T 0752/21 15-11-2022
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INNEN- ODER AUSSENLEUCHTE, INSBESONDERE STRASSENLEUCHTE, MIT VERLAGERBARER FREIFORMLINSE
I. Die Patentinhaberin legte Beschwerde gegen die Entscheidung der Einspruchsabteilung ein, das Europäische Patent EP 3 165 818 zu widerrufen.
II. Im Einspruchsverfahren hatte die Einsprechende Einwände unter Artikel 100(a) und (b) EPÜ erhoben.
III. Die Einspruchsabteilung entschied, dass das Patent die Erfindung nicht so deutlich und vollständig offenbare, dass ein Fachmann sie ausführen könne und widerrief das Patent.
IV. In der mündlichen Verhandlung vor der Kammer beantragte die Beschwerdeführerin (Patentinhaberin) die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und die Zurückweisung des Einspruchs, hilfsweise das Patent in geänderter Fassung auf Basis eines der mit der Beschwerde eingereichten Hilfsanträge 1 - 3 aufrechtzuerhalten. Des Weiteren beantragte sie im Falle einer Aufhebung der angefochtenen Entscheidung die Zurückverweisung der Angelegenheit an die Einspruchsabteilung.
Die Beschwerdegegnerin (Einsprechende) beantragte, die Beschwerde zurückzuweisen.
V. Anspruch 1 des Hauptantrags lautet wie folgt:
"Leuchte für eine Innen- oder Außenbeleuchtung, insbesondere Straßenleuchte (8), mit wenigstens einer LED (1) als Lichtquelle und;
wenigstens einer der LED (1) zugeordneten Freiformlinse (2) zur Beeinflussung der von der Leuchte abgegebenen Lichtverteilung, und wobei die Freiformlinse (2) nicht rotationssymmetrisch ist
wobei die Freiformlinse (2) und die LED (1) durch eine Relativbewegung (4) gegeneinander verlagerbar sind zwischen wenigstens einer ersten und einer zweiten Position und wobei die Relativbewegung (4) wenigstens teilweise eine Bewegung senkrecht zur Hauptabstrahl-richtung der LED (1) umfasst und die Freiformlinse (2) in der ersten und der zweiten Position unterschiedliche Lichtverteilungen erzeugt,
dadurch gekennzeichnet, dass in wenigstens einer der Positionen die Lichtverteilung in der Kegelmantelkurve (6; 22, 23, 24) eine Lichtbandknickung aufweist, und der Winkel (11) der Lichtbandknickung zwischen den zwei Positionen unterschiedlich ist."
VI. Das Vorbringen der Beschwerdeführerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Die Erfindung sei so ausreichend klar und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie unter Berücksichtigung der im Streitpatent gegebenen Informationen ausführen kann.
b) Das Merkmal "Lichtverteilung weist in der Kegelmantelkurve eine Lichtbandknickung auf" sei in der Beschreibung ausreichend erläutert, so dass der Fachmann die damit verbundene technische Lehre verstehen und nacharbeiten könne. Zudem zeige Figur 2b und 3b die jeweiligen Lichtverteilungen, die in der ersten bzw. zweiten Position der Linse erzielt würden.
c) Zur Bestimmung der Lichtverteilung sei nicht relevant, welchen konkreten Öffnungswinkel der ideelle Kegel zur Festlegung der Kegelmantelkurve habe. Der Fachmann würde in Abhängigkeit der konkreten Randbedingungen einen geeigneten Winkel wählen, der eine Aussage zur Lichtverteilung der Leuchte zulässt.
d) Bei der Bestimmung der Lichtverteilung sei zudem der Abstand zwischen Lichtquelle und beleuchteten Fläche irrelevant, da die Lichtverteilung (im Unterschied zur Lichtstärke) eine normierte Größe sei.
e) Auch in Figur 4b sei sowohl bei den einzelnen Lichtverteilungskurven, als auch bei der Summenkurve eine Normierung vorgenommen worden, so dass man die Einzelkurven der Lichtverteilungen nicht ohne weiteres aufsummieren könne.
f) Ob im Lichtbild auf der Strasse ein gewisser Hell/Dunkel-Wechsel erzeugt würde und dies den Autofahrer stören würde sei keine Frage der Ausführbarkeit der Leuchte.
VII. Das Vorbringen der Beschwerdegegnerin lässt sich wie folgt zusammenfassen:
a) Das Kennzeichen des unabhängigen Anspruchs sei derart unverständlich formuliert, dass der Fachmann weder den örtlichen Verlauf der Kegelmantelkurve ermitteln könne, noch die Lichtverteilung entlang dieser Kurve sinnvoll bestimmen könne.
b) Zudem sei unklar, wie eine Lichtverteilung entlang einer Kurve eine Lichtbandknickung aufweisen solle.
c) Auch die Beschreibung könne diese im Anspruch genannten, unverständlichen Merkmale nicht technisch erklären, so dass der Fachmann auch unter Berücksichtigung der Beschreibung nicht wüsste, wie er die beanspruchte Leuchte auszugestalten habe. Daher läge hier nicht nur ein unklarer Anspruch vor, sondern diese Unklarheit sei so gravierend, dass sie eine Nacharbeitbarkeit der Erfindung nicht zuließe.
d) Die Diagramme der Lichtverteilung in den Figuren 2b und 3b seien nicht nachvollziehbar, da für eine dreidimensionale Darstellung die Skala für die gemessene Lichtstärke fehlen würde.
e) Die Figur 4b sei in sich widersprüchlich, da die kombinierte Lichtverteilung der drei Leuchten nicht der Summe der drei einzelnen Lichtverteilungen entspräche. Der Fachmann würde davon zusätzlich verwirrt werden und so die Erfindung nicht nacharbeiten können.
1. Die Einspruchsabteilung hat entschieden, dass die Erfindung gemäß Hauptantrag nicht so deutlich und vollständig offenbart werde, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 100 b) EPÜ).
1.1 Aufgabe der Erfindung ist es laut Absatz [0010], eine Leuchte zur ortsfesten Beleuchtung zu entwickeln, die kostengünstig an die jeweilige Beleuchtungsaufgabe angepasst werden kann. Hierzu weist die Leuchte eine der Lichtquelle zugeordnete Freiformlinse auf, die verlagerbar zwischen wenigstens zwei Positionen ist, so dass in den jeweiligen Positionen unterschiedliche Lichtverteilungen mit ein und derselben Leuchte erzeugt werden können.
1.2 Diese in der jeweiligen Position erzeugbare Lichtverteilung wird dabei im Kennzeichen des unabhängigen Anspruchs definiert als "eine Lichtverteilung, die in der Kegelmantelkurve eine Lichtbandknickung aufweist", wobei die Lichtbandknickungen der Lichtverteilungen zwischen den beiden Positionen der Freiformlinse unterschiedlich sein sollen.
1.3 Der vorstehend zitierte Ausdruck wurde von der Einspruchsabteilung als unverständlich angesehen, wobei die Einspruchsabteilung auch in der Beschreibung keine zufriedenstellende Erklärung für diesen Ausdruck erkennen konnte. Insbesondere kritisierte die Einspruchsabteilung, dass
a) der Öffnungswinkel des imaginären Kegels zur Ermittlung der Kegelmantelkurve nicht im Patent angegeben werde;
b) der Abstand zwischen Leuchte und der Kegelmantelkurve nicht im Patent angegeben werde;
c) im Patent nicht beschrieben werde, wie eine Lichtverteilung in (insbesondere entlang) der Kegelmantelkurve ermittelt werde;
d) im Patent nicht beschrieben werde, wie der Winkel der Lichtbandknickung gemessen werde und wie sich zwei Lichtverteilungen in ihrem Winkel unterscheiden können;
e) die in Figur 4b gezeigte Summenlichtverteilung sich nicht aus den Einzellichtverteilungen der drei Leuchten ergäbe.
1.4 Wie in Spalte 3, Zeilen 4 - 8 der Beschreibung ausgeführt, "weist die Lichtverteilung ... unter einem vorgegebenen Ausstrahlungswinkel rund um die Leuchte, d. h. in einer sogenannten Kegelmantelkurve, eine Längserstreckung auf".
1.4.1 Die Kegelmantelkurve ergibt sich also aus der Verschneidung eines imaginären Kegels mit vorgegebenem Öffnungswinkel mit einer senkrecht zur Abstrahlrichtung der Leuchte angeordneten Ebene.
1.4.2 Die Lichtverteilung soll nun dem Wortlaut der zitierten Passage folgend "in der Kegelmantelkurve" ermittelt werden. Diese Kegelmantelkurve legt also die Messorte fest, in der die Lichtverteilung gemessen werden soll. Entlang dieser Kurve wird nun in einer Vielzahl von Punkten (oder sprachlich verkürzt "in dieser Kurve") die von der Leuchte abgegebene Lichtstärke ermittelt.
Die Kammer kann hier nicht erkennen, warum der Ausdruck "in der Kegelmantelkurve" bzw. "entlang der Kegelmantelkurve" dabei für den Fachmann nicht verständlich sein sollte.
1.4.3 Dabei ist dem Fachmann aufgrund seines Fachwissens geläufig, dass eine Lichtverteilungskurve den Messwert der Lichtstärke nicht direkt verwendet, da die gemessene Lichtstärke von der Art der Lichtquelle abhängt. Mit einer Lichtverteilungskurve soll jedoch unabhängig von der Lichtquelle das Abstrahlverhalten der Leuchte aufgrund deren Geometrie charakterisiert werden, so wie im vorliegenden Fall die Eigenschaften der Freiformlinse.
Stattdessen wird die Lichtstärke üblicherweise noch auf den Lichtstrom normiert, um so eine von der Lichtquelle unabhängige Lichtverteilung zu erhalten. So kann das Abstrahlverhalten verschiedener Lampen mit unterschiedlichen Lichtquellen besser verglichen werden.
1.4.4 Dieser so ermittelte Wert wird dann entweder in einem kartesischen Koordinatensystem oder mit Hilfe von Polarkoordinaten dem Messort zugeordnet. Auch dies ist dem Fachmann hinlänglich bekannt.
1.4.5 So erhält der Fachmann Visualisierungen wie in den Figuren 2b und 3b wiedergegeben. Diese Art der Visualisierung ist dabei dem Fachmann geläufig und wird auch beispielsweise in dem von der Beschwerdegegnerin vorgelegten Gutachten von Roxane Caprara verwendet (siehe Grafiken auf Seite 4 und Seite 8: Einheit cd/klm).
1.4.6 Zudem wird auch im Streitpatent deutlich, dass in Abhängigkeit des jeweiligen Winkels bezüglich der C0/C180-Ebene die Lichtverteilung als Strahl vom Ursprung des x-y-Koordinatensystems aus aufgetragen wird. In Figur 3b wird dies für den Winkel 11 als gestrichelte Linie ausgehend vom Ursprung dargestellt. Wiederholt man dies für eine Vielzahl von Winkel, ergibt sich die grob gestrichelte Linie mit Referenzzeichen 6, die die Lichtverteilung in Abhängigkeit der Position auf der Kegelmantelkurve darstellt.
1.4.7 Durch die Normierung auf den Lichtstrom der Lichtquelle spielt - entgegen der Annahme der Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung - der Abstand zur Lichtquelle keine Rolle mehr.
Selbst wenn aber der Abstand zwischen der Kegelmantelkurve und der Leuchte einen Einfluss hätte, dann nicht auf den Winkel der Lichtbandknickung, da die Form der Lichtverteilung bei unterschiedlichen Abständen immer geometrisch ähnlich ist, d. h. der Winkel, um den das Lichtband geknickt ist, gleich bleibt.
1.4.8 Der Öffnungswinkel des Kegels zur Bildung der Kegelmantelkurve dagegen beeinflusst die Messung durchaus. Bei der Wahl eines sehr kleinen oder sehr großen Öffnungswinkels kann es dabei sogar passieren, dass auf der damit festgelegten Kegelmantelkurve gar keine Lichtstärke mehr festgestellt werden kann, da das abgestrahlte Licht der Lichtquelle so stark abgelenkt wird, dass die resultierende Kegelmantelkurve außerhalb des beleuchteten Bereichs liegt.
Der Fachmann kann hier aber zweifelsfrei ohne unzumutbaren Aufwand einen geeigneten Winkel ermitteln und ist nicht auf die Angabe eines konkreten Winkels angewiesen. Dabei würde er extreme Winkel nicht in Betracht ziehen, sondern nur solche Winkel wählen, bei denen tatsächlich entlang der Kegelmantelkurve eine variierende Lichtstärke deutlich detektierbar ist und so eine belastbare Aussage zur Lichtverteilung getroffen werden kann.
Die Angabe eines konkreten Zahlenwertes für den Öffnungswinkel des imaginären Kegels zur Bestimmung der Kegelmantelkurve wäre zudem nicht sinnvoll, da unterschiedliche Leuchten unterschiedliche geeignete Öffnungswinkel haben können.
1.5 Die angestrebten Lichtverteilungen der Leuchte in den beiden Positionen der Freiformlinse werden im Streitpatent in Figur 2b und 3b gegenübergestellt (siehe Figurenbeschreibung).
1.5.1 Die resultierende geometrische Form der Lichtverteilung ist dabei augenscheinlich länglich, so dass sie ein "Lichtband" bildet. Dieses Band weist - wie insbesondere in Figur 3b zu erkennen ist - einen Knick auf, der als "Lichtbandknickung" im Streitpatent bezeichnet wird (siehe beispielsweise in Spalte 3, Zeilen 19 - 21). Dass dabei durch die unterschiedlichen Positionen der Freiformlinse unterschiedliche Lichtbänder mit unterschiedlichen Lichtbandknickungen erzeugt werden können, wird ausführlich in Absatz [0028] unter Bezug auf die Figuren 2b und 3b beschrieben.
1.5.2 Entgegen der Entscheidung der Einspruchsabteilung kann der Fachmann aber den Winkel der jeweiligen Lichtbandknickung geometrisch aus den Figuren 2b und 3b problemlos ermitteln und vergleichen. Hierzu muss er nur (wie in Absatz [0028] ausgeführt) eine Gerade vom Ursprung der Grafik zum jeweiligen Maximum der Lichtverteilung ziehen und den Winkel zwischen dieser Geraden und der C0/C180-Ebene (also der x-Achse der Grafik) messen.
1.5.3 Die Abwesenheit einer Skala zur Quantifizierung der Lichtverteilung ist hierbei unerheblich, da der Winkel nicht vom absoluten Wert des Maximums der Lichtverteilung abhängt. Insofern ist es auch unerheblich, dass in den Figuren 2b, 3b und 4b keine jeweilige Skala eingezeichnet ist.
2. Dass der Fachmann in der Lage ist, eine geeignet geformte Freiformlinse herzustellen - wie es die Einspruchsabteilung entschieden hat - wird von der Beschwerdegegnerin im Beschwerdeverfahren nicht mehr bestritten.
3. Ob die Ausführungsform der Figur 4b in sich widersprüchlich ist, da hier die kombinierte Kurve 25 aller drei Leuchten sich nicht als Summe der Einzelkurven 22 - 24 ergibt (wie es die Einspruchsabteilung bemängelte), kann dabei dahingestellt bleiben, da das Ausführungsbeispiel der Figuren 2 und 3 dem Fachmann bereits einen Weg zum Ausführen der Erfindung aufzeigt.
4. Die Beschwerdegegnerin behauptet ferner, dass eine Ausleuchtung einer Straße mit einem geknickten Lichtband zu einem Wechsel zwischen beleuchteten und unbeleuchteten Bereichen unter der Leuchte führen würde, was der Fachmann als nicht umsetzbar ansehen würde, da die Beleuchtungswechsel den Fahrer irritieren können.
4.1 Dieses Argument betrifft jedoch allenfalls den Gebrauch der Leuchte und deren Vermarktungsfähigkeit, spielt im konkreten Fall jedoch für die Frage der Ausführbarkeit der Leuchte an sich keine Rolle.
4.2 Der Anspruch ist letztlich auch nicht auf Straßenlaternen beschränkt, sondern beansprucht ganz allgemein jegliche Art von Leuchten.
5. Die Erfindung wird im Streitpatent daher entgegen der Entscheidung der Einspruchsabteilung doch so deutlich und vollständig offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen kann (Artikel 100 b) EPÜ)
Die Entscheidung der Einspruchsabteilung kann daher nicht bestätigt werden, sondern ist aufzuheben.
6. Die Beschwerdegegnerin hatte im Einspruchsverfahren weitere Mängel des erteilten Patentes unter Artikel 54 und 56 EPÜ in Kombination mit Artikel 100 a) EPÜ gerügt.
6.1 Die Beschwerdeführerin beantragt im Fall einer Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung eine Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz, da die Einspruchsabteilung bisher zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit keine Stellung bezogen hat.
6.2 Die Beschwerdegegnerin hat dagegen keine Einwände vorgebracht.
6.3 Die noch ausstehende Entscheidung der Einspruchsabteilung zur Neuheit und erfinderischen Tätigkeit wird als besonderer Grund im Sinne von Artikel 11 VOBK 2020 angesehen, der eine Zurückverweisung an die Einspruchsabteilung rechtfertigt.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die Einspruchsabteilung zur weiteren Entscheidung zurückverwiesen.