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T 0431/20 (Unabhängige Energiebackbones/Siemens Mobility) 25-07-2022
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EINRICHTUNG UND VERFAHREN ZUM BETREIBEN VON DEZENTRAL ANGEORDNETEN FUNKTIONSEINHEITEN
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, die Anmeldung zurückzuweisen. Die Prüfungsabteilung war der Auffassung, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht erfinderisch sei.
II. In ihrer Entscheidung berücksichtigte die Prüfungsabteilung unter anderem die folgende Dokumente:
D1 EP 2 549 620 A2
D2 WO 2008/025414 A2
III. In der Beschwerdebegründung beantragte die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent auf der Basis der Patentansprüche zu erteilen, die auch Gegenstand der Entscheidung waren. Hilfsweise wurde eine mündliche Verhandlung beantragt.
IV. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK teilte die Kammer ihre vorläufige Auffassung mit. Die Kammer teilte die Auffassung der Prüfungsabteilung, dass Anspruch 1 nicht erfinderisch sei (Artikel 56 EPÜ).
V. Mit ihrem Schreiben vom 19. Juli 2022 zog die Beschwerdeführerin ihren Antrag auf mündliche Verhandlung zurück und beantragte eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren.
VI. Anspruch 1 lautet wie folgt:
Einrichtung (E) zum Betreiben von in einer industriellen Anlage angeordneten dezentralen Funktionseinheiten (DFE, EC), umfassend:
a) ein übergeordnetes Steuerungssystem (30), das mit den dezentralen Funktionseinheiten (DFE, EC) mittels Datentelegrammen (DT) Informationen austauscht,
b) ein Datentransportnetzwerk (TN) mit einer Anzahl von Netzzugangspunkten (2 bis 16), wobei das übergeordnete Steuerungssystem (30) über mindestens einen Netzzugangspunkt (2, 4) an dem Datentransportnetzwerk (TN) angekoppelt ist;
c) Kommunikationseinheiten (18 bis 28), die an einem Netzzugangspunkt (6 bis 16) angeschlossen sind und den dezentralen Funktionseinheiten (DFE, EC) den Zugang zu dem Datentransportnetzwerk (TN) bereitstellen, und
d) ein Energietransportnetz (ETN), an das die dezentralen Funktionseinheiten (DFE, EC) angeschlossen sind und das die dezentralen Funktionseinheiten (DFE, EC) mit elektrischer Energie versorgt, wobei das Energietransportnetz (ETN) Energieeinspeisepunkte (IEK) aufweist, die entlang einer Busstruktur des Energietransportnetzes (ETN) verteilt angeordnet sind, wobei die Energieeinspeisepunkte (IEK) wahlweise durch einen von mindestens zwei unabhängigen Energiebackbones (EBl, EB2) mit entsprechender elektrischer Leistung versorgbar sind.
VII. Der unabhängige Anspruch 9 bezieht sich auf ein korrespondierendes Verfahren.
1. Die vorliegende Anmeldung hat eine Einrichtung zum Betreiben von dezentralen Einheiten in einer dezentralen industriellen Anlage mit zwei unabhängigen Energiebackbones zum Gegenstand.
2. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
2.1 Unterschiedsmerkmal
Die Beschwerdeführerin bestätigte das von der Prüfungsabteilung festgestellte Unterschiedsmerkmal des Anspruchs 1 gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1.
Die Kammer stellt somit fest, dass das Unterschiedsmerkmal darin besteht, dass die Energieeinspeisepunkte wahlweise durch einen von mindestens zwei unabhängigen Energiebackbones mit entsprechender elektrischer Leistung versorgbar sind.
2.2 Aufgabe-Lösungs-Ansatz
2.2.1 Die Prüfungsabteilung verwies in der angefochtenen Entscheidung u.a. auf den "Schriftlichen Bescheid der Internationalen Recherchebehörde" vom November 2014. Darin wurde der durch das Unterschiedsmerkmal hervorgerufene technische Effekt als "Erhöhung der Verfügbarkeit durch Redundanz" festgestellt. Die objektive technische Aufgabe bestünde somit in der Erhöhung der Verfügbarkeit der Energieversorgung des aus Dokument D1 bekannten Systems. Die Lösung gemäß Anspruch 1 sei nicht erfinderisch, weil das Prinzip der Redundanz in vielen technischen Gebieten, auch in dem der Eisenbahnleit- und -sicherungstechnik, gängig sei. Dies ergäbe sich beispielsweise aus Dokument D2, Seite 11, zweiter Absatz. Der Fachmann wäre somit ausgehend von Dokument D1 - unter Verwendung seines allgemeinen Fachwissens - ohne erfinderisches Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt. Im Ladungsbescheid vom 7. Dezember 2018 wurde darüber hinaus argumentiert, dass Dokument D1 in Abb. 7 zwei getrennte Leitungen, dargestellt als Strommasten, zeige. Dies deute zwei unabhängige Energiebackbones an.
2.2.2 Die Beschwerdeführerin argumentierte, dass der Fachmann zur Lösung der obigen Aufgabe mit hoher Wahrscheinlichkeit einfach einen zweiten Energiebus bereitstellen würde, wie z.B. auch in Dokument D1 gezeigt. Dabei würde der mit dem Background der klassischen Stellwerktechnik gelernte zentrale Energieversorgungsanspruch dazu führen, dass beide Energiebusse nicht an systemisch voneinander verschiedenen Speisepunkten angeschlossen werden.
Die Kammer ist von dem vorgeblichen technischen Vorurteil ("zentraler Energieversorgungsanspruch") nicht überzeugt. Dieses Argument basiert lediglich auf einer Behauptung, die sich nicht aus dem vorliegenden Stand der Technik ergibt.
2.2.3 Darüber hinaus brachte die Beschwerdeführerin vor, dass es sich bei Energiebussen häufig um Ringstrukturen handele, wodurch bereits Redundanz gegeben sei. Der Fachmann würde die obige Aufgabe folglich bereits als gelöst ansehen.
Die Kammer weist darauf hin, dass die Ansprüche nicht auf Ringstrukturen beschränkt sind. Daher verfängt dieses Argument nicht.
2.2.4 Hinsichtlich Abb. 7 des Dokuments D1 merkte die Beschwerdeführerin an, dass es naheliegend sei, dass beide Endpunkte an dieselbe Energiequelle angeschlossen seien.
Die Kammer stimmt dem dahingehend zu, dass Abb. 7 des Dokuments D1 einen Anschluss an unterschiedliche Energiequellen weder explizit noch implizit zeigt.
2.2.5 Hinsichtlich der Aufgabenstellung stellt die Kammer fest, dass Dokument D1 in dem im internationalen vorläufigen Prüfungsbericht zitierten Absatz [0019] das Erhöhen der Redundanz der Energiebereitstellung durch den Einsatz dezentraler Energiespeicher explizit erwähnt (siehe Spalte 5, Zeilen 49 bis 53 und Spalte 6, Zeilen 25 und 26). Die Energiespeicher, die auch als "Kurzzeitenergiespeicher" ausführbar sind (siehe Spalte 5, Zeilen 56 und 57), stellen somit eine weitere, unabhängige Energiequelle dar. Da das Erhöhen der Redundanz im Dokument D1 im Zusammenhang mit Kurzzeitenergiespeichern offenbart ist (vgl. ebenda), wird der Fachmann das Problem der Redundanz für kurze Ausfälle als durch Dokument D1 gelöst betrachten. Folglich wird der Fachmann durch Dokument D1 dazu angeregt, über das Problem der Redundanz zur Sicherung gegen längerfristige Ausfälle der Energieversorgung nachzudenken. Der Fachmann wird dabei die Verwendung einer anderen, unabhängigen Energiequelle, die eine den Anforderungen entsprechende Leistungsfähigkeit aufweist, anstelle der erwähnten Energiespeicher als naheliegende Lösung in Betracht ziehen. Der Fachmann gelangt somit ohne erfinderisches Zutun zur Lösung gemäß Anspruch 1.
2.3 Folglich kommt die Kammer zu dem Schluss, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 nicht erfinderisch gegenüber der Offenbarung des Dokuments D1 in Kombination mit allgemeinem Fachwissen ist.
3. Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist der vorliegende Anspruchssatz nicht gewährbar.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.