T 0113/02 17-03-2004
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Vorrichtung für die Bestimmung eines Frankierwertes
Patentfähige Erfindungen - kein Computerprogramm als solches, keine Wiedergabe von Informationen als solche
Erfinderische Tätigkeit (bejaht)
I. Die Beschwerde richtet sich gegen die Entscheidung der Prüfungsabteilung, mit der die europäische Patentanmeldung Nr. 95 810 163.6 zurückgewiesen worden ist.
II. Der in der angefochtenen Entscheidung angegebene Grund für die Zurückweisung war, daß der Gegenstand des damaligen Anspruchs 1 nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhe. Folgende Dokumente des Standes der Technik sind in der angefochtenen Entscheidung genannt:
D1: FR-A-2 650 098,
D2: EP-A-0 386 390,
D3: EP-A-0 387 202,
D4: EP-A-0 492 439, und
D5: WO-A-92/17861.
III. Die Kammer wies in einer der Ladung für mündliche Verhandlung beigefügten Mitteilung noch auf das im Recherchenbericht und in der Anmeldung genannte Dokument
D6: EP-A-0 586 333
hin.
In ihrer Mitteilung äußerte die Kammer außerdem Bedenken, ob möglicherweise den Merkmalen, die den Unterschied zwischen dem beanspruchten Gegenstand und dem aus Dokument D1 bekannten Stand der Technik ausmachen, kein technischer Charakter zukomme.
IV. Eine mündliche Verhandlung vor der Kammer fand am 17. März 2004 statt.
Der Beschwerdeführer (Anmelder) beantragte, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und ein Patent in folgender Fassung zu erteilen:
Ansprüche 1 bis 8, eingereicht als Hauptantrag mit Schreiben vom 16. Februar 2004;
Beschreibung Seiten 1 bis 9, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;
Zeichnungen Figur 1 bis 20 wie ursprünglich eingereicht.
V. Der unabhängige Anspruch 1 lautet wie folgt:
"Vorrichtung für die Bestimmung eines Frankierwertes für die Einstellung einer Frankiermaschine mit
einem Datenverarbeitungssystem (Computer) (9),
mindestens einer Speichereinheit (12, 13, 14) für ein Datenverarbeitungsprogramm und für ein Posttarifsystem,
einer Eingabevorrichtung (4) für die Eingabe von Informationen,
einer in der Nähe der Eingabevorrichtung (4) angeordneten Anzeigeeinrichtung (16) für die Anzeige zumindest eines aufgrund dieser Eingaben bestimmten Frankierwertes,
wobei die Eingabevorrichtung (4) eine durchsichtige, die Anzeigeeinrichtung (16) überdeckende, auf jeweils eine örtlich begrenzte manuelle Berührung ansprechende Eingabeplatte aufweist, zur Erzeugung von Eingabesignalen, die eine entsprechende örtliche Definition der Berührungsstelle beinhalten,
wobei die Anzahl, Anordnung und Funktion von veränderlich definierbaren Eingabefeldern (19,27) der Eingabeplatte und deren entsprechende und entsprechend angeordnete graphische Darstellungen auf der Anzeigeeinrichtung (16) durch das Datenverarbeitungsprogramm gesteuert sind, aufgrund von Eingabeinformationen veränderbar sind und einem Satz von Menüs entsprechen,
wobei auf Eingabefeldern (19) der Menüs das Versandziel und die Versandart betreffende Informationen eingebbar sind und das Datenverarbeitungsprogramm aufgrund dieser Eingaben den Frankierwert berechnet,
dadurch gekennzeichnet,
daß in dem Satz von Menüs ein zehnertastaturartige Eingabefelder (19) für einen Frankierwert aufweisendes Menü (Fig. 10), ein Frankierwertbeträgen entsprechende Eingabefelder (19) aufweisendes Menü (Fig. 9), ein zehnertastaturartige Eingabefelder (19) für einen Gewichtswert aufweisendes Menüs (Fig. 17) und ein Gewichtsstufen entsprechende Eingabefelder (19) aufweisendes Menü (Fig. 16) vorgesehen ist,
daß eines der zur Eingabe der Informationen für die Berechnung des Frankierwertes dienenden Menüs (Fig. 11) ein Eingabefeld (27) aufweist, durch dessen Betätigung ein Wechsel in das zehnertastaturartige Eingabefelder für einen Frankierwert aufweisende Menü (Fig. 10) oder in das Frankierwertbeträge entsprechende Eingabefelder (19) aufweisende Menü (Fig. 9) erfolgt,
und daß das zehnertastaturartige Eingabefelder (19) für einen Gewichtswert aufweisende Menü (Fig. 17) sowie das Gewichtsstufen entsprechende Eingabefelder (19) aufweisende Menü (Fig. 16) jeweils mit einem Eingabefeld (19) versehen ist, durch dessen Betätigung ein Wechsel zwischen diesen beiden Menüs (Fig. 16, Fig. 17) erfolgt."
Die Ansprüche 2 bis 8 sind von dem Anspruch 1 abhängig.
VI. Der Beschwerdeführer argumentierte im wesentlichen wie folgt:
Der Anspruch 1 definiere eine besondere Menüstruktur für die Eingabe von Informationen, die die Bestimmung eines Frankierwertes ermöglichen. Insbesondere stelle der beanspruchte Gegenstand vier unterschiedliche Menüs für die Eingabe von Informationen zur Verfügung. Zudem werde eine besondere Umschaltung zwischen den Menüs definiert, da ein fünftes Menü für die Umschaltung zwischen zwei der Eingabemenüs vorgesehen sei und die zwei weiteren Eingabemenüs jeweils mit einem Eingabefeld versehen seien, das ein Wechsel zwischen diesen beiden Menüs ermögliche. Die in Anspruch 1 angegebene Menüstruktur sei also ein ziemlich verflochtenes Gebilde. Der Konstrukteur der beanspruchten Vorrichtung habe diese Struktur, die innerhalb der durch den Posttarif vorgegebenen Grenzen eine möglichst schnelle Bedienung der Vorrichtung ermögliche, als Vorstufe zu der Programmierung des entsprechenden Datenverarbeitungsprogramms, das den Frankierwert berechne, entwickelt. Die Merkmale des kennzeichnenden Teils des Anspruchs 1 würden daher wie im Fall T 0769/92 ("SOHEI", ABl. EPA 1995, 525) auf übergeordneten technischen Überlegungen beruhen. Der beanspruchte Gegenstand beziehe sich also weder auf ein Datenverarbeitungsprogramm als solches, noch auf eine Wiedergabe von Informationen als solche.
Das Dokument D1 offenbare demgegenüber eine Vorrichtung mit den Merkmalen des Oberbegriffes des Anspruchs 1, wobei die in D1 beschriebenen Menüs eine rein sequentielle Struktur aufweisen. Insbesondere sei in D1 keine Querverbindung zwischen den Menüs vorgesehen. In der Frankiermaschine nach D2 sei eine Taste D-SET vorgesehen, mit der man zwischen der Eingabe von einem festen Frankierwertbetrag und der Eingabe des Dezimalwertes des Frankierbetrages umschalte. Dokument D3 offenbare eine Frankiermaschine, die der Frankiermaschine nach D2 ziemlich ähnlich sei; in D3 sei es aber als dritte Eingabeart zusätzlich möglich, ein Gewicht einzugeben. Allerdings sei in D3 keine Menüstruktur vorgesehen, die eine direkte Umschaltung zwischen den Eingabearten ermöglichen würde. In der Frankiermaschine nach D4 seien programmierbare Tasten ("Softkeys") neben einer Anzeige vorgesehen. Figur 4 von D4 zeige ein Beispiel für die Belegung dieser Tasten, mit denen die Maschine umkonfiguriert werden könne. D4 offenbare aber keine verschiedenen Eingabearten. In Dokument D5 werde eine reine sequentielle Menüstruktur gezeigt. D6 offenbare eine Frankiermaschine mit Tasten mit unterschiedlicher Belegung, die länderspezifisch eingerichtet werde. Die im Anspruch 1 definierte Menüstruktur mit Verzweigungen und Querverbindungen sei also durch den Stand der Technik nicht nahegelegt.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
2. Der vorliegende Anspruch 1 enthält die Merkmale der Ansprüche 1 und 5 wie ursprünglich eingereicht. Die weiteren Merkmale des vorliegenden Anspruchs 1 sind in der ursprünglich eingereichten Beschreibung, Seite 13, Zeile 29, bis Seite 14, Zeile 6, und Seite 14, Zeilen 26 bis 32, offenbart. Die vorliegenden Ansprüche 2 bis 8 entsprechen den Ansprüchen 2, 3, und 8 bis 12 wie ursprünglich eingereicht. Die Beschreibung ist in Einklang mit dem vorliegenden Anspruch 1 gebracht worden. Ferner ist das Dokument D1 in der Beschreibung gewürdigt worden. Der Gegenstand der Anmeldung geht also nicht über den Inhalt der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Fassung hinaus, so daß die Änderungen nicht gegen Artikel 123 (2) EPÜ verstoßen.
3. Die Entgegenhaltung D1 beschreibt eine Vorrichtung für die Bestimmung eines Frankierwertes mit allen Merkmalen des Oberbegriffs des Anspruchs 1. Insbesondere werden auf einem sogenannten Touchscreen (4) der in D1 offenbarten Vorrichtung Menüs dargestellt, die den Benützer bei der Eingabe des Versandziels und der Versandart unterstützen. Für die Eingabe des Versandziels und der Versandart sieht D1 jeweils eine einzige Eingabeart vor. Die Menüs von D1 weisen eine reine sequentielle Struktur ohne Querverbindungen auf, und werden nacheinander durch den Benützer aufgerufen.
4. Der kennzeichnende Teil des Anspruchs 1 sieht verschiedene Menüs vor, die unterschiedliche Eingabearten für den Frankierwertbetrag oder das Gewicht ermöglichen. Dazu ist nach Anspruch 1 eine besondere Struktur der Menüs vorgesehen, die übersichtlich ist und mit der der Benutzer zwischen den verschiedenen Eingabearten schnell und einfach wählen kann.
Die durch den beanspruchten Gegenstand objektiv gelöste Aufgabe kann also darin gesehen werden, die Eingabe der notwendigen Informationen in das Gerät vielseitig und effizient zu gestalten.
5. Es ist aus D3 bekannt, eine Vorrichtung für die Bestimmung eines Frankierwertes vielseitig zu gestalten, in dem der Benutzer zwischen drei verschiedenen Eingabearten (Auswahl zwischen festen Frankierwertbeträgen, Eingabe des Frankierwertbetrages als Dezimalwert, Eingabe des Gewichts als Dezimalwert) wählen kann. Die Eingabeart "Auswahl zwischen festen Frankierwertbeträgen" ist in der Vorrichtung nach D3 voreingestellt. Um eine andere Eingabeart zu wählen, muß der Benutzer eine entsprechende Sondertaste D-SET" oder "ENTER WT" betätigen. In der Frankiermaschine nach D2 wird mittels einer Sondertaste D-SET zwischen zwei Eingabearten (Auswahl zwischen festen Frankierwertbeträgen, Eingabe des Frankierwertbetrages als Dezimalwert) umgeschaltet. D6 beschreibt eine Frankiermaschine mit Tasten für die verschiedenen Gewichtstufen des Posttarifs. Die Dokumente D2, D3 und D6 offenbaren also keine Menüs und insbesondere keine Menüstruktur zum Umschalten zwischen verschiedenen Eingabearten.
6. In der Frankiermaschine nach D4 werden Menüs angezeigt. Diese Menüs betreffen aber nicht verschiedene Eingabearten. Dokument D5 betrifft eine Frankiermaschine mit einem Touchscreen. Die auf dem Touchscreen angezeigten Menüs weisen eine baumartige, lineare Struktur auf. D4 und D5 offenbaren also keine Menüstruktur mit Querverbindungen zwischen den Menüs.
7. Die dem Anspruch 1 zugrunde liegende Menüstruktur zum Umschalten zwischen den Menüs für die verschiedenen Eingabearten ergibt sich also für den Fachmann nicht in naheliegender Weise aus den genannten Dokumenten des Standes der Technik. Der Gegenstand des Anspruchs 1 gilt daher als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhend (Artikel 56 EPC).
8. Soweit im vorliegenden Fall ein Patentfähigkeitsausschluß gemäß Artikel 52 (2) und (3) EPÜ (Computerprogramm als solches, Wiedergabe von Informationen als solche) in Betracht kommen könnte, bemerkt die Kammer folgendes:
Die dem kennzeichnenden Teil des Anspruchs 1 zugrunde liegende Menüstruktur ist von dem kognitiven Inhalt der Menüs unabhängig und stellt somit keine Wiedergabe von Informationen als solche (Artikel 52 (2) d) EPÜ) dar. Sie ist auch der Programmierung der Menüs übergeordnet und somit kein Programm für eine Datenverarbeitungsanlage als solches (Artikel 52 (2) c) EPÜ). Die zugrunde liegende Menüstruktur beruht auf übergeordneten technischen Überlegungen im Sinne der Entscheidung T 0769/92, da sie eine vielseitige und effiziente Eingabe von Informationen in das Gerät mit dem Ziel einer besseren Bedienbarkeit bezweckt. Sie leistet damit einen Beitrag auf einem technischen Gebiet, das nicht durch Artikel 52 (2) und (3) EPÜ von der Patentfähigkeit ausgeschlossen ist, nämlich der Steuerung der technischen Funktion eines Gerätes nach Wunsch des Benutzers aufgrund von dessen Eingaben. Der Gegenstand des Anspruchs 1 ist daher als Erfindung im Sinne des Artikels 52 (1) EPÜ anzusehen.
9. Zur gleichen Schlußfolgerung kommt man übrigens auch, wenn man dem in der Entscheidung T 0931/95 (PBS PARTNERSHIP) (ABl. EPA 2001, 441) vorgeschlagenen Ansatz folgt.
Nach Punkt 8, dritter Absatz, der Entscheidung T 0931/95 kann eine Verbesserung, die im wesentlichen in einem von der Patentierbarkeit ausgeschlossenen Gebiet liegt, nichts zur erfinderischen Tätigkeit beitragen. Im vorliegenden Fall trägt aber die beanspruchte Menüstruktur zur erfinderischen Tätigkeit bei, da sie wie oben dargestellt auf technischen Überlegungen beruht und nicht auf einem von der Patentfähigkeit ausgeschlossenen Gebiet liegt.
10. Die Kammer kommt daher zu dem Schluß, daß der Gegenstand des Anspruchs 1 als Patentfähige Erfindung anzusehen ist und daß er sich aus dem Stand der Technik für den Fachmann nicht in naheliegender Weise ergibt.
Die Gegenstände der abhängigen Ansprüche 2 bis 8 gelten über den Anspruch 1 auch als auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhende Erfindungen.
Dem Antrag des Beschwerdeführers ist somit stattzugeben.
ENTSCHEIDUNGSFORMEL
Aus diesen Gründen wird entschieden:
1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.
2. Die Angelegenheit wird an die erste Instanz mit der Anordnung zurückverwiesen, ein Patent in folgender Fassung zu erteilen:
Ansprüche 1 bis 8, eingereicht als Hauptantrag mit Schreiben vom 16. Februar 2004;
Beschreibung Seiten 1 bis 9, eingereicht in der mündlichen Verhandlung;
Zeichnungen Figur 1 bis 20 wie ursprünglich eingereicht.