D 0005/82 (Prüfungs- u. Entscheidungsbefugnis/Disziplinarkammer) 15-12-1982
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1. In Pruefungsangelegenheiten besteht die Befugnis der Disziplinarkammer gemaess Artikel 23(1) VEP darin, zu pruefen, ob die Vorschriften der VEP mit hoeherrangigem Recht, insbesondere mit dem EPÜ, in Übereinstimmung stehen, und ob die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung solchen Rechts oder der in der VEP gegebenen Vorschriften beruht. Folglich ist fuer die Durchfuehrung der Pruefung die Pruefungskommission und in keinem Fall die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten an ihrer Stelle zustaendig.
2. Da die Pruefungskommission sich in jedem Ausschuss aus mehreren Pruefern zusammensetzt, wird die Note fuer jede Pruefungsarbeit von dem Ausschuss in seiner Gesamtheit vergeben. Daraus ergibt sich, dass weider die Methode der arithmetischen Mittelwertbildung noch die sogenannte Methode der Notenabgleichung fuer die Ausschuesse zwingend geboten ist.
3. Die Vernichtung eines Teils der Pruefungsarbeiten, auf denen die Noten und etwaige Bemerkungen eingetragen waren, durch die Pruefer, stellt einen schweren Verstoss gegen das Recht des Bewerbers auf Einsicht in die Beurteilung der Pruefungskommission dar, der in besonderen Faellen so gravierend sein kann, dass er die Nichtigkeit der gesamten Pruefung zur Folge hat.
4. Die Befassung der Grossen Beschwerdekammer durch die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten ist ausgeschlossen.
Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnis der Disziplinarkammer
Benotung durch die Prüfungsausschüsse und nicht durch einzelne Prüfer
Unzuständigkeit der Grossen Beschwerdekammer
I. Der Beschwerdeführer hat sich am 21.,22. und 23. November 1979 der ersten Eignungsprüfung für die beim EPA zugelassenen Vertreter unterzogen. Am 19.März wurde ihm mitgeteilt, daß er die Prüfung nicht bestanden habe, und am am 8. April 1980 erhob er gegen diese Entscheidung Beschwerde, der nicht abgeholfen wurde. Dieses Verfahren führt das Aktenzeichen D 02/80 und wurde mit einer Entscheidung der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten vom 8. Dezember 1981 beendet, welche die die Organisation der Prüfung betreffenden Beanstandungen verwarf, im übrigen die angefochtene Entscheidung aufhob und die Angelegenheit zur erneuten Entscheidung an die Prüfungskommission zurückverwies.
In ihrer Begründung war die Kammer davon ausgegangen, daß der Beschwerdeführer mangels vorheriger Einsicht in seine Prüfungsarbeiten, die ihm erst durch eine Zwischenentscheidung der Kammer vom 15. Dezember 1980 zuerkannt wurde, seine Beschwerde vor der Kommission nicht in gehöriger Weise hatte begründen können.
Folglich war die Abhilfe durch die Kommission a priori praktisch ausgeschlossen, und daher mußte das Verfahren mit einer neuen Entscheidung der Kommission durchgeführt werden.
Außerdem wurde die Prüfungskommission durch die Kammer aufgefordert, zu überlegen, ob bei unterschiedlicher Notengebung durch die einzelnen Prüfer die angewandte Methode der "Notenabgleichung" richtigere Ergebnisse gewährleistet als die Methode der arithmetischen Mittelwertbildung.
II. Am 10. März 1982 teilte die Prüfungskommission dem Beschwerdeführer mit, sie sei auch nach erneuter Beurteilung der Prüfungsarbeiten zu dem Ergebnis gekommen, daß er die Eignungsprüfung nicht bestanden habe.
Wie schon in ihrer Mitteilung vom 19. März 1980, fügte sie hinzu, daß ihrer Ansicht nach die Prüfungsarbeiten B, C und D "unzureichend" seien und daß die Leistung des Bewerbers in der Arbeit A nicht ausreiche, um insgesamt die zum Bestehen erforderliche Bewertung zu erzielen. Überdies sei die Kommission, um die Anregung der Kammer zu beantworten, der Ansicht, daß bei unterschiedlicher Notengebung durch die Prüfer die Methode der "Notenabgleichung" richtigere Ergebnisse als die Methode der arithmetischen Mittelwertbildung ergebe.
III. Am 15. März 1982 legte der Beschwerdeführer gegen diese neue Entscheidung der Prüfungskommission Beschwerde ein. In zwei Begründungen vom 3. Mai und 28. Juni 1982 wiederholte er die Argumente, die er in dem früheren Verfahren, besonders in einer Begründung vom 14. Mai 1981, entwickelt hatte. Der Beschwerdeführer hatte in seinem ersten Schreiben insbesondere geltend gemacht:
Was die Prüfungsarbeit A betrifft, seien die Prüfer zunächst stark voneinander abgewichen und hätten sich dann auf die ursprünglich untere Bewertung geeinigt.
Was die Prüfungsarbeit B betrifft, sei - wie übrigens auch bei der Prüfungsarbeit A - eine Ermessensfrage, nämlich die erfinderische Tätigkeit, unberechtigt zum Gegenstand der Bewertung gemacht worden.
Was die Prüfungsarbeit D betrifft, sei - wie auch bei der Bewertung der Arbeit A - bei der Abstimmung zwischen den beiden Prüfern der unterste Wert beibehalten und nicht der arithmetische Durchschnitt errechnet worden.
In den Schriftsätzen vom 3. Mai 1982 und 28. Juni 1982 hob der Beschwerdeführer hervor, daß nur die restriktive Tendenz und die Strenge der Prüfer und deren Beeinflussung durch die Anweisungen der Kommission die schlechten Gesamtergebnisse der ersten Eignungsprüfung erklären könnten, bei der 64% der Bewerber durchgefallen seien.
Er fügte hinzu, daß einige Prüfer unter Verletzung der Regel 95a EPÜ Abschriften der Prüfungsarbeiten A bis D zerstört hätten, wodurch er in seiner Argumentation behindert worden sei, und daß darüber hinaus auf den ihm überlassenen Kopien die Namen der verschiedenen Prüfer unlesbar gemacht und durch abstrakte Bezeichnungen ersetzt worden seien. Er sehe darin einerseits eine ungerechtfertigte Einschränkung des Einsichtsrechts, das ihm von der Kammer ausdrücklich zuerkannt worden sei, und andererseits ein Hindernis, die Verhaltensweise der Prüfer, die einen Teil der Akten vernichtet hätten, durch die zuständigen Organe überprüfen zu lassen.
In der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 21. September 1982 beantragte der Beschwerdeführer:
a) festzustellen, daß Nummer 6 der Anweisungen an die Bewerber für den Ablauf der Prüfung in Widerspruch zu den Befugnissen stehe, die die Prüfungskommission durch Artikel 5 Absatz 2 VEP erhalten habe:
b) die angefochtene Entscheidung der Prüfungskommission vom 19. März 1980 aufzuheben und die Sache an die Prüfungskommission zurückzuverweisen, und zwar mit der Weisung, die Prüfungsarbeiten A bis D unter gebührender und nachprüfbarer Berücksichtigung der Beschwerdebegründungen vom 14. Mai 1981 und 3. Mai 1982 erneut zu beurteilen und anhand dieser Beurteilung neu zu entscheiden sowie das unklare, unübliche Prinzip der "Notenabgleichung" zu definieren und zu erläutern;
c) hilfsweise eine erneute Beurteilung seiner Arbeiten A bis D durch die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten unter Berücksichtigung seiner Beschwerdebegründungen vorzunehmen, gegebenenfalls im Rahmen dieser oder einer anderen mündlichen Verhandlung;
d) für den Fall, daß die Beschwerdekammer weder dem Hauptantrag noch dem Hilfsantrag stattgibt, zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsanwendung die Große Beschwerdekammer mit der Frage zu befassen, ob die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten sich mit dem vorgenannten Hilfsantrag befassen müsse;
e) für den Fall, daß vom vorstehenden Hilfsantrag Gebrauch gemacht wird, das Verfahren auszusetzen, bis die Große Beschwerdekammer entschieden habe;
f) unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Prüfungskommission vom 10. März 1982 - gegebenenfalls nach der, wie aufgezeigt, möglichen Umgraduierung der Prüfungsarbeiten A bis D - festzustellen, daß er die erste europäische Eignungsprüfung bestanden habe.
Die Beschwerdekammer möge ferner die Prüfungskommission veranlassen, ihm die Namen der Mitglieder des Prüfungsausschusses zu nennen, welche die Kopien seiner Prüfungsarbeiten A bis D erhalten und sie nicht in seine Akten zurückgegeben hätten.
Der Beschwerdeführer trägt unter anderem vor, seine frühere Beschwerde könne im Gegensatz zur Behauptung im Schreiben der Prüfungskommission vom 10. März 1982 nicht sorgfältig zur Kenntnis genommen worden sein, da es keine entsprechende Unterlagen bei seinen Prüfungsakten gäbe. Außerdem erläuterte er in seinem Vortrag anhand einer Skizze, daß für die Prüfungsarbeit D im Gegensatz zu A und B ein die Note 7 überbewertendes nicht lineares Intervall zur Notengebung vorgesehen worden sei.
1. Um das Verständnis der folgenden Ausführungen zu erleichtern, müssen die einzelnen Punkte der Anträge in chronologischer Reihenfolge ihres Eingangs untersucht werden, ohne darauf einzugehen, welche Anträge der Beschwerdeführer letztlich als "Haupt"- oder "Hilfs"-Anträge bezeichnet hat.
2. Zu Punkt a der Anträge
Art. 5(2) der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung vom 21. Oktober 1977 lautet: "Die Prüfungskommission erläßt die Vorschriften für die Durchführung der Prüfung. Insbesondere bestimmt sie, welche Bücher und Unterlagen die Bewerber benutzen dürfen, sorgt für die Aufsicht bei der Prüfung und entscheidet über Maßnahmen, die gegenüber Bewerbern, die einer Täuschung oder eines Täuschungsversuchs überführt werden, zu treffen sind." Nummer 6 der Anweisungen an die Bewerber für den Ablauf der Prüfung lautet andererseits: "Beschwerden über die Durchführung der Prüfung werden von der Prüfungskommission nur dann behandelt, wenn sie spätestens eine Stunde nach dem Schlußzeichen am letzten Prüfungstag gegenüber einer Aufsichtsperson schriftlich unter Darlegung der Tatsachen vorgebracht worden sind."
Der Beschwerdeführer macht geltend, daß die Kommission bei Erlaß dieser letzten Anweisung ihren in Artikel 5(2) VEP festgelegten Zuständigkeitsrahmen überschritten habe. Dagegen läßt sich zunächst einwenden, daß die Beschwerdekammer in ihrer Entscheidung vom 8. Dezember 1981 mit dem Hinweis, daß sich der Beschwerdeführer nicht an Nummer 6 der Anweisungen gehalten habe, stillschweigend deren Rechtmäßigkeit anerkannt hat.
Der Beschwerdeführer hatte damals zugegeben, daß er von den Anweisungen rechtzeitig Kenntnis erhalten habe, hatte aber deren Gültigkeit nicht angezweifelt. Es ist daher anzunehmen, daß die durch die angeblich ungünstigen äußeren Umstände der Prüfung vom November 1979 bedingten Zweifel an der Gültigkeit der Anweisungen endgültig durch die Entscheidung vom 8. Dezember 1981 ausgelöst wurden.
Darüber hinaus behauptet der Beschwerdeführer heute zu Unrecht, daß die Aufzählung der Befugnisse der Kommission in Artikel 5(2) VEP erschöpfend sei. Das Wort "insbesondere", dem die Worte "in particular" in der englischen Fassung und "en particulier" in der französischen Fassung genau entsprechen, besagt im Gegenteil, daß es sich um eine nicht erschöpfende Aufzählung handelt.
Die Anweisung, daß Beschwerden über die Durchführung der Prüfung in einer bestimmten Form und innerhalb einer bestimmten Frist gegenüber den Aufsichtspersonen vorgebracht werden müssen, ist keineswegs unbillig, sondern knüpft direkt an die in Artikel 5(2) VEP ausdrücklich genannten Bedingungen für die Aufsicht bei den Prüfungen an.
Punkt 1 der Anträge, in dem die Kammer im übrigen nur um eine "Feststellung" ersucht wird, kann daher nicht stattgegeben werden.
3. Zu Punkt b der Anträge
Der Hauptantrag des Beschwerdeführers geht dahin, die Sache an die Prüfungskommission mit der Weisung zurückzuverweisen, erstens die Prüfungsarbeiten A bis D unter Berücksichtigung der dargelegten Kriterien erneut zu beurteilen und zweitens den Begriff der "Notenabgleichung" zu definieren.
Nach Artikel 23(1) und (3) der Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für die beim Europäischen Patentamt zugelassenen Vertreter (ABl.EPA 1978, S. 101) kann gegen die Entscheidungen der Prüfungskommission "wegen Verletzung dieser Vorschriften" Beschwerde erhoben werden. Diese Vorschriften können von der Beschwerdekammer nicht dahingehend erweitert werden, daß sie ihre Befugnisse ausdehnt und die Notengebung der Korrektoren in zweiter Instanz beurteilt. Es kann allenfalls beschlossen werden, wie dies die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten bereits am 4. Februar 1982 (Sache D 01/81, ABl. EPA 7/1982, S. 258) getan hat, daß ihre Befugnis darin besteht, zu prüfen, ob die Vorschriften der VEP mit höherrangigem Recht, insbesondere mit dem EPÜ, in Übereinstimmung stehen und ob die Entscheidung der Prüfungskommission auf einer Verletzung dieser Vorschriften beruht.
Im vorliegenden Fall beziehen sich die zahlreichen Beanstandungen des Beschwerdeführers im wesentlichen auf die Notengebung durch die Prüfer und auf deren nach seiner Meinung zu große Strenge, die die Beschwerdekammer jedoch nicht in Frage stellen kann.
Die einheitliche Anwendung eines strengen Maßstabes verstößt nämlich nicht gegen die Prüfungsvorschriften, und es fällt in die Kompetenz der Prüfungskommission und nicht der Kammer, zu bestimmen, ob ein strenger oder milder Maßstab anzulegen ist. Eine der Hauptbeschwerden des Beschwerdeführers richtet sich gegen die Tatsache, daß die Prüfungskommission die Methode der "Notenabgleichung" der Methode der arithmetischen Mittelwertbildung vorgezogen hat. Ganz abgesehen davon, daß die Methode der Notenabgleichung von der Kammer in ihrer Entscheidung vom 8. Dezember 1981 grundsätzlich stillschweigend gebilligt worden ist - sonst hätte sie die Prüfungskommission nicht ersucht, die Vor- und Nachteile beider Systeme zu überdenken -, kann sie auch nicht von vornherein abgelehnt werden.
Wenn sich ein Prüfungsausschuß aus mehreren Prüfern zusammensetzt, wird die Note von dem Ausschuß als Ganzes vergeben, und die Noten seiner Mitglieder können bis zur endgültigen Entscheidung nur als bloße Vorschläge angesehen werden.
Die endgültige Note als solche ergibt sich entweder aus dem arithmetischen Mittel der vorgeschlagenen Noten - wenn sich alle Korrektoren einig sind - oder aus einer Gesamtnote, die in der abschließenden Beratung vergeben wird. Daß diese Bewertung nicht ungewöhnlich ist, zeigt eine Entscheidung aus der Bundesrepublik Deutschland durch den Bundesfinanzhof, der sogar noch weiter gegangen ist, als er am 11. Mai 1982 entschieden hat, daß im Sonderfall des Umlaufverfahrens die Ermittlung der Gesamtnote durch das arithmetische Mittel verboten sei (Der Betriebsberater, Heft 23, 20. August 1982).
Kurz zusammengefaßt gewährleistet die einheitliche Methode der "Notenabgleichung" ebenso wie die Methode der Mittelwertbildung eine gleichmäßige Bewertung und verstößt damit nicht gegen die Prüfungsvorschriften.
Daher muß Punkt 2 der Anträge ebenfalls zurückgewiesen werden.
4. Zu Punkt c der Anträge
Soweit die Zuständigkeit der Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten gegenüber der Prüfungskommission durch Artikel 23(1) und (3) VEP (Vorschriften über die europäische Eignungsprüfung für die beim EPA zugelassenen Vertreter - Amtsblatt EPA 1978, 101) in der obigen Auslegung abgegrenzt ist, kann die Beurteilung der Kammer zumindest dann nicht an die Stelle der Benotung der Prüfer treten, wenn - wie im vorliegenden Fall - eine ohne weiteres zu behebende Verletzung der Vorschriften weder bewiesen noch auch nur behauptet worden und auch nicht erkennbar ist.
Dagegen bezieht sich der vom Beschwerdeführer herangezogene Artikel 22(3) der Vorschriften in Disziplinarangelegenheiten von zugelassenen Vertretern (Amtsblatt EPA 1978, 91) mit Verweisung auf Artikel 111(1) (2) EPÜ auf die Kammer im Verhältnis zum Disziplinarrat bzw. Ausschuß und nicht im Verhältnis mit der Prüfungskommission.
5. Zu den Punkten d und e der Anträge
Die Große Beschwerdekammer ist nach Artikel 22(1) EPÜ zuständig für "Entscheidungen über Rechtsfragen, die ihr von den Beschwerdekammern vorgelegt werden" (erste Hypothese) oder "die Abgabe von Stellungnahmen zu Rechtsfragen, die ihr vom Präsidenten des Europäischen Patentamts nach Artikel 112 vorgelegt werden" (zweite Hypothese).
Da in Artikel 112(1)b) präzisiert wird, wann der Präsident die Große Beschwerdekammer befassen kann, nämlich, "wenn zwei Beschwerdekammern voneinander abweichende Entscheidungen getroffen haben", liegt es auf der Hand, daß die zweite Hypothese nicht für die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten gelten kann, da diese das einzige Organ ihrer Art ist und somit in ihren Entscheidungen nicht von einer parallelen Instanz abweichen kann. Was die erste Hypothese anbelangt, so ist die Befassung der Großen Beschwerdekammer bei Disziplinarverfahren sowohl vom Wortlaut als auch vom Sinn der einschlägigen Rechtstexte her ausgeschlossen.
Zum Wortlaut: In Artikel 22(1)a) EPÜ heißt es: "Die Große Beschwerdekammer ist zuständig für Entscheidungen über Rechtsfragen, die ihr von den Beschwerdekammern vorgelegt werden." Es ist klar, daß dieser Artikel sich bei dem Begriff "Beschwerdekammern" implizit auf den unmittelbar vorangehenden Artikel 21 bezieht und somit die Kammern meint, die "für die Prüfung von Beschwerden gegen Entscheidungen der Eingangsstelle, der Prüfungsabteilungen, der Einspruchsabteilungen und der Rechtsabteilung" zuständig ist, also die Juristische Beschwerdekammer und die Technischen Beschwerdekammern, nicht aber die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten. Zum Sinn: Die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten des EPA (abgekürzt "Disziplinarkammer" genannt), die durch Artikel 5 der Disziplinarvorschriften vom 21. Oktober 1977 errichtet wurde, ist genaugenommen kein Organ zur Durchführung der in Artikel 15 EPÜ genannten Verfahren und ist im übrigen in diesem Artikel auch nicht aufgeführt.
Im Übereinkommen, das vom 5. Oktober 1973 stammt, konnte nicht von einem Organ die Rede sein, das erst auf Grund einer am 21. Oktober 1977 in Kraft gesetzten Vorschrift errichtet worden ist. Dies ist auch später nicht korrigiert worden, so daß mit Sicherheit kein Versehen vorliegt.
Während Mitglieder der Beschwerdekammern einschließlich der Großen Beschwerdekammer nach den Artikeln 21 bis 23 alle rechtskundig oder technisch vorgebildet sind und vom Verwaltungsrat besonders ernannt werden, setzt sich die Beschwerdekammer in Disziplinarangelegenheiten nach Artikel 10 der Vorschriften vom 21. Oktober 1977 aus drei rechtskundigen Mitgliedern der Beschwerdekammern und zwei besonders ernannten zugelassenen Vertretern zusammen.
Wenn der Gesetzgeber die Absicht gehabt hätte, die Zuständigkeit der Großen Beschwerdekammer auf die Entscheidungen der sogenannten Disziplinarkammer, also auf Rechtsfragen in Disziplinarangelegenheiten, auszudehnen, so hätte er wohl kaum anstelle der zugelassenen Vertreter technisch vorgebildete Mitglieder vorgesehen.
Die Beschwerdekammer kann daher auch den Punkten 4 und 5 des Antrages nicht stattgeben.
6. Zu Punkt f der Anträge
In dem Punkt f wird beantragt, die Kammer solle nach einer Umgraduierung feststellen, daß der Kandidat die Prüfung bestanden hat, und die Prüfungskommission veranlassen, daß ihm die Namen der Korrektoren mitgeteilt werden, die Kopien seiner Prüfungsarbeiten erhalten und nicht in die Akten zurückgegeben haben.
Zum ersten Antrag wurde bereits ausgeführt, daß die Kammer nicht anstelle der Prüfungskommission die Arbeiten bewerten könne. Auch die Graduierung liegt im Ermessen der Prüfungskommission, wenn nicht bewiesen oder geltend gemacht wird, daß sie nicht für alle Kandidaten gleich gewesen ist und damit gegen den Grundsatz der Gleichheit verstoßen hat.
Was die Preisgabe der Namen der Korrektoren anbelangt, so gibt der Beschwerdeführer zu erkennen, daß er glaubt, sich auf diese Weise die Möglichkeit verschaffen zu können, Schritte gegen die Prüfer zu unternehmen.
Er wirft ihnen jedoch weder Befangenheit noch Rechtsbeugung vor. Es ist deshalb nicht Aufgabe der Kammer, der keine persönliche Haftungsklage gegen einen der Prüfer vorliegt und auch nicht vorgelegt werden kann, über die Zulässigkeit eines Beweismittels in einem Verfahren zu entscheiden, für das sie nicht zuständig ist.
7. Zu der Behauptung, daß ein Teil der benoteten Kopien zerstört worden sei
Aus einem Briefwechsel zwischen der Prüfungskommission und dem Beschwerdeführer geht hervor, daß die Prüfer nicht die Originale, sondern nur Fotokopien der Arbeiten erhalten, auf denen sie die Noten, die sie zu vergeben beabsichtigen, sowie etwaige Bemerkungen eintragen. Nach Abschluß des Bewertungsverfahrens verbleiben die Kopien im Besitz der Prüfer. Im vorliegenden Fall fehlten von den acht Kopien der Arbeiten A und B vier, in deren Benotungsvermerke der Kandidat somit keine Einsicht nehmen konnte.
Dasselbe war bei einer der vier Kopien der Arbeit D der Fall. Der Beschwerdeführer beruft sich unter anderem auf Artikel 125 EPÜ und vertritt zu Recht die Auffassung, daß eine solche Verfahrensweise einen schweren Verstoß gegen sein Recht auf Einsicht in die Prüfungsunterlagen darstelle, das ihm doch ausdrücklich in den früheren Verfahren durch die Entscheidungen vom 15. Dezember 1980 und 4. Februar 1981 zuerkannt worden sei. Als Entschuldigung für die Prüfungskommission wäre denkbar, daß dem Kandidaten zum Zeitpunkt der Vernichtung der Kopien das Recht auf Einsicht in die Bewertungen der Prüfungskommission in Form einer Einsichtnahme in die benoteten Kopien noch nicht von der Kammer zuerkannt worden war.
Es gilt jedoch zu bedenken, daß dem erfolglosen Kandidaten bei der angewandten Benotungsmethode nur die Originale seiner Arbeiten zur Begründung einer etwaigen Beschwerde zur Verfügung stünden, wenn jeder Prüfer sich das Recht herausnehmen würde, die in seinem Besitz befindliche Kopie nach der Benotung zu vernichten; auf den Originalen fehlt hingegen jegliche Benotung, so daß sie für den Kandidaten praktisch wertlos sind.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers stellt die dem Prüfer vorgeworfene Handlung keinen Verstoß gegen die Regel 95a EPÜ dar, die nur die Aufbewahrung der Akten der europäischen Patentanmeldungen betrifft.
Sie ist vielmehr eine Verletzung des Rechts des erfolglosen Kandidaten auf Einsicht in die Beurteilung der Prüfungskommission, die in seinem Falle so gravierend ist, daß sie die Nichtigkeit der gesamten Prüfung zur Folge hat. Nach den in den Vertragsstaaten allgemein gültigen Grundsätzen des Verfahrensrechts, die die Kammer zutreffend gemäß Artikel 125 EPÜ hier zu berücksichtigen hat, führt die Verletzung eines Rechtsgrundsatzes in einem Verfahren dazu, daß das gesamte Verfahren von Amts wegen für nichtig erklärt werden muß. Das heißt jedoch nicht, daß die Kammer die Eignungsprüfung im Fall des Kandidaten für bestanden erklärt. Sie kann nur erklären, daß davon auszugehen ist, daß der Kandidat an der Prüfung nicht teilgenommen hat, und ihn für den Fall, daß er an einer neuen Prüfung teilnimmt, von der Zahlung der entsprechenden Gebühr befreien.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird wie folgt entschieden:
1. Die Entscheidung der Prüfungskommission vom 10. März 1982 wird aufgehoben und die erste Eignungsprüfung für die beim EPA zugelassenen Vertreter, was den Beschwerdeführer betrifft, als nichtig erklärt.
2. Die Anträge auf Zurückweisung der Sache an die Kommission sowie auf Befassung der Großen Beschwerdekammer sowie auf Mitteilung der Namen der Mitglieder der verschiedenen Prüfungsausschüsse werden abgelehnt.
3. Der Beschwerdeführer hat das Recht, sich einer neuen Prüfung zu unterziehen, ohne die entsprechende Gebühr zu zahlen.