T 0752/20 22-09-2022
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VERFAHREN ZUR AUFREINIGUNG VON KOHLENDIOXID ENTHALTENDEN PROZESSGASEN AUS DER HERSTELLUNG VON VINYLACETAT
Erfinderische Tätigkeit - (nein)
Erfinderische Tätigkeit - naheliegende Alternative
Änderung während der mündlichen Verhandlung - außergewöhnliche Umstände (nein)
I. Die Beschwerde der Beschwerdeführerin (Einsprechende) richtet sich gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung, das Streitpatent unter Artikel 101(3)(a) EPÜ in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten.
II. Auf folgende Dokumente wird in dieser Entscheidung verwiesen:
D1:|CN 10 26 41 653 |
D4:|US 4 430 312 |
D8: |R. K. Bartoo, Chemical Engineering Progress, 80(10), 36-39 (1984)|
D9:|US 3 907 969 |
III. In der angefochtenen Entscheidung kam die Einspruchsabteilung zu dem Schluss, das beanspruchte Verfahren zur Prozessgasaufreinigung sei ausreichend offenbart (Artikel 83 EPÜ). Ebenso seien Neuheit (Artikel 54 EPÜ) und erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ) gegenüber den Dokumenten D1, D8 und D9 gegeben.
IV. Die Beschwerdeführerin wandte sich gegen die Schlussfolgerungen der Einspruchsabteilung in allen drei Punkten. Sie beantragte den Widerruf des Patents. Sie beantragte im Zuge dessen, die Hilfsanträge der Beschwerdeführerin nicht ins Verfahren zuzulassen.
V. Die Beschwerdegegnerin verteidigte die Entscheidung der Einspruchsabteilung. Sie beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen. Hilfsweise beantragte sie, das Patent in geänderter Fassung aufrechtzuerhalten, und zwar auf Basis von drei Hilfsanträgen, die im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereicht wurden.
VI. Die mündliche Verhandlung vor der Beschwerdekammer fand am 22. September 2022 statt. Die Kammer erließ im Vorfeld am 13. Juni 2022 einen verfahrensleitenden Bescheid unter Artikel 15(1) VOBK 2020 mit einer vorläufigen Einschätzung der Sach- und Rechtslage. Am Ende der mündlichen Verhandlung wurde die Entscheidung verkündet.
VII. Der unabhängige Anspruch der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Fassung des Patents lautet wie folgt:
"Verfahren zur Aufreinigung von Kohlendioxid enthaltenden Prozessgasen aus der Herstellung von Vinylacetat nach Umsetzung von Ethylen mit Essigsäure und Sauerstoff in heterogen katalysierten, kontinuierlichen Gasphasenprozessen, dadurch gekennzeichnet, dass Kohlendioxid enthaltende Prozessgase zur Entfernung von Kohlendioxid mit einer oder mehreren Waschlösungen in Kontakt gebracht werden, wobei ein oder mehrere Waschlösungen alkalische Medien sind und
I) ein oder mehrere Oxide von Metallen aus der Gruppe umfassend KVO3, NaVO3, KV2O5, Na4V2O7 und K4V2O7 sowie
II) ein oder mehrere Oxide von Metallen aus der Gruppe umfassend KBO2, Na2B2O4, K2B2O4, Na2B2O7 und K2B2O7
enthalten,
mit der Maßgabe, dass das Gewichtsverhältnis der Oxide von Metallen der Gruppe I zu den Oxiden von Metallen der Gruppe II 1:1 bis 2:1 beträgt."
Der unabhängige Anspruch des ersten Hilfsantrags enthält Einschränkungen in Bezug auf die Prozessführung und lautet wie folgt (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag unterstrichen):
"Verfahren zur Aufreinigung von Kohlendioxid enthaltenden Prozessgasen aus der Herstellung von Vinylacetat nach Umsetzung von Ethylen mit Essigsäure und Sauerstoff in heterogen katalysierten, kontinuierlichen Gasphasenprozessen, dadurch gekennzeichnet, dass Kohlendioxid enthaltende Prozessgase zur Entfernung von Kohlendioxid mit einer oder mehreren, in einem CO2-Absorber befindlichen Waschlösungen in Kontakt gebracht werden, wobei ein oder mehrere Waschlösungen alkalische Medien sind und
I) ein oder mehrere Oxide von Metallen aus der Gruppe umfassend KVO3, NaVO3, KV2O5, Na4V2O7 und K4V2O7 sowie
II) ein oder mehrere Oxide von Metallen aus der Gruppe umfassend KBO2, Na2B2O4, K2B2O4, Na2B2O7 und K2B2O7
enthalten,
mit der Maßgabe, dass das Gewichtsverhältnis der Oxide von Metallen der Gruppe I zu den Oxiden von Metallen der Gruppe II 1:1 bis 2:1 beträgt[deleted: .,]
wobei der Sumpf des CO2-Absorbers einem CO2-Desorber zugeführt wird und die am Sumpf des CO2-Desorbers anfallende Waschlösung entnommen und im Bereich des Kopfes in den CO2-Absorber zurückgeführt wird."
Im unabhängige Anspruch des zweiten Hilfsantrags sind im Vergleich zum Hauptantrag einige Vanadate und Borate gestrichen. Er lautet wie folgt (Änderungen gegenüber dem Hauptantrag unterstrichen bzw. [deleted: gestrichen]):
"Verfahren zur Aufreinigung von Kohlendioxid enthaltenden Prozessgasen aus der Herstellung von Vinylacetat nach Umsetzung von Ethylen mit Essigsäure und Sauerstoff in heterogen katalysierten, kontinuierlichen Gasphasenprozessen, dadurch gekennzeichnet, dass Kohlendioxid enthaltende Prozessgase zur Entfernung von Kohlendioxid mit einer oder mehreren Waschlösungen in Kontakt gebracht werden, wobei ein oder mehrere Waschlösungen alkalische Medien sind und
I) ein oder mehrere Oxide von Metallen aus der Gruppe umfassend [deleted: KVO]3[deleted: , ]NaVO3[deleted: ,] und KV2O5[deleted: , Na]4[deleted: V]2[deleted: O]7[deleted: und K]4[deleted: V]2[deleted: O]7 sowie
II) ein oder mehrere Oxide von Metallen aus der Gruppe umfassend KBO2,[deleted: Na]2[deleted: B]2[deleted: O]4[deleted: ,] K2B2O4, Na2B2O7 und K2B2O7
enthalten,
mit der Maßgabe, dass das Gewichtsverhältnis der Oxide von Metallen der Gruppe I zu den Oxiden von Metallen der Gruppe II 1:1 bis 2:1 beträgt."
Der unabhängige Anspruch des dritten Hilfsantrags kombiniert die Änderungen des ersten und zweiten Hilfsantrags.
VIII. Zur entscheidenden Frage der erfinderischen Tätigkeit ausgehend von D1 brachten die Parteien im wesentlichen folgendes vor:
Nach Ansicht der Beschwerdeführerin ist das beanspruchte Verfahren dem Fachmann ausgehend von D1 nahegelegt. Gegenüber D1 sei das unterscheidende Merkmal nur in der Auswahl der beanspruchten Gewichtsverhältnisse von Vanadaten und Boraten zu sehen. Eine solche Auswahl sei aber, sofern sie nicht mit einem überraschenden Effekt verbunden ist, naheliegend. Keines der anderen angeführten Dokumente hielte den Fachmann davon ab, ein anspruchsgemäßes Gewichtsverhältnis zu wählen.
Die Beschwerdegegnerin argumentierte dagegen, die Einspruchsabteilung habe zu Recht erkannt, dass das beanspruchte Verfahren ausgehend von D1 nicht nahegelegt war. D1 beschäftige sich nicht primär mit der Zusammensetzung der verwendeten Absorptionslösungen, sondern mit einem Druckwechselverfahren zur CO2-Absorption. Zudem seien die im Anspruch definierten Gewichtsverhältnisse von Vanadaten und Boraten aus D1 heraus nicht nahegelegt. Auch D9 würde den Fachmann vom Einsatz von Vanadaten und Boraten im beanspruchten Verhältnis abraten.
IX. Die Argumentation der Parteien ist im Detail in den Entscheidungsgründen wiedergegeben.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Erfinderische Tätigkeit (Artikel 56 EPÜ)
Von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltene Fassung des Patents
2.1 Nächster Stand der Technik
2.1.1 Der unabhängige Anspruch der aufrechterhaltenen Fassung des Patents richtet sich auf ein Verfahren zur Aufreinigung von CO2-haltigen Prozessgasen aus der Herstellung von Vinylacetat. Dabei wird zumindest ein Teil der Prozessgase mit alkalischen Waschlösungen in Kontakt gebracht, die bestimmte Vanadate und Borate in einem Gewichtsverhältnis von 1:1 bis 2:1 enthalten.
In der angefochtenen Entscheidung wurde erfinderische Tätigkeit sowohl ausgehend von D8, als auch ausgehend von D1 behandelt.
2.1.2 Die Kammer hält D1 für das Dokument, das den nächsten Stand der Technik repräsentiert. D1 beschäftigt sich, genau wie das Streitpatent, mit der Entfernung von CO2 aus dem Kreisgas einer Vinylacetatsyntheseanlage, siehe etwa "summary of the invention" auf Seite 6, Zeilen 20ff. Im Gegensatz zu D8/D9 wird hier ein konkretes Verfahren beschrieben, das der Fachmann zum Ausgangspunkt nehmen kann.
Die Beschwerdegegnerin hat bestritten, dass D1 als Ausgangspunkt für die Beurteilung der erfinderischen Tätigkeit geeignet sei. Zwar befasse sich D1 ebenfalls mit der Frage der Energieoptimierung in einem Verfahren zur Aufreinigung von CO2-haltigen Prozessgasen aus der Herstellung von Vinylacetat, lege dazu den Fokus aber nicht auf die chemische Zusammensetzung der Waschlösungen, sondern auf die Prozessführung. Insbesondere sei dazu eine Druckwechselmethode zur CO2-Absorption beschrieben.
Nach Ansicht der Kammer betrifft dies jedoch eher die Frage, ob das beanspruchte Verfahren ausgehend von D1 naheliegend war. Dass D1 als Ausgangspunkt dienen kann, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Ob andere Dokumente, etwa D8, als Ausgangspunkt geeigneter wären, kann dahingestellt bleiben, da, wie noch auszuführen sein wird, das beanspruchte Verfahren bereits ausgehend von D1 für den Fachmann nahegelegt war.
2.2 Unterschiede des beanspruchten Verfahrens gegenüber D1
2.2.1 D1 beschreibt, wie oben angeführt, die Entfernung von CO2 aus dem Kreisgas einer Vinylacetatsyntheseanlage. Als Waschlösung zur CO2-Absorption wird eine alkalische Kaliumcarbonatlösung verwendet, die bestimmte Vanadate und Borate als Aktivatoren enthält.
Gemäß der allgemeinen Offenbarung auf Seite 7 der D1 enthält diese alkalische Kaliumcarbonatlösung zwischen 3 und 30%, bevorzugt 5-25% Borsäure (entsprechend anspruchsgemäß in der vorliegenden wässrigen Kaliumcarbonatlösung Kaliumborat, KBO2) und zwischen 0,1 und 20%, bevorzugt 0,5 bis 15% Kaliummetavanadat KVO3. Insgesamt soll die Lösung einen Gehalt an Aktivator zwischen 1 bis 30% haben, siehe Seite 6 Zeilen 32 bis Seite 7 Zeile 3.
In den Beispielen der D1 werden Vanadate nicht wie vorliegend beansprucht in gleichen oder höheren Gewichtsanteilen als Borate verwendet, sondern in niedrigeren. In Beispiel 2 ist das Gewichtsverhältnis 1:2,5. In den anderen Beispielen ist der Überschuss an Boraten noch höher.
2.2.2 Daher besteht der Unterschied des beanspruchten im Vergleich zu dem aus D1 bekannten Verfahren darin, dass vorliegend das Gewichtsverhältnis der Oxide von Metallen der Gruppe I (Vanadate) zu den Oxiden von Metallen der Gruppe II (Borate) 1:1 bis 2:1 beträgt, wie im Anspruch definiert. Dieses Verhältnis ist in D1 nicht spezifisch offenbart.
In anderen Worten sollen vorliegend Vanadate im gleichen Verhältnis oder im Überschuss zu den Boraten eingesetzt werden, wohingegen in den Beispielen der D1 Borate im Überschuss verwendet werden.
2.3 Objektive technische Aufgabe und deren Lösung
2.3.1 Das Patent stellt sich in Absatz [0009] die Aufgabe, die Abtrennung von CO2 aus den Prozessgasen der Vinylacetat-Herstellung energieeffizienter zu gestalten. D1 widmet sich derselben Aufgabe, siehe etwa Seite 6 erster Absatz.
2.3.2 Die in D1 zu diesem Zweck verwendete Druckwechselmethode ist nicht Teil des vorliegenden Anspruchs, ist aber von diesem auch nicht ausgeschlossen. Die Energieeffizienz des vorliegend beanspruchten Verfahrens wird im Patent damit begründet, dass der alkalischen Waschlösung Vanadate und Borate zugesetzt werden, siehe Absatz [0010] und Tabelle 1 in Absatz [0038]. Die Verwendung derartiger Waschlösungen führt im Vergleich zu Lösungen, die weder Borate noch Vanadate enthalten, zu einer verbesserten CO2-Absorption.
2.3.3 Die Verwendung von alkalischen Waschlösungen, denen Vanadate und Borate zugesetzt werden, in energieoptimierten Verfahren zur Abtrennung von CO2 aus den Prozessgasen der Vinylacetat-Herstellung ist allerdings schon in D1 beschrieben. Ein überraschender zusätzlicher Effekt, der durch das Unterscheidungsmerkmal gegenüber D1, d.h. der Verwendung von Vanadaten im Überschuss, verursacht würde, wurde von der Patentinhaberin weder behauptet noch belegt. Es befinden sich dazu keine Vergleichsdaten im Verfahren. Eine gesteigerte Energieeffizienz des beanspruchten Verfahrens gegenüber D1 kann daher nicht als Grundlage für die Stellung der objektiven technischen Aufgabe verwendet werden.
2.3.4 Das ausgehend von D1 objektiv zu lösende technische Problem war daher, ein alternatives energieeffizientes Verfahren zur Abtrennung von CO2 aus den Prozessgasen der Vinylacetat-Herstellung zu finden.
2.3.5 Das beanspruchte Verfahren, das sich durch die Verwendung von Vanadaten im Überschuss auszeichnet, löst dieses Problem. Dies war unstrittig.
2.4 Naheliegen der Lösung
2.4.1 Beispiel 2 der D1, das als nächstliegendes Beispiel als Ausgangspunkt für die Überlegungen des Fachmanns geeignet ist, verwendet ein Verhältnis von Vanadaten zu Boraten von 0,4:1.
Laut der allgemeinen Beschreibung der D1 kann jedoch in der alkalischen Waschlösung Vanadat (als KVO3) in Gewichtsanteilen von 0,1-20% und Borat (als Borsäure) in Gewichtsanteilen von 3 bis 30% vorliegen. Das beanspruchte Verhältnis von Vanadaten zu Boraten von 1:1 bis 2:1 bewegt sich im Bereich der Lehre der D1. Ein Fachmann hätte somit aus D1 gewusst, dass das beanspruchte Verfahren zur Lösung des technischen Problems geeignet ist. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin, dem beanspruchten Verfahren mangele es ausgehend von D1 an erfinderischer Tätigkeit, ist daher zutreffend.
Die Beschwerdegegnerin hat hierzu mehrere Gegenargumente vorgebracht, die jedoch nicht überzeugen können.
2.4.2 Die Beschwerdegegnerin verwies darauf, dass die Beispiele der D1 Borate im Überschuss verwenden. Auch die allgemeinen Bereiche in der Beschreibung deuteten in diese Richtung, da die Grenzen der Bereiche jeweils für Borate höher als für Vanadate angesetzt seien. Im übrigen offenbare der allgemeine Teil der Beschreibung gar keine Kombination der beiden Aktivatoren, sondern nur individuelle Bereichsangaben. Ein Fachmann hätte daher aus D1 insgesamt die Lehre gezogen, Borate seien im Überschuss zu verwenden. Jedenfalls hätte er keine Veranlassung gehabt, im Gegenteil Vanadate im Überschuss zu verwenden.
Es mag sein, dass sich aus einer solchen Lesart der D1 eine Tendenz zur Verwendung von Boraten im Überschuss ablesen lässt. Es ist allerdings nicht so, dass D1 von der Verwendung von Boraten im gleichen Verhältnis, oder im Unterschuss, abraten würde. Die im Anspruch definierten Gewichtsverhältnisse der beiden Aktivatoren liegen schließlich in den in D1 vorgegebenen Bereichen. Diesem Verhältnis wird in D1 keine weitere Bedeutung zugemessen, so dass ein Fachmann jedenfalls die dort angegebenen Mengenangaben als für die Durchführung des Verfahrens geeignet angesehen hätte. Dies gilt insbesondere auch deshalb, da in dem den allgemeinen Bereichsangaben vorausgehenden Absatz auf Seite 6, Zeilen 26-30, ausgeführt wird, die Zusammensetzung der Waschlösung könne abhängig von anderen Verfahrensparametern oder der apparativen Ausstattung in weiten Bereichen variiert werden. Dass die Verwendung von Boraten und Vanadaten in D1 allgemein in Kombination offenbart wird, ist im Lichte der oben zitierten Bereichsangaben und der Verwendung derartiger Kombinationen in allen Beispielen unbestreitbar.
Solange mit der Verwendung des anspruchsgemäßen Verhältnisses zwischen Vanadaten und Boraten keine unerwarteten Effekte verbunden sind, gehen die Argumente der Beschwerdegegnerin ins Leere. Einer konkreten Veranlassung, anspruchsgemäß zu arbeiten, bedarf es dabei nicht; auf der Suche nach einer Alternative kann der Fachmann D1 jedenfalls entnehmen, dass er die Zusammensetzung der Waschlösung in den angegebenen Bereichen verändern kann und dass eine anspruchsgemäße Verfahrensweise das gestellte technische Problem löst.
2.4.3 Die Beschwerdegegnerin hat vorgebracht, D1 konzentriere sich auf die apparative oder prozesstechnische Optimierung der CO2-Absorption. Ein Fachmann habe daher keinen Anlass gehabt, bei der Suche nach alternativen energieeffizienten Verfahren stattdessen eine Veränderung der Zusammensetzung der Waschlösung ins Auge zu fassen, da ein Zusammenhang zwischen der Waschlösung und der Energieeffizienz in D1 nicht erwähnt sei.
Dieses Argument kann nicht überzeugen. Zunächst ist, wie bereits oben erwähnt, eine gesteigerte Energieeffizienz gegenüber den Waschlösungen der Beispiele aus der D1 gar nicht belegt; dieser Effekt ist daher auch nicht Bestandteil der zu lösenden Aufgabe. Zudem muss ein Fachmann eine Änderung der Zusammensetzung der Waschlösung nur gegenüber den Beispielen der D1, jedoch innerhalb deren allgemeiner Lehre durchführen. Dass dazu keine erfinderische Tätigkeit vonnöten ist, wurde vorstehend ausgeführt.
Im übrigen ist die in D1 beschriebene Druckwechselmethode von den vorliegenden Ansprüchen mit umfasst, so dass hier ausgehend von D1 kein Unterschied vorliegt. Es ist daher nicht so, dass vorliegend ein Verfahren beansprucht wird, das anstatt der Druckwechselmethode eine Veränderung der Waschlösung verlangt. Ob es für den Fachmann ausgehend von D1 nahegelegen hätte, auf der Suche nach Alternativen auf das Druckwechselverfahren zu verzichten, muss daher nicht diskutiert werden.
2.4.4 Die Beschwerdegegnerin hat auch auf die Dokumente D8 und D9 verwiesen. D8 und D9 würden von einer Verwendung von Vanadaten im Überschuss abraten.
D8 ist ein Übersichtsartikel betreffend das Benfield-Verfahren zur Entfernung saurer Gase, insbesondere CO2, aus Prozessgasen verschiedener Syntheseverfahren mittels Absorption in Kaliumcarbonatlösungen. Die Herstellung von Vinylacetat ist auf Seite 36 als ein mögliches solches Verfahren genannt. In der rechten Spalte auf Seite 37 wird auf ein in D9 patentiertes Aktivatorsystem hingewiesen, das in verschiedenen Anlagen zur Herstellung von Ethylenoxid oder Vinylacetat zum Einsatz gekommen sein soll.
D9 beschreibt diese Aktivatorsysteme, die Mischungen aus Vanadaten und Boraten enthalten. Insbesondere beschreibt D9 in Spalte 4, Zeilen 12ff., dass das Verhältnis von KBO2-Äquivalenten zu V2O5-Äquivalenten höher als 1,5:1 sein soll. Die Beschwerdegegnerin hat zudem aus den Tabellen der Beispiele der D9 herausgearbeitet, dass und warum die Verwendung der in D9 beschriebenen, nicht unter die vorliegenden Ansprüche fallenden Gewichtsverhältnisse als vorteilhaft beschrieben ist.
Die Beschwerdeführerin wiederum hat Berechnungen vorgelegt, wonach das in D9 offenbarte Äquivalentenverhältnis von mindestens 1,5:1 bei Umrechnung auf die im vorliegenden Anspruch verwendeten Gewichtsverhältnisse zumindest die Verwendung gleicher Anteile an Vanadaten und Boraten umfasst. Sie hat außerdem auf das Dokument D4 hingewiesen, in denen die Ergebnisse der D9 in Spalte 1 kommentiert werden. Insbesondere wird dort ausgeführt, dass überraschenderweise, entgegen der Lehre der D9, die Erhöhung des Vanadiumanteils in den dort beschriebenen Aktivatorzusammensetzungen zu einer Verbesserung der CO2-Absorption führt. Auch wenn D4 nicht explizit auf Abgase aus Vinylacetatsynthesen Bezug nehme, seien die Ergebnisse der D9 dadurch widerlegt.
Die Kammer hält in der Zusammenschau der Dokumente D8/D9 und D4 ein technisches Vorurteil gegen die Verwendung der beanspruchten Gewichtsverhältnisse nicht für belegt. Schon alleine die Aussage der D4, es könnten auch andere Verhältnisse als in D9, insbesondere anspruchsgemäße, verwendet werden, zeigt, dass ein allgemeines Vorurteil nicht bestand. Daran ändert auch nichts, dass D4 nicht explizit auf Abgase aus Vinylacetatsynthesen Bezug nimmt. Zum Einen ist das in D9 ebenso wenig der Fall, und zum Anderen diskutiert D4 direkt die Ergebnisse der D9. Ein über D8 hergestellter Bezug der D9 zur Vinylacetatherstellung muss daher ebenso für D4 gelten.
2.4.5 Insgesamt ist daher festzuhalten, dass sich der Fachmann mit dem beanspruchten Verfahren innerhalb der Lehre der D1 bewegt. Ein technisches Vorurteil gegen die Verwendung des anspruchsgemäßen Gewichtsverhältnisses an Vanadaten und Boraten bestand nicht. Da mit der Verwendung dieser Aktivatormischungen im Vergleich zu den in D1 beispielhaft verwendeten Mischungen kein unerwarteter Effekt verbunden ist, geht die beanspruchte Verfahrensweise nicht über die in D1 angesprochenen Variationsmöglichkeiten innerhalb der dortigen allgemeinen Lehre hinaus. Dafür ist kein erfinderisches Zutun erforderlich.
Hilfsantrag 2
2.5 Im unabhängige Anspruch des zweiten Hilfsantrags sind im Vergleich zum Hauptantrag einige Vanadate und Borate gestrichen. Konkret werden dort als Vanadate NaVO3 und KV2O5, als Borate KBO2, K2B2O4, Na2B2O7 und K2B2O7 genannt.
2.5.1 Die Beschwerdegegnerin hat hierzu vorgebracht, dass die im Anspruch definierten Vanadate NaVO3, und KV2O5 in D1 nicht beschrieben sind. Dort wird KVO3 verwendet.
2.5.2 Dies kann nach Überzeugung der Kammer jedoch den für den Hauptantrag bestehenden Mangel an erfinderischer Tätigkeit nicht beheben.
NaVO3 und KVO3 können in der Waschlösung analog verwendet werden. Dies ist dem Fachmann bekannt und auch in D9 explizit so angegeben, siehe Spalte 3 Zeilen 34 bis Spalte 4 Zeile 11.
2.5.3 Dem in Anspruch 1 des zweiten Hilfsantrags definierten Verfahren mangelt es daher ebenfalls ausgehend von D1 an erfinderischer Tätigkeit.
2.5.4 Die Beschwerdeführerin hatte bereits die Zulassung dieses Antrags ins Verfahren bestritten. Da der Antrag ohnehin nicht gewährbar ist, muss darauf nicht näher eingegangen werden.
3. Zulassung der Hilfsanträge 1 und 3 ins Beschwerdeverfahren.
3.1 Hilfsanträge 1 und 3 wurden während der mündlichen Verhandlung vor der Beschwerdekammer eingereicht. Sie basieren auf den mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträgen 2 und 3. Anspruch 1 dieser Hilfsanträge wurde in der mündlichen Verhandlung dahingehend geändert, dass im bezüglich des Hauptantrags hinzugefügten Teils ein Merkmal gestrichen wurde, wie folgt:
wobei der Sumpf des CO2-Absorbers einem CO2-Desorber zugeführt wird und die am Sumpf des CO2-Desorbers anfallende Waschlösung [deleted: zumindest teilweise] entnommen und im Bereich des Kopfes in den CO2-Absorber zurückgeführt wird.
3.2 Für die Zulassung von Änderungen des Beschwerdevorbringens nach dem Erhalt der Ladung zur mündlichen Verhandlung, also auch während der mündlichen Verhandlung, verlangt der dafür einschlägige Artikel 13(2) VOBK 2020 das Aufzeigen stichhaltiger Gründe für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände.
3.3 In diesem Zusammenhang hat die Beschwerdegegnerin argumentiert, die Streichung von zumindest teilweise aus den mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Ansprüchen erfolge aufgrund eines von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung erstmals vorgebrachten Einwands. Gemäß diesem Einwand sei das oben zitierte, gegenüber dem Hauptantrag hinzugefügte Merkmal bereits in D1 beschrieben.
Dies ist nicht überzeugend, da ein entsprechender Neuheitseinwand zumindest bereits in der Eingabe der Beschwerdeführerin vom 3. August 2021, also über ein Jahr vor dem Datum der mündlichen Verhandlung, als Reaktion auf die Einreichung der Hilfsanträge gemacht wurde, siehe Punkte 6.7 und 6.8 dort.
3.4 Die Beschwerdegegnerin hat weiterhin angeführt, dass die Änderung den gegenüber D1 gemachten Einwand mangelnder erfinderischer Tätigkeit prima facie ausräumen würde. Dies sei ein Kriterium, das zumindest unter Artikel 13(1) VOBK 2020 geprüft werden müsse und auch im vorliegenden Fall analog zur Anwendung kommen solle.
Dies ist ebenso wenig überzeugend. Es müsste nämlich zunächst geprüft werden, ob die Streichung des Merkmals zumindest teilweise das beanspruchte Verfahren überhaupt dahingehend eingrenzt, dass nun eine vollständige Entnahme der Waschlösung aus dem Sumpf des CO2-Desorbers verlangt wird (Artikel 84 EPÜ) und, falls ja, ob eine solche, eine vollständige Entnahme verlangende Verfahrensweise ursprünglich offenbart war (Artikel 123(2) EPÜ). Beides wurde von der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung bestritten. Dies allein zeigt schon, dass der Antrag nicht prima facie gewährbar ist, unabhängig davon, inwieweit dieses Kriterium hier Anwendung finden kann.
3.5 Die im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingereichten Hilfsanträge 1 und 3 werden daher nicht mehr ins Verfahren zugelassen.
4. Zusammenfassend erfüllt das Patent in der von der Einspruchsabteilung aufrechterhaltenen Form nicht das Erfordernis der erfinderischen Tätigkeit unter Artikel 56 EPÜ. Gleiches gilt für Hilfsantrag 2. Hilfsanträge 1 und 3 werden nicht ins Verfahren zugelassen.
Das Patent ist daher gemäß Artikel 101(3)(b) EPÜ zu widerrufen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.