweise vorgelegt habe, dass das Patent nicht ausführbar sei.
f) Artikel 54 (1) und (2) EPÜ
Weder die D7 noch die D13 offenbarten eine Schüttdichte des Granulats. Die D7 offenbare zwar die Schüttdichte von gebranntem Kalk, diese sei aber nicht mit der Schüttdichte des Granulats zu verwechseln. Letztere sei nämlich auch abhängig von dem verwendeten Bindemittel und dem Herstellungsverfahren.
g) Artikel 56 EPÜ
Weder die D13 noch die D7 könnten die Fachperson zum Gegenstand des Anspruchs 1 hinführen.
Die D13 offenbare Oxide als Bindemittel, sowie Zuschlagsstoffe. Die Fachperson müsse einen kompletten Austausch des Bindemittels vornehmen, denn Anspruch 1 verlange, dass das Bindemittel aus Salz bestehe. Darüber hinaus seien das Schüttgewicht und der Anteil des reaktiven Schüttgutes nicht offenbart, denn auf Seite 5 offenbare die D13 im dritten Absatz, dass der Anteil an Kalziumoxid weniger als 85% betragen solle.
Zudem seien Dokumente aus der Pharmazie fachfremd, so dass die Fachperson deren Lehre nicht heranziehen würde, um ein gegenständliches Granulat herzustellen.
Die D43 und D44/D44a offenbarten Boroxid nur als Zuschlagsstoff, die D45 betreffe Eisenerzpelletisierung und die D7 offenbare eine Bindemittelmatrix, die nicht ausschließlich aus einem Salz bestehe.
VII. Die Beschwerdeführerin 1 beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und das Patent zu widerrufen.
VIII. Die Beschwerdeführerin 2 beantragte die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf Grundlage des Hilfsantrags 1b, eingereicht mit dem Schreiben vom 10. Januar 2022, oder
hilfsweise ein Patent auf Grundlage einer der Hilfsanträge 2, 2a, 3, 3a, 4, 4a, 5a, 5 in der genannten Reihenfolge aufrecht zu erhalten, wobei die mit Buchstaben endenden Hilfsanträge mit dem Schreiben vom 10. Januar 2022 und die verbleibenden Hilfsanträge mit der Erwiderung auf die Beschwerdebegründung der Beschwerdeführerin 1 vom 23. Januar 2020 eingereicht wurden.
Hauptantrag - Aufrechterhaltung des Patents auf Grundlage von Hilfsantrag 1b
1. Zulässigkeit der D2
Die D2 wurde als Beweismittel in der Einspruchsschrift genannt und unter Artikel 100 a) i. V. m. Artikel 54 (1) und (2) EPÜ ausführlich diskutiert.
Das Dokument wurde vor der Aufforderung nach Regel 83 EPÜ nachgereicht, gilt somit als fristgerecht eingereicht und ist folglich bereits im Verfahren.
Der Antrag die Sache an die Einspruchsabteilung zurückzuweisen, falls die D2 in das Verfahren zugelassen werde, geht somit ins Leere.
2. Zulässigkeit der D43, D44/D44a, D45
Diese Dokumente wurden mit der Beschwerdeschrift der Beschwerdeführerin 1 eingereicht, wobei Artikel 12 VOBK 2007 für die Beurteilung maßgeblich ist (siehe Artikel 25(2) VOBK 2020). Daher liegen diese Dokumente dem Beschwerdeverfahren zugrunde, wenn die Kammer nicht von ihrer Befugnis Gebrauch macht, sie nicht zuzulassen.
Die Beschwerdeführerin 2 hat die Beschränkung des vorliegenden Anspruchs 1, derzufolge das Bindemittel aus einem organischen oder anorganischen Salz besteht, erst in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereicht. Die Beschwerdeführerin 1 macht geltend, dass diese Dokumente als Reaktion auf diese Änderung eingereicht wurden.
Die Kammer teilt diese Auffassung und sieht die Beschwerdebegründung als frühestmöglichen Zeitpunkt an, an dem die Beschwerdeführerin 1 auf die geänderten Ansprüche mit dem Zitieren von Dokumenten reagieren konnte.
Die Kammer sieht daher keinen Grund, von der Befugnis Gebrauch zu machen, diese Dokumente nicht zuzulassen.
3. Zulässigkeit des Hilfsantrags 1b
Der Einwand der mangelnden Klarheit wurde von der Beschwerdeführerin 1 nur sehr allgemein formuliert und erst durch die Beschwerdekammer in der Mitteilung nach Artikel 15 (1) VOBK 2020 präzisiert. Die Streichung des Anspruchs 4 behebt den beanstandeten Mangel. Daher liegen außergewöhnliche Umstände im Sinne des Artikels 13 (2) VOBK 2020 vor, die die Berücksichtigung des Hilfsantrags rechtfertigen. Daher ist der Hilfsantrag 1b zuzulassen.
4. Zulässigkeit der Änderungen nach Regel 80 EPÜ
Im Vergleich zum erteilten Patent enthält der vorliegende Hauptantrag u.a. die Änderungen des Anspruchs 1 des in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrags 1, um einem Einwand unter Artikel 100 b) EPÜ zu entgegnen, wobei zusätzlich der abhängige Anspruch 6 des erteilten Patents gestrichen wurde, um einem Klarheitseinwand zu entgegnen.
Der Klarheitseinwand stützt sich auf die Zusammenschau der Änderungen im Anspruch 1 des Hauptantrags mit dem nunmehr gestrichenen abhängigen Anspruch, so dass dessen Streichung eine durch einen Einspruchsgrund veranlasste Änderung darstellt.
5. Artikel 83 EPÜ
Die Beweislast einer mangelnden Ausführbarkeit liegt bei der Beschwerdeführerin 1. Es liegen keine Beweise vor, dass es Fälle gibt, in denen die Verwendung der Salze, wie im Streitpatent beschrieben, nicht zu einer Bindemittelmatrix führt. Obwohl zum Herstellen eines Granulats aus einem Schüttgut und einem Bindemittel unbestritten eine ganze Reihe von Parametern gewählt werden müssen, folgt auch nicht unmittelbar, dass zum Herstellen eines Granulats aus gebranntem Kalk, gebranntem Dolomit, oder gebranntem Magnesit mit einem organischen oder anorganischen Salz als Bindemittel ein unzumutbarer Aufwand betrieben werden muss, um die beanspruchte Schüttdichte zu erreichen. In der Tat ist das Granulieren von Feststoffen ein lange bekannter und weithin benutzter Prozess der Verfahrenstechnik. Um die Ausführbarkeit zu verneinen, bedarf es daher überzeugender Beweise, dass das Herstellen des gegenständlichen Granulats, das insbesondere die beanspruchte Schüttdichte aufweist, nicht gelingt. Diese liegen jedoch nicht vor.
6. Artikel 54 (1) und (2) EPÜ
Weder die D7 noch die D13 offenbaren eine Schüttdichte des Granulats. Die D7 offenbart zwar die Schüttdichte von gebranntem Kalk, diese entspricht aber nicht notwendigerweise der Schüttdichte eines allenfalls daraus hergestellten Granulats.
7. Die Beschwerdeführerin 1 machte geltend, dass der Beschwerdeführerin 2 zufolge für die ausreichende Offenbarung spreche, dass der überwiegende Bestanteil des in D7 offenbarten Granulats gebrannter Kalk sei, und dieser eine ähnliche Schüttdichte wie das beanspruchte Granulat aufweise. Daher offenbare die D7 die beanspruchte Schüttdichte.
8. Die Frage, ob das Dokument D7 die Schüttdichte des Granulats offenbart, weil es die Schüttdichte von gebranntem Kalk als Hauptbestandteil des Granulats offenbart, ist zu unterscheiden von der Frage, ob die beanspruchte Schüttdichte erreichbar ist, wenn gebrannter Kalk der Hauptbestandteil des Granulats ist.
Die Beschwerdeführerin 1 legte jedoch keine Beweise vor, dass bei Verwenden von gebranntem Kalk als Hauptbestandteil des Granulats, zwingend die beanspruchte Schüttdichte erreicht wird. Daher ist die Neuheit des beanspruchten Gegenstands als gegeben anzusehen.
9. Artikel 56 EPÜ
Das Patent betrifft ein Granulat mit gebranntem Kalk, gebranntem Dolomit oder gebranntem Magnesit als Hauptbestandteil und organischen oder anorganischen Salzen als Bindemittel, zur Verwendung als Zusatzstoff in der Stahlherstellung und Feuerfest.
Die Beschwerdeführerin 1 nennt D7 und D13 als nächstliegenden Stand der Technik.
Die D7 offenbart tablettierte und gesinterte Blöcke, Briquettes oder Pellets mit gebranntem Kalk als Hauptbestandteil, wobei u. a. Borate als Zuschläge verwendet werden können, zur Verwendung in der Stahlindustrie.
Die D13 betrifft einen Schlackenbildner für die Stahlerzeugung mit bis zu 85 % Kalkanteil, einem Bindemittel aus Metalloxiden, sowie Zuschlägen. Dabei werden Blöcke hergestellt, die erforderlichenfalls in eine gewünschte kleinere Größe weiterverarbeitet werden können.
Zwar eigenen sich beide Dokumente gleichermaßen als Startpunkt für einen Einwand unter Artikel 56 EPÜ, allerdings ging die Beschwerdeführerin 1 in der Mehrzahl der Angriffe von D13 aus. Daher wird hier zunächst von der D13 ausgegangen werden.
Die Beschwerdeführerin 2 gibt an, dass das Granulat durch den hohen Anteil an reaktivem Schüttgut im beanspruchten Schüttdichtebereich, optimal für die Verwendung als Schlackenbildner und auch für die Abdeckmassenanwendung bei der Stahlherstellung geeignet sei. Sie sah den Unterschied zwischen dem beanspruchten Granulat und der Offenbarung von D13 im Schmelzpunkt des Bindemittels. Dieser beanspruchte, niedrige Schmelzpunkt zwischen 100°C und 600°C erlaube eine energieeffiziente Herstellung.
Somit wäre der Beschwerdeführerin 2 zufolge, die technische Aufgabe als das energieeffiziente Herstellen eines zur Verwendung als Schlackenbildner und als Abdeckmasse in der Stahlherstellung optimierten Granulats anzusehen.
Jedoch ist der beanspruchte Anteil an reaktivem Schüttgut in der D13 (aber auch in der D7) offenbart.
Darüber hinaus strebt die D13 (aber auch die D7) eine Reduktion der Schmelztemperatur des Schlackenbildners an, um bereits zu Beginn des Sauerstoffblasens die Schlackenbildung trotz der dann noch etwas niedrigeren Konvertertemperaturen von knapp 1300°C sicherzustellen.
Deshalb zeigen beide genannten Dokumente eine Optimierung des Schlackenbildners in der Stahlherstellung, eine verbesserte Energieeffizienz der erfindungsgemäßen Granulate kann aber nicht als nachgewiesen angesehen werden.
Deshalb muss die objektive technische Aufgabe als eine weniger ambitionierte Aufgabe, nämlich dem Bereitstellen eines zu D13 alternativen Granulats, formuliert werden.
Die D13 lehrt, den Schmelzpunkt der Bindemittel aus Metalloxiden durch Zuschläge zu senken.
Ausgehend von der D13, im Lichte der technischen Aufgabe, hat die Fachperson jedoch keine Motivation über die in der D13 angegebenen Maßnahmen hinauszugehen. Sie würde lediglich die Zuschläge dahingehend optimieren, dass der Schmelzpunkt niedrig genug für eine Schlackenbildung zu Beginn des Sauerstoffblasens ist. Die in der D13 gelehrten Bindemittel und Zuschlagsstoffe verleihen dem Granulat zudem weitere Eigenschaften, wofür ein Ersatz gefunden werden müsste.
Selbst wenn die Fachperson ein gänzliches Ersetzen des offenbarten Bindemittels in Erwägung zöge, ist es nicht ersichtlich, dass die Wahl auf organische und anorganische Salze fiele. Es ist insbesondere nicht überzeugend, dass Bindemittel, die aus organischen und anorganischen Salzen bestehen, alternativlos sind, um die angegebene technische Aufgabe zu lösen.
Hinzu kommt, dass keine Beweise vorliegen, dass die beanspruchte Schüttdichte des Granulats notwendigerweise erreicht wird, wenn kalkstämmige Materialien granuliert werden.
In jedem Fall müsste daher eine nicht nahegelegte Mehrfachauswahl getroffen werden, um zum beanspruchten Gegenstand zu gelangen.
Die von der Beschwerdeführerin 1 genannten D2, D3 sind auf pharmazeutische Produkte gerichtet. Es ist nicht ohne weiteres überzeugend, dass eine Lehre, die das Granulieren in der Pharmazie betrifft, auf das Granulieren von Schlackenbildner für die Stahlherstellung übertragbar ist. Eine solche Übertragung wäre nur angezeigt, wenn es hierfür in der Lehre einen deutlichen Hinweis darauf gäbe, aber dieser liegt nicht vor.
Die von der Beschwerdeführerin 1 genannten D6, D15, D26 und D45 betreffen das Pelletieren von Eisenerz. D43 beschreibt eine Studie über ein CaO-B2O3 System. Keines dieser Dokumente offenbart eine Lehre, welche die Fachperson anleitet, als Bindemittel ein anorganisches oder organisches Salz mit einem Schmelzpunkt im beanspruchten Bereich zu wählen.
Die von der Beschwerdeführerin 1 genannte D44/D44a betrifft das Pelletieren von Eisenerz mit Boroxid. Eine Motivation, die die Fachperson veranlasst, das für Eisenerz beschriebene Bindemittel für gebrannten Kalk anzuwenden, ist nicht ersichtlich. Daher ist die durch die Änderung des Patents aufgeworfene, strittige Frage, ob Boroxid als Salz zu betrachten sei, nicht entscheidungserheblich.
Die von der Beschwerdeführerin 1 genannte D16 zeigt kein Bindemittel, das aus einem anorganischen oder organischen Salz mit einem Schmelzpunkt im beanspruchten Bereich besteht.
Die D18 und D19 sind Auszüge aus Fachbüchern, die Tabellen mit möglichen Bindemitteln zeigen. Eine Lehre, welche die Fachperson anleitet, als Bindemittel ein anorganisches oder organisches Salz mit einem Schmelzpunkt im beanspruchten Bereich zu wählen, ist nicht ersichtlich.
Zum selben Schluss gelangt man ausgehend von der D7.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
10. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
11. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent mit den Ansprüchen des Hauptantrags, eingereicht als Hilfsantrag 1b mit Schriftsatz vom 10. Januar 2022, und einer noch anzupassenden Beschreibung aufrechtzuerhalten.