T 0887/20 01-03-2023
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DUSCHBODENELEMENT
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, das europäische Patent Nr. 1 799 081 in geändertem Umfang nach Artikel 101 (3) (a) und 106 (2) EPÜ aufrechtzuerhalten.
II. Die Einspruchsabteilung hatte unter anderem entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 des mit Schreiben vom 10.7.2019 eingereichten Hilfsantrags 1 erfinderisch sei.
In ihrer Entscheidung hat die Einspruchsabteilung unter anderem die folgenden Entgegenhaltungen berücksichtigt:
MB9: DE 101 31 338 A1
MB10: DE 198 49 394 A1
III. Gegen diese Entscheidung legte die Einsprechende als Beschwerdeführerin am 6. April 2020 Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung folgte am 5. Juni 2020.
IV. Auch die Patentinhaberin legte am 6. April 2020 Beschwerde ein und entrichtete am selben Tag die Beschwerdegebühr. Die Beschwerdebegründung wurde am 29. Mai 2020 eingereicht.
V. In einer Mitteilung gemäß Artikel 15(1) VOBK vom 30. Juni 2022 teilte die Kammer den Parteien unter anderem ihre vorläufige Auffassung zur erfinderischen Tätigkeit mit.
VI. Mit dem Schreiben vom 24. Februar 2023 nahm die Patentinhaberin ihre Beschwerde zurück und teilte mit, die mündliche Verhandlung vor der Kammer nicht wahrzunehmen. Dabei hat sie zur Mitteilung der Kammer nicht Stellung genommen.
VII. Die Beschwerdeführerin Einsprechende beantragt die Aufhebung der Zwischenentscheidung und den Widerruf des Patents. Eine mündliche Verhandlung hat sie hilfsweise für den Fall beantragt, dass eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren nicht möglich sei.
VIII. Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin beantragt mit der Rücknahme ihrer eigenen Beschwerde nunmehr die Zurückweisung der Beschwerde der Einsprechenden.
IX. Der unabhängige Anspruch 1 nach dem Hilfsantrag 1, der von der Einspruchsabteilung in der angegriffenen Entscheidung als gewährbar erachtet wurde, hat folgenden Wortlaut:
"Duschbodenelement (D) mit einem Tragkörper (1), der aus Partikelschaumstoff, insbesondere Polystyrol-Partikelschaumstoff (EPS) besteht, wobei der Tragkörper (1) eine darauf aufgebrachte Haftvermittlungsschicht aufweist, bspw. als Unterlage für einen Fliesenkleber oder zur unmittelbaren Verhaftung mit einem raumseitigen Sanitär-Oberflächenkörper (15), wobei weiter die Haftvermittlungsschicht (8) unmittelbar auf dem Tragkörper (1) aufgebracht ist, dadurch gekennzeichnet, dass die Haftvermittlungsschicht (8) wasserdicht und dass die Rohdichte des Tragkörpers (1) 70 kg/m**(3) oder größer ist, so dass die bei bestimmungsmäßigem Gebrauch auf das Duschbodenelement ausgeübten Vertikalkräfte zu keiner Beeinträchtigung der Verhaftung führen."
X. Die Beschwerdeführerin hat zur entscheidungserheblichen Frage der erfinderischen Tätigkeit im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Der Gegenstand von Anspruch 1 werde ausgehend von MB9 nahegelegt.
XI. Die Beschwerdegegnerin hat zur Frage der erfinderischen Tätigkeit im Wesentlichen Folgendes vorgetragen: Der Gegenstand von Anspruch 1 werde durch den angezogenen Stand der Technik nicht nahegelegt.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Anwendungsgebiet der Erfindung
Die Erfindung betrifft ein Duschbodenelement mit einem Tragkörper aus Partikelschaumstoff. Ein solches Duschbodenelement wird insbesondere zur Ausbildung bodenebener Duschen eingesetzt. Auf den Tragkörper 1 ist unmittelbar eine wasserdichte Haftvermittlungs-schicht 8 aufgebracht, die beispielsweise als Unterlage für einen Fliesenkleber 9 oder zur unmittelbaren Verhaftung mit einem raumseitigen Sanitär-Oberflächenkörper 15 dient, siehe die Figuren 3 und 7 der Patentschrift. Die Rohdichte des Tragkörpers 1 ist 70 kg/m**(3) oder größer, so dass die bei bestimmungs-gemäßem Gebrauch auf das Duschbodenelement ausgeübten Vertikalkräfte zu keiner Beeinträchtigung der Verhaftung führen.
3. Erfinderische Tätigkeit
3.1 Die erfinderische Tätigkeit wurde ausgehend von MB9 in Kombination mit dem allgemeinen Fachwissen bestritten. In ihrer Mitteilung vom 30. Juni 2022, Abschnitt 2, hat die Kammer dazu die folgende vorläufige Meinung geäußert:
"Ungeachtet der nachfolgenden Punkte sieht die Kammer die Frage der erfinderischen Tätigkeit für den Haupt- und Hilfsantrag als kritisch an.
2.1 Im Hinblick auf Anspruch 1 des Hilfsantrags offenbart MB9 ein Duschbodenelement mit einem Tragkörper der aus Polystyrol-Partikelschaumstoff besteht (Absatz 0001: "EPS"), wobei der Tragkörper eine darauf aufgebrachte Haftvermittlungsschicht (Absatz 0038: eine aufgerauhte Dichtmasseschicht 17) aufweist, die Haftvermittlungsschicht unmittelbar auf dem Tragkörper aufgebracht ist (Absatz 0038: die Dichtmasseschicht 17 ersetzt die direkt auf das Duschbodenelement 1 aufgebrachte Mörtelschicht 15), die Haftvermittlungsschicht wasserdicht ist (implizit durch den Begriff "Dichtmasse" offenbart), und wobei der Tragkörper so gewählt ist, dass die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch auf das Duschbodenelement ausgeübten Vertikalkräfte zu keiner Beeinträchtigung der Verhaftung führen *.
* Die Gewichtskraft einer das Duschbodenelement belastenden Person wirkt von oben als Vertikalkraft. Absatz 0014 der Patentschrift nennt Spitzenlasten auf (kleinen Mosaik-)Fliesen, also Punktlasten. Auch die MB9 nennt in den Absätzen 0002 und 0032 eine Punktlast bei Rollstuhlbenutzung.
2.2 Der Gegenstand von Anspruch 1 unterscheidet sich von der Offenbarung der MB9 darin, dass die Rohdichte des Tragkörpers größer als 70 kg/m**(3) ist. MB9 nennt zwar EPS als Partikel(hart)schaumstoff, über Rohdichtewerte oder andere Materialeigenschaften des EPS schweigt sie.
2.3 Für die Formulierung der objektiven technischen Aufgabe fragt sich die Kammer, wie die Aussage "Durch die gewählte hohe Rohdichte ... ist der Tragkörper ausreichend wasserdicht. Diese Dichte kann durch die wasserdichte Ausgestaltung der Haftvermittlungsschicht weiter erhöht werden." in Absatz 0007 der Patentschrift zu verstehen ist. Wie viel Wasserdurchtritt durch das Duschbodenelement ist zulässig, wenn dieses nicht vollständig, sondern nur "ausreichend" wasserdicht ist? Außerdem scheint eine ausreichende Wasserdichtigkeit des Duschbodenelements alleine nicht auszureichen, da die darüber liegende Haftvermittlungsschicht laut Anspruch 1 ebenfalls wasserdicht sein muss. Auch hat die Patentschrift nicht plausibel gemacht, zum Beispiel durch Testversuche, ob und in welchem Maße durch die beanspruchte Rohdichtewerte alleine eine erhöhte Wasserdichtigkeit erzielt wird. Laut Absatz 0017 der Patentschrift ist die Wasserdichtigkeit nicht nur eine Folge von hohen Rohdichtewerten, sondern folgt wenigstens zum Teil aus der Verwendung von wasserabweisendem EPS (das bereits in MB9 verwendet wird). Die Kammer ist daher der Ansicht, dass die vermeintliche "Wasserdichtigkeit" des Partikelschaumstoffs nicht zur Formulierung der objektiven technischen Aufgabe verwendet werden kann.
Die Kammer teilt die Aussagen in der Patentschrift zum Zusammenhang zwischen Rohdichte und Festigkeit eines Partikelschaumstoffs, wonach die Rohdichte die Höhe der tolerierbaren Last festlegt, da die Druckfestigkeit mit der Rohdichte steigt (Absätze 0014 und 0017 der Patentschrift). Auch die MB9 beschäftigt sich mit dem Problem von hohen Drucklasten, vgl. Absatz 0002. Daher scheinen die beanspruchten Rohdichtewerte vielmehr damit zusammenzuhängen, dass ein ausreichend druckfestes Duschbodenelement aus EPS realisiert wird. Die objektive technische Aufgabe kann daher in der praktischen Umsetzung der Lehre der MB9, druckfeste Duschbodenelemente aus EPS bereitzustellen, gesehen werden.
2.4 Da der Fachmann gezwungen ist, bei der praktischen Umsetzung der Lehre der MB9 eine Rohdichte des Partikelschaumstoffs zu wählen, die den hohen Punktbelastungen durch einen Rollstuhl widersteht, nicht nur im Randbereich, muss er durch Routineversuche geeignete Werte finden. Im Hinblick auf die Lösung der objektiven technischen Aufgabe fragt sich die Kammer, ob der beanspruchte Wertebereich für die Rohdichte lediglich eine fachübliche Optimierung darstellt, so dass der Fachmann im Rahmen seiner Routineversuche auf naheliegende Weise für das Duschbodenelement der MB9 eine Rohdichte wählen würde, die in den beanspruchten Bereich fällt. Nach der ständigen Rechtsprechung der Beschwerdekammern umfasst der Begriff des Fachmanns einen erfahrenen Mann der Praxis, der insbesondere über die normalen Mittel und Fähigkeiten für routinemäßige Arbeiten und Versuche verfügt (RdBK, 9. Auflage 2019, I.D.8.1.1. Außerdem offenbart bereits das Dokument MB10 einen Duschwannenträger aus Partikelschaumstoff mit einer Rohdichte von 80-150 kg/m**(3)wegen der hohen Punktbelastung an Schraubgewinden, siehe Spalte 2, Zeilen 38-41. Falls sich durch die vom Fachmann zu treffende Wahl der Rohdichte im Zusammenhang mit der Verwendung von EPS zusätzlich eine höhere Dichtigkeit des Schaumstoffs einstellt - siehe Absatz 0017 der Patentschrift und die entsprechende Argumentation der Patentinhaberin in ihrer Eingabe vom 8. Februar 2022 - scheint es sich dabei lediglich um einen (wenig überraschenden) Bonuseffekt zu handeln."
3.2 Die Patentinhaberin als Beschwerdegegnerin hat zu dieser Sichtweise nicht weiter Stellung genommen. Mangels weiterer Ausführungen sieht die Kammer keinen Grund, von ihrer Sichtweise abzuweichen. Sie fügt hinzu, dass der Fachmann gezwungen ist, bei der praktischen Umsetzung der Lehre der MB9 eine Rohdichte des Partikelschaumstoffs zu wählen, die den hohen Punktbelastungen durch einen Rollstuhl nicht nur im Randbereich widersteht. Dazu wird der Fachmann im Rahmen einer fachüblichen Optimierung durch Routineversuche geeignete Werte finden, und somit auf naheliegende Weise für das Duschbodenelement der MB9 eine Rohdichte wählen, die in den beanspruchten Bereich fällt.
4. Somit gelangt die Kammer im Gegensatz zur angegriffenen Entscheidung zu dem Ergebnis, das der Gegenstand von Anspruch 1 des Hilfsantrags 1 ausgehend von MB9 nicht auf erfinderischer Tätigkeit beruht (Artikel 56 EPÜ). Daher ist diese aufzuheben. Da das nach dem einzigen Antrag geänderte Patent nicht die Erfordernisse des EPÜ erfüllt, ist das Patent zu widerrufen, Artikel 101(3)(b) EPÜ.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Das Patent wird widerrufen.