T 0155/22 27-01-2023
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GENERATORTRÄGER FÜR EIN FAHRERAIRBAGMODUL ZUM EINBAUEN IN EIN LENKRAD EINES KRAFTFAHRZEUGES
Erfinderische Tätigkeit - (ja)
Änderung nach Ladung - berücksichtigt (nein)
Änderung nach Ladung - stichhaltige Gründe (nein)
I. Die Beschwerde der Einsprechenden richtet sich gegen die Zwischenentscheidung der Einspruchsabteilung, wonach das Streitpatent in der geänderter Fassung des in der mündlichen Verhandlung vor der Einspruchsabteilung eingereichten Hilfsantrags 6 den Erfordernissen des EPÜ genügt.
II. Die Einspruchsabteilung hat hinsichtlich der aufrechterhaltenen Fassung entschieden, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 im Hinblick auf die Kombination von D4 (DE 202 13 908 U1) mit D3 (offenkundige Vorbenutzung von Airbagmodulen mit Anlagen D3.1 bis D3.10) auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe.
III. Es fand am 27. Januar 2023 eine mündliche Verhandlung in Form einer Videokonferenz statt.
Die Beschwerdeführerin (Einsprechende) beantragte das Patent unter Aufhebung der Entscheidung der Einspruchsabteilung zu widerrufen.
Die Beschwerdegegnerin (Patentinhaberin) beantragte die Beschwerde der Einsprechenden zurückzuweisen und hilfsweise das europäische Patent im Umfang eines der mit der Beschwerdeerwiderung eingereichten Hilfsanträge 1 bis 4 aufrechtzuerhalten.
IV. Anspruch 1 des Hauptantrags, d.h. der aufrechterhaltenen Fassung, lautet wie folgt (Merkmalsgliederung gemäß der angefochtenen Entscheidung):
a0) Generatorträger für ein Fahrerairbagmodul zum
Anordnen in einem Lenkrad eines Kraftfahrzeuges mit
a) - mindestens einem Befestigungsbereich (6)zum
Befestigen eines Gasgenerators am Generatorträger (1) und
b) - mindestens zwei Hupenkontakten (2, 3), die in
elektrischen Kontakt miteinander bringbar sind, um in einem Einbauzustand des Generatorträgers (1) zusammen mit dem Fahrerairbagmodul in einem Kraftfahrzeug ein akustisches Hupsignal auszulösen, wobei
c) - einer der Hupenkontakte (2, 3) dazu vorgesehen ist,
im Einbauzustand des Generatorträgers (1) elektrisch geerdet zu sein,
c2HiA6) - und wobei ein Hupenkontakt (3) zumindest teilweise
durch eine Druckausübung zur Auslösung des Hupsignals so elastisch verformbar ist, dass er den anderen Hupenkontakt (2) elektrisch kontaktiert,
dadurch gekennzeichnet, dass
d) - der Befestigungsbereich (6) so ausgebildet und
relativ zu dem geerdeten Hupenkontakt (3) so positioniert ist,
d2) dass bei einem bestimmungsgemäßen Befestigen des
Gasgenerators am Befestigungsbereich (6) des Generatorträgers (1) eine elektrische Kontaktierung zwischen dem geerdeten Hupenkontakt (3) und dem Gasgenerator hergestellt wird,
e) wobei der Generatorträger (1) als elektrischer Isolator
ausgebildet ist.
1. Hauptantrag - erfinderische Tätigkeit
1.1 Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist nicht durch die Kombination von D4 mit D3 nahegelegt (Artikel 56 EPÜ).
1.2 Beide Parteien waren sich einig, dass der Gegenstand des Anspruchs 1 sich von dem Generatorträger der D4 zumindest durch Merkmal d2 unterscheidet.
1.3 Die Einspruchsabteilung und die Beschwerdeführerin formulierten die daraus folgende Aufgabe, Bauteile und Montageaufwand zu reduzieren.
1.4 Die Beschwerdeführerin argumentierte im schriftlichen Verfahren ausgehend von dem Ausführungsbeispiel in Figur 2 von D4 als nächstliegendem Stand der Technik. Im wesentlichen trugt sie vor, dass die Einspruchsabteilung den "could-would approach" nicht richtig angewendet habe, da der Fachmann in der Erwartung der Lösung der objektiv gestellten Aufgabe den offenbarten Generatorträger der D4 derart geändert bzw. angepasst hätte, dass er im Hinblick auf die unterschiedlichen Aufbauten der Generatorträger in D4 und D3 entsprechende Änderungen in demjenigen der D4 hätte vornehmen können, sodass er nur die aus D3 bekannten und notwendigen Modifikationen vorgenommen hätte. Der Fachmann erkenne, wie die Einspruchsabteilung festgestellt habe, den Vorteil des Merkmals d2 in D3, nämlich eine Reduktion von Bauteilen und Montageaufwand durch die elektrische Kontaktierung zwischen dem geerdeten Hupenkontakt und dem Gasgenerator. Dies gebe dem Fachmann Anlass, den Generatorträger von D4 im Sinne von D3 zu ändern, und so würde er die aus D3 bekannte Lasche radial innen an dem inneren Abschnitt der Blattfeder von D4 ausbilden und in naheliegender Weise zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangen. Dabei stellt die Beschwerdeführerin fest, dass D4 nicht explizit offenbare, weshalb die Schenkel der Blattfeder mit Ausnahme des Bereichs, der in Kontakt mit den Kontakten 34 komme, gegenüber dem Lenkrad elektrisch isoliert seien. Somit könne man aus dieser offenbarten Isolierung nicht ableiten, dass die Blattfeder nicht elektrisch geerdet sei. Die Isolierung sei vermutlich sogar lediglich zur Vermeidung eines Funkschlages von dem Schenkel zum Lenkrad und/oder zur Vermeidung eines unbeabsichtigten direkten Stromflusses vom Schenkel zum Lenkrad vorgesehen. Eine Erdung der Blattfeder würde der Fachmann somit ohnehin durchführen.
1.5 Die Einspruchsabteilung hat den "could-would approach" jedoch ersichtlich richtig angewendet. Auf den vorliegenden Fall bezogen ist bei der Anwendung dieses Ansatzes die Frage zu beantworten, ob der Fachmann angesichts der Lehre von D3 den Generatorträger aus der Figur 2 von D4 nicht nur hätte ändern/modifizieren können, sondern auch tatsächlich geändert/modifiziert hätte, sodass er ohne erfinderisch Zutun zum Gegenstand des Anspruchs 1 gelangt wäre. Entscheidend ist dabei, ob in D3 ein Hinweis zu finden ist, die darin beschriebene Lasche des Hupenkontaktes von den anderen in funktionellem und strukturellem Zusammenhang offenbarten Merkmalen - d.h. dem Aufbau des Generatorträgers der D3 - zu isolieren und in den Generatorträger der D4 aufzunehmen.
Hieran fehlt es ersichtlich. Wie die Einspruchsabteilung in ihrer Entscheidung richtig festgestellt hat - so die Beschwerdeführerin auch in der Beschwerdeerwiderung - könnte der Fachmann dies zwar versuchen, würde es aber nicht tun, da D3 ein anderes Konzept (mit anderem Aufbau) nutzt und die elektrische Schaltung der Kontakte unterschiedlich ist. Insbesondere befindet sich in D3 (siehe D3.1 und D3.10) der geerdete erste Hupenkontakt an dem Generatorträger und der zweite Hupenkontakt an der Hupenplatte, wobei in Figur 2 von D4 beide Kontakte an dem Generatorträger angebracht sind und die Blattfeder wegen ihrer Isolierung gegenüber dem Lenkrad zwangsläufig nicht geerdet ist. Letzteres folgt aus der Tatsache, dass das Lenkrad eine elektrische Masse darstellt.
Dieses Konzept ist daher in Bezug auf die Auslösung des Hupenkontaktes nicht von der Erdung gemäß Merkmal d2 unabhängig. Infolgedessen fehlt dem Fachmann ein Anlass, die Lasche der D3 in den Gasgenerator in Figur 2 von D4 zu implementieren.
2. Änderung des Beschwerdevorbringens
2.1 Die während der mündlichen Verhandlung vor der Kammer neu vorgebrachte Angriffslinie (ausgehend von der Beschreibungspassage auf Seite 2, Absatz 3 der D4) wird nicht berücksichtigt.
2.2 Gemäß Artikel 13(2) VOBK 2020 bleiben Änderungen des Beschwerdevorbringens eines Beteiligten nach Zustellung der Ladung zur mündlichen Verhandlung grundsätzlich unberücksichtigt, es sei denn, der betreffende Beteiligte hat stichhaltige Gründe dafür aufgezeigt, dass außergewöhnliche Umstände vorliegen.
2.3 Wie oben ausgeführt, ging die Beschwerdeführerin im schriftlichen Verfahren von dem Ausführungsbeispiel in Figur 2 von D4 aus, bei welchem zur Auslösung des Hupsignals der Generatorträger in der in Figur 2 dargestellten Ausrichtung nach unten gedrückt wird, wodurch die Schenkel 14 der Blattfeder 10 elastisch verformt werden und mit den Kontakten 34 zur Schließung eines Stromkreises in Kontakt kommen (siehe insbesondere S.6, letzter Absatz der Beschwerdebegründung). Erstmals in der mündlichen Verhandlung argumentierte die Beschwerdeführerin ausgehend von der im dritten Absatz der Seite 2 von D3 offenbarten Weiterbildung der Erfindung und erklärte, es handele sich dabei um eine Ausführungsform, bei der ein einziger Kontakt in den Gasgenerator eingespritzt sei, der andere Kontakt zur Schließung eines Stromkreises aber durch die Blattfeder selbst bewirkt werde. Somit sei klar, dass die Blattfeder nicht isoliert sei.
Die Kammer stellt fest, dass es sich hierbei um eine Änderung des Beschwerdevorbringens der Beschwerdeführerin, in Form einer auf neuen Fakten basierenden Argumentation, handelt:
Die Argumentation stützt sich nämlich auf eine Auslegung des dritten Absatz der Seite 2 von D3 (insbesondere ob die Angabe "der Kontakt in den Gasgenerator eingespritzt ist" tatsächlich bedeutet, dass im Gasgenerator ein einziger Kontakt anstatt von zwei Kontakten 34 gemäß Darstellung der Figur 2 vorhanden ist) und damit auf die Annahme, dass D3 zusätzlich zur detailliert illustrierte Ausführungsform gemäß Figur 2 auch eine andere Ausführungsform offenbart, die in den Figuren nicht gezeigt ist.
Weder die Auslegung des dritten Absatz der Seite 2 von D3 noch die daraus hergeleitete andere Ausführungsform wurden im schriftlichen Verfahren erörtert.
2.4 Die Beschwerdeführerin führte aus, die Änderung ihres Beschwerdevorbringens sei zu berücksichtigen, da sie eine Reaktion auf die in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 angegebene Ansicht der Kammer, wonach erstmals angesprochen werde, dass der Fachmann weder Hinweis noch Anregung in der Offenbarung von D3 finde, die Lasche des Hupenkontaktes in den Generatorträger von D4 angesichts der elektrischen Isolierung der Blattfeder gegenüber dem Lenkrad aufzunehmen. Demgegenüber war ihre in der Beschwerdebegründung vorgetragene Argumentationslinie auf die angeblich fehlerhafte Durchführung des "could-would approach" seitens der Einspruchsabteilung gerichtet. Dies stelle stichhaltige Gründe dar, die die Notwendigkeit des erstmaligen Vortrags einer neuen Angriffslinie begründeten. Diese sei daher nach Artikel 13(2) VOBK 2020 noch zu berücksichtigen.
2.5 Die Kammer erachtet die von der Beschwerdeführerin angegebenen Gründe als nicht stichhaltig. Die Ansicht der Kammer in der Mitteilung nach Artikel 15(1) VOBK 2020 basiert auf die Begründung der Einspruchsabteilung und auf dem Vortrag der Beschwerdegegnerin in der Beschwerdeerwiderung. Sowohl die Einspruchsabteilung als auch die Beschwerdegegnerin haben in diesem Rahmen Gründe geäußert, weshalb angesichts des "could-would approach" der Fachmann die Lehre von D3 nicht in den Gasgenerator von D4 integrieren würde; insbesondere würde er dies angesichts der in der Figur 2 offenbarten Isolierung der Blattfeder gegenüber dem Lenkrad nicht tun. Somit hat die Kammer keinen neuen Sachverhalt in ihrer Mitteilung präsentiert, der die verspätete Angriffslinie rechtfertigen könnte.
3. Im Ergebnis stehen der Wirksamkeit des Patents in der aufrechterhaltenen Fassung daher keine durchgreifenden Gründe entgegen.
Aus diesen Gründen wird entschieden:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.